Auseinandersetzungen um Einmarsch der Türkei in Nordsyrien
Das Vorrücken türkischer Truppen in Nordsyrien sorgt für Auseinandersetzungen im Bundestag. In einer am Donnerstag, 1. Februar 2018, auf Verlangen der Fraktion Die Linke angesetzten Aktuelle Stunde zur „Haltung der Bundesregierung zum Einmarsch der Türkei in die nordsyrische Region Afrin unter Einsatz von Panzern aus deutscher Produktion“ warfen die Fraktionen von AfD, FDP, Linken und Grünen der Bundesregierung insbesondere vor, nicht deutlich genug Stellung zu beziehen gegenüber dem türkischen Nato-Partner. Konsens war indes bis in die Reihen von Union und SPD, dass die türkische „Operation Olivenzweig“ nicht durch das Völkerrecht gedeckt sei.
Linke kritisiert Schweigen der Bundesregierung
Katja Kipping (Die Linke) verurteilte den türkischen „Angriffskrieg“ und forderte die Bundesregierung auf, jegliche militärische Kooperation mit der Türkei einzustellen. „Waffengeschäfte mit dem Erdogan-Regime sind ein sicherheitspolitischer Wahnsinn.“ Die Region Afrin sei nicht nur ein kurdisches Gebiet, sondern auch Schutzzone für 300.000 Menschen, die vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen seien. „Auch das macht diesen Angriff von Erdogan so verbrecherisch.“
Der türkische Präsident wolle offenkundig alle Kurden im Norden Syriens vertreiben. Kurdische Kämpfer seien das Bollwerk gegen den Terror des „Islamischen Staates“ (IS) gewesen – nun seien die Nato, die USA, Russland und auch Europa und Deutschland bereit, die Kurden zu opfern. Das Schweigen der Bundesregierung sei nichts anderes als ein „Kniefall vor Erdoğan“, sagte Kipping.
CDU/CSU: Operation Olivenzweig ist völkerrechtswidrig
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) bezeichnete das türkische Vorgehen bei der „Operation Olivenzweig“ in Syrien als klar „völkerrechtswidrig“. Die Bundesregierung habe deshalb völlig richtig gehandelt, als sie entschieden habe, eine geplante Aufrüstung von türkischen Panzern aus deutscher Produktion auszusetzen.
Kiesewetter machte deutlich, dass es nun auf Verhandlungen im Nato-Rat und im UN-Sicherheitsrat ankomme. Es gelte zu verhindern, dass sich mit einem weiteren Vorrücken der türkischen Armee auf in Nordsyrien stationierte US-Soldaten zwei Nato-Partner gegenüberstünden. Bei einer solchen Entwicklung sei das Assad-Regime der „lachende Dritte“ und Russland wäre es gelungen, einen Keil zwischen Nato-Partner zu treiben.
SPD will auf Diplomatie setzen
Dagmar Freitag (SPD) bedauerte, dass Syrien mit der türkischen Operation nun eine „weitere Konfliktlinie mit ganz erheblichen Eskalationspotential“ aufgezwungen werde. Nach dem Zurückdrängen des IS im vergangenen Jahr gab es Hoffnungen für eine Befriedung des Syrien-Konfliktes. „Das türkische Vorgehen hat diese Hoffnung in weite Ferne rücken lassen.“
Freitag warnte davor, Verhandeln und Diplomatie zu unterschätzen. Nötig sei ein mäßigendes Einwirken auf den Nato-Partner Türkei, vor allem aber ein Vorankommen bei den Genfer UN-Verhandlungen für einen politischen Prozess und eine Friedensperspektive für Syrien.
AfD stellt Partnerschaft mit Türkei infrage
Hans-Rüdiger Lucassen (AfD) nannte die Türkei einen Staat, der „ziemlich außer Kontrolle geraten ist“. Die Bundesregierung habe an den Tiefpunkten der deutsch-türkischen Beziehungen in den vergangenen Monaten häufig von einem „schwierigem Partner“ gesprochen. Die Frage sei aber, wie man angesichts der Säuberungswellen nach dem Putschversuch 2016 in der Türkei und auch angesichts der „Schikanen“ gegen deutsche Abgeordnete und der türkischen „Geiselhaft“ deutscher Staatsbürger überhaupt noch von Partnerschaft sprechen könne.
„Wie frei ist die Bundesregierung noch im Umgang mit der Türkei?“, fragte Lucassen. Einen EU-Beitritt der Türkei bezeichnete er als „Lebenslüge“ bisheriger Bundesregierungen. „Beenden sie diese Träumerei. Sie passt nicht zu und gehört nicht nach Europa.“
FDP: Rüstungsexporte in Konfliktregionen ausschließen
Bijan Djir-Sarai (FDP) verwies darauf, dass das Land früher sehr wohl ein EU-Partner und ein stabilisierender Faktor in der Region hätte sein können – heute aber „Lichtjahre“ davon entfernt sei. Von der Bundesregierung könne man mehr in der aktuellen Lage erwarten, als dass sie nun das türkische Vorgehen „in großer Sorge“ betrachte.
„Wir müssen der Türkei deutlich machen, dass sie hier die Grenze dessen überschritten hat, was man in einer echten Partnerschaft dulden kann.“ Djir-Sarai wandte sich zudem gegen weitere Waffenexporte in die Türkei. „Es sollte eine Grundpfeiler deutscher Außenpolitik sein, Rüstungsexporte in Konfliktregionen auszuschließen.“
Grüne fordern ein Rüstungsexportgesetz
Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von einem „lauten Schweigen“ der Bundesregierung. Es drängten sich Parallelen zum Jahr 1991 auf, als der Westen die Kurden im Irak ermuntert habe, gegen das Regime Saddam Husseins aufzubegehren, sie später aber seiner Rache überlassen habe. Keul sprach sich für ein Rüstungsexportgesetz aus, dass die Bundesregierung verpflichtet, solche Ausfuhren vor dem Bundestag zu begründen. Auch nach den derzeitigen Regelungen hätten Export-Genehmigungen selbst an befreundete Nato-Partner deutsche Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen.
Keul kritisierte, dass es deutschen Waffenfirmen aber durch Joint-Venture-Modelle möglich sei, in Spannungsgebieten zu produzieren. „Wer diese Regelungslücke offenhält, gefährdet deutsche Sicherheitsinteressen.“ (ahe/01.02.2018)