Brexit: Bundestag lehnt Nachverhandlungen ab
Der Bundestag hat am Donnerstag, 13. Dezember 2018, einem Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD (19/6412) zugestimmt, in dem diese sich für einen geordneten Brexit einsetzen. Außerdem dringen sie darauf, den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU so zu gestalten, dass der wechselseitige Schaden möglichst gering ausfällt. Gegen den Antrag stimmten AfD und Die Linke, FDP und Bündnis 90/Die Grünen enthielten sich.
Gegenstand der einstündigen Debatte war auch eine Antwort der Bundesregierung (19/5892) auf eine Große Anfrage der FDP (19/1932) zu den Folgen des Brexits für Deutschland und Europa. Ein Gesetzentwurf der FDP zur Sicherung der Gewaltenteilung bei internationalen Entscheidungsprozessen (19/6399) wurde zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung überwiesen.
Minister sieht gute Basis für einen geordneten Austritt
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sprach von „historischen Tagen für Großbritannien, aber auch für uns“. Die Tatsache, dass die britische Premierministerin Theresa May ein Misstrauensvotum überstanden habe, sei zwar erfreulich, ändere aber nichts an den Verhältnissen im Parlament, denen zufolge es nach wie vor keine Mehrheit für das Austrittsabkommen mit der EU gibt.
Gleichwohl sei der vorliegende Deal ein „fairer Kompromiss“ und eine „gute Basis für einen geordneten Austritt“. Maas sah daher keinen Grund, das Abkommen „wieder aufzudröseln“ und betonte, die Bundesregierung bereite sich auf einen geregelten wie auch auf einen ungeregelten Brexit vor.
CDU/CSU: Keine Nachverhandlungen
Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) sieht den Ball ebenfalls klar in London liegen. Der vorliegende Deal sei „die äußerste Grenze dessen, was die EU zulassen kann“.
Nachverhandlungen dürfe es nicht geben. Zugleich stellte sie klar, dass das Ziel ein geordneter Brexit sein müsse, um größtmögliche Planungssicherheit für Bürger und Unternehmen zu gewährleisten.
Grüne: May nutzt europäische Solidarität aus
Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von einem „Zustand der Verrücktheit“, mit Blick auf den Versuch Mays, von der EU weitere Zusicherungen zu bekommen, vor allem beim Backstop für die Grenze zwischen Irland und Nordirland – danach soll ganz Großbritannien in der Zollunion der Europäischen Union und Nordirland zusätzlich noch im europäischen Binnenmarkt bleiben können, wenn Europäische Union und Großbritannien es in der Übergangsphase bis Ende 2020 nicht schaffen, ein gemeinsames Handelsabkommen auf die Beine zu stellen.
Die EU dürfe wichtige Interessen, wie den Frieden in Nordirland und die Integrität des Binnenmarktes, nicht preisgeben, warnte Brantner. May warf sie vor, die europäische Solidarität auszunutzen. Der Brexit war am 13. Dezember auch Thema eines eigens anberaumten Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs am Rande des zweitägigen EU-Gipfels in Brüssel. Grüne und FDP kritisierten, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu keine Regierungserklärung vor dem Parlament abgegeben habe, sondern lediglich eine kurze Erklärung im Rahmen der Regierungsbefragung am 12. Dezember im Bundestag.
FDP: Regierung ist nur mangelhaft vorbereitet
Für die FDP monierte Alexander Graf Lambsdorff überdies, dass die Bundesregierung sich seiner Ansicht nach nur mangelhaft auf einen wahrscheinlich ungeregelten Brexit vorbereitet.
Arbeitnehmer, Patienten, Unternehmer und viele andere seien unsicher, was nach dem 29. März 2019, dem vorgesehenen Austrittsdatum, passieren werde: „Wir müssen das Land endlich auf einen harten Brexit einstellen.“ Auf viele drohende Konsequenzen sei die Bundesregierung aber bisher nicht eingegangen.
Linke: Rechte der EU-Bürger in Großbritannien wahren
Fabio de Masi (Die Linke) warnte ebenfalls vor den Folgen eines harten Brexits.
Aber auch wenn das Austrittsabkommen beschlossen werde, müsse das Parlament bei den dann folgenden Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen der EU zu Großbritannien „Zähne zeigen“ und etwa verhindern, dass EU-Bürger im Vereinigten Königreich um ihre Rechte gebracht und Rechtsstreitigkeiten von Investor-Staat-Schiedsgerichten reguliert werden.
AfD: Kein Plan für einen harten Brexit
Martin Hebner (AfD) bezeichnete den Antrag der Koalitionsfraktionen als „irrelevant“. Nachverhandlungen würden darin verdammt, weil die EU-Kommission offenbar keine Interesse daran habe, „ein funktionierendes Gegenmodell zur EU“ entstehen zu lassen. Dabei sei der Wunsch der Briten, aus der „zentralistischen und einschränkenden EU“ auszutreten, „klar und verständlich“.
Darüber hinaus warf auch Hebner der Bundesregierung vor, keinen Plan für einen harten Brexit zu haben. Dies sei in Anbetracht der Folgen für die deutsche Wirtschaft ein „klares Versäumnis“.
Antrag von CDU/CSU und SPD
Der Antrag der Koalitionsfraktionen enthält keine Forderungen an die Bundesregierung, sondern lediglich Feststellungen, die sich der Bundestag zu eigen machen soll. So solle der Bundestag uneingeschränkt das Ziel teilen, dass die EU für die Zukunft eine möglichst enge Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich anstrebt, obwohl das Land nach dem Austritt zum „Drittstaat“ wird und die künftigen Beziehungen hinter der Qualität einer EU-Mitgliedschaft zurückbleiben werden. Dabei sollten die Möglichkeiten zur Einbindung in Bereiche der Forschung, des Bildungsaustauschs und der Jugendförderung ausgelotet werden.
Durch ein Freihandelsabkommen sollten die künftigen Handelsbeziehungen so eng wie möglich gestaltet werden, heißt es weiter. Die Einhaltung gleicher Rahmen- und fairer Wettbewerbsbedingungen müsse sichergestellt werden. Auch in der Sicherheitskooperation müsse das Ziel sein, die bisherigen Beziehungen möglichst weitgehend fortzuführen und zu vertiefen, wobei ein adäquater Rechtsschutz gewährleistet sein müsse. Die Tür zur Europäischen Union müsse für Großbritannien künftig offengehalten werden.
Große Anfrage der FDP
Die Abgeordneten hatten in ihrer Anfrage unter anderem wissen wollen, welche Auswirkungen auf den Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr nach einem Austritt Großbritanniens aus der EU zu erwarten sind, welches Austrittsszenario nach Auffassung der Bundesregierung am vorteilhaftesten ist und auf welcher Rechtsform die Beziehungen der EU zum Vereinigten Königreich nach einem „Brexit“ basieren könnten.
Weitere Fragen zielten auf die Auswirkungen unter anderem auf Forschung und Wissenschaft, die Steuerpolitik, das Bankwesen, die Handelspolitik und die Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Antwort der Bundesregierung
In ihrer Antwort verweist die Bundesregierung im Hinblick auf die Frage nach dem vorteilhaftesten Austrittsszenario unter anderem auf eine bereits vorliegende Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP (19/5143). Demnach habe der Europäische Rat „wiederholt an alle Beteiligten appelliert, ihre Arbeit zu intensivieren, um auf allen Ebenen und für alle Ergebnisse gerüstet zu sein“. Dies nehme die Bundesregierung „sehr ernst“. Seit Sommer 2016 würden Vorkehrungen für denkbare Austrittsszenarien getroffen, auch für den Fall eines Austritts ohne Austrittsabkommen.
Hinsichtlich der Frage nach möglichen negativen Folgen für europäische Finanzinstitute und Finanzdienstleister in Großbritannien erklärt die Bundesregierung, dass konkrete Aussagen derzeit nicht möglich seien. Diese hingen einerseits davon ab, welche Regelungen für die Zeit nach dem Austritt getroffen würden. Zum anderen sei entscheidend, betont die Bundesregierung, „inwieweit sich Finanzdienstleister auf den Austritt vorbereiteten“.
Auswirkungen auf Forschung und Wissenschaft
In Bezug auf die Fragen nach den Auswirkungen auf Forschung und Wissenschaft verweist die Bundesregierung erneut auf eine Antwort auf eine weitere, frühere Kleine Anfrage der Liberale (19/5223). Hier war sie insbesondere auf mögliche Folgen für das „Erasmus+“-Programm, auf die Entwicklung von Praktika im Vereinigten Königreich, auf die internationale Mobilität von Schülern und Studenten zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich und die Folgen für Forscher und Forschungseinrichtungen eingegangen.
Gerade beim Austausch von Schülern und Studenten lägen meist jedoch nur Zahlen aus den Jahren 2014 und 2015 vor. Die Auswirkungen auf die internationale Mobilität von Schülern und Studenten zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich würden vom Ausgang der Brexit-Verhandlungen und einer Vielzahl von damit zusammenhängenden Faktoren abhängen. Aussagen hierzu seien derzeit nicht möglich.
Gesetzentwurf der FDP
Die FDP will, dass sowohl eine Vorbereitungsdebatte als auch eine Nachbereitungsdebatte vor und nach Treffen des Europäischen Rates, der G7- und G20-Staaten, der Mitgliedstaaten des Nordatlantikvertrags und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie der Sitzungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs im Bundestag stattfinden. Dies solle dazu dienen, die Aufsichtsfunktion zu wahren und zu verhindern, dass die Gewaltenteilung durch die Internationalisierung ausgehebelt wird.
Die FDP will den Bundeskanzler verpflichten, vor jedem dieser Treffen im Bundestag eine Regierungserklärung über Lage, Themen und Ziele der Bundesregierung bei diesen Treffen abzugeben. An diese Erklärung solle sich eine ausreichend lange Debatte anschließen. Nach den Treffen sollen Fraktionen auf Verlangen von 25 Prozent der Abgeordneten des Bundestages das Recht haben, eine Debatte mit dem Bundeskanzler dazu zu führen, inwieweit sich die Ergebnisse eines Gipfels mit den Erläuterungen aus der Vorbereitungsdebatte in Einklang bringen lassen. (joh/sas/13.12.2018)