Oberstaatsanwältin schildert Konflikt mit dem Bundeskriminalamt
Eine Zeugin aus der Generalbundesanwaltschaft hat dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) unter Vorsitz von Klaus-Dieter Göhler (CDU/CSU) einen Konflikt mit dem Bundeskriminalamt (BKA) über die Bewertung eines Informanten im radikalislamischen Milieu geschildert, der in einem Treffen beteiligter Behördenvertreter am 23. Februar 2016 offen ausgetragen wurde. „In der Besprechung ging es von Anfang an hoch her“, erinnerte sich Oberstaatsanwältin Claudia Gorf in ihrer Vernehmung am Donnerstag, 16. Januar 2020. Die heute 48-jährige Zeugin bestätigte auch, noch am selben Abend von einem Vieraugengespräch erfahren zu haben, in dem einer der anwesenden BKA-Vertreter sich auf eine Anweisung von „ganz oben“ berufen haben soll, den Informanten des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes zu diskreditieren.
„Zwei unterschiedliche Anschlagsszenarien“
Der Vorgang war im Ausschuss erstmals am 14. November 2019 beim Auftritt des Krminalhauptkommissars M. aus dem Düsseldorfer LKA zur Sprache gekommen. M. hatte seit Juli 2015 die Ermittlungskommission (EK) „Ventum“ geleitet, die sich gegen den Deutschen Islamkreis (DIK) des Hildesheimer Hasspredigers Abu Walaa richtet. In diesem Zusammenhang war der von seinen Auftraggebern als außerordentlich zuverlässig eingeschätzte Informant unter der Bezeichnung VP01 tätig.
Er berichtete im Spätherbst 2015, dass der spätere Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri Anschluss an die Gruppe um Abu Walaa gefunden hatte und enthüllte zwei unterschiedliche Anschlagsszenarien, die in dem Kreis angeblich erörtert wurden. Die Plausibilität dieser Angaben wurde im BKA indes als äußerst gering eingeschätzt.
„Aus dem Spiel genommen“
Im zuständigen Referat beim Generalbundesanwalt kam die Sorge auf, dass dadurch die Ermittlungen gegen Abu Walaa gefährdet sein könnten, die zum überwiegenden Teil auf Erkenntnissen der VP01 beruhten. Von der Einladung zu dem Treffen am 23. Februar 2016 erhofften sich die Bundesanwälte eine klärende Aussprache.
Der Zeuge M. hatte dem Ausschuss berichtet, nach der Besprechung habe ihm einer der beiden BKA-Vertreter, der Erste Kriminalhauptkommissar Philipp Klein, unter vier Augen anvertraut, die VP01 solle auf Anweisung von oben „aus dem Spiel genommen“ werden. Klein bestreitet das.
„Anweisung von oben“
Die Zeugin Gorf bestätigte dem Ausschuss, dass Hauptkommissar M. sie noch am selben Abend von dieser Unterredung in Kenntnis gesetzt habe. Einige Staatsanwälte und Polizeivertreter hätten sich noch zum Abendessen in einem Karlsruher Restaurant verabredet. Gleich nach ihrem Eintreffen habe M. sie um ein vertrauliches Gespräch gebeten.
Sie seien vor die Tür gegangen, wo M. die Unterredung mit den Worten eröffnet habe: „Sie werden mir nicht glauben, was mir Herr Klein nach der Besprechung gesagt hat.“ Aus seinen anschließenden Ausführungen habe sie noch genau in Erinnerung, dass darin die Rede von einer Anweisung „von oben“ gewesen sei, der zufolge die VP01 „kaputtgeschrieben“ werden solle, weil sie „zu viel Arbeit“ mache, sagte die Zeugin.
„Konsterniert und fassungslos“
Der Begriff „kaputtschreiben“ habe wohl bedeuten sollen, dass die Angaben des V-Mannes in allen BKA-Schriftsätzen systematisch in Zweifel zu ziehen waren. Kriminalhauptkommissar M. habe so „konsterniert“ und „fassungslos“ gewirkt, wie sie ihn noch nie erlebt habe, sagte die Zeugin.
Sie kenne M. seit 2015 als „äußerst gewissenhaften“ und „professionellen“, auch „außerordentlich weitblickenden“, ruhigen und besonnenen Beamten, der normalerweise durch nichts aus der Ruhe zu bringen sei. Sie habe ihn gedrängt, auch ihren Referatsleiter Oberstaatsanwalt Horst Salzmann in Kenntnis zu setzen.
Zeuge: Düsseldorfer LKA hat Amri „sehr ernst genommen“
Ein Beamter aus dem nordrhein-westfälischen Kriminalamt hat im weiteren Verlauf der Zeugenvernehmung vor dem Untersuchungsausschuss bekräftigt, dass seine Behörde die von dem späteren Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri ausgehende Bedrohung bis zuletzt „sehr ernst genommen“ habe. „Auch in der zweiten Jahreshälfte 2016 war die hohe abstrakte Gefährlichkeit Amris für uns nicht widerlegt“, betonte der damalige Leiter des Staatsschutz-Dezernats 21, Kriminaldirektor W..
Der Zeuge kam auch auf den Konflikt mit dem Bundeskriminalamt über die Einschätzung eines V-Mannes des Düsseldorfer LKA im radikalislamischen Milieu zu sprechen, der nach seinem Eindruck nach einer Besprechung beim Generalbundesanwalt am 23. Februar 2016 allerdings beigelegt war und keine nachteiligen Folgen gezeitigt habe.
Unverständnis über Bewertung des BKA
Das BKA hatte in zwei „Gefährdungsbewertungen“ vom 4. und 5. Februar 2016 Warnungen der sogenannten „Vertrauensperson (VP) 01“ vor zwei angeblich geplanten Anschlägen als unplausibel beurteilt und damit nicht nur im Düsseldorfer LKA, sondern auch im zuständigen Referat beim Generalbundesanwalt Unverständnis ausgelöst.
Dort sorgte man sich um den Erfolg eines Ermittlungsverfahrens gegen das Umfeld des islamistischen Predigers Abu Walaa, das sich zum großen Teil auf Erkenntnisse der VP01 stützte. Um die „divergierenden Einschätzungen“ möglichst einander anzunähern, sei die Besprechung am Karlsruher Sitz des Generalbundesanwalts anberaumt worden.
Forderung nach Neubewertung
Der Verlauf des Treffens sei „schon einen Zacken anders als man es sonst kennt“ gewesen, erinnerte sich der Zeuge. Der zuständige Referatsleiter beim Generalbundesanwalt, Oberstaatsanwalt Horst Salzmann, sei recht energisch aufgetreten und habe am Ende „sehr deutlich“ gemacht, dass er vom BKA eine Neubewertung der Hinweise des V-Mannes erwarte.
Dies sei am 29. Februar dann auch erfolgt, womit aus seiner Sicht die Sache ausgestanden war, sagte der Zeuge. Die VP01 sei noch weitere sechs Monate für das Düsseldorfer LKA im Einsatz gewesen und habe von ihrer Reputation nichts eingebüßt.
Deutliche Beurteilungslage zu Amri
Der Zeuge bestätigte, dass ihn sein Kollege, Kriminalkommissar M., nach dem Treffen gewarnt habe, das BKA wolle die VP01 planmäßig „kaputtschreiben“. Dies habe ihm im Anschluss an die Besprechung einer der beiden anwesenden BKA-Vertreter unter vier Augen anvertraut. Er meine, sich zu erinnern, dass M. ihm den Vorfall am Abend mitgeteilt habe, während sie beide vom Hotel unterwegs waren zu einer Verabredung mit anderen Teilnehmern der Besprechung. Er habe dabei sehr „emotional“ und „aufgebracht“ gewirkt.
Er habe M. geraten, auch eine der Anwesenden aus der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwältin Claudia Gorf, einzuweihen, was M. im Restaurant dann getan habe, berichtete der Zeuge. Er selbst habe dem Vorfall damals keine große Bedeutung beigemessen, weil das Düsseldorfer LKA sein „Besprechungsziel“ in Karlsruhe ja erreicht habe. Wäre dies anders gewesen, hätte es womöglich Anlass gegeben, die Sache an die große Glocke zu hängen. Er habe sie bis vor Kurzem fast vergessen gehabt.
Zur damaligen Beurteilung Amris durch das Düsseldorfer LKA sagte der Zeuge, dieser sei kein Fall wie alle anderen gewesen. Er habe damals viele Gefährdereinstufungen vorgenommen und könne daher vergleichen: „Was wir bei Amri auf dem Tisch hatten, war schon relativ deutlich, sodass es da keine Diskussion gab.“ Tragisch sei, dass es dennoch nicht gelungen sei, Amri zu stoppen, sagte der Zeuge.
„Es gab keine Weisung von oben“
Ein Beamter aus dem BKA bestritt im weiteren Verlauf der Sitzung, dass es Anfang 2016 in seiner Behörde eine Weisung „von oben“ gegeben habe, eine hochkarätige Quelle des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts im radikalislamischen Milieu zu diskreditieren. Er sei „erschrocken“ darüber, dass derzeit in der Öffentlichkeit eine solche Darstellung verbreitet werde, sagte der Erste Kriminalhauptkommissar Jan Rehkopf. Der heute 44-jährige Zeuge gehört dem BKA seit 1997 an, ist seit 2011 im Polizeilichen Staatsschutz tätig und war Anfang 2016 mit der Bewertung von Gefahrenlagen durch islamistische Terroristen befasst.
Er habe in dieser Funktion durchaus eigenständig gearbeitet, betonte der Zeuge: „Ich habe einen eigenen Kopf. Wenn ich Bewertungen schreibe, treffe ich die allein, und da hat niemand Einfluss drauf.“ Am 4. und 18. Februar 2016 hatte Rehkopf zwei Gefährdungsbewertungen über den späteren Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri verfasst. Beim ersten Mal hatte er die Wahrscheinlichkeit, dass Amri einen Anschlag verüben werde, als „eher auszuschließen“, beim zweiten Mal als „unwahrscheinlich“ bezeichnet. Damit hatte er Amri auf der BKA-eigenen Gefährder-Bewertungsskala immerhin um zwei Stufen aufrücken lassen.
„Leicht veränderte Bewertung“
Er habe damals ein Anschlagsszenario zu beurteilen gehabt, das ein unter der Bezeichnung „VP01“ geführter Informant des Düsseldorfer LKA im Umfeld des islamistischen Predigers Abu Walaa in Erfahrung gebracht haben wollte. Demnach plante Amri einen Einbruchsdiebstahl, um mit der Beute Schnellfeuerwaffen zu finanzieren, mit denen er dann wiederum ein Attentat verüben wollte.
Habe er schon diesen Ablauf für unplausibel gehalten, so sei er noch skeptischer geworden, als er festgestellt habe, dass die VP01 genau denselben Plan unabhängig von Amri noch von einem anderen Mitglied der Gruppe um Abu Walaa gehört haben wollte. Am 18. Februar sei er zu einer leicht veränderten Bewertung gelangt, weil mittlerweile außer den Angaben des V-Mannes Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung Amris vorgelegen hätten, die zeigten, dass sich der Mann damals tatsächlich für Waffen und Sprengstoff interessierte.
Misstauisch haben ihn auch gestimmt, dass sich die VP01 nur mühsam mit Amri habe verständigen können, weil sie dessen Arabisch nicht beherrscht habe. Bei alledem habe er nie die persönliche Glaubwürdigkeit der Quelle bestritten. Allein an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben zur Sache habe er „erhebliche Zweifel“ gehegt.
Beschluss „ganz oben“ im BKA
Bei der Bundesanwaltschaft schlug Rehkopfs Bewertung gleichwohl wie eine Bombe ein. Ein Ermittlungsverfahren gegen die Gruppe um Abu Walaa, das sich weitestgehend auf Angaben der VP01 stützte, schien damit gefährdet. Eine klärende Aussprache beim Generalbundesanwalt am 23. Februar 2016 habe er keineswegs als so hitzig und kontrovers in Erinnerung, wie derzeit von anderen Teilnehmern berichtet, betonte der Zeuge.
Die Vertreter des LKA hätten bei dieser Gelegenheit Informationen über den V-Mann und seinen Einsatz vorgetragen, die ihn zu einer Neubewertung veranlasst hätten. Nach der Besprechung will der Leiter der gegen Abu Walaa eingesetzten Ermittlungskommission, der Düsseldorfer Kriminalhauptkommissar M., von einem Kollegen Rehkopfs vertraulich erfahren haben, dass „ganz oben“ im BKA beschlossen worden sei, die VP01 mundtot zu machen. (wid/17.01.2020)
Liste der geladenen Zeugen
- Claudia Gorf, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof, Generalbundesanwalt
- W., Kriminaldirektor, Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen
- Jan Rehkopf, Kriminalhauptkommissar, Bundeskriminalamt