„Wir wollten uns die Diskriminierung als Juden nicht gefallen lassen“
„Die Menschen hatten Angst, sich gegen den Nationalsozialismus zu wehren. Aber sie hätten keine Angst davor haben sollen, ihren Kindern davon zu erzählen.“ Mit diesen Worten bekräftigte Renate Lasker-Harpprecht, Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz und des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, die Bedeutung einer Erinnerungskultur in Deutschland. Bei einer Podiumsdiskussion am Mittwoch, 31. Januar 2018, diskutierte sie zusammen mit ihrer Schwester Dr. h.c. Anita Lasker-Wallfisch und Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble mit 71 Teilnehmern einer Jugendbegegnung.
Die Jugendlichen, die aus Deutschland, Frankreich, aber auch Israel, Syrien oder Afghanistan stammen, beschäftigten sich im Zuge der Internationalen Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages eine Woche mit Themen der NS-Verbrechen. In diesem Jahr besuchten sie zum Thema „Widerstand aus Gewissensgründen“ die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau und die Universität München.
Dem Holocaust entronnen
„Wir haben uns so lange verteidigt, wie es ging“, sagt Lasker-Wallfisch. „Wir wollten uns die Diskriminierung als Juden einfach nicht gefallen lassen.“ Die beiden Schwestern Anita und Renate, heute 92 und 94 Jahre alt, überlebten durch eine Verkettung von Zufällen und Schicksalsbegegnungen den Holocaust.
Sie fälschten sie Urkunden, saßen im Gefängnis und kamen 1943 ins Konzentrationslager. Durch ihre Fähigkeiten als Cellistin gelangte Anita ins Mädchenorchester von Auschwitz und konnte so auch ihre Schwester vor dem Tod bewahren.
„Ausgrenzung verhindern“
„Wenn man beginnt, Menschen auszugrenzen, kommt es zu Problemen“, mahnt auch Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble die Jugendlichen in der Diskussion. Als junger Mann habe er erst recht spät von den Verbrechen des Holocaust erfahren. Umso wichtiger sei es heute, die Aufarbeitung weiter fortzuführen und sich Diskriminierung jeglicher Art aktiv in den Weg zu stellen.
Im Laufe der Diskussion stellten die Jugendlichen zahlreiche Fragen. Neben biografischen Nachfragen beschäftigte die Teilnehmer besonders die Einschätzung der Zeitzeuginnen zu aktuellen Debatten um Antisemitismus und Populismus in Deutschland und in Europa.
Die zunehmende Gefährdung und Bedrohung jüdischer Mitbürger sei ein Skandal, so Lasker-Wallfisch. „Lassen Sie sich nichts gefallen und sprechen Sie laut gegen antisemitische oder rassistische Forderungen.“ Vor allem Bildung und Wissen über die jüdische Geschichte seien der Schlüssel zu mehr Verständnis und Akzeptanz.
Politisches Engagement
Auch die Thematik der Flüchtlingspolitik und die Bedeutung von Migration für Deutschland rückte bei dem Gespräch in den Vordergrund. „Der Staat muss den Menschen ein Gefühl von Ordnung geben und gleichzeitig die Menschlichkeit wahren“, ordnet Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die komplexe Lage der Politik ein.
Jedoch sei es besonders an jungen Menschen, sich für das Fortbestehen der Demokratie zu engagieren – „nur dann kann unsere Demokratie stark sein“. (lau/31.01.2018)