Netzneutralität und die Rolle von Spezialdiensten
Ob die Zulassung bestimmter Spezialdienste im Internet das Best-Effort-Prinzip – den diskriminierungsfreien Umgang mit allen Datenpaketen - und somit die Netzneutralität gefährden, ist unter Experten umstritten. Das wurde während eines öffentlichen Fachgespräches im Ausschuss Digitale Agenda unter Vorsitz von Jens Koeppen (CDU/CSU) am Montag, 2. Juni 2014, deutlich. Es gebe in Deutschland kein Problem mit der Netzneutralität, sagte Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer der Bitkom, des IT-Branchenverbandes. Es gehe nicht um ein „entweder oder“ sondern um ein „sowohl als auch“ von Best-effort-Internet und Spezialdiensten mit standardisierter Qualität (Quality of Services).
Auch Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Kommunikationsrechtler an der Universität Rostock, wandte sich gegen eine „Regulierung ins Blaue“. Man wisse heute noch nicht, ob die Vermarktung von Spezialdiensten zu einem „Austrocknen des Best-effort-Internets“ führen würde.
Wettbewerbsnachteile und Markteintrittsbarrieren
Thomas Lohninger vom Verein Digitale Gesellschaft erkannte hingegen sehr wohl einen Regulierungsbedarf. Die unregulierte Einführung von Spezialdiensten könne zu empfindlichen Wettbewerbsnachteilen und Markteintrittsbarrieren für nichtkommerzielle Dienste und Start-up-Unternehmen, sagte er.
Dr. Christoph Fiedler vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) warnte vor einem Szenario, in dem nur jene Produkte wie etwa Videos „ruckelfrei“ übertragen werden, für die an die Provider extra gezahlt werde. Der Trend zur „vertikalen Integration von Inhalten und Infrastruktur“ sei der Alptraum für Medienbetreiber, betonte er.
„Der Kunde möchte ein schnelles Internet“
Klaus Landefeld vom Verband der Deutschen Internetwirtschaft (eco) machte deutlich, dass Spezialdienste heute noch keine große Rolle spielen würden. „Der Kunde möchte ein schnelles Internet nach dem Best-effort-Prinzip“, sagte er.
Um Spezialdienste verkaufen zu können, so Landefeld, bestehe der Anreiz, „andere Kanäle schlechter zu machen“. Mit diesem Problem müsse sich die Politik befassen. Stattdessen werde derzeit vor allem darüber gesprochen, wie der Breitbandausbau finanziert werden kann und wie die Netzbetreiber „genug Entgelte damit kassieren können“.
„Kein Ein-Klassen-Internet“
100 Milliarden Euro seien die Unternehmen der Internetwirtschaft bereit, in den Netzausbau zu investieren, sagte Bitkom-Chef Rohleder. Wenn dies gelinge, müsse eher darüber diskutiert werden, wie die dann vorhandenen Breitbandangebote überhaupt genutzt werden.
Zurzeit, so Rohleder, gebe es keineswegs ein „Ein-Klassen-Internet“. Wer finanzstark sei kaufe sich als Anbieter schon jetzt eine Standleitung, die ihm garantierte Leistungen im Up- und im Download sichere. „Wir müssen flächendeckende Qualitätsnetze für kleines Geld verfügbar machen“, forderte er.
„Geltendes Recht reicht aus“
Anders als Thomas Lohninger vom Verein Digitale Gesellschaft wies der Kommunikationsrechtler Gersdorf den Spezialdiensten eine große Bedeutung für die Wettbewerbsgleichheit zu. Für den publizistischen Wettbewerb etwa sei es wichtig, dass auch nichtlineare Anbieter Spezialdienste anbieten könnten. Einen weitergehenden Regulierungsbedarf erkannte Gerdorf nicht. Das geltende Wettbewerbs- und Kartellrecht sei derzeit ausreichend, befand er.
Lohninger bewertete dies anders. Die Nichtregulierung habe schon jetzt für eine Aushöhlung der Netzneutralität gesorgt, sagte er. Auch sei das Kartellrecht nicht geeignet, kleine Start-up-Unternehmen vor Benachteiligungen beim Marktzutritt zu schützen. (hau/02.06.2014)
Liste der Sachverständigen
- Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, Universität Rostock
- Dr. Christoph Fiedler, Bereich Europa- und Medienpolitik des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger
- Klaus Landefeld, Verband der Deutschen Internetwirtschaft
- Thomas Lohninger, Verein Digitale Gesellschaft
- Dr. Bernhard Rohleder, Bitkom