Parlament

Schäuble würdigt Anke Fuchs und Annemarie Renger

Der Bundestag hat sich zu Beginn der Plenarsitzung am Freitag, 18. Oktober 2019, zu Ehren der am Montag, 14. Oktober, nach langer Krankheit in Wilhelmshaven verstorbenen ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Anke Fuchs erhoben. Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble sagte, Anke Fuchs sei vielen als im besten Sinne „streitbare und als geradlinige Kollegin“ in Erinnerung. 22 Jahre lang, von 1980 bis 2002, habe sie ihren Kölner Wahlkreis vertreten. In ihrer letzten Wahlperiode ab 1998 war die SPD-Abgeordnete Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

„Parlamentarierin aus Leidenschaft“

Eine dunkelhaarige Frau blickt in die Kamera.

Anke Fuchs (1937-2019), ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages (© DBT/Werner Schüring)

Schäuble bezeichnete Anke Fuchs als „Parlamentarierin aus Leidenschaft“ und „Sozialdemokratin aus tiefer Überzeugung“. Ihr Hamburger Elternhaus sei nach Krieg Treffpunkt für viele Genossen gewesen, die den demokratischen Neuaufbau Deutschland vorantreiben wollten – von Kurt Schumacher bis Herbert Wehner.

Im Bundestag habe sie 1992 den Vorsitz der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ übernommen – „ein Thema, das uns heute noch beschäftigt“. Ihr Amt als Vizepräsidentin habe sie mit der gleichen Haltung ausgeübt, die ihr vielfältiges Engagement auch außerhalb des Parlaments geprägt habe: „Pflichtbewusst, tatkräftig und souverän“. „Wir sind Anke Fuchs dankbar für das, was sie für unsere parlamentarische Demokratie geleistet hat und werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren“, sagte der Bundestagspräsident.

Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium

Am 5. Juli 1937 in Hamburg zu Welt gekommen, stammt Anke Fuchs geborene Nevermann aus einer Familie mit langer sozialdemokratischer Tradition: Ihr Vater Paul Nevermann war Hamburger Bürgermeister, ihre Großväter sowie auch ihre Mutter und zwei Brüder waren gewerkschaftlich organisiert. Fuchs selbst trat 1956 kurz vor dem Abitur der SPD bei und arbeitete nach Abschluss ihres Jurastudiums im Jahr 1964 zunächst als Referentin beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), dann bei der Gewerkschaft IG Metall. 1971 war Fuchs die einzige Frau im geschäftsführenden Vorstand der IG Metall.

Auch der Hamburgischen Bürgerschaft gehörte die Volljuristin in dieser Zeit an. Ihr besonderes Augenmerk damals schon: die Probleme der berufstätigen Frau. Fuchs galt weniger als eine Frau der großen Worte, sondern eine Macherin in ihren Ämtern: Nach dem Wechsel als Staatssekretärin ins Bundesarbeitsministerium 1977 leitete die zupackende Hamburgerin unter Bundesarbeitsminister Herbert Ehrenberg (SPD) die politisch wichtigsten Abteilungen: Arbeitsmarkt, Arbeitsrecht, Rentenversicherung und Krankenversicherung.

Mitglied des Bundestages und Ministerin

In den Bundestag zog Fuchs erstmals 1980 ein. Dem bundesdeutschen Parlament gehörte die zweifache Mutter von da an bis 2002 an. In dieser Zeit war die Sozialdemokratin zunächst parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, wurde nach einer Regierungsumbildung im April 1982 dann aber von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) ins Amt der Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit berufen.

Mit der Abwahl Schmidts im selben Jahr endete ihre Ministertätigkeit jedoch bereits nach wenigen Monaten im Amt wieder. Spätere Versuche, auf Landesebene ein Spitzenamt zu erringen, waren nicht erfolgreich: So trat Fuchs 1990 etwa bei der Landtagswahl in Sachsen gegen Kurt Biedenkopf (CDU) an, dessen Partei sich mit der absoluten Mehrheit durchsetzen konnte. In der SPD übernahm Fuchs ab 1987 für vier Jahre das Amt der Bundesgeschäftsführerin, 1993 wählte die SPD-Fraktion die Politikerin zur stellvertretenden Vorsitzenden, zuständig unter anderem für die Koordinierung der Wirtschafts-, Umwelt – und Verkehrspolitik.

Wahl zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages

Nach der Bundestagswahl 1998 nominierte die Fraktion Anke Fuchs als stellvertretende Bundestagspräsidentin. Als diese wurde sie in der konstituierenden Sitzung des 14. Bundestages am 26. Oktober 1998 gewählt. Bundestagspräsident wurde Wolfgang Thierse (SPD), der Fuchs anlässlich ihres 65. Geburtstages als Kollegin würdigte, die mit „burschikoser Menschlichkeit“ Distanz überbrücken könne. Nach Ablauf der Legislaturperiode verzichtete Fuchs auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag und schied im Oktober 2002 aus dem Parlament aus.

In den folgenden Jahren widmete sich Fuchs insbesondere ihrer bereits 1995 übernommenen Aufgabe als Präsidentin des Deutschen Mieterbundes. Insgesamt zwölf Jahre stand die Sozialdemokratin an der Spitze der Organisation, die über drei Millionen organisierte Mieter repräsentiert. 2003 wurde Fuchs zur Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung gewählt. Dieses Amt übte sie bis 2010 aus. Anke Fuchs war seit 1964 mit Dr. Andreas Fuchs verheiratet, der unter anderem Leiter der Senatskanzlei in Bremen war und danach die Landesregierung Sachsen-Anhalt beriet.

Annemarie Renger wäre am 7. Oktober 100 Jahre alt geworden

Schwarz-weiß-Porträtaufnahme einer Frau aus den siebziger Jahren

Annemarie Renger (1919-2008), SPD-Abgeordnete und erste Präsidentin des Deutschen Bundestages (© DBT / M.A. Gräfin zu Dohna, Bad Goddesberg)

Nach der Trau­erminute für Anke Fuchs erinnerte der Bun­des­tags­präsident an eine weitere sozial­demokratische Bun­des­tags­vizepräsidentin, die zuvor sogar vier Jahre lang als Präsidentin an der Spitze des Bundestages stand. Annemarie Renger wäre am 7. Oktober 100 Jahre alt geworden. Die am 3. März 2008 im Alter von 88 Jahren verstorbene langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete war von 1972 bis 1976 die erste Präsidentin des Bundestages und im Anschluss von 1976 bis 1990 dessen Vizepräsidentin.

Auch Annemarie Renger sei in ein sozialdemokratisches Elternhaus hineingeboren worden. An der Seite ihres „politischen Ziehvaters“ Kurt Schumacher habe sie nach dem Krieg die SPD mit aufgebaut. Dem Bundestag gehörte sie von 1953 bis 1990 ununterbrochen an.

„Glauben Sie, man hätte mich sonst genommen?“

Als die SPD 1972 erstmals den Parlamentspräsidenten stelle, habe Annemarie Renger – „selbstbewusst und verantwortungsfreudig wie sie war“ – ihren Anspruch auf das zweithöchste Amt im Staate angemeldet. „Glauben Sie, man hätte mich sonst genommen?“, habe sie rückwirkend gefragt, erzählte Schäuble.

Renger sei weltweit die erste Frau an der Spitze eines frei gewählten Parlaments gewesen. Als Feministin habe sie sich nicht verstanden. Sie habe ihr Amt aber genutzt, „um der Sache der Frauen zu dienen“, wie sie es formuliert habe.

„Den Bundestag mit natürlicher Autorität geführt“

Den Bundestag habe sie mit einer „natürlichen Autorität“ geführt. „Sie setzte sich für ein selbstbewusstes Parlament ein und strengte engere parlamentarische Kontakte zu unseren östlichen Nachbarn an“, sagte Schäuble. Ihr Augenmerk habe nicht zuletzt der Aussöhnung mit Israel gegolten.

„Die parlamentarische Demokratie lebt von denen, die sie gestalten, und wir tun gut daran, uns dankbar derer zu erinnern, die sie entscheidend mitgeprägt haben – so wie Annemarie Renger“, schloss der Bundestagspräsident. (vom/sas/18.10.2019)

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