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Brigitte Zypries: Es bleibt mehr als nur ein Koffer von mir in Berlin

Brigitte Zypries (SPD)

Brigitte Zypries (SPD) (© DBT/studio kohlmeier)

Brigitte Zypries ist eine der bekanntesten Spitzenpolitikerinnen der SPD und die erste Wirtschaftsministerin Deutschlands. Als die Sozialdemokratin am 27. Januar 2017 vereidigt wurde, waren die meisten Schlagzeilen positiv: „Die beste Wahl für einen nahtlosen Übergang“ (Tagesspiegel), „Zypries – ein politisches Universaltalent“ (FAZ), „Die Alleskönnerin“ (maz-online), „Kompetente Frau für alle Fälle“ (zeit online). Die Presse reagierte wohlwollend, aber Brigitte Zypries ist eine Politikerin mit großer Erfahrung und sie weiß, solche Schlagzeilen sind temporär, schon einen Tag später können sie weniger schmeichelhaft sein.

Keine halben Sachen, sondern konsequent aussteigen

Die Bundesministerin wirkt entspannt in diesem Sommer. Sie hat die Entscheidung, die Bundespolitik zu verlassen und 2017 nicht noch einmal für den Bundestag zu kandidieren, selbstbestimmt getroffen. Das war ihr wichtig. Die Frage, warum sie nicht erneut antritt, beantwortet Brigitte Zypries entsprechend souverän.

„Ich werde nach der Bundestagswahl 64 Jahre alt und die Aussicht, noch einmal für vier Jahre als Bundestagsabgeordnete gewählt zu werden, schien mir zu lang. Da mir halbe Sache nicht liegen und es für mich keine Option ist, nur eine halbe Wahlperiode in Betracht zu ziehen, entschied ich mich für den konsequenten Ausstieg aus der Berufspolitik. Wichtig ist mir auch, einer jüngeren Generation Platz zu machen. Es war eine überlegte Entscheidung, und es ist für mich der richtige Zeitpunkt.“

„Entdeckerin“ von Frank-Walter Steinmeier

Brigitte Zypries ist seit zwölf Jahren Bundestagsabgeordnete, zum dritten Mal ist sie Bundesministerin. Zweimal verantwortete sie das Justizressort, und im Januar 2017 übernahm sie das Wirtschaftsministerium von Sigmar Gabriel (SPD), der Außenminister wurde. Brigitte Zypries gilt als „Entdeckerin“ von Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD), was sie bescheiden relativiert: „Ich habe Frank-Walter Steinmeier an der Universität Gießen kennengelernt. Ich war wissenschaftliche Mitarbeiterin, er studierte Rechtswissenschaften und war wie ich im AStA aktiv. Später, als ich in der niedersächsischen Staatskanzlei tätig war, habe ich ihn mit Gerhard Schröder (SPD) bekannt gemacht und ihn als Medienreferenten empfohlen. Das ist alles.“ 

Brigitte Zypries und Frank-Walter Steinmeier gehörten Anfang der 1980er-Jahre der Redaktion der linken Quartalszeitschrift „Demokratie und Recht“ an – einer juristischen Fachzeitschrift, die im Pahl-Rugenstein Verlag erschien. Zum Verlagsprogramm gehörten auch politische Sachbücher, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen der Bonner Republik beschäftigten.

Hessische Senatskanzlei und Bundesverfassungsgericht

An der Universität Gießen wurde Brigitte Zypries Mitglied der Jusos, aber sie verfolgte damals eher berufliche als parteipolitische Ziele. Nach dem zweiten Staatsexamen arbeitete sie einige Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Gießen und anschließend als Referentin in der hessischen Staatskanzlei unter Ministerpräsident Holger Börner (SPD). Ab 1988 arbeitete die Juristin beim Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe, der für die Grundrechte wie Meinungsfreiheit oder Freiheit der Berufswahl zuständig ist.

Drei Jahre später wechselte sie als Referatsleiterin für Verfassungsrecht in die niedersächsische Staatskanzlei und trat 1991 in die SPD ein. Warum, erklärt die Ministerin so: „Ich sah meine berufliche Perspektive nach dem Studium und in den ersten Jahren meines Berufslebens zunächst einmal darin, als Juristin zu arbeiten. Als ich 1991 Ministerialbeamtin in der Staatskanzlei in Hannover wurde, sah ich meine Aufgabe an der Schnittstelle zwischen Recht und Politik.“ Dass sie 1991 schließlich Sozialdemokratin wurde und sich parteipolitisch engagierte, sei eine ganz bewusste, persönliche Entscheidung gewesen. „Die Themen Gerechtigkeit und Solidarität, also die Grundprinzipien der Sozialdemokratie, haben mich schon immer beschäftigt. Sie waren vor 26 Jahren wichtig und richtig und sind es heute immer noch“, sagt die Sozialdemokratin.

Vertraute Gerhard Schröders

Als Brigitte Zypries in der niedersächsischen Staatskanzlei begann, war Gerhard Schröder Ministerpräsident in Niedersachsen. Es ist zu vermuten, dass er einen Anteil daran hatte, dass Brigitte Zypries SPD-Mitglied wurde, denn die Sozialdemokratin gilt als Vertraute Schröders. Als Gerhard Schröder 1998 zum Bundeskanzler der ersten rot-grünen-Koalition gewählt wurde, wechselte Brigitte Zypries ebenfalls nach Berlin in die Bundespolitik. Sie wurde Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern und 1999 Vorsitzende im Staatssekretärsausschusses zur Steuerung des Programms der Bundesregierung „Moderner Staat – moderne Verwaltung“.

In der zweiten Amtszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde Brigitte Zypries Bundesministerin der Justiz. Am 22. Oktober 2002 erhielt sie vom Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse ihre Ernennungsurkunde – zunächst für drei Jahre. 2005 fand die vorgezogene Wahl zum 16. Deutschen Bundestag statt, weil Bundeskanzler Schröder die Vertrauensfrage gestellt – und verloren hatte.

2005 erste Kandidatur für den Bundestag

Zur Wahl am 18. September 2005 kandidierte Brigitte Zypries im Wahlkreis Darmstadt erstmals für den Bundestag. Sie gewann das Direktmandat mit 44,8 Prozent der Erststimmen und setzte sich mit großem Abstand gegen den CDU-Gesundheitsexperten Andreas Storm durch. Ihre Popularität reichte auch 2009 und 2013, um das Direktmandat im Wahlkreis Darmstadt nahezu mühelos zu gewinnen.

Brigitte Zypries übernahm auch in der Großen Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel das Justizressort, denn ihre Erfahrungen und die solide Führung des Ministeriums wurden nicht nur von den eigenen Genossen geschätzt, sondern auch von den Koalitionskollegen der CDU/CSU-Fraktion. Brigitte Zypries brachte eine Reihe von Gesetzen auf den Weg, wie zum Beispiel das Vaterschaftsrecht. Mit den Änderungen des Unterhaltsrechts gab sie dem Kindeswohl vor anderen Ansprüchen den Vorrang, und sie führte die Patientenverfügung ein.

Auch das Antiterrorgesetz, das der Bundestag am 29. Mai 2009 mit großer Mehrheit verabschiedete, hatte Brigitte Zypries ausgearbeitet.  Darin wurde die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Taten mit Strafen belegt, und auch die Verbreitung von Anleitungen zum Bombenbau im Internet, das Herunterladen solcher Anweisungen und die Beschaffung von Chemikalien zum Bau eines Sprengsatzes wurden unter Strafe gestellt.

Zypries genießt hohe Wertschätzung

Brigitte Zypries genießt nicht nur unter den Sozialdemokraten einen ausgezeichneten Ruf, sie wird parteiübergreifend geschätzt. Die Ministerin gilt als bodenständig, durchsetzungsstark, selbstbewusst, unprätentiös und ehrlich. Brigitte Zypries ist zudem in der Partei sehr gut vernetzt. Sigmar Gabriel vertraut ihr. Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz schätzen sie ebenfalls. Der Kanzlerkandidat kann sich der Unterstützung von Brigitte Zypries sicher sein.

Auch wenn Schulz eine Korrektur der Agenda 2010 von Gerhard Schröder fordert und Brigitte Zypries beim Sonderparteitag 2003 für die Agenda gestimmt hatte, sagte die Sozialdemokratin kürzlich in einem Interview: „Die Agenda 2010 war richtig. Sie war angesichts der hohen Arbeitslosigkeit damals notwendig und hat immer noch ihre Berechtigung. Martin Schulz will eine Korrektur, insbesondere an einem Punkt: Wenn jemand 40 Jahre gearbeitet hat und nach einem Jahr Arbeitslosigkeit an sein Erspartes ran muss, wird das von vielen als ungerecht empfunden.“ Die Agenda-Korrektur sei ein Signal an die Menschen, denen genau da der Schuh drückt.

Ernennung zur Ministerin

Auf die Frage, welches Ereignis in ihrer politischen Karriere der „Leuchtturm“ gewesen ist, antwortet Brigitte Zypries: „Die erste Ernennung zur Bundesministerin der Justiz. Wenn jemand, der mit Leidenschaft und Herzblut Juristin ist, zur Justizministerin eines Landes ernannt wird, ist das ein ganz besonderer Moment der Wertschätzung.“ Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Ernennung zur ersten Wirtschaftsministerin Deutschlands im Januar 2017 ein Ereignis ist, das Brigitte Zypries einen Platz in den Geschichtsbüchern sichert.

Die Entscheidung, nicht noch einmal für den Bundestag zu kandidieren und sich im September aus der Bundespolitik zurückzuziehen, ist gefallen. Doch die Ministerin sagt auch: „Die Entscheidung ist zwar unumstößlich, aber bis zur Ernennung eines neuen Wirtschaftsministers beziehungsweise einer Ministerin und bis zu meiner Abberufung werde ich zuverlässig meinen Job machen.“

Frei über den Kalender verfügen

Und was macht Brigitte Zypries, wenn sie nicht mehr Abgeordnete und Ministerin ist und wieder frei über ihren Terminkalender verfügen kann?  Was hat sie in den vergangenen arbeitsintensiven Jahren besonders vermisst? „Ich bin ein Mensch, der viel unter einen Hut bekommt. Selbst in arbeitsintensiven Phasen habe ich versucht, die Kontakte zu Freunden nicht zu verlieren, auch wenn ich private Termine oft nicht wahrnehmen konnte. Was ich vermisst habe? Ich hätte morgens gern mehr Zeit gehabt und wäre gern weniger rasant in den Tag gestartet. Aber wenn man ein Ministerium leiten und an vielen Wochenenden im Wahlkreis unterwegs sein will, bleibt nicht viel Freizeit oder Entspannung“, sagt die Politikerin.

Obwohl Brigitte Zypries aus Hessen stammt, will sie sich auch im bundespolitischen Ruhestand nicht aus der Hauptstadt verabschieden. „Es bleibt mehr als nur ein Koffer von mir in Berlin: Ich behalte auch meine Wohnung und pendle weiterhin zwischen Hessen und Berlin“, sagt die Ministerin. Einer Leidenschaft, die in den letzten Jahren sicher zu kurz gekommen ist, kann sich Brigitte Zypries demnächst intensiver widmen. Einer Berliner Tageszeitung verriet sie, dass sie an den Wochenenden gern über Berlins Flohmärkte bummelt. Dafür braucht man tatsächlich Zeit, wenn man Schätze heben will. (bsl/31.07.2017)