Parlament

Brexit: Fraktionen warnen vor Absen­kung von EU-Standards

Die Bundesregierung soll sich nach dem Willen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei den Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich für „enge und reibungslose“ Handelsbeziehungen einsetzen. Grundlage sollen faire Wettbewerbsbedingungen sein. Bestehende Umwelt-, Klima-, Sozial-, Arbeits- und Verbraucherschutzstandards dürften nicht abgesenkt werden. Einen entsprechenden gemeinsamen Antrag der drei Fraktionen (19/17122) verabschiedete der Bundestag am Donnerstag,13. Februar 2020, mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen gegen das Votum von AfD und Linksfraktion bei Enthaltung der FDP nach rund einstündiger Debatte.

Einen Antrag der FDP (19/17098) lehnten die Abgeordneten mit den Stimmen der übrigen Fraktionen ab. Darin hatten die Liberalen die Bundesregierung aufgefordert, sich für ein „EU-only“- Freihandelsabkommen einzusetzen, das nur vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union ratifiziert werden muss und nicht von den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten.

SPD: Kein „Singapur an der Themse“

„Es darf keinen Dumping-Wettbewerb vor unserer Haustür geben“, betonte Markus Töns (SPD). „Großbritannien muss unsere sozialen und Umweltstandards einhalten, sonst kann es keinen Zugang zum Binnenmarkt geben.“

Die EU könne ein „Singapur an der Themse“ nicht zulassen.

CDU/CSU: Ein bisschen Binnenmarkt geht nicht

Laut Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) besteht jedoch der Eindruck, dass die Briten sich „unfaire Vorteile“ verschaffen wollen. Ein „bisschen Binnenmarkt“ gehe jedoch nicht. „Es muss einen transparenten Mechanismus zur Überwachung gleicher Chancen für die Unternehmen geben“, forderte sie.

Auch müsse das Vereinigte Königreich Änderungen der EU-Standards dynamisch mitvollziehen. „Wir strecken die Hand aus und hoffen, dass diese Hand in London auch ergriffen wird“, sagte Leikert.

Minister: Interessen der Bürger wahren

„Wir wollen eine möglichst enge Partnerschaft mit Großbritannien, und zwar in allen Bereichen“, stellte auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) klar. Die EU strebe eine Freihandelszone ohne Zölle und ohne Quoten an. Im Mittelpunkt müsse aber die Wahrung der Interessen der Bürger „in Großbritannien und der EU“ stehen. Auf einen „Wettlauf nach unten“ werde sich die EU nicht einlassen.

Maas kündigte außerdem an, dass er sich mit seinem britischen Kollegen Dominic Raab in Kürze über neue Gesprächsformate verständigen wolle. Außerdem sicherte er dem Bundestag zu, ihn in jeder Verhandlungsphase einzubeziehen und zu informieren.

FDP: Geschlossenheit der EU wichtig

Michael Georg Link (FDP) nannte den britischen Premierminister Boris Johnson einen „schwierigen Verhandlungspartner“, der „vor Kraft zur Zeit scheinbar kaum laufen kann“. Doch die Uhr ticke, weshalb die EU sich genau überlegen müsse, was sie bis Ende der Übergangsfrist am 31. Dezember 2020 erreicht haben will.

Als Voraussetzung nannte Link ein klar formuliertes Verhandlungsmandat und die Geschlossenheit der 27 verbleibenden EU-Staaten. Die Bundesregierung forderte er auf, sich für ein EU-only-Abkommen einzusetzen, um die Gefahr zu bannen, am Ende ohne Abkommen dazustehen.

Grüne: Müssen liberale Demokratie verteidigen

Für Bündnis 90/Die Grünen wies Dr. Franziska Brantner darauf hin, dass ihre Fraktion sowie Union und SPD in ihrem Antrag „aus Zeitgründen“ ebenfalls auf ein reines EU-Abkommen setzen. Dieses solle aber auf Bereiche beschränkt bleiben, in denen eine EU-Zuständigkeit eindeutig gegeben sei.

„Wir müssen die liberale Demokratie in Europa verteidigen und stärken“, ergänzte Brantner. Das Pochen auf gemeinsame Standards folge diesem übergeordneten Ziel nach und habe nichts mit „Rache“ zu tun, erklärte sie.

Linke kritisiert Rüstungspläne

Auch Andrej Hunko (Die Linke) sagte, es dürfe keine „Strafmentalität“ geben, doch unterstütze auch seine Fraktion eine Verhandlungsstrategie, die sich gegen einen Wettlauf nach unten in Europa einsetze. Jedoch gebe es in dem von der EU-Kommission am 3. Februar 2020 vorgelegten Entwurf für ein Verhandlungsmandat auch kritische Punkte, etwa Pläne für gemeinsame Militärmissionen und Aufrüstungsprojekte sowie für Geheimdienstkooperationen „inklusive dem Austausch sensibler Daten“.

Einem reinen EU-Abkommen erteilte Hunko ein Absage. Wie bei den Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada solle ein gemischtes Abkommen, bei dem auch die nationalen Parlamente mitreden könnten, das Ziel sein.

AfD spricht von „Realitätsverlust“

Martin Hebner (AfD) bezeichnete es als „Irrglaube“ zu denken, dass die EU den Briten wieder die Einhaltung ihrer Vorschriften aufzwingen könne. „Die Briten wollten ihre Freiheit zurück, und das passiert jetzt auch“.

Er attestierte den Antragstellern einen „Realitätsverlust“ und kritisierte, dass der Antrag auf die „vollumfängliche Übertragung des Verhandlungsmandats auf die EU-Kommission“ hinauslaufe. Damit betrieben die Fraktionen eine „Selbstaufgabe der eigenen Interessen“. 

Angenommener Antrag von CDU/CSU, SPD und Grünen

Mit der Annahme des Antrags der Koalitionsfraktionen und der Grünen fordert der Bundestag die Bundesregierung auf, bei den Beratungen im Rat über das Verhandlungsmandat zu den künftigen Beziehungen darauf hinzuwirken, dass die Handelsbeziehungen mit Großbritannien auch in Zukunft so eng und reibungslos wie möglich ausgestaltet werden. Faire Wettbewerbsbedingungen sollten dabei als Grundlage verankert werden. Einseitige Wettbewerbsvorteile für die Briten seien zu vermeiden, bestehende Standards sollten nicht abgesenkt werden.  

Die EU soll die Kontrolle über ihren Binnenmarkt und ihre Autonomie in der Beschlussfassung sowie in der Auslegung des EU-Rechts behalten. Die Kooperation bei der inneren Sicherheit wollen die Fraktionen möglichst weitgehend und ohne Sicherheitslücken fortsetzen. Im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik strebt der Bundestag eine sehr enge Partnerschaft der EU-Institutionen und der EU-Mitgliedstaaten mit Großbritannien an, wobei die Entscheidungsautonomie der EU gewahrt bleiben müsse.

Abgelehnter Antrag der FDP

Die FDP wollte die Bundesregierung unter anderem auffordern, sich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass das Verhandlungsmandat für die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien so ausgestaltet wird, dass ein Auslaufen der Übergangsfrist ohne die Ratifizierung eines Freihandelsabkommens verhindert werden kann (19/17098). Dafür müsse die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass das zu verhandelnde Freihandelsabkommen den Anforderungen eines reinen EU-Abkommens entspricht, das nur vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union ratifiziert werden muss.

Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 sollte sich die Regierung für den erfolgreichen Abschluss dieses Freihandelsabkommens engagieren und gegebenenfalls Verhandlungen weiterführender Abkommen vorbereiten. Ebenso sollte die Regierung gegenüber der Europäischen Kommission deutlich machen, dass die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien so geführt werden, dass die Interessen sämtlicher EU-Mitgliedstaaten angemessen berücksichtigt werden. (joh/sto/13.02.2020)