Zeit:
Montag, 3. Juni 2024,
13.45
bis 15.45 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.300
Das Vorhaben der Koalitionsfraktionen, im Straßenverkehr einen einheitlich geltenden gesetzlichen THC-Grenzwert von 3,5 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum einzuführen, ist bei den zu einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am Montag, 3. Juni 2024, geladenen Sachverständigen überwiegend auf Zustimmung getroffen.
Kritik daran gab es unter anderem von der Deutschen Polizeigewerkschaft. Die im Entwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für ein „Sechstes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ (20/11370) enthaltene Beibehaltung des aktuell geltenden Grenzwertes von einem Nanogramm (ng) pro Milliliter (ml) für Fahranfänger wurde hingegen von allen Expertinnen und Experten begrüßt. Ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Für die Vision Zero und gegen die Erhöhung des Cannabis-Grenzwertes im Straßenverkehr“ (20/11143) war ebenfalls Gegenstand der Anhörung.
Vermeidung von Sanktionen
ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand hält den Grenzwert von 3,5 ng/ml für plausibel. Es gebe bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass die Interessen der Verkehrssicherheit dadurch beeinträchtigt würden. Der alte Grenzwert von 1 ng/ml habe insbesondere bei Gewohnheitskonsumenten zu viele „falsch positive“ Ergebnisse gebracht, weil festgestellt worden sei, „dass zwar Cannabis nachweisbar ist, eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit jedoch nicht mehr gegeben ist“.
Zur Vermeidung unangemessener Sanktionen sei eine Erhöhung des THC-Grenzwertes notwendig, befand Stefan Tönnes, Leiter der Abteilung Forensische Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt am Main und Vorsitzender der Grenzwertkommission. Der von der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr vorgeschlagene Grenzwert von 3,5 ng/ml sei ausreichend und so niedrig, „dass das mögliche Vorliegen verkehrssicherheitsrelevanter Beeinträchtigungen im Sinne eines abstrakten Gefährdungsdeliktes erfasst und sanktioniert wird“.
Warnung vor Bagatellisierung der Wirkung
Ingo Koßmann, Leiter der Abteilung Verhalten und Sicherheit im Verkehr bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), begrüßte es, dass die Berechnung des Cannabis-Grenzwertes der Expertenkommission bereits bei ersten Leistungseinbußen ansetze. Bei 3,5 ng/ml THC im Blutserum sei eine Konzentration gegeben, ab der eine mögliche Beeinträchtigung einer verkehrssicherheitsrelevanten Teilleistung beginnen könne. Sie liege aber noch weit unterhalb der Schwelle von 7 ng/ml THC im Blutserum, ab welcher von einem allgemeinen Unfallrisiko ausgegangen werden könne.
Frank Mußhoff, Geschäftsführer der Forensisch Toxikologischen Centrum GmbH München (FTC), hält die Erhöhung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr zeitgleich mit einer Teillegalisierung für schädlich, „da es zu einer Bagatellisierung der Wirkung kommt“. Wolle man eine Gefährdung ausschließen, müsse man sich beim Grenzwert an dem „ungewöhnten isolierten Konsumenten“ orientieren statt an regelmäßigen Gewohnheitskonsumenten, sagte er.
Probleme bei der Umsetzung der Regelung
Polizeirat Marco Schäler, Geschäftsführer der Kommission Verkehr bei der Deutschen Polizeigewerkschaft verwies unter anderem auf Probleme bei der Umsetzung der Regelung, die sich aus den unterschiedlichen THC-Grenzwerten (1,0 ng/ml und 3,5 ng/ml) im Straßenverkehrsrecht ergäben. Mit Blick auf die empfohlene Verwendung von kostenintensiven Speicheltests und der Erforderlichkeit von zwei unterschiedlichen Testversionen entstünden nicht unerhebliche Kosten für die Länder.
Der aktuelle Grenzwert für THC in Höhe von 1,0 ng/ml sei maßvoll und hochvalide. Vor diesem Hintergrund habe sich auch der polizeiliche Vertreter in der vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr eingesetzten Expertengruppe gegen eine Anhebung des THC-Grenzwertes ausgesprochen, heißt es in der Stellungnahme der Polizeigewerkschaft.
„Ungleichbehandlung von Cannabis und Alkohol“
Fabian Steinmetz, Senior-Toxikologe bei Delphic HSE und Mitglied im Expertennetzwerk Schildower Kreis, kritisierte eine Ungleichbehandlung von Cannabis und Alkohol. Steinmetz plädierte für einen THC-Grenzwert von 10 ng/ml als Pendant zur 0,5-Promille-Grenze bei Alkohol.
Die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Anja Käfer-Rohrbach, betonte die große Bedeutung eines gesetzlichen festgeschriebenen Grenzwertes für die Versicherungswirtschaft. Ob die 3,5 ng/ml THC im Blutserum richtig gewählt seien, wollte sie nicht bewerten. Richtig ist es aus ihrer Sicht aber, bei der Risikogruppe der Fahranfänger – ähnlich wie bei Alkohol – auch bei Cannabis einen „Null-THC“-Wert vorzugeben.
Eine Erhöhung des Grenzwertes auf 3,5 ng/ml werde die Zahl der „falsch Positiven“ reduzieren, ohne die Verkehrssicherheit relevant zu reduzieren, befand Lorenz Böllinger, Mitglied im Expertennetzwerk Schildower Kreis. Er stelle daher einen Schritt in die richtige Richtung dar.
Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen
Durch eine Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung soll bei einem ermittelten THC-Wert von über 3,5 ng/ml ein Bußgeld von 500 Euro verbunden mit einem einmonatigen Fahrverbot verhängt werden können, heißt es im Gesetzentwurf der Koalition. Falls der Fahrzeugführer zusätzlich noch „ein alkoholisches Getränk zu sich genommen oder die Fahrt unter der Wirkung eines alkoholischen Getränks angetreten hat“, soll sich das Bußgeld der Vorlage zufolge auf 1.000 Euro erhöhen.
Die Unionsfraktion spricht sich in ihrem Antrag gegen die Erhöhung des Cannabis-Grenzwertes im Straßenverkehr aus. Im Sinne der „Vision Zero“ müsse auf die Anhebung verzichtet werden, verlangen die Abgeordneten. Die Bundesregierung wird aufgefordert, „ein generelles Fahrverbot für Cannabiskonsumenten auszusprechen, wie es mit dem THC-Grenzwert von 1,0 ng/ml in der Rechtsprechung bereits besteht“.
Antrag der Union
Die Unionsfraktion spricht sich gegen die Erhöhung des Cannabis-Grenzwertes im Straßenverkehr aus. In ihrem Antrag (20/11143) verweisen die Abgeordneten auf das „erhebliche Gefahrenpotenzial“, das vom Cannabiskonsum für die aktive Teilnahme im Straßenverkehr ausgehe. Die Anhebung des Cannabis-Grenzwertes von 1,0 ng/ml auf 3,5 ng/ml Blutserum, für die sich der Union zufolge eine vom Bundesverkehrsministerium einberufene „interdisziplinäre Expertenarbeitsgruppe“ ausgesprochen habe, stelle das individuelle Mobilitätsbedürfnis der Cannabiskonsumenten über den Allgemeinschutz der Verkehrsteilnehmer, wird kritisiert. Insbesondere Gelegenheitskonsumenten könnten den Einfluss und die Auswirkungen von Cannabis nicht einschätzen, heißt es in der Vorlage.
Im Sinne der „Vision Zero“ müsse daher auf die Anhebung des Grenzwertes für Cannabis verzichtet werden, verlangt die CDU/CSU-Fraktion. Die Bundesregierung wird aufgefordert, „ein generelles Fahrverbot für Cannabiskonsumenten auszusprechen, wie es mit dem THC-Grenzwert von 1,0 ng/ml in der Rechtsprechung bereits besteht“. (hau/03.06.2024)