Die künftige Ausgestaltung des Familiennachzugs zu subsidiär geschützten Flüchtlingen, also solchen mit eingeschränkten Schutzstatus, ist auch unter Sachverständigen umstritten. Dies wurde am Montag, 29. Januar 2018, bei einer öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses unter Vorsitz von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble zu vier Gesetzentwürfen und einem Antrag zum Familiennachzug deutlich.
CDU/CSU will Nachzug weiter aufschieben
Nach einem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion (19/439) soll die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär schutzberechtigten Flüchtlingen, die Mitte März ausläuft, verlängert werden.
In der Vorlage verweist die Fraktion „auf die bis zum 31. Juli 2018 beabsichtigte Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, mit der ein geordneter und gestaffelter Familiennachzug nur aus humanitären Gründen ermöglicht werden soll“. Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung soll die Aussetzung des Familiennachzugs dem Gesetzentwurf zufolge verlängert werden.
AFD: Familiennachzug ausschließen
Die AfD-Fraktion will dagegen den Familiennachzug für subsidiär Geschützte auf Dauer ausschließen. Ihr Gesetzentwurf (19/182) sieht einen „völligen Wegfall des gesetzlichen Nachzugsanspruchs für Familienangehörige subsidiär Schutzberechtigter“ vor. „Weder ein Wegfall dieser Befristung noch ihre Verlängerung – was in der Zukunft ebenfalls einen Wegfall bedingt – sind geeignet, die mit einem weiteren millionenfachen Nachzug Familienangehöriger eintretenden Bedrohungen von Sozialstaat, Gesellschaft, innerem Frieden und Verfassungsordnung als solcher wirksam zu begegnen“, schreibt die Fraktion weiter.
„Etwaigen Sicherheitsbedenken in Bezug auf zurückgelassene Familienangehörige“ kann nach ihren Worten „schon Rechnung getragen werden, wenn diese sich in befriedeten oder nicht umkämpften Zonen im Heimatland beziehungsweise in einem Schutzlager in einem Nachbarland aufhalten“; dort kann auch einem „Interesse an Familienzusammenführung“ laut Vorlage „Genüge getan werden“.
FDP möchte Ausnahmefälle zulassen
Nach einem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion (19/425) soll der Nachzug grundsätzlich für weitere zwei Jahre ausgesetzt, aber zugleich für verschiedene Ausnahmefälle wieder zugelassen werden. Dies könnten Gründe sein, die in der Person in Deutschland liegen, zu welcher der Nachzug stattfinden soll. Sie könnten aber auch in der Person des Nachzüglers liegen.
Nach Ansicht der FDP kann es sich bei der Aussetzung des Familiennachzugs nur um eine Übergangslösung handeln, bis der Gesetzgeber das Aufenthalts- und Asylrecht in einem Einwanderungsgesetzbuch neu geregelt hat. Eine dauerhafte Regelung, die den Familiennachzug komplett ausschließt oder ihn zum Beispiel auf tausend Personen pro Monat oder auf eine Quote begrenzt, würden das Grundrecht auf Ehe und Familie (Artikel 6 des Grundgesetzes) sehr viel stärker belasten als eine zeitlich begrenzte weitere Aussetzung, heißt es in dem Gesetzentwurf. Sie ließe auch keinen Raum, um Einzelfälle und konkrete Härtefälle zu berücksichtigen.
Linke: Regelung mit sofortiger Wirkung aufheben
Die Linke fordert demgegenüber in ihrem Gesetzentwurf (19/241), die derzeitige Warteregelung mit sofortiger Wirkung wieder aufzuheben. Angesichts aktueller Überlegungen einzelner Parteien, den Familiennachzug weiter auszusetzen, benötigten die Betroffenen ein schnelles, positives Signal des Bundestages, heißt es.
Die Familientrennung führe im Einzelfall regelmäßig zu unerträglichen Härten, argumentiert die Fraktion. Ehegatten, Eltern und Kinder würden gegen ihren Willen mitunter viele Jahre voneinander getrennt, da zur gesetzlichen zweijährigen Wartefrist noch die Zeit der langen Asylbearbeitung in Deutschland und des Visumverfahrens hinzukomme. Beim Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen handele es sich um einen der wenigen legalen und sicheren Einreisewege für schutzbedürftige Menschen, schreibt die Fraktion.
Grüne: Familiennachzug ermöglichen
Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag (19/454) die Bundesregierung auf, keine Initiativen zur Gesetzgebung mit dem Ziel der Verlängerung der Aussetzung zu ergreifen. Sie fordern die Bundesregierung auf, die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte nicht zu verlängern und das Personal bei den deutschen Auslandsvertretungen in den Anrainerstaaten Syriens aufzustocken, um die höhere Nachfrage nach Visa zum Familiennachzug bearbeiten zu können.
Nach dem Willen der Fraktion sollte das Ausländerzentralregister den Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten erfassen, damit die Größenordnung des Nachzugs ermittelt werden kann.
Städtetag befürwortet nur maßvolle Ausnahmen
In der Anhörung argumentierte Helmut Dedy vom Deutschen Städtetag, dass man zur Integration „Wohnraum, Sprachkurse, soziale Teilhabe, Kitas, Jobs, Schulen“ brauche, die „knappe Güter“ seien. Andererseits seien auch „familiäre Rahmenbedingungen“ für die Geflüchteten essentiell.
Daraus folge, dass seine Organisation keiner Politik die Hand reiche, die allein auf die Aussetzung des Familiennachzugs oder aber auf dessen dessen gänzlichen Freigabe setze. Denkbar sei, den Familiennachzug grundsätzlich weiter auszusetzen und Ausnahmen in bestimmten Maß zuzulassen.
Kommunen und Landkreise gegen Aufhebung der Aussetzung
Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund unterstützte Überlegungen, „an der Aussetzung des Familiennachzugs zeitlich begrenzt mit dem Ziel festzuhalten, eine Anschlussregelung zu finden“, die bestimmten Anforderungen entspreche. Seine Organisation lehne dagegen eine sofortige bedingungslose Aufhebung der Aussetzung ebenso ab wie deren unbegrenzte Festschreibung.
Kay Ruge vom Deutschen Landkreistag verwies darauf, dass sein Verband die Aussetzung des Familliennachzugs im Jahr 2016 ausdrücklich begrüßt habe. Die dafür tragenden Gründe „gelten weitgehend fort“, sagte Ruge. Die derzeit diskutierten Vorschläge sowohl für eine Fortführung der Aussetzung als auch eine Begrenzung des Familiennachzugs halte seine Organisation „für durchaus akzeptabel“, lehne aber eine voraussetzungslose Ermöglichung des Nachzugs oder seine generelle Abschaffung ab.
Dieter Amann kritisiert Nachzug ins deutsche soziale Netz
Dieter Amann, Mitarbeiter der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, sagte, die Mehrheit der betroffenen Familienväter werde schon aufgrund ihres Alters „niemals die Sprache in einer Weise lernen, die ihnen einen eigenständigen Lebensunterhalt“ in Deutschland ermöglichen würde.
Dasselbe gelte für ihre nachziehenden Frauen und „abgestuft nach Alter“„ mehr oder minder ebenso für ihre Kinder. “Die übergroße Mehrheit der Nachziehenden wird sofort und meist für immer ins deutsche soziale Netz nachziehen„, fügte Amann hinzu.
UNHCR: Familientrennung ist integrationshemmend
Dr. Roland Bank vom UNHCR Deutschland warb dafür, die Aussetzung des Familiennachzugs subsidiär Geschützter zu beenden. Die Familienzusammenführung sei “zentral für einen sicheren und geregelten Zugang zu internationalem Schutz in den Aufnahmeländern„. Auch seien negative Auswirkungen einer Familientrennung integrationshemmend. Dies gelte insbesondere für die dauernde Sorge um die Angehörigen.
Auch Dr. Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte verwies darauf, dass das Recht auf Familienleben im Grundgesetz sowie in zahlreichen Menschenrechtsverträgen verankert sei. Sein Institut empfehle, keine weitere Aussetzung des Familiennachzugs vorzunehmen. Vielmehr solle der Gesetzgeber den Familiennachzug ab dem 16. März wieder voraussetzungslos ermöglichen.
Kirchen: Aussetzung zeigt negative Auswirkungen
Prälat Dr. Karl Jüsten vom Kommissariat der Deutschen katholischen Bischöfe verwies darauf, dass sich die beiden großen Kirchen in Deutschland “mit großer Entschiedenheit gegen die Aussetzung des Familiennachzugs„ gewandt hätten. Dies gelte nun auch für eine Verlängerung der Aussetzung oder gar den völligen Wegfall des gesetzlichen Nachzugsanspruchs. Bereits die Diskussion über eine weitere Aussetzung zeige negative Auswirkungen: “Die Betroffenen sind verunsichert und können mit der Ungewissheit nur schwer umgehen.„
Prof. Kay Hailbronner von der Universität Konstanz hob hervor, dass es “keine aus dem Verfassungsrecht, Unions- oder Völkerrecht ableitbaren Gründe„ für ein generelles Recht auf Gewährung des Familiennachzugs gebe. Für die Regelung des Familiennachzugs könne “eine Fülle von unterschiedlichen Abwägungskriterien wie insbesondere Integrationsvoraussetzungen oder das öffentliche Interesse an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs der Ausländer„ herangezogen werden.
Prüfung von Härte- oder Einzelfällen
Prof. Daniel Thym von der Universität Konstanz sagte, eine verlängerte Aussetzung des Familiennachzugs sei grundrechtskonform, solange für Härtefälle eine Ausnahme gelte. Thym verwies zugleich auf die Möglichkeit, unterschiedliche Regelungen zum Familiennachzug für bereits in Deutschland Lebende und für künftige Neuankömmlinge zu treffen.
Prof. Andreas Zimmermann von der Universität Potsdam verwies in seiner Stellungnahme darauf, dass eine generelle Versagung des Nachzugs zu subsidiär Geschützten ohne die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung völkerrechtlich problematisch scheine. Dies gelte insbesondere, wenn an den Fällen Kinder beteiligt seien.
Wer ist “subsidiär Schutzberechtigter„?
Was unter “subsidiär Schutzberechtigten„ zu verstehen ist, regelt Paragraf 4 des Asylgesetzes. Ein Ausländer ist dann subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach dieser Regelung die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Dieser subsidiäre Schutzes wird nicht gewährt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass die Person ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, wenn sie eine schwere Straftat begangen hat, wenn sie sich Handlungen hat zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen oder wenn sie eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten nach dem Gesetz auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen. (sto/vom/29.01.2018)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dieter Amann, Mitarbeiter der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag
- Dr. Roland Bank, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Deutschland
- Dr. Hendrik Cremer, Deutsches Institut für Menschenrechte
- Helmut Dedy, Deutscher Städtetag
- Uwe Lübking, Deutscher Städte- und Gemeindebund
- Prälat Dr. Karl Jüsten, Kommissariat der Deutschen Bischöfe
- Prof. Dr. Daniel Thym, Universität Konstanz
- Prof. Dr. Andreas Zimmermann, LL.M, Universität Potsdam
- Prof. Dr. Dr. h. c. Kay Hailbronner, Universität Konstanz