Inneres

Kontroverse um Einfüh­rung einer auto­matisierten Gesichtser­kennung

Die mögliche Einführung automatisierter Gesichtserkennung in öffentlichen Räumen hat am Donnerstag, 30. Januar 2020, zu einer heftigen Kontroverse im Bundestag geführt. Das Parlament debattierte erstmals über Anträge der Fraktionen von FDP (19/16862) und Bündnis 90/Die Grünen (19/16885), die sich gegen einen Einsatz solcher biometrischer Gesichtserkennung wenden. Im Anschluss wurden beide Anträge zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen.

Antrag der FDP

In dem FDP-Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, „im Rahmen der Novelle des Bundespolizeigesetzes weiterhin auf Pläne zu verzichten, mit denen die Bundespolizei die Befugnis zur automatisierten Gesichtserkennung erhalten soll“.

Auch soll die Bundesregierung nach dem Willen der FDP-Fraktion einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem das „Recht auf Anonymität im öffentlichen Raum“ festgeschrieben wird.

Antrag der Grünen

Die Grünen-Fraktion fordert ebenfalls von der Bundesregierung, „von der geplanten gesetzlichen Legalisierung des polizeilichen Einsatzes biometrischer Gesichtserkennung“ in öffentlichen Räumen Abstand zu nehmen und die entsprechenden Passagen im Entwurfs eines novellierten Bundespolizeigesetzes wie von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt ersatzlos zu streichen.

Ferner zielt ihr Antrag auf ein „gesetzliches Verbot der biometrischen, algorithmengesteuerten Gesichtserkennung oder anderweitiger biometrischer Verfahren zum Ziele der anlasslosen, eindeutigen Identifizierbarkeit“ von Bürgern in öffentlichen Räumen.

FDP: Gesichtserkennung passt nicht zur freiheitlichen Demokratie

In der Debatte verwies Konstantin Kuhle (FDP) darauf, dass in einem ersten Entwurf für eine Novelle des Bundespolizeigesetzes eine Ermächtigungsgrundlage für automatisierte Gesichtserkennung an Verkehrsknotenpunkten durch die Bundespolizei enthalten gewesen sei. 

Die FDP lehne indes wie viele Bürger „flächendeckende automatisierte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum“ ab. Eine solche Gesichtserkennung passe nicht zu einer freiheitlichen Demokratie, sondern eher zu totalitären Regimen, „wenn der Staat nachvollziehen kann, wo sich alle Bürgerinnen und Bürger aufhalten“.

CDU/CSU: Offene Rechtsfragen müssen geklärt werden

Thorsten Frei (CDU/CSU) entgegnete, es sei nicht zu beanstanden, dass Seehofer in der vergangenen Woche die Regelungen für die automatisierte Gesichtserkennung aus dem Entwurf eines neuen Bundespolizeigesetzes herausgenommen habe, „weil es da noch Fragen zu klären gibt“. Es sei richtig, dass offene Rechtsfragen geklärt werden, bevor man „in einem sensiblen Bereich neue Instrumentarien für die Polizei“ ermögliche.

Dabei gehe es aber nicht „um die staatliche Überwachung von Leuten, die gar nichts mit den Dingen zu tun haben“. Vielmehr gehe es darum, die individuelle Gesichtserkennung dazu zu nutzen, „dass Menschen, die in polizeilichen Fahndungsdateien sind, letztlich auch schneller dingfest gemacht werden können“.  

AfD: Wunderbares Fahndungsinstrument

Roman Reusch (AfD) hielt FDP und Grünen vor, sie wollten ein „neues, wunderbar funktionierendes Instrumentarium zur Fahndung nach Straftätern verbieten lassen“. Gefahndet werde aber in den Systemen üblicherweise nach Mördern, Räubern, Terroristen und Sexualstraftätern.

Wer den Sicherheitsbehörden „ein wunderbares Fahndungsinstrument aus den Händen schlagen“ wolle, nehme „billigend in Kauf, dass eine große Zahl solcher Täter nicht erwischt wird“, sondern „weitermachen“ könne. Daher wünsche er den Unionsabgeordneten „viel Fortune dabei, den Bundesinnenminister wieder zu seiner früheren Auffassung zu bekehren“.

SPD: Menschen werden „individuell erkennbar“

Ute Vogt (SPD) begrüßte, dass Seehofer das Thema aus dem Gesetz „erst mal“ herausgenommen habe. Ihre Fraktion sei der Meinung, dass das Bundespolizeigesetz zügig beschlossen werden müsse, aber das Thema „automatische Gesichtserkennung“ eine ausführlichere Debatte in der Gesellschaft brauche.

Dabei gehe es um die Abwägung zwischen Verbrechensbekämpfung und individueller Selbstbestimmung der Menschen und ihrer Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum. Anders als  bei der herkömmlichen Videoüberwachung würden Menschen bei der biometrischen Gesichtserkennung „individuell erkennbar“. Das sei gleichbedeutend mit einer anlasslosen Kontrolle, der die Verfassung zu Recht „sehr enge Grenzen“ setze.

Linke: Bundestag soll „klares Stoppzeichen“ setzen

André Hahn (Die Linke) sagte, bei der anstehenden Reform des Bundespolizeigesetzes sei ein Passus geplant gewesen, der an 135 Bahnhöfen und 14 Flughäfen den Einsatz von automatisierter Gesichtserfassung erlaubt hätte. Das wäre ein „Dammbruch“ gewesen und ein „weiterer Schritt hin zu einem Überwachungsstaat“.

Dass Seehofer die Einführung dieser Technologie wegen rechtlicher Bedenken gestoppt habe, begrüße seine Fraktion ausdrücklich, auch wenn sie Zweifel daran habe, „dass vor allem die Union wirklich dauerhaft auf dieses Instrument verzichten will“. Deshalb solle der Bundestag hier ein „klares Stoppzeichen“ setzen.

Grüne: Rein taktisches Manöver

Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, bei der „jüngsten Kehrtwende“ Seehofers gehe es nicht darum, die Bedenken gegen die biometrische Gesichtserkennung in öffentlichen Räumen grundsätzlich zu hinterfragen. Vielmehr handele es sich um ein „rein taktisches Manöver“, das nur von anderen im Gesetzentwurf enthaltenen „bürgerrechtlichen Kloppern“ wie der Onlinedurchsuchung abzulenken.

Notz warf Seehofer zugleich vor, längst mit der Unionsfraktion ausgehandelt zu haben, „die entsprechenden Passagen im weiteren Verfahren wieder ins Gesetz zu hieven“. Dabei erhöhe diese „totalitäre Technologie“ die öffentliche Sicherheit nicht, sondern stelle einen „tiefen Grundrechtseingriff bei unbescholtenen Bürgern“ dar. (sto/30.01.2020)    

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