Der FDP-Antrag zur „Reform der Richtlinie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur assistierten Reproduktion“ (19/585) stößt bei Experten in weiten Teilen mehrheitlich auf Zustimmung. Dies wurde in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Leitung von Sabine Zimmermann (Die Linke) am Montag, 25. Juni 2018, deutlich. Die Sachverständigen sprachen sich überwiegend dafür aus, dass entweder der Staat oder die gesetzlichen Kassen einen höheren Anteil der Kosten für eine künstliche Befruchtung übernehmen sollen.
Mehrheit gegen derzeitige Regelung
Mehrheitlich lehnten die Experten die derzeitige Regelung, nach der der Bund 25 Prozent der Kosten für drei Versuche einer künstlichen Befruchtung bei kinderlosen Paaren übernimmt, wenn das Bundesland sich in gleicher Höhe an den Kosten beteiligt, als ungerecht ab. Die Übernahme der Kosten dürfe nicht vom Wohnort eines Paares abhängen. Die Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung dürfe auch nicht vom Einkommen eines Paares abhängen.
Einkommensschwache Menschen seien nicht schlechtere Eltern als wohlhabende Menschen, sagte Inge Landgraf von Donum Vitae in Bayern. Die Medizinethikerin Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann von der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum sagte, dass es zwar keine moralische Verpflichtung gebe, fortpflanzungsmedizinische Leistungen für ungewollt kinderlose Paare bereitzustellen. Wenn dies jedoch geschehe, dann müsste dies aus ethischer Sicht nach dem Gleichheitsgrundsatz geschehen.
Gegen Kostenübernahme bei Alleinstehenden
Unterschiedlich bewerteten jedoch die Experten die Frage, ob auch Alleinstehende und unverheiratete Paare in den Genuss einer Übernahme der Kosten kommen sollten. Der Medizinethiker Prof. Dr. med. Axel W. Bauer vom Universitätsklinikum Mannheim verwies darauf, dass bereits 2,34 Millionen Kinder bei Alleinerziehenden lebten. Die Erziehungsleistung von Alleinerziehenden sei zwar zu würdigen. Es sei jedoch etwas völlig anderes, diese Situation mit Hilfe der Reproduktionstechnik planvoll herbeizuführen und dies auch noch staatlich zu finanzieren.
Die Frauenärztin Dr. med. Ute Czeromin von der Kinderwunschpraxis Gelsenkirchen sprach sich ebenfalls gegen die Übernahme der Kosten bei Alleinstehenden aus. Kinder bräuchten Eltern, sagte sie. Diese müssten nicht zwangsläufig verheiratet sein, sollten sich aber eben beide für das Wohl des Kindes verantwortlich fühlen. Auch der Reproduktionsmediziner Dr. med. Jürgen Krieg vom Kinderwunschzentrum Amberg argumentierte ähnlich. Er plädierte sogar dafür, eine Übernahme der Kosten nur für Eheleute zu gewähren.
Kritik an Unter- und Obergrenzen beim Alter
Überwiegend kritisch hinterfragten die Sachverständigen die derzeit geltenden Unter- und Obergrenzen beim Alter von Frauen. Der Reproduktionsmediziner Prof. Dr. med. Jan-Steffen Krüssel von der Universitätsfrauenklinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf argumentierte, dass es keinen Grund gebe, eine Übernahme der Kosten nur Frauen ab 25 Jahren zu gewähren.
Ebenso sei die Obergrenze von 40 Jahren willkürlich. Jürgen Krieg argumentierte, auch Frauen über 40 Jahre könnten prinzipiell schwanger werden und ein Kind austragen. Die Frage der Erfolgswahrscheinlichkeit müsse individuell von einem Arzt beurteilt werden.
Fördermittel von Bund und Ländern
Hinter der „Reform der Richtlinie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur assistierten Reproduktion“ verbirgt sich die Tatsache, dass viele Paare auf medizinische Hilfe angewiesen sind, um ihren Kinderwunsch zu verwirklichen. Fast jedes zehnte Paar in Deutschland zwischen 25 und 59 Jahren ist ungewollt kinderlos. Nach Darstellung des Familienministeriums stellt die reproduktionsmedizinische Behandlung für die Betroffenen nicht nur finanziell, sondern auch körperlich und seelisch eine erhebliche Belastung dar. Ziel der Bundesinitiative „Hilfe und Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit“ sei es, diesen Paaren eine ergänzende finanzielle Unterstützung zu ermöglichen. Außerdem soll das Angebot einer begleitenden psychosozialen Beratung verbessert und das Thema durch bessere Aufklärung über Ursachen und Folgen ungewollter Kinderlosigkeit enttabuisiert werden.
Dank des medizinischen und technischen Fortschritts stehen ungewollt kinderlosen Paaren heute verschiedene Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zur Verfügung, um sich den Kinderwunsch vielleicht doch noch zu erfüllen. Aber für Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen seien die hohen Kosten einer reproduktionsmedizinischen Behandlung oft nicht tragbar. Seit Inkrafttreten der Richtlinie des Bundesfamilienministeriums über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen der assistierten Reproduktion am 1. April 2012 stelle der Bund finanzielle Hilfen für Kinderwunschbehandlungen bereit. Voraussetzung sei, dass sich die Bundesländer mit einem eigenen Landesförderprogramm in gleichem Umfang beteiligen.
Unterstützung auch für unverheiratete Paare
Dabei könnten je nach Ausrichtung der Landesförderung unterschiedliche Förderkriterien in Bezug auf Art und Umfang der Zuwendung gelten. Die Bundesländer müssten sich jedoch mit Förderanteilen in mindestens gleicher Höhe wie der Bund einbringen. Mit Inkrafttreten der Erweiterung der Bundesförderrichtlinie 2015 können nach Angaben des Ministeriums erstmals auch unverheiratete Paare, die in einer auf Dauer angelegten nichtehelichen, heterosexuellen Lebensgemeinschaft leben, finanzielle Unterstützung aus Bundesmitteln erhalten. Die bisher kooperierenden Länder (Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin) hätten ihre Landesförderkriterien entsprechend angepasst.
Die staatliche Förderung könne für Ehepaare und nicht verheiratete Paare bis zu 50 Prozent des nach Abrechnung mit der (gesetzlichen oder privaten) Krankenkasse verbleibenden Eigenanteils betragen. Wie hoch die Förderungssumme jedoch genau ist und wie viele Behandlungen gefördert werden, hänge von den Förderkriterien des jeweiligen Bundeslandes ab. Ein gesetzlicher Anspruch auf die finanzielle Förderung einer künstlichen Befruchtung besteht nicht. Es handele sich um eine ergänzende Bezuschussung. Die Bewilligungsbehörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen der verfügbaren Mittel. Die Anteilfinanzierung müsse nicht zurückgezahlt werden, sei aber im Hinblick auf andere Erstattungsleistungen nachrangig. Wenn also die Kosten von dritter Seite (zum Beispiel durch die Krankenkasse) zu 100 Prozent erstattet würden, gebe es keine Zuschüsse von Land oder Bund.
Antrag der FDP
Die Liberalen wollen Kinderwünsche unabhängig vom Wohnort fördern und die Richtlinie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur assistierten Reproduktion reformieren. Die Abgeordneten fordern konkret, die Richtlinie so zu ändern, dass der Bund unabhängig von einer Kofinanzierung durch die Länder 25 Prozent der Kosten für die ersten vier Versuche übernimmt.
Auch müsse die Förderung auf Alleinstehende ausgedehnt werden. Zudem sollte auch die Nutzung von Samenzellspenden gefördert werden sowie die Nutzung von kryokonservierten (eingefrorenen) Ei- und Samenzellen. Ferner solle geprüft werden, inwiefern die für eine Förderung geltenden Altersgrenzen bei Frauen (vom 25. bis zum 40. Lebensjahr) noch der Lebenswirklichkeit entsprechen. (aw/vom/25.06.2018)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. med. Axel W. Bauer, Universität Heidelberg/Universitätsklinikum Mannheim
- Dr. med. Ute Czeromin, Kinderwunschpraxis Gelsenkirchen
- Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann, Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Fachbereich Heilpädagogik und Pflege – Lehrgebiet Ethik, Bochum
- Dr. Elke Jansen, Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Köln
- Dr. med. Jürgen Krieg, Kinderwunschzentrum Amberg
- Prof. Dr. med. Jan-Steffen Krüssel, Universitätsfrauenklinik, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Inge Landgraf, Donum Vitae in Bayern e. V., Nürnberg
- Dr. Petra Thorn, Praxis für psychosoziale Kinderwunschberatung, Paar- und Familientherapie, Mörfelden
- Prof. Dr. sc. hum. Tewes Wischmann, Universitätsklinikum Heidelberg, Institut für Medizinische Psychologie