Maria Michalk will sich weiterhin für die sorbische Minderheit einsetzen
Dobry dźeń – Guten Tag! Mit diesen Worten begrüßte die Bundestagsabgeordnete Maria Michalk am 17. Juni 2004 die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, um dann eine beeindruckende Rede in sorbischer Sprache zu halten. Maria Michalk gehört der Minderheit von etwa 60 000 Sorben an, die in Deutschland leben. In ihrem Redebeitrag ging es um Minderheiten. Maria Michalk sprach im Plenum voller Leidenschaft und überzog die festgelegte Redezeit. Seitdem wird im Bundestag folgende Geschichte erzählt. Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms versuchte vergeblich, Maria Michalk auf die Überschreitung der Redezeit aufmerksam zu machen – er konnte sie nicht stoppen, denn er sprach kein sorbisch.
Abgeordnete der ersten frei gewählten Volkskammer
Maria Michalk ist aber nicht nur Sorbin, seit 45 Jahren ist sie Mitglied der CDU und überzeugte Katholikin. 1990 wurde die Politikerin aus Bautzen Abgeordnete der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Nach der Wiedervereinigung gehörte sie zu den 144 Volksvertretern, die am 3. Oktober 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages wurden.
In diesem Jahr geht die CDU-Abgeordnete, die ihren Wahlkreis fast zwei Jahrzehnte im Deutschen Bundestag vertrat, in den politischen Ruhestand. Auch wenn die Fraktion ihre gesundheitspolitische Sprecherin sicher vermissen wird, für Maria Michalk ist 2017 Schluss. Sie sagt: „Für mich ist es der richtige Zeitpunkt. Ich werde bei der Wahl im September 67 Jahre alt sein und möchte jungen Politikerinnen und Politiker eine Chance geben.“
Christliche Erziehung mit freiheitlichen Grundwerten
Maria Michalk ist tief im katholischen Glauben verwurzelt und stolz darauf, der sorbischen Minderheit anzugehören. Sie besuchte die sorbische Schule in Radibor (Oberlausitz) und wuchs in einer Familie auf, die sehr kritisch gegenüber der DDR eingestellt war. „Mein Vater war nach dem Krieg Bürgermeister, wollte aber mit den Kommunisten nichts zu tun haben. Die Gemeindesratssitzungen fanden in unserem Wohnzimmer statt, und die Männer diskutierten sich bei Zigarren- und Zigarettenqualm die Köpfe heiß. Weil die Bevormundung durch die DDR-Führung immer größer wurde, zog er sich zurück“, erinnert sich Maria Michalk.
Ihre Erziehung war christlich und geprägt von freiheitlichen Grundwerten. Sie wurde nicht Pionier und feierte keine Jugendweihe. Das alles wurde in der DDR natürlich sehr kritisch und nicht gern gesehen.
Studium der Betriebsökonomie
Als Maria Michalk 1972 in der ehemaligen DDR in die Blockpartei CDU eintrat, herrschte kalter Krieg, die DDR kämpfte um Anerkennung und Walter Ulbricht war noch Staatsratsvorsitzender. Warum sie sich für eine Blockpartei entschied, hat eine Vorgeschichte. Maria Michalk hatte 1972 ihr Studium als Betriebsökonomin beendet und arbeitete im Elektroporzellanwerk Margaretenhütte, wo sie vor dem Studium eine Ausbildung zur Industriekauffrau absolviert hatte. Die Betriebsleitung lag ihr immer wieder in den Ohren, sie solle in die SED eintreten, aber für sie als Katholikin kam das nicht infrage.
Sie sagt: „Obwohl ich mit meiner katholischen Überzeugung argumentierte, wurde ich immer wieder bedrängt, mich für die SED zu entscheiden. Eines Tages traf ich in der christlichen Buchhandlung, in der ich damals Bücher kaufte, den CDU-Kreisvorsitzenden. Wir kamen ins Gespräch und er sagte, ich sei in der CDU herzlich willkommen. Ich wurde Mitglied der CDU, und die Agitation der SED-Genossen hatte ein Ende.“
Kein Interesse an sozialistischer Jugendweihe
In der Wendezeit engagierte sich die katholische Sorbin in der kirchlichen Friedensbewegung, nahm an Friedensdemos in Bautzen teil und fuhr zum CDU-Parteitag, um über Familienpolitik zu sprechen.
Zuvor hatte sie ein Schlüsselerlebnis, an das sie sich noch heute gut erinnert: „1988 sprach mich die Lehrerin meiner Tochter auf die Jugendweihe an. Die Klasse sollte möglichst vollständig daran teilnehmen, die Schule habe sich hundert Prozent Teilnahme als Ziel gesetzt. Ich antwortete, dass wir als katholische Sorben kein Interesse an der sozialistischen Jugendweihe hätten, und fühlte mich in meine Kindheit versetzt. Damals wurde mein Vater ebenfalls auf die Jugendweihe angesprochen. Er hatte ebenfalls abgelehnt.“
Wahlkampf für den Bundestag
Die Wendezeit war für Maria Michalk eine spannende und intensive Zeit, in der sie viele Gespräche in der Kirche führte und an politischen Veranstaltungen teilnahm. Als die Listen für die erste freie Volkskammerwahl am 18. März 1990 aufgestellt wurden, fragte der CDU-Kreisvorsitzende Maria Michalk, ob sie auf der Bezirksliste Sachsen kandidieren würde? „Ich bat um eine Nacht Bedenkzeit, sprach mit meiner Familie und sagte am nächsten Morgen zu. Ich wollte Verantwortung übernehmen und die Chance nutzen, bei diesem historischen Ereignis dabei zu sein“, sagt die Politikerin rückblickend.
Nach der Wiedervereinigung war sie nicht nur eine von 144 Volkskammer-Abgeordneten, die in den Bundestag übernommen wurde. Bereits am 2. Dezember 1990 sollte die gesamtdeutsche Bundestagswahl stattfinden, bei der sie erneut kandidieren sollte. Für Maria Michalk hieß das tief durchatmen und in den Wahlkampfmodus umschalten. „Damals überschlugen sich die Ereignisse. Die Mauer war erst ein Jahr zuvor gefallen, ich war in die Volkskammer gewählt worden, und nun hieß es: Wahlkampf für den Bundestag. Problematisch war nicht nur, dass wir davon keine Ahnung hatten, wir verfügten auch nicht über die erforderliche Logistik. Wir hatten kaum Telefone, keine Faxgeräte, keine Kopierer, nur unheimlich viel Enthusiasmus. Die CDU-Kollegen aus Worms – Partnerstadt von Bautzen – unterstützten uns logistisch und versorgten uns mit Informationen, die wir für den Wahlkampf brauchten“, sagt die Politikerin.
Beeindruckt von Rita Süssmuth
Maria Michalk kandidierte 1990 auf der Landesliste Sachsen auf Platz drei und schaffte den Einzug in den Deutschen Bundestag nicht. Sie wurde aber 1991 Nachrückerin, weil der Abgeordnete Hans Geissler als Sozialminister in die Landesregierung Sachsen wechselte. „Als Abgeordnete traf ich in Bonn auf Rita Süssmuth, die damals nicht nur Bundestagspräsidentin war, sondern auch Vorsitzender der Frauenunion. Sie hat mich nicht nur sehr beeindruckt, sondern auch inspiriert, mit anderen Frauen die Frauenunion in Bautzen ins Leben zu rufen“, sagt die CDU-Politikerin.
Ab 2002 war Maria Michalk immer direkt gewählte Abgeordnete, und sie steigerte ihr Wahlergebnis (im Wahlkreis 157 Bautzen) kontinuierlich. Im Wahljahr 2013 erreichte sie mit 49,2 Prozent der Erststimmen ihr bestes Wahlergebnis. Die Menschen hatten und haben großes Vertrauen in die authentische Politikerin, die sich als gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU im Dezember 2015 sogar mit der mächtigen Ärztelobby anlegte.
Der „Tagesspiegel“ berichtete damals: Aus Ärger über ein kritisches Statement der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kappte Maria Michalk die Drähte zu den Ärztelobbyisten und ließ einen lange geplanten Gesprächstermin platzen. Einige Fraktionskollegen sahen das kritisch, aber Maria Michalk hatte sich damit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und Respekt verschafft. Vor allem wussten die Beteiligten, dass sie Maria Michalk erst nehmen sollten.
Zeitreise durch das persönliche Wende-Archiv
Wenn Sie im Oktober ihr Büro im Deutschen Bundestag geräumt hat, fällt die Politikerin keinesfalls in ein „schwarzes Loch“. Maria Michalk hat sich vorgenommen, ihr privates Wende-Archiv aufzuarbeiten.
„Ich habe in der gesamten Wendezeit alle Zettel, Zeitungsausschnitte, Briefe, Fotos und Dokumente aufbewahrt, die mir wichtig erschienen. Ich werde das alles chronologisch ordnen und sicher viel Interessantes wiederfinden, woran ich mich lange nicht erinnert habe. Ich glaube, es wird eine Zeitreise in die Anfänge meiner politischen Arbeit“, sagt die Politikerin.
Auch im nächsten Bundestag soll Sorbisch erklingen
Als Vorsitzende des Rates für sorbische Angelegenheiten setzt sich Maria Michalk weiterhin für die Rechte der sorbischen Minderheit ein. Im Verein Gartenkulturpfad beiderseits der Neiße e.V. wird sie weiter aktiv mitarbeiten, und als Vorsitzende des Christlich-Sozialen Bildungswerks Sachsen e.V. will sie sich ebenfalls weiter einbringen.
Dreizehn Jahre nach ihrer Sorbisch-Rede im Bundestag hatte Maria Michalk am 2. Juni 2017 erneut Gelegenheit, im Plenarsaal ihre Muttersprache zu sprechen. In einer Debatte über Minderheitensprachen sagte sie: „Ich bin überzeugt: Auch wenn die sorbische Sprache bedroht ist, sie wird nicht vergehen. Přeju sej, zo tež w přichodnym zwjazkowym sejmje serbska rěč zaklinči, byrnjež tu sama hižo njebudu. Ich wünsche mir, dass auch im nächsten Deutschen Bundestag die sorbische Sprache erklingt, auch wenn ich selbst dann nicht mehr dabei sein werde. Erlernen kann es jeder.“ (bsl/06.06.2017)