Erinnern ist Arbeit für Gegenwart und Zukunft
Erinnern und die Erinnerung weitertragen – das war eine der zentralen Botschaften der Enthüllung eines Denkmals in Hoek van Holland, an der Bundestagsvizepräsi- dentin Petra Pau (Die Linke) am Mittwoch, 30. November 2011, teilnahm. Die Skulptur des Künstlers Frank Meisler erinnert an die Kindertransporte nach England, die zwischen November 1938 und September 1939 10.000 jüdischen Kindern das Leben retteten. 1,6 Millionen wurden im Holocaust ermordet.
„Für Gegenwart und Zukunft“
„Wir müssen uns klar machen, dass ein Mahnmal nicht zum Selbstzweck errichtet wird“, sagte Pau. Es sei ein Ort der Erinnerung, der Trauer und des Engagements. „Erinnern heißt, für Gegenwart und Zukunft zu arbeiten und für Demokratie und Toleranz einzustehen“, betonte sie.
Die Bronzeskulptur ist eines von vier Mahnmalen, mit denen Frank Meisler der Kindertransporte gedenkt. Das erste wurde 2006 am Bahnhof Liverpool Street in London – dem Ort, an dem die jüdischen Kinder ankamen – errichtet. 2008 und 2009 folgten je eines in Berlin und Danzig, also an den Orten, von denen aus die Kinder ihre Heimat verließen.
Das Mahnmal in Hoek van Holland, heute ein Stadtteil von Rotterdam, bildet den Abschluss: Hier legen noch heute die Schiffe Richtung Großbritannien ab. „Channel crossing to life“, heißt das Denkmal. Es zeigt sechs Kinder. Sie warten. Neben ihnen Gepäck, Koffer, ein Geigenkasten. Ein Junge sitzt abseits, den Arm auf seinen Koffer gestützt. Vor ihm erstreckt sich der Hafen von Rotterdam.
„Mit Worten nicht zu beschreiben“
Frank Meisler, 1929 in Danzig geboren, war selbst eines der Kinder, die nach England gebracht wurden. Als Zehnjähriger kam er mit einem der letzten Transporte in London an. Seine Eltern, die ihm die Flucht ermöglicht hatten, sah Meisler nie wieder. In seiner Rede vor der Enthüllung, erinnerte er daran, wie drastisch der Einschnitt war, den der Transport in ein fremdes Land in dem Leben der Kinder bedeutete. „Aber die fremde Welt wurde unsere Welt.“
Es sei eine Geschichte, die sich mit Worten nicht beschreiben lasse, sagte der Bürgermeister von Rotterdam, Ahmed Aboutaleb. Er betonte, wie wichtig es sei, die Erinnerung am Leben zu halten.
„Eine bleibende Aufgabe“
Etwa 40 der ehemaligen Kinder waren zur Enthüllung gekommen. Für sie war es ein emotionaler Moment, viele hatten Tränen in den Augen. Schüler dreier Grundschulen überreichten ihnen weiße Rosen. Sie hatten auch das Tuch bemalt, mit dem die Skulptur verhüllt war. Zu sehen waren die Dinge, die sie mit auf eine solche Reise nehmen würden: Handy, Teddy, Chips, ein zusammenklappbarer Stuhl.
Zusammen mit einer Tochter des Künstlers und dem Bürgermeister von Rotterdam enthüllte Petra Pau das Mahnmal. Bereits in Berlin und Danzig hatte sie an der Enthüllung teilgenommen. „Für das deutsche Parlament ist es eine bleibende Aufgabe dafür zu sorgen, dass erinnert wird. Gleichzeitig müssen wir im In- und Ausland deutlich machen, dass wir zu der Verantwortung aus der deutschen Geschichte stehen“, sagte sie.
Besuch des Anne-Frank-Hauses
Die Enthüllung des Mahnmals war der Abschluss einer zweitägigen Reise der Bundestagsvizepräsidentin in die Niederlande. Auf dem Programm standen unter anderem auch der Besuch der Portugiesischen Synagoge in Amsterdam und der Essalaam Moschee in Rotterdam, außerdem die Hollandsche Schouwburg, wo sich Juden vor ihrer Deportation melden mussten, und das Jüdisch Historische Museum.
Am Vormittag vor der Enthüllung war Pau im Anne-Frank-Haus – dem Versteck eines jüdischen Mädchens, das den Krieg nicht überlebte. „Gedenken ist wichtig. Erinnern ist wichtiger. Entscheidend aber ist Einmischen“, schrieb sie dort in das Gästebuch. (tyh)