Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Arzneimittelversorgung (AMVSG) ist unter Gesundheitsexperten heftig umstritten. Dies wurde in einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) am Mittwoch, 14. Dezember 2016, deutlich. Mit der Novelle sollen einerseits die Preise für neue, hochwertige Arzneimittel effektiver gedeckelt werden. Andererseits werden die Ergebnisse des sogenannten Pharmadialogs umgesetzt mit dem Ziel, die Branche und den Standort zu stärken. Vertreter der Ärzteverbände und der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie Einzelsachverständige äußerten sich anlässlich einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses über die Novelle am Mittwoch auch in ihren schriftlichen Stellungnahmen kritisch über wichtige Details der geplanten Reform.
Die Anhörung wird am Mittwoch, 14. Dezember, ab 17.30 Uhr zeitversetzt im Parlamentsfernsehen, im Internet und auf mobilen Endgeräten übertragen.
Neue Wirkstoffe sollen schnell verfügbar sein
Mit dem Gesetzentwurf (18/10208) wird das Verfahren zur Nutzenbewertung und Preisbildung von Arzneimitteln in der GKV weiterentwickelt. Zugleich sollen neue Wirkstoffe möglichst schnell für Patienten verfügbar sein.
Bei neuen Medikamenten soll die freie Preisbildung im ersten Jahr nach Markteinführung künftig nur noch bis zu einem Schwellenwert in Höhe von 250 Millionen Euro gelten. Liegen die Umsätze darüber, werden Rabatte fällig. Die vereinbarten Erstattungsbeträge bleiben geheim. Damit soll nach Darstellung der Bundesregierung der Pharmastandort Deutschland gestärkt und Spielraum für die Preisvereinbarung geschaffen werden.
Preismoratorium wird bis Ende 2022 verlängert
Zugleich wird das seit 2010 geltende Preismoratorium für erstattungsfähige Arzneimittel bis Ende des Jahres 2022 verlängert. Erhöht ein Hersteller den Abgabepreis, steht den Kostenträgern ein Preisabschlag in derselben Höhe zu. Dies betrifft jene Medikamente, für die noch kein Festbetrag festgelegt worden ist. Allerdings wird ab 2018 eine Preisanpassung entsprechend der Inflationsrate neu eingeführt.
Künftig sollen außerdem die Besonderheiten von Kinderarzneimitteln bei der Nutzenbewertung stärker berücksichtigt werden. Für Antibiotika wird zudem die Resistenzsituation bei der Nutzenbewertung mit einbezogen. Im Fall von neuen Forschungsergebnissen wird die Wartefrist für eine erneute Bewertung des Zusatznutzens verkürzt. Ärzte sollen besser über die Ergebnisse der Nutzenbewertung informiert werden.
Rabattverträge sollen ermöglicht werden
Was Arzneimittel zur Krebsbehandlung (Zytostatika) angeht, entfällt dem Entwurf zufolge die Ausschreibungsmöglichkeit der Krankenkassen. Bislang können Kassen die Herstellung und Lieferung der kostspieligen Zytostatika mit Hilfe von Ausschreibungen an jene Apotheken mit dem günstigsten Preis vergeben. Zugleich sollen Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmafirmen ermöglicht und Verhandlungsmöglichkeiten über die sogenannte Hilfstaxe für Apotheker erweitert werden.
Um Lieferengpässe zu vermeiden, erhalten die zuständigen Bundesoberbehörden die Möglichkeit, von den Arzneimittelherstellern Informationen über die Absatzmenge und das Verschreibungsvolumen einzufordern.
Nein zur mitgestaltenden Rolle der Pharma-Unternehmen
Sehr kritisch zu dem Entwurf äußerten sich die Bundesärztekammer und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie die Krankenkassen. Die Mediziner lehnen an mehreren Stellen im Gesetzentwurf „eine mitgestaltende Rolle der pharmazeutischen Unternehmer“ ab. Dabei geht es etwa um die Nutzenbewertung der Medikamente.
Die Ärzte befürchten neben einem zu großen Einfluss der Pharmafirmen auch unzureichende Strategien zum Schutz der Antibiotika. Die Krankenkassen werteten auch die höhere Vergütung für Apotheker als falsches Signal. Laut GKV-Spitzenverband ist hier mit 115 Millionen Euro Mehrausgaben pro Jahr zu rechnen.
Die Ärzte rügten die geplante Geheimhaltung des Erstattungsbetrages. Dies stehe dem Transparenz- und Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV entgegen. Vor allem bei teuren Medikamenten gegen Krebs müssten die tatsächlichen Therapiekosten beurteilt werden können. Die Umsatzschwelle von 250 Millionen Euro greife in der Praxis kaum, da nur wenige Arzneimittel diese Grenze überschritten. Die höchsten Umsätze erzielten neue Medikamente auch erst im zweiten oder dritten Jahr nach der Markteinführung, das erste Jahr sei somit nicht repräsentativ.
Verzicht auf Veröffentlichung der Erstattungsbeiträge beklagt
Der Verzicht auf eine öffentliche Listung der Erstattungsbeträge stößt auch beim AOK-Bundesverband auf heftige Gegenwehr. Damit reagiere der Gesetzgeber auf die von den Pharmafirmen behaupteten Erlösprobleme, während das drängende Problem der ,,immer schneller steigenden Arzneimittelpreise„ nicht gelöst werde. Die Regelung werde nicht zu Einsparungen, sondern zu höheren Kosten führen.
Mit der Umsatzschwelle von 250 Millionen Euro sei angesichts der wenigen betroffenen Präparate die Erwartung einer Ersparnis in zweistelliger Millionenhöhe ungerechtfertigt. Ohne Ausschreibungsoption für Zytostatika verzichte die GKV zudem auf ein Einsparpotenzial von 600 bis 800 Millionen Euro, ohne dass die Versorgung der Krebspatienten verbessert werde.
Auch der GKV-Spitzenverband warnte mit Blick auf die Umsatzschwelle vor einem weiterhin ,,systematischen Fehlanreiz“ für viele Pharmafirmen, ,,die Preisfreiheit im ersten Jahr gewinnbringend auszunutzen„. Nur über eine rückwirkende Geltung des Erstattungsbetrages ab dem ersten Tag der Einführung könnten faire Arzneimittelpreise erreicht werden.
“Listenpreise in Deutschland besonders hoch„
Dr. Sabine Vogler, eine Sachverständige aus Österreich, empfahl in der Anhörung, bei der öffentlichen Listung der Erstattungsbeträge zu bleiben. Die Listenpreise für Medikamente seien in Deutschland besonders hoch, und viele europäische Länder nähmen Deutschland als Referenzmarkt. Es sei somit auch in anderen Ländern ein Preisanstieg zu befürchten, wenn die Erstattungsbeträge geheim blieben.
Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen sprach hingegen von ungerechtfertigten Sparmaßnahmen, die zu einer verschlechterten Versorgung führten und nannte hier die Einführung des Umsatzschwellenwertes und die Verlängerung des Preismoratoriums. Der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels wertete das Preismoratorium als ,,Eingriff in die unternehmerische Freiheit“, daran ändere auch der Inflationsausgleich ab 2018 nichts.
„Wirksamkeit von Antibiotika erhalten“
Der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) begrüßte alle Vorkehrungen, um die Wirksamkeit von Antibiotika zu erhalten und die Forschung zu fördern. So biete ein niedriger Festbetrag einen Anreiz für eine häufigere Verordnung, mit potenziell negativen Auswirkungen auf die Resistenzentwicklung. Zudem könne ein niedriger Festbetrag dazu führen, dass sich Pharmafirmen aus der Produktion zurückzögen.
Diese Entwicklung sei bei wichtigen Antibiotika schon in vollem Gang. Reserveantibiotika sollten daher generell von der Bildung von Festbetragsgruppen ausgeschlossen werden. Die Berücksichtigung der Resistenzsituation bei der frühen Nutzenbewertung sei auch ebenfalls dazu geeignet, Antibiotika wieder attraktiver zu machen. Davon sollten insbesondere neue Antibiotikaklassen profitieren.
„Verfehlte Strategie zur Kosteneindämmung“
Der Pharmakologe Prof. Dr. Ulrich Schwabe von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hielt der Bundesregierung eine verfehlte Strategie zur Kosteneindämmung vor. In dem Entwurf würden die wirklichen Ursachen für die stark steigenden Arzneimittelausgaben nicht berücksichtigt.
Schwabe rechnete in seiner Stellungnahme vor, dass die hohen Ausgaben im Widerspruch zu den Zielen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) stünden. Die bisherigen Einsparungen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. (pk/14.12.2016)
Liste der geladenen Sachverständigen
- ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
- AOK-Bundesverband (AOK-BV)
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF)
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
- Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ)
- Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland e. V. (BNHO)
- BKK Dachverband
- BPAV Bundesverband Patientenindividueller Arzneimittelverblisterer e. V.
- Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG SELBSTHILFE)
- Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH)
- Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI)
- Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e. V. (PHAGRO)
- Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) e.V.
- Bundesverband klinik- und heimversorgender Apotheker e.V. (BVKA)
- Bundesverband Medizintechnologie e. V. (BVMed)
- Deutsche Gesellschaft für onkologische Pharmazie e. V. (DGOP)
- Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG)
- Deutscher Hausärzteverband e. V.
- Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)
- GKV-Spitzenverband
- GWQ ServicePlus AG Gesellschaft für Wirtschaftlichkeit und Qualität bei Krankenkassen
- IKK e. V.
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
- NAV-Virchow-Bund Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e. V.
- Pro Generika e. V.
- VDGH - Verband der Diagnostica-Industrie e. V.
- Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek)
- Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV)
- Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker e. V. (VZA)
- Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa)
- Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv)
- Dr. Wolfgang-Axel Dryden
- N.N.
- N.N.
- N.N.
- N.N.
- Dr. Sabine Vogler
- Prof. Dr. Ulrich Schwabe