Rechtsänderungen zur Verfolgung von Stalkern umstritten
Eine wirksamere strafrechtliche Handhabe gegen Stalker verspricht sich die Bundesregierung von einem Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen (18/9946), der am Donnerstag, 20. Oktober 2016, in erster Lesung beraten wurde. In der Debatte zeigten sich alle Fraktionen überzeugt, dass die geltende Gesetzeslage völlig unbefriedigend sei. Allerdings gingen die Meinungen auseinander, ob die im Regierungsentwurf vorgeschlagenen Gesetzesänderungen in jeder Hinsicht die richtigen sind.
Der 2007 neu ins Strafgesetzbuch eingeführte Stalking-Paragraf 238 sieht die Strafbarkeit dann gegeben, wenn für das Opfer die „Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt“ wird. Die Gerichte sehen eine solche Beeinträchtigung allenfalls als nachgewiesen, wenn das Opfer beispielsweise wegzieht oder seine Arbeit aufgibt. Dies führt dazu, dass nur ein bis zwei Prozent der Anzeigen zu einer Verurteilung führen, von den gar nicht erst zur Anzeige gebrachten Stalking-Fällen ganz abgesehen.
Bundesregierung will früheren Schutz
Der Parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Christian Lange (SPD), sagte dazu: „Entscheidend für die Strafbarkeit ist also nicht alleine das Handeln des Täters, sondern maßgeblich auch, wie das Opfer darauf reagiert.“ Wenn beispielsweise eine alleinerziehende Mutter unter dem Druck des Täters nicht nachgebe, sei dessen Verhalten nicht strafbar, wenn sie aber umziehe, schon. Dass es erst so weit kommen müsse, „können wir dem Opfer und seiner Familie nicht abverlangen“, betonte Lange
Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll es daher künftig für die Strafbarkeit ausreichen, wenn eine Nachstellung „geeignet ist“, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen. „Nicht das Opfer muss sein Verhalten ändern, sondern der Täter muss zur Rechenschaft gezogen werden“, so fasste Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) die Intention dieser Änderung zusammen, und noch prägnanter Dr. Fritz Felgentreu (SPD): „Die Tat soll bestraft werden und nicht ihre Wirkung.“
Linke: Der falsche Weg
Beide Oppositionsfraktionen begrüßten in ihren Redebeiträgen ausdrücklich die Intention des Gesetzentwurfs. Mehrere dort vorgeschlagene Änderungen unterstützten sie ausdrücklich. Die zentrale Neuerung aber bezeichneten sie als falschen Weg: das Stalking von einem „Erfolgsdelikt“ – es muss ein Schaden eingetreten sein – zu einem „Eignungsdelikt“ – es muss einen Schaden herbeiführen können – zu machen.
Ihre Fraktion betrachte dies „aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erwägungen heraus kritisch“ sagte Halina Wawzyniak (Die Linke). Nach dem Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts, nach dem dieses nur das letzte Mittel sein darf, müsse erst „eine tatsächliche Beeinträchtigung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit“ des Opfers vorliegen, um die Strafbarkeit zu begründen.
Wawzyniak schlug stattdessen vor, das Wort „schwerwiegend“ aus dem Gesetzestext zu streichen. Dann könne auch beispielsweise ein Attest einer Beratungsstelle, das eine starke Belastung des Opfers bestätigt, zu einer Bestrafung des Stalkers ausreichen.
Grüne: Entwurf bedenklich weit gefasst
Auch Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte die vorgeschlagenen Umwandlung des Tatbestands in ein Eignungsdelikt. Damit werde „der Anwendungsbereich des Stalking-Paragrafen bedenklich weit gefasst und die Strafbarkeit erheblich vorverlagert“. Dies werfe mehr Fragen auf, als es löse. Denn wie solle ohne eine Reaktion des Opfers festgestellt werden, welche Reaktion auszulösen die Tat geeignet gewesen sein könnte?
Keul schlug vor, im Gesetzestext ausdrücklich psychische Belastungen als ein Beispiel für schwerwiegende Belastungen aufzuführen, die zur Strafbarkeit führe. Dann könne man es beim Erfolgsdelikt belassen und dennoch auch Fälle verurteilen, in denen das Opfer nach außen seinen Lebenswandel nicht grundlegend geändert hat.
CDU/CSU: Recht zu unbehelligtem Leben
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) erinnerte daran, dass es bis 2007 überhaupt keine Strafbarkeit von Stalking gegeben habe. Wenn jede einzelne Handlung eines Stalkers für sich genommen als Belästigung zu werten gewesen sei, habe es keine Handhabung gegeben, auch wenn die Handlungen „in der Summe bedrohlich“ gewesen seinen. Wenn aber nun nach Einführung des Stalking-Paragrafen 20 000 Anzeigen wegen Stalking im Jahr nur zu 200 Verurteilungen führten, sei dessen Zweck nicht erfüllt.
„Es geht um das Recht, sich unbehelligt, unbehindert, unbefangen, frei, ohne Rechtfertigungsdruck und ohne aufgezwungenen Kontakt bewegen zu können, leben zu können, entscheiden zu können“, fasste Winkelmeier-Becker den Zweck der vorgeschlagenen Gesetzesänderung zusammen. Auch gehe es darum, Stalkern, die oft kein Unrechtsbewusstsein hätten, klarzumachen, dass sie sich übergriffig verhalten.
SPD: Opfer schützen und Gesellschaft sensibilisieren
Der SPD-Abgeordnete Dirk Wiese führte als Beleg für die unzureichende Gesetzeslage an, dass Stalking-Beratungsstellen von immer mehr Fällen berichteten, mit denen sie konfrontiert seien. Gleichzeitig gehe aber die Zahl der Anzeigen zurück, weil sich die Opfer davon offensichtlich nichts versprächen. Dies sei ein „Weckruf, der deutlicher kaum sein kann“.
Mit der Umwandlung von einem Erfolgs- und ein Eignungsdelikt würden die Opfer besser geschützt und die Gesellschaft für das Problem sensibilisiert, lobte Wiese. Unabhängig von dieser Unterstützung für den grundlegenden Ansatz des Gesetzentwurfs zeigte sich Wiese offen für Änderungen in den jetzt anlaufenden parlamentarischen Beratungen. Das Plenum wies dafür dem Rechtsausschuss die Federführung zu. (pst/20.10.2016)