Sachverständige erklären Cum/Ex-Geschäft
Berlin (hib/mwo) In der Sitzung des 4. Untersuchungsausschusses (Cum/Ex) haben am Donnerstag fünf Sachverständige die Entwicklung, die Hintergründe und die Mechanismen der vom Ausschuss zu untersuchenden sogenannten Cum/Ex-Aktiengeschäfte erläutert. Bei diesen Aktiendeals wurde zwischen 1999 und 2011 um den Zeitraum der Dividendenauszahlung herum eine nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuer mehrfach erstattet, mit einem geschätzten Milliardenschaden für den Fiskus. Befragt wurden die Sachverständigen in öffentlicher Sitzung zum Grundprinzip dieser Geschäfte, den in der Praxis gebräuchlichsten Gestaltungen und den Methoden zur Verschleierung dieser Geschäfte sowie zu deren rechtlicher Bewertung.
Die Mitglieder des Ausschusses hörten Christoph Spengel von der Universität Mannheim, Marc Desens von der Universität Leipzig, Michael Schmitt, Leiter der Abteilung Steuern beim Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württembergs, Helmut Lotzgeselle, Vorsitzender Richter am Hessischen Finanzgericht, sowie Steueroberamtsrat Günther Hallmann vom Finanzamt für Steuerstrafsachen und der Steuerfahndung Wuppertal, die gegen vermutlich in die Cum/Ex-Geschäfte verwickelten Institute ermittelt. Alle fünf Experten hatten dem Ausschuss zuvor schriftliche Gutachten übermittelt.
Dabei waren sie sich die Praktiker einig, dass diese Geschäfte rechtlich nicht gedeckt und damit strafbar seien. Unterschiedliche Ansätze vertraten die Wissenschaftler. Während Spengel, erklärte, es habe keine Gesetzeslücke gegeben, meinte Desens, die Kapitalertragsteuer habe durchaus mehrfach angerechnet werden können.
Hallmann schreibt in seiner Stellungnahme, dass die Abgrenzung zwischen Initiatoren und Beteiligten an solchen Geschäften fließend gewesen sei. Sicher fielen darunter auch Gutachter, die Veröffentlichungen vorgenommen hätten, um die Legalität solcher Transaktionen zu untermauern, was zu einer Förderung dieses Geschäftsmodells geführt habe. Bis etwa 2007 seien die Handelsketten relativ einfach und überschaubar gehalten gewesen. Ab 2008 bis 2011 seien die Transaktionen so gestaltet worden, dass die Ermittlung eines Cum/Ex-Geschäftes mit ungedecktem Leerverkauf erheblich erschwert worden sei. Die Anzahl der Cum/Ex-Geschäfte sei nicht einzuschätzen, so Hallmann weiter. Der in der Presse genannte Schadensumfang von 12 Milliarden Euro könne geringer oder höher ausfallen.
Lotzgeselle erläuterte das Urteil des Hessischen Finanzgerichtshofs vom 10.02.2016 (Az. 4 K 1684/14) zu Cum/Ex-Geschäften einer deutschen Bank. Deren Klage sei abgewiesen worden, da eine Anrechnung der geltend gemachten Kapitalertragssteuer nicht in Betracht komme. Die Erhebung der Kapitalertragsteuer sei der Klägerin nicht zuzurechnen, weil sie im Zeitpunkt des Dividendenstichtags nicht Anteilseigner (wirtschaftlicher Eigentümer) gewesen sei. Entgegen ihrer Ansicht sei die Klägerin nicht bereits durch Abschluss der Aktienkaufverträge wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien geworden. Die Rechtsprechung, wonach das wirtschaftliche Eigentum bei Börsengeschäften mit girosammelverwahrten Aktien bereits mit Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages auf den Erwerber übergeht, sei entgegen der Ansicht der Klägerin auf außerbörsliche (OTC-) Geschäfte nicht übertragbar. Die gegenteilige Ansicht in der Literatur, die einen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums mit Abschluss der schuldrechtlichen Vereinbarung auch beim Erwerb vom Leerverkäufer im außerbörslichen Handel bejaht - hier verwies Lotzgeselle unter anderem auf Desens - würde im Ergebnis zu parallelem mehrfachen wirtschaftlichen Eigentum an der gleichen Aktie führen. Verweise auf diesbezügliche Bundesfinanzhof-Urteile von 1999 (15.12.1999 I R 29/17, BStBl. II 2000, S. 527 ff) und 2014 (16.4.2014, I R 2/12 BFH/NV 2014, 1813 ) seien daher nicht begründet.
Schmitt erläuterte im Einzelnen die Abläufe bei einem Cum/Ex-Geschäft einschließlich der Wandlung der Dividende zur Dividendenkompensationszahlung und ging auf die unterschiedlichen Rechtslagen bis 2006 und von 2007 bis 2011 ein. Bis 2006 scheide nach Auffassung der Finanzverwaltung mangels einer auf die Dividendenkompensationszahlung erhobenen Kapitalertragsteuer eine Anrechnung beim Leerkäufer aus. Das Hessische Finanzgericht habe diese Auffassung mit Urteil vom 10. Februar 2016 bestätigt. Ab 2007 sei für Dividendenkompensationszahlungen eine Kapitalertragsteuerabzugsverpflichtung eingeführt worden. Danach sei die inländische Depotbank des Leerverkäufers zum Kapitalertragsteuereinbehalt verpflichtet. Ausländischen Banken habe diese Verpflichtung vom deutschen Gesetzgeber nicht auferlegt werden können. In Auslandsfällen wurde laut Schmitt auf die Dividendenkompensationszahlung mangels gesetzlicher Verpflichtung keine Kapitalertragsteuer erhoben. Nach Auffassung der Finanzverwaltung scheide damit bereits aus diesem Grund eine Steueranrechnung beim Leerkäufer aus. Das Hessische Finanzgericht habe diese Auffassung ebenfalls mit Urteil vom 10. Februar 2016bestätigt.
Spengel führte aus, dass sich der finanzielle Erfolg von Cum/Ex-Geschäften daraus ergebe, dass einmal einbehaltene Kapitalertragsteuer mindestens zweimal bescheinigt und sodann mindestens zweimal angerechnet beziehungsweise erstattet werden sollte, in vielen Fällen sei dies auch geschehen. Den „Gewinn“ aus diesen Geschäften habe damit ausschließlich der Staat finanziert. Knackpunkt war nach Meinung Spengels wohl, dass bis 2011 einschließlich die Abführung und die Bescheinigung der Kapitalertragsteuer institutionell auseinander gefallen sind. Während die ausschüttende Aktiengesellschaft die Kapitalertragsteuer abgeführt habe, sei die Steuerbescheinigung vom depotführenden Kreditinstitut bescheinigt worden. Dies sei von Marktteilnehmern durch Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen genutzt worden, um mehrere Kapitalertragsteuerbescheinigungen zu erwirken. Allerdings sei die steuerrechtliche Würdigung eindeutig, so Spengel. Eine mehrfache Steueranrechnung sei rechtlich zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen. Außerdem stelle sich die Frage, ob die mehrfach ausgestellten Steuerbescheinigungen richtig sind. Auch dies sei zu verneinen. Die Frage des wirtschaftlichen Eigentums bei Cum/Ex-Geschäften mit Leerverkäufen sei mittlerweile durch erstinstanzliche Finanzgerichte in diesem Sinne bestätigt worden. Spengel verwies ebenfalls auf das BFH-Urteil von 1999, bei dem es um ein Cum/Ex-Geschäft in der Variante Inhaberverkauf gegangen sei. Offensichtlich hätten daraufhin Marktteilnehmer die Variante mit Leerverkauf durchgeführt und behauptet, dass sich aus dieser BFH-Entscheidung ergeben würde, dass auch bei einem Leerverkauf das wirtschaftliche Eigentum bereits mit dem schuldrechtlichen Geschäft übergehen würde. Dies wiederum habe zur Folge, dass es zwei wirtschaftliche Eigentümer gebe, nämlich den zivilrechtlichen Eigentümer und den Leerkäufer. „Diese Behauptung hat aber keinerlei Grundlage im Gesetz und auch nicht in der Entscheidung des BFH, das Gegenteil ist der Fall.“ Diese falsche Behauptung habe sich der Bundesverband deutscher Banken in seinem Schreiben an das Bundesfinanzministerium aus dem Jahr 2002 zu eigen gemacht und seinerseits behauptet, dass es aus diesem Grund rechtmäßig zu einer mehrfachen Anrechnung/Erstattung von Kapitalertragsteuer kommen würde. Der Gesetzgeber habe erst im Jahr 2006 mit Wirkung für das Jahr 2007 auf dieses Schreiben reagiert und hat das Gesetz geändert. Spengel: „Die falsche Behauptung, dass es gesetzlich zur mehrfachen Anrechnung einer einmal einbehaltenen Kapitalertragsteuer kommen könne, wurde in die Gesetzesbegründung mit aufgenommen, warum dies geschah, ist mir nicht bekannt.“
Desens führt in seiner Stellungnahme unter anderem aus, dass die nach seinem Wissenstand erste veröffentlichte Rechtsauffassung zum Cum/Ex-Geschäften aus der Gesetzesbegründung des Jahressteuergesetzes 2007 (BT-Drs. 16/2712, S. 46 ff.) vom 25.9.2006 stamme, der unmissverständlich und eindeutig die Rechtsauffassung zugrunde liege, dass der Erwerber auch nach einem Leerverkauf einen Anspruch auf Anrechnung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer hat. Zwar werde die Eindeutigkeit teilweise bestritten. In seiner Entscheidung von 2014 habe der BFH aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Gesetzesbegründung insoweit eindeutig ist. Mache daher ein Erwerber einen Anspruch auf Anrechnung oder Erstattung von Kapitalertragsteuer geltend, weil er die Rechtsauffassung zugrunde legt, dass er selbst im Falle eines Leerverkaufs diesen Anspruch hat, handele er auf Grundlage einer Rechtsauffassung, die ebenso bereits die Bundesregierung im JStG 2007 vertreten habe. Lege er hier - unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Anforderungen - die steuererblichen Tatsachen offen, fehle es bereits am objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung. Bezogen auf die Rechtslage 2006 sei es vertretbar, die bisherige Rechtsprechung des BFH so zu verstehen, dass auch bei Leerverkäufen von Aktien das wirtschaftliche Eigentum bereits mit Abschluss des Kaufvertrages beim Erwerber entsteht. Auch von 2007 bis 2011 lasse sich die Argumentation, dass der Erwerber unabhängig davon, ob es beim Leerverkäufer zu einer zweiten Erhebung zu Lasten des Leerverkäufers kommt, einen Anspruch auf Anrechnung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer hat, auf die Gesetzesbegründung zum JStG 2007 stützen. Danach hat sich an der Grundaussage nichts geändert, dass das wirtschaftliche Eigentum auch nach dem Leerverkauf bereits zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses übergeht. Wie Desens weiter ausführte, vertrete er unter Berücksichtigung der jüngeren BFH-Rechtsprechung die Rechtsauffassung, dass die Dividendenkompensation seit 2007 unter § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes falle, und es daher bei einem Leerverkauf nicht mehr erforderlich sei, dass der Erwerber bereits zum Zeitpunkt des Kaufvertrages wirtschaftlicher Eigentümer wird.
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