„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“
Von einer „existenziellen Bewährungsprobe für Europa“ hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) am Mittwoch, 19. Mai 2010, im Bundestag gesprochen. In ihrer Regierungserklärung zu Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro sagte Merkel: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Die geplanten Maßnahmen bezeichnete sie als „alternativlos“. Um die Stabilität des Euro zu gewährleisten, solle ein Schutzschirm für notleidende Euro-Länder im Umfang von bis zu 750 Milliarden Euro gespannt werden. Davon kommen 60 Milliarden Euro von der Europäischen Union, 440 Milliarden Euro von den Euro-Staaten und rund die Hälfte dieses Anteils kommen noch einmal vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Der Haushaltsausschuss hat am gleichen Tag dazu eine Beschlussempfehlung vorgelegt (17/1740).
Schutzschirm von bis zu 123 Milliarden Euro
Deutschland solle sich an diesem Schutzschirm von bis zu 123 Milliarden Euro beteiligen. Bei „unvorhergesehenem und unabweisbaren Bedarf“ solle der Betrag - mit Einwilligung des Haushaltsausschusses - um 20 Prozent überschritten werden können, wie es in dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf zur „Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus“ (17/1685) heißt.
Während die Opposition in der anschließenden Aussprache der Bundesregierung „Zögerlichkeit und Taktieren“ vorwarf, verwiesen Redner der Regierungsfraktionen unter anderem auf die unter rot-grüner Regierungsverantwortung „ausgehöhlten und verschlechterten Stabilitäts- und Wachstumspaktes der EU“.
„Größte Bewährungsprobe seit 1957“
Als vor knapp zwei Wochen der Bundestag die Stabilisierungsmaßnahmen für Griechenland beschlossen habe, so Merkel, habe man das „Geld der Bürger“ schützen wollen. Heute gehe es um eine Entscheidung, die für die Zukunft Deutschlands und Europas „noch bedeutender“ sei. „Die gegenwärtige Krise des Euros ist die größte Bewährungsprobe, die Europa seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge im Jahre 1957 zu bestehen hat.“
Es gehe aber nicht nur um die Bewältigung der aktuellen Krise, sondern auch um eine „Vorsorge für die Zukunft“. Ihrer Ansicht nach brauche es dazu eine neue Stabilitätskultur, eine globale Regulierung der Finanzmärkte sowie eine „schonungslose Aufdeckung der eigenen Schwächen der EU“.
„Es drohte der Weg zu einer Transferunion“
Bei den Beratungen über das Rettungspaket habe es Vorschläge gegeben, die die Bundesregierung nicht bereit gewesen sei mitzutragen, sagte Merkel: „Es drohte der Weg zu einer Transferunion.“ Da dabei aber die Anreize für eine Haushaltskonsolidierung zu gering gewesen wären, galt es dies zu verhindern, auch um den Preis als „zögerlich oder langsam gescholten zu werden“, sagte die Kanzlerin.
Merkel sagte weiterhin zu, sich „europäisch und international für eine Besteuerung der Finanzmärkte einzusetzen“. Das sei auch eine Frage der Gerechtigkeit.
„Kanzlerin musste zum Jagen getragen werden“
Als die Opposition vor zwei Wochen eine Finanzmarkttransaktionssteuer gefordert habe, sei ihnen von den Regierungsfraktionen „Naivität und Unverstand“ vorgeworfen worden, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Frank Walter Steinmeier. „Heute tun Sie so, als seien unsere Forderungen das Selbstverständlichste der Welt.“ Das ziehe ihm gelegentlich „die Schuhe aus“, sagte Steinmeier.
Die Bundesregierung habe weder eine Linie noch eine Richtung und auch kein Mut, befand er. Es bleibe der Eindruck, dass auch die Kanzlerin „zum Jagen getragen werden musste“. Gleichzeitig habe „das Taktieren mit dem Wahltermin in Nordrhein-Westfalen uns in die Krise noch weiter reingezogen“, sagte der SPD-Abgeordnete.
„Das ist der Lebensnerv des Euro“
Er kritisierte auch, dass Merkel öffentlich gesagt habe: „Wir haben in Deutschland über unsere Verhältnisse gelegt.“ Dieser Satz sei zynisch. „Diejenigen, die wirklich über ihre Verhältnisse gelegt haben, wissen nicht einmal wie die Verhältnisse für die Mehrzahl der Menschen in Deutschland sind“, sagte Steinmeier.
„Die Lage ist ernst“, sagte auch die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger. In den letzten Wochen habe sich die Lage „weiterentwickelt und verschärft“. Es gehe um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die gemeinsame Währung. „Das ist der Lebensnerv des Euro“, sagte sie. Gegen dieses Vertrauen dürfe auch nicht spekuliert werden, sagte Homburger: „Dafür werden wir sorgen.“
Homburger: SPD trägt Verantwortung
Die Eurokrise dürfe nicht zu einer Vertrauenskrise in das politische und gesellschaftliche System Europas werden, forderte sie. An die SPD gewandt erinnerte sie, dass es deren Finanzminister Hans Eichel gewesen sei, der 2004 in Zeiten der rot-grünen Bundesregierung die Zulassung von Hedgefonds in Deutschland möglich gemacht habe.
„Sie tragen Mitverantwortung“, sagte Homburger. Das werde auch deutlich angesichts der Tatsache, dass „nicht der Bäcker oder der Polizist, sondern elf Jahre lang SPD-Finanzminister über ihre Verhältnisse gelebt haben“. Ebenso sei unter SPD-Verantwortung das Stabilitäts- und Wachstumspaktes der EU „ausgehöhlt und verschlechtert worden“.
Lötzsch: Regierung nicht regierungsfähig
Als „nicht regierungsfähig“ bezeichnete Dr. Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, die Bundesregierung. Deren „Zerissenheit“ mache es den Spekulanten leicht, sie „vor sich her zu treiben“. Zudem mache die Bundesregierung nun den Fehler, statt mit Konjunkturprogrammen die Wirtschaft anzutreiben, mit Kürzungsprogrammen die Binnennachfrage zu schwächen und die Konjunktur zu drosseln.
„Wir brauchen europäischen Konjunkturprogramme statt drakonischer Kürzungsmaßnahmen“, sagte Lötzsch. Sie kritisierte auch den Vorschlag des hessischen Ministerpräsidenten Koch, bei den Bildungsausgaben zu sparen. Dies sei ein „Frontalangriff auf die Generation, die die hohe Beamtenrente von Koch erarbeiten soll“ und zudem „ökonomischer Unsinn“. Stattdessen brauche es eine Finanzmarkttransaktionssteuer, die Deutschland jährlich zwölf Milliarden Euro bringen würde. „Das ist mehr, als wir derzeit für Bildung ausgeben.“
„Spekulanten an den Kosten der Krise beteiligen“
Es müssten für Europa die richtigen Entscheidungen getroffen werden, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder. Dabei gelte es nach vorn zu schauen, statt „kleinteilige Abrechnungen vorzunehmen“. Kauder forderte auch die Opposition auf, Verantwortung zu übernehmen. Steinmeier habe deutlich gemacht, dass seine Fraktion die vorgeschlagenen Regelungen als richtig empfinde. „Dann müssen Sie auch zustimmen, Herr Steinmeier“, forderte Kauder.
Der CDU-Abgeordnete machte deutlich, dass auch die Spekulanten an den Kosten der Krise beteiligt werden müssten. Die Bundesregierung werde sich für eine Finanzmarktsteuer einsetzen, das habe Bundeskanzlerin Merkel zugesichert. Kauder sagte zudem, das bei allen Konsolidierungsbemühungen, die auf Deutschland in naher Zukunft zukämen, „Forschung, Bildung und Innovation ein wichtiges Thema bleiben“.
„Deutschland muss wieder mitgestalten“
Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, beklagte einen „Ausfall der klassischen europäischen Führungsmächte Deutschland und Frankreich“. Erst US-Präsident Barack Obama habe anrufen müssen, bevor die Europäer aktiv geworden seien. „Warum sind erst seit gestern Nacht die Leerverkäufe verboten?“, fragte er.
Deutschland habe sich zuletzt zu oft als Bremser betätigt. Auch das Konzept Europa 2020 sei in Gefahr, weil die Bundesregierung bei den Bildungsstandards blockiere. So könne es nicht weitergehen, sagte Trittin. „Deutschland muss wieder mitgestalten“, forderte er.