Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Abfall steht in den Startlöchern. Am Donnerstag, 23. März 2017, beschloss der Deutsche Bundestag nach zweiter und dritter Lesung einen entsprechenden Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen (18/11398) auf Empfehlung des Umweltausschusses (18/11647). Für den Entwurf in geänderter Fassung stimmten die einbringenden Fraktionen. Die Fraktion Die Linke stimmte dagegen.
Ausschluss-, Mindest- und Abwägungskriterien festgeschrieben
Mit dem Gesetzentwurf soll vor allem das bestehende Standortauswahlgesetz (StandAG) novelliert werden. Hintergrund sind Empfehlungen der Endlagerkommission aus dem vergangenen Jahr (18/9100), die der Bundestag einstimmig zur Kenntnis nahm. Vorgesehen sind eine mehrphasige Suche nach einem Standort mit „bestmöglicher Sicherheit“ und eine umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit insbesondere in den betroffenen Standortregionen.
Im StandAG werden zudem wissenschaftliche Ausschluss-, Mindest- und Abwägungskriterien festgeschrieben. Vorgesehen sind zudem Normen, um sicherzustellen, dass potenzielle Standorte nicht durch andersartige bergbauliche Maßnahmen unbrauchbar gemacht werden. Das Verfahren ist als „lernendes Verfahren“ angelegt und soll Rücksprünge ermöglichen. Nach Inbetriebnahme des Endlagers soll eine Bergung für einen längeren Zeitraum zur Korrektur von grundlegenden Fehlern möglich sein.
„Bestmögliche Sicherheit“ muss gewährleistet sein
Mit dem im Umweltausschuss angenommenen Änderungsantrag haben CDU/CSU, SPD und Grüne mehrere Vorschläge aus der Sachverständigenanhörung aufgegriffen. Gestrichen wird in dem Entwurf, dass „insbesondere“ nach einem Lager für hochradioaktive Abfälle gesucht wird. Vielmehr soll nun in einem gesonderten Absatz klargestellt werden, dass eine Einlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen am selben Standort nur dann möglich ist, „wenn die gleiche bestmögliche Sicherheit des Standortes wie bei der alleinigen Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gewährleistet ist“.
Weitere Änderungen beziehen sich auf die Betonung der Rolle der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie des Nationalen Begleitgremiums. Zudem soll die Rolle des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung bei der Zulassung von andersartigen Vorhaben an potenziellen Standorten gestärkt werden. Nunmehr soll die Zulassungsbehörde in bestimmten Fällen das Einvernehmen mit dem Bundesamt herstellen und nicht nur eine Stellungnahme einholen.
Ministerin: Testfall für die Demokratie
Mit Blick auf das anstehende Suchverfahren sprach Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks (SPD) von einem „Testfall für die Demokratie“. Der Staat müsse seine „Handlungsfähigkeit“ beweisen, wissenschaftlich und mit gesellschaftlicher Akzeptanz nach einem Endlager zu suchen. „Wir alle zusammen müssen uns auf den Weg machen, einen jahrzehntelangen Konflikt unserer Gesellschaft zu lösen.“ Die Umweltministerin dankte in ihrer Rede jenen, die sich über Jahrzehnte gegen die Atomenergie engagiert haben. „Der friedliche Protest gegen die Atomenergie zählt für mich zu den großen Leistungen der Demokratie in Deutschland“, sagte Hendricks.
Der Atomausstieg sei richtig, es gebe „glücklicherweise“ keinen Weg mehr zurück. Hendricks betonte, dass bei der Suche die Sicherheit der wichtigste Maßstab sein werde, flankiert von einer regionalen und überregionalen Öffentlichkeitsbeteiligung und einem gestärkten Rechtsschutz. Es sei zudem wichtig, auf einer „Weißen Landkarte“ zu suchen und damit ohne politischen Ausschluss von Gorleben sowie ohne den Ausschluss von potentiellen Wirtsgesteinen.
Ministerpräsident: Schwierigstes Infrastrukturprojekt
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident Baden-Württembergs, betonte, dass die Endlagersuche eine „epochale Aufgabe“ sei, das „schwierigste Infrastrukturprojekt in der Geschichte unseres Landes“. Es sei wichtig, dass es bei einer solchen „fundamentalen Frage“ einen großen Konsens gebe.
Nun gelte es, dass bisher gewonnene Vertrauen weiter aufzubauen, denn die größten Herausforderungen kämen erst noch. Dazu müssten eigene Interessen zugunsten des gesamtgesellschaftlichen Wohls zurückgestellt werden. „Das sind wir den künftigen Generationen schuldig, denn wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt“, sagte Kretschmann.
CDU/CSU fordert eine „Kultur der Verantwortung“
Steffen Kanitz (CDU/CSU), der als Berichterstatter seiner Fraktion in der Endlagerkommission saß, forderte eine „Kultur der Verantwortung“. Die drei einbringenden Fraktionen hätten einen „guten Gesetzentwurf“ vorgelegt, um diese „Menschheitsaufgabe“ zu lösen. Mit Blick auf die ablehnende Haltung von zahlreichen Antiatominitiativen, die die Arbeit der Endlagerkommission boykottierten, kritisierte Kanitz das „Demokratieverständnis“ in „Teilen der Umweltverbände“, nach dem nur die eigene Meinung akzeptabel sei.
„Wer diesem Credo folgt, der taugt nicht zum Diskurs“, sagte der Christdemokrat. Kanitz betonte, dass in allen drei Wirtsgesteinen (Ton, Salz, Granit/Kristallin) gesucht werde. Entscheidend sei dabei das Sicherheitskriterium, das darüber entscheide, welche Standorte im Verfahren bleiben und welche nicht. „Das schafft Vertrauen, das schafft Verlässlichkeit.“
SPD: Gorleben als Standort nicht geeignet
Dr. Matthias Miersch (SPD), der ebenfalls in der Kommission saß, verteidigte seinen damaligen Vorschlag, die Endlagerkommission mit der Erarbeitung von Kriterien für die Endlagersuche zu schaffen. Es habe sich gelohnt, neben dem Parlament ein Sachverständigengremium einzurichten. Auch im Suchverfahren würden nun Institutionen etabliert, die nicht unumstritten seien, etwa das Nationale Begleitgremium.
Es sei aber richtig, dass der Bundestag weiter von einem Gremium begleitet werde, das die Macht habe, Alarm zu schlagen, wenn es im Suchverfahren unfair zugehe. Mit Blick auf Gorleben sagte der niedersächsische Abgeordnete, dass es genügend Erkenntnisse gebe, um zu belegen, dass der Standort nicht geeignet sei, auch wenn er „erst mal im Topf ist“.
Linke: Grundsätzliche Mängel nicht beseitigt
Grundlegende Kritik übte Hubertus Zdebel (Die Linke). Zwar handle es sich bei dem Entwurf um eine Verbesserung des bestehenden StandAG, grundsätzliche Mängel seien aber nicht beseitigt worden. Es sei auch nicht gelungen, Vertrauen zurückzugewinnen, sagte Zdebel mit Verweis auf die ablehnende Haltung von „nahezu allen“ Initiativen der Anti-Atombewegung. Aber nur mit ihnen und nicht gegen sie könne der Konsens beim Neustart der Endlagersuche gelingen. Zudem hätte ein klarer „Schlussstrich“ unter Gorleben gezogen werden müssen, sagte Zdebel.
Der Streit über den Standort werde stattdessen in das Verfahren verlagert. Auch der Rechtsschutz sei nicht ausreichend. Zdebel forderte Klagemöglichkeiten schon bei der Entscheidung über die obertägige Erkundung. Zudem sei die Frage der Zwischenlagerung nicht angegangen worden. Für Die Linke sei in Anbetracht der Probleme „sonnenklar“, dass die „Halbwertszeit“ der Novelle nicht sonderlich lange sein werde. Kritik übte der Linke-Abgeordnete, der auch der Endlagerkommission angehörte, auch an den Regelungen zum Exportverbot von Atommüll. Hierbei geht es vor allem um Castoren aus dem Forschungsreaktor Jülich.
Anträge der Linken abgelehnt
Abgelehnt wurde mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen ein Entschließungsantrag der Linken (18/11648), in dem die Bundesregierung unter anderem aufgefordert worden war, eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte zum Einstieg in die Atomenergienutzung und deren Ausbau in Deutschland einzurichten und eine Grundgesetzänderung vorzuschlagen, die ein Verbot der Atomenergienutzung vorsieht. Außerdem sollte sie angesichts wachsender Sicherheitsprobleme und zu erwartender deutlich längerer Zwischenlagerfristen ein Verfahren für eine möglichst sichere Zwischenlagerung hoch radioaktiver Abfälle einleiten und dabei die Öffentlichkeit umfassend beteiligen.
Einen Antrag der Linken für ein Exportverbot für hochradioaktive Abfälle (18/9791) unterstützten auch die Grünen. Mit Koalitionsmehrheit wurde er auf Empfehlung des Umweltausschusses dennoch abgelehnt (18/11647). Einen weiteren Antrag der Linken, Defizite des Entwurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms zu beheben und Konsequenzen aus dem „Atommülldesaster“ zu ziehen (18/5228), lehnten alle übrigen Fraktionen auf Empfehlung des Umweltausschusses (18/7275) ab. (scr/23.02.2017)