FDP will Teilhabeausweis statt Schwerbehindertenausweis
Die FDP-Fraktion möchte den Schwerbehindertenausweis in Teilhabeausweis umbenennen. Über einen entsprechenden Antrag (19/1836) hat der Bundestag am Donnerstag, 26. April 2018, in erster Lesung beraten und ihn im Anschluss zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen. Die anderen Fraktionen begrüßten den Vorstoß der Liberalen, warnten jedoch, dass das Problem der mangelnden gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen mit einer solchen Umbenennung nicht gelöst werde.
FDP: Es geht nicht nur um Symbole
Jens Beeck (FDP) betonte, seine Fraktion wolle ein „sichtbares Zeichen“ setzen für die mehr als sieben Millionen Menschen mit schweren Behinderungen und mehr als zehn Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen verschiedenster Art. Der Ausweis helfe, deren Ansprüche auf Teilhabe geltend zu machen, aber viele Menschen fühlten sich durch die Bezeichnung „Schwerbehindertenausweis“ abgestempelt und ausgegrenzt, sagte Beeck. Es gehe aber nicht nur um Symbole, sondern auch um die Taten, die einer solchen Umbenennung folgen müssten.
Scharf kritisierte er eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion, in der diese nach der Zahl der durch „Heirat in einer Familie“ entstandenen Behinderungen, vor allem in Familien mit Migrationshintergrund, gefragt hatte. Zahlreiche Sozialverbände äußerten sich in der vergangenen Woche empört darüber und unterstellten der AfD eine mutwillige Verknüpfung von Behinderung mit Inzest und Zuwanderung. „Sie werden genauso verstanden, wie Sie es beabsichtigt hatten“, erklärte Beeck und warf der AfD vor, bisher „nicht eine ernst zu nehmende Idee“ in der Sozialpolitik präsentiert zu haben.
CDU/CSU: Vieles hat sich bereits getan
Peter Weiß (CDU/CSU) bezeichnete den Vorschlag der Liberalen als „nette und interessante Idee“, aber „es kommt auf den Inhalt an“, ergänzte er. Das in der vergangenen Legislaturperiode beschlossene Bundesteilhabegesetz habe zu einem Paradigmenwechsel hin zur personenkonzentrierten Hilfe geführt und müsse nun weiter konsequent umgesetzt werden.
Vieles habe sich bereits getan. So eröffneten jeden Monat neue Teilhabe-Beratungszentren, bis 2022 solle es ein flächendeckendes Angebot geben, sagte Weiß.
AfD: Die Mauer in den Köpfen muss fallen
Uwe Witt (AfD) unterstütze ebenfalls den Antrag: „Wir wollen, dass Teilhabe wirklich gelebt wird. Die Mauer in den Köpfen von uns allen muss fallen.“ Der Weg des Bundesteilhabegesetzes müsse weiter gegangen werden.
Witt wehrte sich gegen die Kritik an der Kleinen Anfrage. „Nicole Höchst hat in gutem Glauben eine Kleine Anfrage zur Zahl der schwerbehinderten Menschen in Deutschland gestellt. Sie sollte einzig und allein dazu dienen, Daten und Fakten abzufragen, um daraus einen Handlungsbedarf zur Betreuung von Behinderten und ihren Angehörigen zu ermitteln“, betonte Witt.
Behindertenbeauftragte: Gesellschaft noch nicht barrierefrei
Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, bekräftigte die Notwendigkeit, über die Umbenennung des Ausweises zu diskutieren. Dies dürfe aber von Anfang an nur mit den Menschen mit Behinderungen gemeinsam geschehen.
Bentele betonte, dass die Gesellschaft noch weit davon entfernt sei, barrierefrei zu sein. Der Abbau von Barrieren umfasse alle gesellschaftlichen Bereiche. „Wir müssen diskutieren, was wir tun wollen, um Chancengleichheit zwischen allen Menschen in diesem Land herzustellen“, forderte sie.
Linke: Wirkliche Verbesserungen durchsetzen
Sören Pellmann (Die Linke) bezeichnete die Debatte ebenfalls als nötig, gleichzeitig lenke sie jedoch von tieferen Problemen ab. So müsse der Bundestag endlich wirkliche Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen durchsetzen. Es dürfe nicht sein, dass ein Wunsch- und Wahlrecht, zum Beispiel bezüglich des Wohnorts, von den dadurch entstehenden Kosten abhänge.
Auch gewährleisteten Fahrstühle und Rampen noch lange nicht, dass alle Räume für Menschen mit Behinderungen zugänglich seien. Das gelte auch für die Gebäude des Bundestages, sagte Pellmann. Die Kleine Anfrage der AfD nannte er „widerwärtig“, denn sie zeige, was diese „vermeintlichen Demokraten“ von Menschen mit Behinderungen halten.
Grüne: Es gibt riesige Baustellen
Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) mahnte die FDP, bei einer Umbenennung des Ausweises dürfe es nicht bleiben, „weil wir alle natürlich wissen, dass Menschen mit Behinderungen in keiner Weise gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben in diesem Land teilhaben können“.
An der Tatsache, dass Krankenkassen Betroffenen jahrelang die Bezahlung eines neuen Rollstuhls verwehren oder dass diese Bundestagsdebatte nicht in Gebärdensprache live zu verfolgen sei, ändere so ein Ausweis erst mal nichts, so der Einwand von Rüffer. „Wir stehen da ganz am Anfang, es gibt riesige Baustellen“, sagte sie.
SPD: Wir stehen für eine inklusive Gesellschaft
Auch Dr. Matthias Bartke (SPD) betonte, die Debatte über eine neue Bezeichnung des Ausweises dürfe nicht über die Köpfe der Menschen mit Behinderungen geführt werden, diese sollten darüber mitentscheiden. „Wir stehen für eine inklusive Gesellschaft, in der niemand auf seine Defizite reduziert werden soll.“
Der AfD warf er vor, sich an dieser Diskussion nicht konstruktiv zu beteiligen. Die jüngste Kleine Anfrage stelle einen „neuen Tiefpunkt“ dar, mit dem sich die Partei immer mehr der NPD annähere, sagte Bartke.
Antrag der FDP
Die Abgeordneten fordern die Bundesregierung im Antrag auf, die Schwerbehindertenausweisverordnung insoweit abzuändern, dass der bisherige Schwerbehindertenausweis zukünftig Teilhabeausweis heißt. Dabei müsse sichergestellt werden, dass der Ausweis weiterhin die inhaltlichen Anforderungen des Paragrafen 152 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB) für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen gesetzlich zustehen, erfüllt.
Die Fraktion begründet die Forderung damit, dass mit der UN-Behindertenrechtskonvention die an Begabungen orientierte Personenzentriertheit die bis dato geltende Orientierung an Defiziten und Einschränkungen abgelöst habe. Im Bundesteilhabegesetz sei dieser Paradigmenwechsel bereits vollzogen worden. Das Ziel müsse eine Gesellschaft mit Teilhabe in weitgehend barrierefreier Umwelt sein.
Deshalb soll auch eine grundsätzliche Änderung der Bezeichnung Schwerbehindertenausweis diesem neuen Ansatz folgen. Mit der Änderung der Bezeichnung von „Schwerbehindertenausweis“ in „Teilhabeausweis“ würde die veränderte Rechtslage sprachlich umgesetzt und trage zudem einem erkennbaren Bedürfnis vieler Betroffener Rechnung. (che/hau/eis/26.04.2018)