Pahlmann: Viele brauchen nur einen kleinen Schubs
Die stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) wirbt kurz vor dem Tag des Ehrenamtes am Sonnabend, 5. Dezember 2015, für mehr freiwilliges Engagement. „Das Ehrenamt bereichert die Gesellschaft, aber auch diejenigen, die es ausüben“, sagt Pahlmann im Interview. Die Unionsabgeordnete begrüßt die Schaffung von Freiwilligenagenturen durch die Kommunen. „Viele von denen, die damit liebäugeln, sich zu engagieren, brauchen eigentlich nur einen kleinen Schubs, damit sie es auch wirklich tun.“ Das hohe Maß des freiwilligen Engagements im Rahmen der Flüchtlingshilfe sieht die 58-Jährige als Beleg dafür, „dass der Staat funktioniert“. In der Vergangenheit sei vieles richtig gemacht worden, „sonst wäre dieses Engagement in der Bevölkerung nicht möglich“, sagt sie und räumt gleichzeitig ein, „dass so ein Engagement irgendwo endlich ist“. Benötigt würden daher Maßnahmen, um zu einer Verlangsamung des Flüchtlingszuzugs zu kommen. Das Interview im Wortlaut:
Frau Pahlmann, am 5. Dezember ist der Tag des Ehrenamtes. Sind Sie eigentlich neben ihrer Abgeordnetentätigkeit noch ehrenamtlich aktiv?
Zugegebenermaßen weniger als zuvor. Ich war über 30 Jahre in der Landfrauenvorstandsarbeit tätig, in der ländlichen Erwachsenenbildung und war Prüferin bei den Meisterinnen der Hauswirtschaft. Das habe ich mit Eintritt in den Bundestag aufgegeben. Nach wie vor bin ich aber ehrenamtliche Stadträtin in Gifhorn und fungiere auch als Laienrichterin am Landwirtschaftsgericht. Da wird über alle möglichen Fragen der Landwirtschaft entschieden. Etwa bei Problemen mit der Hofübergabe, bei Pachtstreitigkeiten oder auch bei Landverkäufen.
Was antworten Sie den Menschen auf die Frage, warum sie sich freiwillig engagieren sollten?
Das Ehrenamt bereichert. Sowohl die Gesellschaft, aber auch den, der es ausübt. Das Ehrenamt öffnet Horizonte. Es schafft neue Sichtweisen, man erhält Einblicke in Bereiche, die man sonst nie erhalten hätte. Außerdem lernt man viele Menschen kennen. Ich finde, man bekommt durch ehrenamtliche Tätigkeit sehr viel zurück. Daher ist es auch so, dass diejenigen, die von dem Virus Ehrenamt erwischt wurden, in der Regel dabei bleiben. Es ist schließlich eine Bereicherung für die eigene Persönlichkeit.
In Deutschland sind laut dem Freiwilligensurvey 2009 36 Prozent der Menschen – ebenso viele wie bei der letzten Erhebung 2004 – freiwillig engagiert. Gestiegen ist hingegen die Zahl derjenigen, die grundsätzlich zu einem Engagement bereit sind. Was muss getan werden, um diese wachsende Gruppe zu tatsächlich Engagierten zu machen?
Viele von denen, die damit liebäugeln, sich zu engagieren, brauchen eigentlich nur einen kleinen Schubs, damit sie es auch wirklich tun. Deshalb finde ich es unheimlich gut, dass viele Kommunen Freiwilligenagenturen eingerichtet haben. Dort kann man sagen: Ich habe Lust und bin bereit, etwas zu tun. Welche Möglichkeiten gibt es, wo ist Bedarf? Man kann sich aber auch immer besser online informieren, weil viele Verbände und Vereine inzwischen im Netz präsent sind. Wichtig ist auch das Engagement der Wirtschaft, die etwa mit einem Tag des Ehrenamts einen solchen Schubs geben kann.
Die angesprochene Datenerhebung macht auch deutlich, dass das Ehrenamt im Wandel begriffen ist. Die Zeiten, in denen die meisten Freiwilligen sich ein Leben lang für einen Verein oder eine Organisation engagiert haben, scheinen vorbei zu sein…
So etwas wird es sicherlich auch weiterhin geben. Aber es stimmt schon: Viele wollen sich kurzfristiger, projektbezogener engagieren. Die Vereine und die Verbände müssen sich auf solche Entwicklungen einstellen.
Der Survey zeigt – entgegen dem allgemeinen Trend - einen Rückgang der Engagementquote bei Jugendlichen auf. Gehen uns in Zukunft die freiwillig Engagierten aus?
Kinder und Jugendliche einzubinden wird schwieriger, je mehr das Konzept Ganztagsschule umgesetzt wird. Es fehlt dann schlicht die Zeit am Nachmittag für ein solches Engagement neben der Schule. Deshalb ist es wichtig, dass Vereine und Verbände auch an die Schulen gehen, um die jungen Leute da frühzeitig abzuholen. Denn wenn der Samen einmal gesetzt ist, wächst er auch für die Zukunft weiter.
Durch die Flüchtlingsproblematik ist das freiwillige Engagement in aller Munde. Einerseits sicherlich gut, weil so gezeigt wird, dass jeder Einzelne etwas für das Gemeinwohl tun kann. Hat nicht aber auf der anderen Seite der Staat versagt, wenn ein Problem nur noch deshalb noch beherrschbar ist, weil Menschen bereit sind, sich freiwillig zu engagieren?
Ich finde, es sagt eine Menge über die Güte, den Zustand und die Struktur einer Gesellschaft aus, wenn es möglich ist, das in besonderen Situationen auch ohne staatlichen Anschub die Zivilgesellschaft so agiert, wie es derzeit der Fall ist. Das ist ein deutliches Zeichen, dass der Staat funktioniert. Es wurde offenbar in der Vergangenheit vieles richtig gemacht, sonst wäre so ein Engagement in der Bevölkerung nicht möglich.
Dennoch haben nicht zuletzt vor dem Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement Vertreter verschiedener Ehrenamtsorganisationen deutlich gemacht, dass sie so langsam am Ende ihrer Kräfte sind…
Mir ist bewusst, dass so ein Engagement irgendwo endlich ist. Man kann nicht über viele Monate darauf bauen, dass die Bereitschaft so anhält, wie sie am Anfang war. Durch das Engagement der Zivilgesellschaft wurde aber auch dem Hauptamt Zeit gegeben, eine Struktur aufzubauen. Dennoch kommen Hauptamt und Ehrenamt an Grenzen. Und da muss der Staat auch mal gegenhalten. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um zu einer Verlangsamung des Flüchtlingszuzugs zu kommen. Daran wird ja auch schon gearbeitet.
Sollten mehr Haushaltsmittel in die Unterstützung der Ehrenamtsstrukturen fließen?
Mehr Geld ist nicht in allen Fällen die Lösung. Aber mit mehr Geld können die Verbände auch mehr Hauptamtliche einstellen und können Qualifizierungsangebote für Ehrenamtliche machen, wovon die schlussendlich auch etwas haben. Wir haben ja schon finanzielle Mittel freigemacht. Denken Sie nur an die 10.000 zusätzlichen Stellen beim Bundesfreiwilligendienst, die in Bezug auf die Flüchtlinge geschaffen wurden. Das ist gut angelegtes Geld finde ich.
Führt denn die derzeitige Situation dazu, dass schon hier lebende Migranten, die ja in den Vereinen und Verbänden immer noch unterrepräsentiert sind, sich stärker freiwillig engagieren?
Migranten haben sich schon in der Vergangenheit engagiert. Aber zumeist in ihren eigenen Kreisen und kaum in den klassischen deutschen Ehrenamtsstrukturen. Hier müssen wir vielleicht auch Erklärungshilfen geben. Ich habe beispielsweise mit Migranten gesprochen, denen gar nicht bewusst war, dass die Arbeit der Feuerwehr in vielen Gegenden Deutschlands ehrenamtlich ausgeübt wird. Wenn das mal geklärt ist, erhalten sie möglicherweise einen Zugang. Was die Flüchtlingskrise angeht, so gibt es sehr viele Migranten, die sich als Dolmetscher oder auch als Begleiter der Flüchtlinge bei Gängen zu Ärzten oder Behörden anbieten. Da ist eine ziemliche Welle in Gang gekommen.
(hau/01.12.2015)