Die Einführung eines umfassenden Tabakwerbeverbots wird von Experten mehrheitlich befürwortet. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft unter Leitung von Alois Gerig (CDU/CSU) haben sich am Montag, 10. Dezember 2018, sechs von acht Sachverständige wohlwollend über einen vorgelegten Antrag der Fraktion Die Linke (19/2539) und einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/1878) geäußert.
Gerig stellte zu Beginn der Sitzung fest, dass laut Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung schätzungsweise 120.000 Menschen jährlich an den Folgen des Tabakkonsums sterben würden. Hinsichtlich der Werbemaßnahmen für Tabak stelle der Bericht aufgrund zahlreicher Studien einen Zusammenhang her zwischen der Tabakwerbung sowie der Anfälligkeit von Kindern- und Jugendlichen, mit dem Rauchen zu beginnen. Zwar sei seit Mai 2016 die Tabakwerbung in der Presse, im Internet und Fernsehen verboten, doch nun solle auch die Kino- und Außenwerbung auf Grundlage von Vorlagen der Grünen und Die Linke untersagt werden.
Antrag und Gesetzentwurf
Die Linksfraktion fordert ein umfassendes Verbot aller Formen der Kino- und Außenwerbung für Tabakprodukte, ein Verbot der kostenlosen Abgabe von Tabakerzeugnissen, ein Verbot des Tabaksponsorings sowie ein Verbot des gezielt an Jugendliche gerichteten Tabakmarketings. Deutschland habe das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung des Tabakgebrauchs unterzeichnet, aber nicht umgesetzt, kritisieren die Abgeordneten.
Die Grünen wollen ebenfalls ein Werbeverbot für Tabakerzeugnisse, elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter sowie der kostenlosen Abgabe von Tabakerzeugnissen. Deutschland sei das einzige Land in der EU, in dem großflächige Außenwerbung auf Plakaten oder Tabakwerbung im Kino noch immer erlaubt seien, heißt es in der Vorlage. Mit dem Gesetzentwurf sollen „vermeidbare Risiken für die menschliche Gesundheit insbesondere bei Kindern und Jugendlichen reduziert werden“.
„Raucherquote in Deutschland ist im Vergleich zu hoch“
Dass die Raucherquote mit 25 Prozent in Deutschland deutlich höher liege als in vergleichbaren Industrieländern wie den Niederlanden und Großbritannien, stellte Dr. Frank Henkler-Stephani vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) fest. Der Wissenschaftler erläuterte, dass in den Vergleichsländern weitreichende Werbebeschränkungen gelten würden.
Nach toxikologischen Kriterien sei die Tabakzigarette das mit Abstand risikoreichste Tabakerzeugnis. Die rund 120.000 Todesfälle im Zuge des Tabakkonsums seien im Wesentlichen auf die Tabakzigaretten zurückzuführen. Zumindest im Bereich der Zusatzstoffregulierung seien in den vergangenen Jahren wichtige Fortschritte erzielt worden, sagte der Wissenschaftler, hinsichtlich der Werbeverbote hingegen noch nicht.
Eingriff in die Freiheitsrechte der Unternehmen
Gegen ein Totalwerbeverbot wandte sich Jan Mücke vom Deutschen Zigarettenverband e.V. (DZV), denn Tabakwerbung, die sich an Kinder und Jugendliche richte, sei bereits gesetzlich verboten. Nach den Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sei in den letzten 15 Jahren die sogenannte Raucherprävalenz bei Kinder und Jugendlichen von 28 Prozent auf 7,4 Prozent gesunken. Das sei der gemeinsame Erfolg durch Aufklärung, Prävention und die strikte Anwendung von Kinder- und Jugendschutzregeln durch den Handel und die Industrie. Die fehlende Verfügbarkeit sei das beste Instrument, um den Kinder- und Jugendschutz sicherzustellen.
Weil bereits jetzt ein weitreichendes Tabakwerbeverbot durchgesetzt sei, würde ein vollständiges Verbot der Werbung allerdings einen Eingriff in die Freiheitsrechte der Unternehmen darstellen. Die Kino- und Plakatwerbung war bisher als einzige Werbemöglichkeit verblieben. Ein Totalwerbeverbot wäre demnach verfassungswidrig.
„Totalverbot ist unverhältnismäßig“
Aus juristischer Sicht sprach sich Prof. (em.) Dr. jur. Christoph Degenhart von der Universität Leipzig ebenfalls gegen ein Totalverbot aus, das er als unverhältnismäßig bewertete. Denn es gehe bei dieser Frage nicht nur um die Tabakwerbung, sondern die Vorstöße für ein Totalverbot hätten generell eine Pilotfunktion für Verbote und Reglementierungen für Produkte und Dienstleistungen, die als schädlich oder als sozial unverträglich gewertet werden. Auch wenn die Initiativen Ausdruck staatlicher Fürsorge seien, dürfe die Fürsorge nicht erdrückend wirken und im Widerspruch zur grundgesetzlichen Autonomie des Einzelnen stehen.
Außerdem sei die Begründung für die Verbotserweiterung, Jugendliche schützen zu wollen, verfassungsrechtlich nicht hinreichend legitimiert, denn es gelte in dieser Hinsicht bereits ein Verbot. Degenhart bewertete ein mögliches Verbot der Außenwerbung als intensiven Grundrechtseingriff, weil auch die Werbung Ausdruck grundgesetzlicher kommunikationsrechtlicher Freiheit sei und grundrechtlich geschützt. Es sei nicht Aufgabe des Staates, einzelne Erwachsene vor sich selbst zu schützen.
Tabakwerbung als eigenständiger Risikofaktor
Für ein umfassendes Werbeverbot sprach sich Prof. Dr. Reiner Hanewinkel vom IFT-Nord Institut für Therapie- und Gesundheitsförderung gGmbH aus. Untersuchungen hätten ergeben, dass Werbung für Tabak und E-Zigaretten für Kinder und Jugendliche eine Rolle spiele. Zahlreiche Studien würden belegen, dass Tabakwerbung als eigenständiger Risikofaktor für die Initiierung des Rauchens angesehen werden müsse.
Auch neue Tabaksticks und E-Zigaretten sollten nach Meinung von Hanewinkel verboten werden. Darüber hinaus müsse auch die E-Zigarettenwerbung in ihrem Einfluss auf das Verhalten der Kinder mit in die Verbotsbemühungen einbezogen werden.
„Rückgang der Raucher fällt nur sehr gering aus“
Auch Dr. Tobias Effertz von der Universität Hamburg stimmte den Verbotsforderungen zu. Nach Schätzung des Wissenschaftlers kostet das Rauchen jedes Jahr 97 Milliarden Euro. Insbesondere erwachsene Raucher würden trotz der gesunkenen Raucherprävalenzen bei den Jugendlichen verstärkt weiterrauchen. Alle Sozialversicherungszweige könnten davon profitieren, wenn das Rauchen insgesamt weiter zurückgeführt werden würde.
Bei der Außenwerbung und Kinowerbung handele es sich um effektive Maßnahmen zur Begünstigung und Verstetigung des Tabakrauchens bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Die nach wie vor bestehenden Werbemöglichkeiten der Tabakindustrie hätten in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass der Rückgang der Raucher in Deutschland nur sehr gering ausgefallen sei, meinte Effertz. Deshalb sollten auch die E-Zigaretten vom Werbeverbot eingeschlossen werden, denn dahinter stehe ebenfalls das Produkt Nikotin.
„Folgen des Tabakrauchens sind verheerend“
Prof. Dr. Daniel Kotz von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf befürwortete ebenfalls ein umfassendes Werbeverbot, das alle Formen von Werbung, Promotion und Sponsoring einbeziehen sollte sowie alle alternativen Tabakprodukte wie E-Zigaretten, Tabakerhitzer und Wasserpfeifen. Denn es sei leicht damit anzufangen, aber unendlich schwer damit aufzuhören.
Die Folgen des Tabakrauchens seien verheerend und das Rauchen der größte vermeidbare Risikofaktor für zahlreiche Erkrankungen. Nach Ansicht des Wissenschaftlers sei die Tabakwerbung ein wichtige Ursache für den anhaltend hohen Tabakkonsum in Deutschland.
Kausalität zwischen Werbung und Konsum
Tabakkonsum sei das größte vermeidbare Krebsrisiko dieser Zeit, stellte Dr. Ute Mons vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg fest. Allein in diesem Jahr könnten 85.000 Krebsneuerkrankungen und damit jede fünfte Krebserkrankung auf das Rauchen zurückgeführt werden. Mons sah ein Werbeverbot ebenfalls als erforderlich an, denn es gebe einen kausalen Zusammenhang zwischen Tabakwerbung und einem erhöhten Tabakkonsum.
Werbung für Tabakerzeugnisse werde nicht nur von erwachsenen Rauchern, sondern auch von Jugendlichen wahrgenommen und befördere den Einstieg. Ein Außenwerbeverbot sei deshalb erforderlich und würde eine Schutzlücke schließen. (eis/10.12.2018)
Liste der geladenen Sachverständigen
Interessenvertreter und Institutionen:
- Dr. Frank Henkler-Stephani, Bundesinstitut für Risikobewertung
- Jan Mücke, Deutscher Zigarettenverband e. V.
Einzelsachverständige:
- Prof. (em.) Dr. jur. Christoph Degenhart
- Dr. Tobias Effertz, Universität Hamburg
- Dr. Reiner Hanewinkel, IFT-Nord-Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung Kiel
- Prof. Dr. Daniel Kotz, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Medizinische Fakultät
- Dr. Ute Mons, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg
- Dr. Bernd Werse, Goethe-Universität, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung