Kontroverse um Gesetzentwurf gegen Hasskriminalität im Internet
Massive Kritik der Opposition hat die erste Debatte über den von CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf (18/12356) „zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) am Freitag, 19. Mai 2017, geprägt. Redner der Koalitionsfraktionen erkannten die Notwendigkeit von Nachbesserungen an und sagten zu, die verbleibende Beratungszeit bis zum Ende der Legislaturperiode dafür zu nutzen. Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz sollen die Betreiber von Internet-Plattformen wie Facebook und Twitter unter Androhung erheblicher Bußgelder dazu gebracht werden, gemeldete strafbare Inhalte zu löschen.
Minister: Hasskriminalität beschädigt Zusammenleben
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) begründete die Notwendigkeit des Gesetzes damit, dass große Plattform-Betreiber ihrer bereits jetzt bestehenden Verpflichtung, offenkundig rechtswidrige Inhalte schnell zu löschen, nur sehr unzureichend nachkämen. Nutzer bekämen auf ihren Hinweis auf einen strafbaren Inhalt zu oft die Antwort: „Das verstößt nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards und wird nicht gelöscht.“
Maas wies darauf hin, welch üble Beschimpfungen, Bedrohungen und Mobbings im Netz um sich griffen, und folgerte: „Hasskriminalität beschädigt unser Zusammenleben, unsere Debattenkultur und letztlich auch die Meinungsfreiheit.“ Derartige Äußerungen seien „kein Ausdruck der Meinungsfreiheit, sondern sind im Gegenteil Angriffe auf die Meinungsfreiheit“. Damit sollten „Andersdenkende eingeschüchtert und mundtot gemacht werden“. Maas wies darauf hin, „dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, dass auch online nicht erlaubt ist, was offline verboten ist“.
Plattformbetreiber sollen Löschpraxis ändern
Das vorgeschlagene Gesetz soll die Plattformbetreiber verpflichten, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden vorzuhalten, das für Nutzer leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar ist. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen demnach in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt oder gesperrt sowie zu Beweiszwecken gesichert werden. Vierteljährlich müssen die Betreiber einen Bericht über ihren Umgang mit Beschwerden veröffentlichen, auch auf der eigenen Homepage.
Für Verstöße gegen diese Bestimmungen sieht der Gesetzentwurf Bußgelder bis zur Höhe von 50 Millionen Euro vor. Ausdrücklich heißt es: „Die Ordnungswidrigkeit kann auch dann geahndet werden, wenn sie nicht im Inland begangen wird.“ Zur Klärung, ob ein nicht gelöschter Inhalt tatsächlich rechtswidrig ist, muss das für die Durchführung zuständige Bundesamt für Justiz vor Verhängung des Bußgeldes eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen. Für den Umgang mit den deutschen Behörden und Gerichten müssen die Plattformbetreiber einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benennen.
Linke: Zeit für besseren Gesetzentwurf nehmen
Auch Dr. Petra Sitte (Die Linke) als Auftaktrednerin der Opposition kritisierte das bisherige Verhalten von „Facebook, Twitter und Co.“ scharf. „Aber der jetzt eingebrachte Gesetzentwurf wird neue Probleme schaffen“, fuhr sie fort. Und zwar deshalb, weil er „die Durchsetzung am Ende doch wiederum in Hände legt, in die sie nicht gehören“. Denn die Plattformen selbst bekämen die rechtliche Einordnung von Beschwerden überantwortet. Unter anderem entstehe dadurch die Gefahr, dass „auch legale Inhalte in großem Stil gelöscht werden“.
Massiv kritisierte Sitte die geplante neue Verpflichtung der Betreiber, auch bei zivilrechtlichen Prozessen Bestandsdaten herauszugeben. So eröffne man „nicht nur der Abmahnindustrie ein neues Betätigungsfeld“, bei der Bekämpfung von Hate Speech könne das sogar nach hinten losgehen. Denn die Möglichkeit könne auch zur Einschüchterung beispielsweise von Aktivisten gegen Rechtsextreme missbraucht werden.
Sitte warf Regierung und Koalitionsfraktionen vor, den Gesetzentwurf „mit heißer Nadel gestrickt“ und „auch den letzten Metern der Wahlperiode eingebracht“ zu haben. Unter Verweis auf ein breites Bündnis von Organisationen, das sich bereits gegen den Gesetzentwurf gebildet hat, rief sie die Koalition dazu auf, sich „auf eine breite Diskussion einzulassen“ und in der nächsten Legislaturperiode Zeit für die Erarbeitung eines besseren Gesetzentwurfes zu nehmen.
CDU/CSU kündigt Bereitschaft zu Änderungen an
Zu der Kritik daran, dass die Entscheidung über die Löschung in die Hände der Plattform-Betreiber gelegt werden soll, merkte Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) an, dass Facebook auch jetzt Einträge löscht. Als Beispiele nannte sie den Eintrag eines früheren Radio-Moderators, der sich kritisch zur katholischen Kirche geäußert habe, und die ganze Seite eines Islam-Kritikers.
In der Debatte gehe es um das Aufeinandertreffen zweier Grundrechte, der Meinungsfreiheit einerseits und dem Schutz der Persönlichkeit andererseits. „Was sich momentan an Hass und Hetze im Netz abspielt, ist unerträglich“, sagte Winkelmeier-Becker, und müsse eingedämmt werden. Das geplante Gesetz ändere nichts an der materiellen Rechtslage. Schon jetzt sei „klar, dass die Meinungsfreiheit Grenzen hat“. Schon jetzt seien Plattformen mitverantwortlich, so wie auch beispielsweise Zeitungen verpflichtet seien, Leserbriefe vor Veröffentlichung rechtlich zu prüfen.
„Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“
Die CDU-Rechtspolitikerin wies darauf hin, dass das geplante Gesetz neben der wirksameren Verpflichtung der Plattform-Betreiber auch bessere Möglichkeiten schaffe, Urheber von Hass und Hetze zur Verantwortung zu ziehen. Sie verwies darauf, dass im Bundesrat Landesregierungen unterschiedlichster politischer Zusammensetzung die Initiative ergriffen hätten, das Gesetz sogar „weiter zu verschärfen“.
Winkelmeier-Becker erklärte, ihre Fraktionen sei offen für umfassende Verbesserungen des Gesetzentwurfs im Sinne seiner Kritiker. So könne sie sich die Einschaltung einer pluralistisch organisierten Kontrolle nach dem Vorbild der Freiwilligen Selbstkontrolle beim Film vorstellen, um die Rechtsmäßigkeit von Einträgen zu klären. Ihr Fraktionskollege Dr. Stefan Heck sagte zu den anstehenden Ausschussberatungen: „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.“ Ziel sei aber ein Abschluss bis zur Sommerpause.
Grüne: Hetze im Netz Gefahr für Demokratie
Wie alle Redner prangerte auch Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) an, dass im Netz „täglich viele Menschen im Land unerträglich beleidigt, bedroht und verleumdet“ würden. „Solche krassen Rechtsverletzungen“ seien, „hunderttausendfach ausgesprochen, gepostet und geteilt auch eine gravierende Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie, wenn sie folgenlos bleiben“.
Notz warf aber Justizminister Maas vor, er komme „in der letzten Kurve der Legislatur mit einem wüsten Gesetz um die Ecke“, das nicht die Probleme löse, sondern viele neue Probleme schaffe. Das vorgelegte Netzwerkdurchsetzungsgesetz sei „selbst eine Gefahr für die Meinungsfreiheit“. „Wir müssen die großen Anbieter hart in die Pflicht nehmen“, stimmte Notz der Intention des Gesetzes zu, „aber wir dürfen sie eben nicht in die Richterrolle drängen“. Auch kritisierte er, dass für die geplante Auskunftspflicht der Betreiber „noch nicht mal ein Richter-Vorbehalt“ vorgesehen sei.
Die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), kritisierte neben den Inhalten des Entwurfs auch das gewählte gesetzgeberische Verfahren. Statt die Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung abzuwarten, hätten die Koalitionsfraktionen denselben Text parallel im Bundestag eingebracht. Und das, obwohl ein großer Teil dessen, was hiermit geregelt werden soll, in der Zuständigkeit der Länder liege. Parallel laufe das dreimonatige Notifizierungsverfahren bei der EU. Nun könne der Gesetzentwurf nicht mehr grundlegend verändert werden, weil sonst ein neues Notifizierungsverfahren nötig würde.
SPD: Opfer müssen ihre Rechte durchsetzen können
Der Kritik an der späten Vorlage des Gesetzentwurfs hielt Dr. Johannes Fechner (SPD) entgegen, die Grünen hätten auch erst im April 2017 einen zudem sehr unspezifischen Antrag zur wirksameren Bekämpfung von Strafrechtsverstößen im Netz eingebracht. Zur inhaltlichen Kritik sagte er, „wenn Unternehmen Milliardengewinne machen können, können wir ihnen auch zumuten, dass sie eine juristische Abteilung aufbauen“, um Inhalte auf selbst auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Mit dem Gesetz würden keine neuen Rechte geschaffen, sondern es werde dafür gesorgt, „dass Opfer ihre Rechte auch durchsetzen können“.
Die SPD habe eine ganze Reihe der Kritikpunkte in der Öffentlichkeit schon aufgenommen, teilte Fechner mit, und werde sie im weiteren Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen. So dürfe es einen Auskunftsanspruch nur geben, wenn ein Gericht dies anordnet. Sein Fraktionskollege Lars Klingbeil nannte noch zwei weitere Änderungsvorhaben: Eine Konkretisierung der Bußgelder und eine deutlichere Klarstellung, welche Netzwerke betroffen sind. Zudem wolle man die zuvor von Winkelmeier-Becker angesprochene Selbstregulierung prüfen.
Antrag der Grünen
In dem mitberatenen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/11856) fordert diese ein Gesetz, das für „Diensteanbieter von Telemedien ab einer festzulegenden Größenordnung“ ein strukturiertes Verfahren zum Umgang mit rechtswidrigen Informationen vorschreibt. Dabei sollten diese auch zu Maßnahmen zur Gewährleistung effektiver Strafverfolgung und Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche verpflichtet werden. Auch müssten die Diensteanbieter dafür sorgen, dass Social Bots, also Computerprogramme, die menschliche Kommunikation vortäuschen, als solche erkannt werden oder ihr missbräuchlicher Einsatz abgestellt werden kann.
Bei Verstößen gegen diese Verpflichtungen sollen „effektive Sanktionen“ verhängt werden, verlangen die Grünen. Gefordert wird daneben unter anderem eine bessere personelle und technische Ausstattung von Polizei und Justiz, um „Strafrechtverstöße im Netz adäquat und in angemessener Zeit bearbeiten“ zu können. Der Bundestag verwies diesen Antrag zusammen mit dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse. (pst/19.05.2017)