Parlament

Steinmeier: Es geht inzwischen wieder um die Demokratie selbst

Ein weißhaariger Mann im dunkelblauen Anzug steht am Rednerpult des Bundestages.

Frank-Walter Steinmeier nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten im Plenarsaal des Bundestages (© DBT/Schüring)

Der gewählte künftige Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier ist zuversichtlich, dass „unsere Demokratie trotz aller Herausforderungen stabil bleibt“. Im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ macht Steinmeier deutlich, dass es „inzwischen wieder um die Demokratie selbst“ geht. In vielen Ländern gebe es einen steigenden Bedarf an einfachen Antworten auf gesellschaftliche Fragen. Doch wenn die Probleme immer komplexer würden, dann könnten die Antworten nicht gleichzeitig immer einfacher werden. Er werde als Bundespräsident viel Zeit darauf verwenden, gerade jungen Menschen zu erklären, „warum wir die Politik und warum wir Menschen brauchen, die bereit sind, Verantwortung zu tragen“. Das Interview im Wortlaut:


Herr Steinmeier, in vier Wochen sind Sie das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland. Wie weit ist derzeit mental das Schloss Bellevue vom Auswärtigen Amt entfernt?

Ich bin froh, dass zwischen dem Abschied vom Auswärtigen Amt und der Aufnahme der neuen Verantwortung im Bellevue Zeit ist, um vom Alltag der Außenpolitik etwas Abstand zu gewinnen. Das gibt Gelegenheit, sich nicht nur mit den Aufgaben des Bundespräsidenten zu beschäftigen, sondern mir auch die Gelegenheit, mich mit den hohen, manchmal auch zu hohen Erwartungen auseinanderzusetzen, wie sie in vielen freundlichen Zuschriften geäußert werden.

Warum sind die zu hoch?

Wir spüren, dass Verunsicherungen an den deutschen Grenzen nicht Halt machen. Um uns herum sind Krisen, und aus anderen Regionen spüren wir die Fernwirkungen von Konflikten mindestens über die Migration, die uns erreicht. Daraus erwachsen steigende Erwartungen an die Politik, vielleicht besonders dann, wenn die Verantwortung im höchsten Staatsamt in andere Hände übergeht. Der Bundespräsident kann die Welt nicht verbessern, er kann sie erklären, einordnen und Mut machen. Mir ist völlig klar: Der Bundespräsident lebt von der Autorität seines Amtes, von der Glaubwürdigkeit seiner Person und von der Möglichkeit, zum richtigen Zeitpunkt zu den richtigen Themen das Wort zu ergreifen. Ich hoffe, das gelingt auch mir.

Bei Ihrer Rede in der Bundesversammlung haben Sie die Deutschen aufgerufen, sich den gegenwärtigen Herausforderungen, „guten Mutes“ zu stellen. Heißt „mutig sein“ auch „zuversichtlich sein“? Oder wollen Sie als mutiger Bundespräsident in die Geschichte eingehen?

Ich habe gesagt: Wer, wenn nicht wir, soll guten Mutes sein. Acht Jahre in der Außenpolitik haben mir die Möglichkeit zum Vergleich gegeben. Und diese Begegnungen in vielen Ländern haben mir gezeigt, dass über Deutschland mindestens mit Respekt, manchmal auch mit Bewunderung gesprochen wird. Vielen gilt Deutschland als Modell für politische Stabilität, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt. Ich weiß natürlich, dass das nicht die ganze Wahrheit ist; auch bei uns sind nicht alle Fragen gelöst, auch bei uns steht die Politik vor großen Herausforderungen. Aber ich weiß ebenso: Nirgendwo auf der Welt sind die Chancen für die Menschen und die Voraussetzungen für die Politik, diese offenen Fragen zu lösen, besser als in Deutschland.

Wo sehen Sie denn das größte Gefährdungspotenzial für unsere demokratische Gesellschaft?

Es geht inzwischen wieder um die Demokratie selbst. In vielen Ländern gibt es einen steigenden Bedarf an einfachen Antworten auf gesellschaftliche Fragen. Und leider auch politische Kräfte, die vorgeben, diese zu haben. Ich sage: Wenn die Probleme immer komplexer werden, dann können die Antworten nicht gleichzeitig immer einfacher werden. Ich werde in meiner zukünftigen Arbeit viel Zeit darauf verwenden, gerade jungen Menschen zu erklären, warum wir die Politik und warum wir Menschen brauchen, die bereit sind, Verantwortung zu tragen. Wenn die Wertschätzung für das gemeinsame demokratische Fundament gesichert ist, dann kann auf Grundlage dieses Fundaments herzhaft über Richtung und Optionen zukünftiger Politik gestritten werden.

Im vergangenen Jahr sind manche als unerschütterliche Wahrheiten geltende Fakten in sich zusammengebrochen. Beispiel Brexit, Beispiel US-Präsidentenwahl. Nochmal konkret: Müssen wir in Deutschland Sorge um die Demokratie haben?

Wir leben nicht auf einer Insel, und vor Gefährdungen, die wir anderswo sehen, sind wir nicht durchweg gefeit. Gleichwohl sind wir nach meiner Meinung sehr viel stabiler als viele andere Nationalstaaten, auch solche in der europäischen Nachbarschaft. Das ist nicht nur eine Folge einer klugen Verfassung, der Fähigkeiten des politischen Personals oder der Machtbalance im gelebten Föderalismus. Dass diese Demokratie eine stabile Macht ist, hat auch damit zu tun, dass Millionen Menschen außerhalb der politischen Institutionen Verantwortung übernehmen und sich ehrenamtlich um mehr kümmern als nur um sich selbst. Das festigt jeden Tag das Fundament unseres Gemeinwesens. Deshalb bin ich wirklich zuversichtlich, dass unsere Demokratie trotz aller Herausforderungen stabil bleibt.

Als „postfaktisch“ wird heute die Haltung beklagt, die sich nicht mehr an Realitäten orientiert. Schließt das auch ein, dass zwar um Errungenschaften wie Frieden, Freiheit und Wohlstand gefürchtet, nicht aber mehr das Fundament solcher Errungenschaften wie der europäische Einigungsprozess, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit geschätzt wird?

Man kann einer jüngeren Generation, die den Krieg und die Nachkriegszeit sowie die Periode vor der europäischen Einigung nicht erlebt hat, nicht vorwerfen, dass ihnen diese Erinnerung fehlt. Daher ist es Aufgabe der Politik, der jüngeren Generationen zu erklären, wie anders die Realitäten in Europa aussehen würden, wenn wir die Entwicklung der vergangenen 70 friedlichen Jahre nicht genommen hätten.

Der Bundespräsident wirkt durch die Kraft des Wortes. Die Gesellschaft tauscht sich heute indes über sogenannte soziale Netzwerke aus, deren Sprache oft „keine vernünftige Kommunikation“ mehr zulasse, wie Sie jüngst beklagten. Wie wollen Sie da Gehör finden?

Wir müssen die Gesellschaft wieder stärker zu sich selbst bringen. Die Gefahr bei der Kommunikation über soziale Netzwerke ist doch, dass die Menschen sich zunehmend in Echokammern aufhalten, in denen nur noch nach Bestätigung und Verstärkung der eigenen Meinung gesucht wird. Hinzu kommt, dass Anonymität zu Maßlosigkeit in der Sprache und des Vorwurfes führt. Dem müssen wir entgegenwirken. Das wird nicht einfach, denn wir brauchen neue und direkte Zugangswege gerade zur jüngeren, zunehmend digitaleren Generation, damit die den Blick vom Smartphone hebt und die wirkliche Welt wahrnimmt.

Wie könnte das konkret geschehen?

Ich werde nach Begegnungsformen insbesondere mit der Jugend und über soziale Grenzen hinweg suchen. Schulen und Universitäten sind dafür sicherlich geeignete Räume. Andere müssen wir uns erschließen.

Von Ihnen stammt das Bild, dass die Welt aus den Fugen geraten sei. Wie müsste der Kitt beschaffen sein, um diese Fugen zu schließen?

Der Mauerfall war ein Glücksfall für uns Deutsche. Er markiert das Ende des Kalten Krieges und das Ende der Block-Konfrontation. Es hat uns die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht und war Voraussetzung dafür, dass auch Europa wieder zusammenkam. Aber es war auch das Ende einer Ordnung, die durch die Zweiteilung der Welt gekennzeichnet war, in der sich der eine Teil nach Washington und der andere Teil nach Moskau orientierte. Diese Ordnung besteht nicht mehr - zu unserem Glück! Aber: Anstelle der alten Ordnung ist keine neue getreten. Wir befinden uns in einer Phase, in der die Welt auf der Suche nach Ordnung ist. Das ist kein friedlicher Seminarprozess, sondern ein Ringen um Dominanz, das durchaus gewaltsam stattfindet. Immer seltener übrigens sind das klassische Auseinandersetzungen zwischen Staaten, sondern häufig genug Konflikte zwischen staatlicher Gewalt und ethnischen oder religiösen Einflusskräften, exemplarisch zu betrachten im Mittleren Osten. Diese neue Ordnung wird nicht über Nacht entstehen. Wir müssen auch in anderen Regionen der Welt einüben, wozu wir in Europa Jahrzehnte oder Jahrhunderte gebraucht haben: Die Einsicht, dass trotz unterschiedlicher und widerstreitender Interessen das Zusammenleben von Ethnien und Religionen möglich gemacht werden muss.

Wie mutig kann, wie mutig sollte man Staatslenkern wie Trump oder Erdoğan entgegentreten?


Wir müssen da nichts neu erfinden. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich bewiesen, dass der offene, ehrliche und nicht von übertriebenem Selbstbewusstsein begleitete Umgang mit schwierigen Staaten der Welt der richtige ist.

Sie waren mehrere Legislaturperioden Abgeordneter des Deutschen Bundestages, waren Fraktionschef. Was wird der künftige Bundespräsident vermissen an der Arbeit als Parlamentarier?

Mir wird die lebendige Debatte nicht nur im Plenum, sondern vor allem auch in den Ausschüssen des Bundestages fehlen. Entgegen manchem Eindruck in der Öffentlichkeit verlaufen doch viele Debatten sehr viel sachlicher und nachdenklicher, als es gelegentlich den Anschein hat. Zuspitzung und Profilierung braucht die Politik. Demokratie lebt vom Streit um Inhalte und Lösungsoptionen. Manchmal täte es allerdings gut, wenn wir auch die Einigkeit über das demokratische Fundament ebenso deutlich zeigten.

(sto/jbi/17.02.2017)