Zeit:
Montag, 17. April 2023,
14
bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2 600
Lob, aber auch deutliche Kritik für die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung haben Sachverständige in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am Montag, 17. April 2023, geäußert. Gegenstand der Anhörung war der 15. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik (20/4865), der den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis zum 30. September 2022 abdeckt.
Bekämpfung von sexualisierter Gewalt
So begrüßte Monika Hauser, Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation medica mondiale, dass die Bundesregierung die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt und geschlechtsspezifischer Gewalt in bewaffneten Konflikten endlich ernst nehme. Die Umsetzung einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik, zu der sie sich bekenne, könne dabei einen wichtigen Beitrag leisten. Allerdings müsse sie konsequent umgesetzt und der internationale normative Rahmen gestärkt und verteidigt werden, sagte die Sachverständige. Dieser sei in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten, so Hauser in ihrer Stellungnahme mit Blick auf den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention. Um sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten zu bekämpfen, gelte es bei den strukturellen Ursachen anzusetzen und insbesondere die Zivilgesellschaft zu stärken. Gerade Frauenrechtsorganisationen und Aktivistinnen vor Ort müssten unterstützt werden.
Dies unterstrich auch Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, gerade mit Blick auf die Situation in der Ukraine. Lokale Gruppen und Zivilorganisationen, die sich dort um Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt kümmerten, seien „wahnsinnig wichtig“. Doch es fehle ihnen oft an notwendiger medizinischer Ausrüstung. Von der Bundesregierung forderte Michalski daher konkret, sich in der Ukraine dafür einzusetzen, dass Überlebende von Vergewaltigungen Zugang zu Notfallverhütung wie Medikamente zur HIV-Prävention oder der „Pille danach“ erhielten. Diese dürfe nicht länger verschreibungspflichtig sein, sagte Michalski. Auch brauche es eine gute Ausbildung von Polizei und Staatsanwaltschaft, um für die Frauen unangenehme mehrfache Befragungen und Untersuchungen zu vermeiden.
Situation der Prostitution in Deutschland
Sabine Constabel vom Verein „Sisters - für den Ausstieg aus der Prostitution!“ kritisierte , dass der Bericht der Bundesregierung ausschließlich das Problem der Zwangsprostitution behandle, jedoch „keinerlei Darstellung der Situation der Prostitution in Deutschland“ liefere. Analysen zur Zwangsprostitution seien ohne Analysen der Prostitution jedoch „ungenügend“, monierte die Expertin. „Sie liefern keine Basis zur Bekämpfung des Menschenhandels, da sie den Nährboden von Zwangsprostitution nicht erfassen.“
Constabel forderte, die wertebasierte Außenpolitik der Bundesregierung auf „das Innere auszudehnen“. Es brauche konkrete Maßnahmen gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung, darunter eine wirksame Strafverfolgung von Freiern, die Entkriminalisierung von Prostituierten und ein Verbot jeglicher Profite Dritter aus der Prostitution.
Kinderrechte in Deutschland
Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention, bemängelte das Fehlen grundlegender Strukturen, um Kinderrechte in Deutschland zu verwirklichen. So gebe es noch immer kein kinderrechtebasiertes Datenerhebungsverfahren, mit dem sich der Stand der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention adäquat anhand von Indikatoren messen lasse.
Auch auf die Schaffung einer Stelle eines oder einer Bundes-Kinderbeauftragten, der oder die die Umsetzung der Kinderrechtskonvention „mit Autorität koordiniere“ drängte Kittel: Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Coronapandemie sei die Einrichtung einer solche Stelle „dringend geboten“.
Digitalüberwachung bedroht Pressefreiheit
Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, sah eine deutliche „Leerstelle“ des Berichts zur Menschenrechtspolitik darin, dass dieser die Digitalüberwachung als „eine der größten Bedrohungen der weltweiten Pressefreiheit“ fast nicht behandelt. Auch schweige der Bericht dazu, dass der Markt für diese Technologien, darunter auch deutsche Anbieter, „weitestgehend unreguliert“ sei.
Mihrs Appell: Die Bundesregierung solle sich endlich auf UN- und EU-Ebene für einen verbindlichen Rechtsrahmen einsetzen. So lange es diesen nicht gebe, brauche es ein Moratorium für Verkauf, Weitergabe und Nutzung von Überwachungstechnik.
Kluft zwischen Menschenrechtsanspruch und Praxis
Norman Paech, emeritierter Professor für öffentliches Recht, Schwerpunkt Verfassungs- und Völkerrecht, an der Universität Hamburg, machte in seiner Stellungnahme eine „große Kluft“ zwischen dem Menschenrechtsanspruch der Bundesregierung und ihrer praktischen Politik aus. Trotz „hehrer Worte“ überwiege letztlich die „konzessionslose Interessenpolitik“, so das Urteil des Sachverständigen, der unter anderem deren Sanktionspolitik sowie wie Waffenlieferungen in Krisengebiete kritisierte. Solche Entscheidungen stellten eine an Menschenrechten orientierte Außenpolitik in Frage.
Kritik an mangelnder Prioritätensetzung
Erika Steinbach, Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung, kam angesichts des Berichts zu der Einschätzung, die Bundesregierung überhebe sich an „ihren hehren Postulaten“. Ob „Toilettenversorgung, Covid-Impfstoffe, Feminismus oder Standards für angemessenes Wohnen“ - es gebe kaum ein Themenfeld, für das sich die Bundesregierung nicht weltweit einsetzen wolle.
Dabei schaffe es die Bundesregierung schon nicht, die Wohnungsversorgung in Deutschland sicherzustellen. Kritik äußerte Steinbach auch an der feministischen Ausrichtung der Außen- und Entwicklungspolitik: Diese ignoriere die Würde eines jeden anderen Menschen.
Gleichstellung von Frauen und Männern
Monika Remé, Referentin für internationale Gleichstellungspolitik beim Deutschen Frauenrat, lobte hingegen das Vorhaben der Bundesregierung, Gleichstellung von Frauen und Männern bis 2030 zu verwirklichen. Dafür allerdings müssten die strukturellen Elemente der Gleichstellungspolitik endlich verzahnt werden. Das sei aber noch nicht der Fall, so die Expertin. Es gebe noch keinen verbindlichen „Gleichstellungs-Check“ aller Gesetze und Vorhaben, wie im Koalitionsvertrag eigentlich beschlossen. Eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie fehle und eine geschlechtergerechte Haushaltsführung werde ebenfalls noch kaum auf Bundesebene umgesetzt, so Remé in ihrer Stellungnahme.
Unterrichtung der Bundesregierung
„Die Bundesregierung wird sich weiterhin dafür einsetzen, allen Menschen, unabhängig vom Geschlecht, ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung, gleiche Erwerbs- und Einkommenschancen zu ermöglichen und die Entgeltungleichheit gezielt zu reduzieren.“ So heißt es im Teil A des Berichtes, der den Titel „Aktionsplan Menschenrechte der Bundesregierung 2023-2024“ trägt und sich auf die herausragenden Prioritäten des Menschenrechtsengagements der Bundesregierung in den Jahren 2023 und 2024 fokussiert.
Der Aktionsplan greife das Bekenntnis der Bundesregierung zu einer feministischen Außenpolitik sowie die im Koalitionsvertrag hervorgehobenen Menschenrechtsschwerpunkte in den Bereichen Gleichstellung der Geschlechter, Rechenschaft für schwere Menschrechtsverletzungen, Klimawandel und digitale Moderne auf, heißt es. Er nehme zudem Bezug auf die neue Ausrichtung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf eine feministische Entwicklungspolitik.
Menschenrechtsarbeit in Deutschland
„Menschenrechte in Deutschland“ ist der Titel von Teil B des Berichtes. Er stellt die Menschenrechtsarbeit in Deutschland und den Umsetzungsstand der im aktuellen Zyklus des Universellen Staatenüberprüfungsverfahrens des VN-Menschenrechtsrats (UPR) an Deutschland gerichteten und von Deutschland unterstützen Empfehlungen vor.
Darin heißt es unter anderem: Die Bundesrepublik sei allen wesentlichen internationalen Menschenrechtsverträgen beigetreten. Dabei umfassten die „politischen und bürgerlichen Rechte“ grundlegende Schutz- und Freiheitsrechte, die als Abwehrrechte gegen staatliche Willkür, direkte oder indirekte Beteiligungsrechte an der Politik und persönliche Freiheiten wie die Gedanken-, Religions- und Meinungsfreiheit das politische und zivilen Zusammenleben unseres Gemeinwesens prägen.
In der Außen- und Entwicklungspolitik
Das Engagement in internationalen Menschenrechtsforen und verschiedenen Menschenrechtsthemen vor dem Hintergrund einer wertegeleiteten, menschenrechtsorientierten Außen- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung stellt Teil C „Menschenrechte in der Außen- und Entwicklungspolitik“ dar. Der Einsatz für die Menschenrechte wirke in mehrere Richtungen, schreibt die Regierung. Er diene zum einen der Verwirklichung der Menschenrechte. „Unsere Menschenrechtspolitik trägt aber auch zu Sicherheit und Krisenprävention bei.“ Frieden und Stabilität seien die Grundvoraussetzung dafür, dass Menschenrechte gewährleistet werden können.
Im Teil D des 15. Berichtes der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik geht es um „Menschenrechte weltweit“. Darin skizziert die Bundesregierung die Menschenrechtslage in Staaten wie Afghanistan, Belarus, China, dem Iran und anderen. Zudem wird auf die Auswirkungen deutscher und europäischer Projektarbeit eingegangen. (hau/11.04.2023)