Vor 35 Jahren: Bundestag verabschiedet das Kontaktsperregesetz
Nach nur zehn Tagen Erarbeitung, Beratung und Debatte verabschiedete der Deutsche Bundestag am 29. September 1977 inmitten einer tiefen innenpolitischen Krise das Kontaktsperregesetz. Mit 371 Ja-Stimmen gegen vier Nein-Stimmen bei 17 Enthaltungen beschlossen die Parlamentarier mit breiter Mehrheit das „Blitzgesetz“, das bereits am 2. Oktober 1977 in Kraft trat und die bei den RAF-Häftlingen in der Justizvollzugsanstalt Stammheim seit dem 6. September angewandte Kontaktsperre nachträglich legalisierte.
Bereits Anfang der siebziger Jahre hatte die Rote Armee Fraktion (RAF) nach einer ersten gewalttätigen Befreiung Andreas Baaders den „bewaffneten Widerstand“ ausgerufen. Mit der Verschleppung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer am 5. September und der Entführung des Flugzeugs „Landshut“ am 13. Oktober 1977 erreichte der Terror seinen Höhepunkt.
Bewährungsprobe für den Rechtsstaat
Politik und Sicherheitsbehörden arbeiteten unter Hochdruck, denn es ging nicht nur darum, die Gefangenen der Terroristen zu befreien und die Täter vor Gericht zu stellen, sondern auch darum, die Fähigkeit des Staates zu beweisen, seine Bürger gegen Gefahren zu schützen – eine „Bewährungsprobe“ für die junge deutsche Demokratie.
„Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, der muss innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was im Rechtsstaat erlaubt ist“, hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) schon nach dem RAF-Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm 1975 gesagt. Einen Tag nach der Entführung Schleyers, am 6. September 1977, beschloss dann der von Helmut Schmidt eingerichtete „Große Krisenstab“ eine Kontaktsperre für alle Häftlinge der RAF.
Ein folgenreicher Schritt: Ab sofort durften diese weder untereinander noch mit ihren Anwälten kommunizieren. Die Häftlinge sollten isoliert werden, um einen Kontakt der in der Justizvollzugsanstalt Stammheim einsitzenden Hauptstraftäter der RAF mit den Entführern Schleyers zu unterbinden. Gleichzeitig wurde eine Nachrichtensperre für die Medien erlassen.
Was Bundeskanzler Schmidt am 15. September 1977 als eine „unabweisbare Notwendigkeit“ bezeichnen sollte, war für viele Rechtsanwälte und Menschenrechtler jedoch ein „Sündenfall des Rechtsstaats“ und der Höhepunkt einer Reihe neuer Gesetze und Gesetzesnovellierungen wie die Aufnahme des „Terrorismusparagrafen“ 129a in das Strafgesetzbuch, mit denen der Staat die RAF bekämpfte und dabei nach ihrer Ansicht rechtsstaatliche Prinzipien missachtete.
Das damals schnellste Gesetz Deutschlands
Für die verhängte Kontaktsperre konnte sich der damalige Bundesjustizminister Dr. Hans-Jochen Vogel (SPD) zwar auf den in Paragraf 34 des Strafgesetzbuches niedergelegten Rechtsgedanken des „rechtfertigenden Notstandes“ berufen. Doch eine gesetzliche Grundlage für das Vorgehen gab es bis dato nicht.
Um einer möglichen Klärung durch das Bundesverfassungsgericht zuvorzukommen, musste die Bundesregierung möglichst schnell ein Gesetz vorlegen, das die Kontaktsperre nachträglich rechtlich legitimierte, zumal eine Reihe von Landesjustizministern und Richtern die Anordnungen der Länderjustizbehörden unter Berufung auf deren Rechtswidrigkeit abgelehnt hatten.
Innerhalb von acht Tagen wurde ein Gesetzentwurf erarbeitet: Am 28. September 1977 beriet der Rechtsausschuss die Vorlage, schon einen Tag später sollte das Parlament entscheiden. So schnell war vorher noch kein Gesetz in der Bundesrepublik zustande gekommen. Möglich war dies nur, weil Regierung und Opposition das Gesetz „zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz“ als interfraktionellen Entwurf in den Bundestag eingebracht hatten.
Hitziges Wortgefecht vor der Abstimmung
Ungeachtet der gemeinsamen Vorlage geriet die zweite Lesung am 29. September 1977 über das geplante Kontaktsperregesetz zu einer heftigen Kontroverse: Gerade in der SPD, aber auch in der FDP, regte sich Widerstand gegen den Inhalt. Gegenstand der Kritik war auch das rasche Zustandekommen dieses „Blitzgesetzes“.
„Wir beraten heute ein Gesetz, das gestern in den Bundestag eingebracht wurde und dessen endgültiger Wortlaut den Abgeordneten sogar erst heute vorgelegt wurde“, kritisierte der damalige SPD-Abgeordnete Manfred Coppik. Gerade bei einem Gesetz, das „Grundlagen des Verhältnisses von rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien und Notwendigkeiten der Terrorismusbekämpfung“ berühre, müssten alle Gesichtspunkte „sorgfältig“ abgewogen werden, mahnte er.
„Aufgabe rechtsstaatlicher Prinzipien“
Coppik kündigte an, das Gesetz abzulehnen: „Die Aufgabe rechtsstaatlicher Grundprinzipien rettet kein Menschenleben, schafft aber Lebensverhältnisse, in denen die friedliche demokratische Entwicklung in einem Rechtsstaat gefährdet wird und damit weitere Menschenleben in Gefahr geraten.“
Auch eine Gruppe von FDP-Abgeordneten um Martin Bangemann kritisierte, das geplante Gesetz sei eine „erhebliche Einschränkung der Möglichkeit der Verteidigung“. Das Recht auf eine freie Verteidigung gehöre aber „zu den Grundpfeilern unseres Rechtsstaates“. Der Liberale plädierte in einem Änderungsantrag dafür, den Kontakt zwischen Mandant und Verteidiger nicht grundsätzlich zu unterbinden, sondern die bisherigen Anwälte gegen Ersatzverteidiger auszutauschen.
„Selbsterhaltung und Notwehr“
Ein Vorschlag, den die Union sofort zurückwies: „Mit diesem Änderungsantrag wäre das Gesetz in seiner Wirksamkeit total erledigt“, meinte Heinz Eyrich (CDU/CSU). Für die CDU/CSU-Opposition hatte bereits der Abgeordnete Klaus Hartmann betont, seine Fraktion werde einstimmig für das Kontaktsperregesetz stimmen: In der akuten Lebensgefahr für Hanns Martin Schleyer sei es notwendig, den Kontakt der Terroristen zur Außenwelt zeitweise zu unterbrechen.
Hartmann verteidigte das neue Gesetz mit den Worten: „Nur wenn unser Staat seinen Feinden entschlossen gegenübertritt, kann er die Freiräume der rechtstreuen Bürger auf Dauer bewahren. Selbsterhaltung und Notwehr sind kein Rückfall in den Polizeistaat.“
Kontaktsperregesetz – einmal und nie wieder angewendet
Bereits am 2. Oktober trat das Kontaktsperregesetz in Kraft und legalisierte die bei den RAF-Häftlingen in Stammheim seit dem 6. September angewandte Kontaktsperre nachträglich.
Die Lebensgefahr für Hanns Martin Schleyer konnte dadurch jedoch nicht abgewendet werden: Nachdem die Befreiung der gekaperten Lufthansa-Maschine „Landshut“ durch Einsatz der GSG 9 am 18. Oktober in Mogadischu (Somalia) gelungen war, begingen die inhaftierten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stammheim Selbstmord. Hanns Martin Schleyer, der entführt worden war, um sie freizupressen, wurde am selben Tag noch von der RAF ermordet. Das Kontaktsperregesetz ist seitdem nie wieder angewandt worden. (sas/eis/22.09.2012)