Große Widersprüche
Berlin: (hib/pst) Zwölf Stunden, drei Zeugen und zwei Versionen, das ist die Bilanz der letzten Sitzung des 2. Untersuchungsausschusses in diesem Jahr. Ursprünglich sollte nur Sebastian Edathy vernommen werden, der am 7. Februar als Bundestagsabgeordneter zurückgetreten war, kurz bevor Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts auf Nutzung von Kinderpronografie öffentlich wurden. Doch weil Edathy wenige Tage vor der Ausschusssitzung in einem Zeitschrifteninterview seinen ehemaligen SPD-Fraktionskollegen Michael Hartmann bezichtigt hatte, ihn mit Informationen über das laufende Verfahren informiert zu haben, lud der Ausschuss auch diesen als Zeugen.
Edathy berichtete dem Ausschuss zunächst, dass er Mitte November 2013 aus den Medien von einem Schlag der kanadischen Polizei gegen einen internationalen Kinderporno-Ring erfahren habe. Er habe sich erinnert, dass er bei einer dabei genannten kanadischen Firma vor Jahren Filme bestellt habe. Da es sich aber um legales Material gehandelt habe, habe er dem „nicht besondere Bedeutung beigemessen“. Bei einer Veranstaltung im Rahmen des SPD-Parteitags am Abend des 15. November habe er den Kollegen Michael Hartmann getroffen. Dieser habe ihm eröffnet, er sei aus Sicherheitskreisen informiert, dass die kanadische Polizei dem Bundeskriminalamt (BKA) eine Liste mit Kunden aus Deutschland übermittelt habe und sich Edathys Name darauf befinde. Es gebe zwar derzeit kein Ermittlungsverfahren gegen ihn, ein solches könne aber nicht ausgeschlossen werden.
Hartmann habe ihm, Edathy, weiterhin mitgeteilt, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, Innen-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier und der 1. Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, informiert seien. Am Rande der Fraktionssitzung am 18. November habe ihm Hartmann dann gesagt, er habe erfahren, dass auch SPD-Chef Sigmar Gabriel Bescheid wisse. Im Dezember dann habe ihm Hartmann von sich aus eröffnet, dass BKA-Präsident Jörg Ziercke seine Informationsquelle sei. Hartmann habe ihn weiter laufend informiert, so über die Weiterleitung seiner Ermittlungsakte von der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Internet-Kriminalität in Gießen an die Generalstaatsanwaltschaft in Celle und später von dort an die Staatsanwaltschaft Hannover. Am 25. Januar habe Oppermanns Büroleiter Heiner Staschen Hartmann mit den Worten angesprochen: „Wie geht es weiter mit Edathy, der ist doch nicht mehr tragbar.“ Ende Januar habe ihm Hartmann dann mitgeteilt, die Staatsanwaltschaft Hannover sei „wohl gewillt, alle Register zu ziehen“, also die Aufhebung seiner Abgeordneten-Immunität zu beantragen und Durchsuchungen vorzunehmen. Daraufhin habe er entschieden, sein Mandat niederzulegen.
Edathy legte dem Untersuchungsausschuss als Beleg für seine Behauptungen einen Ausdruck seines SMS-Verkehrs mit Hartmann vor. Allerdings sollte sich im weiteren Verlauf der Zeugenvernehmungen herausstellen, dass die SMSen auch anders als von Edathy dargestellt interpretieren lassen. Außerdem musste Edathy einräumen, einen Teil der Kommunikation über ein billiges Prepaid-Handy geführt zu haben, das nur 50 SMSen speichern kann, weshalb die Daten aus dem fraglichen Zeitraum inzwischen gelöscht seien. Von diesem Handy aus habe er mit einem Dienst-Handy Hartmanns kommuniziert, das dieser im März als verloren meldete.
Zu den Merkwürdigkeiten, von denen Edathy erzählte, gehörte ein Anruf des SPD-Abgeordneten Burkhard Lischka einige Tage nach einer Aktuellen Stunde zur Affäre Edathy am 18. Februar. Lischka habe ihm dabei berichtet, alle drei SPD-Redner bei dieser Debatte hätten ihre schriftlich ausgearbeiteten Reden vorher bei Oppermann und Gabriel vorlegen müssen. Aufgrunddessen lud der Untersuchungsausschuss kurzfristig Lischka als weiteren Zeugen. Dieser bestritt Edathys Angaben. Er habe nicht einmal ein Manuskript gehabt, sondern nur Stichworte. Allerdings habe ihm soeben sein Büroleiter mitgeteilt, er hätte diese Stichworte vorab dem Planungsstab der Fraktion vorlegen müssen. Er selbst habe dabei gerade zum ersten Mal von der Existenz eines solchen Planungsstabs gehört.
Auch Michael Hartmann bestritt vor dem Ausschuss fast alle Angaben Edathys und schilderte ihn als einen Mann in einer Lebenskrise. Er habe ein zunehmend merkwürdiges Verhalten gezeigt und Alkoholprobleme gehabt. Deshalb habe er sich um ihn gekümmert und versucht, auf ihn einzuwirken. Auch er, Hartmann, habe die Berichterstattung über die kanadischen Kinderporno-Ermittlungen gesehen, aber es sei Edathy gewesen, der ihn darauf angesprochen und ihm seine Sorge mitgeteilt habe, in diesem Zusammenhang genannt zu werden. Der Versicherung Edathys, nichts Strafbares aus Kanada bezogen zu haben, habe er immer geglaubt. Edathy habe ihm auch mehrfach von Erkundigungen seines Anwalts berichtet, die immer zu dem Ergebnis geführt hätten, dass nichts gegen ihn vorliegt.
Hartmann bestritt entschieden, jemals von BKA-Chef Ziercke Informationen zum Fall Edathy erhalten zu haben. Auch habe er ihm gegenüber nie den Eindruck erweckt, über solche Informationen zu verfügen. Auch von anderer Seite, etwa von Oppermann oder Gabriel, habe er nie Informationen über drohende oder laufende Ermittlungen erhalten. Er habe mit Edathy nie aufgrund konkreter Erkenntnisse, sondern stets nur aufgrund seiner Erfahrung als Innenpolitiker allgemein darüber gesprochen, was in dieser Sache geschehen könnte, und ihn zu beruhigen versucht. Edathy habe sich aber in immer größere Angst hineingesteigert. Da Edathy immer fahriger geworden sei und oft Termine nicht oder verspätet wahrgenommen habe, habe er sich veranlasst gesehen, Fraktionschef Oppermann auf seinen Zustand hinzuweisen, erläuterte Hartmann. Oppermann habe darauf brüsk reagiert und ihn aufgefordert, sich selbst darum zu kümmern und ihn nicht damit zu behelligen.
Auf Fragen nach einzelnen SMS-Wechseln aus dem von Edathy vorgelegten Ausdruck oder nach anderen Details berief sich Hartmann wiederholt darauf, sich nicht mehr an Einzelheiten zu erinnern. Er sei in dieser Zeit sehr beschäftigt gewesen und habe zudem eigene Probleme gehabt. Die Unterstellung, der Verlust seines Dienst-Handys könne mit der Affäre zu tun haben, wies er entschieden zurück. Warum Edathy eine völlig andere Version der Ereignisse verbreite und ihn belaste, könne er sich nicht erklären. Edathy habe ihn an dem Abend, an dem seine Wohnung durchsucht wurde, angerufen und heftig beschimpft. Später hätten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Vorhaltungen, er hätte sich in den vier Sitzungen des Innenausschusses zum Fall Edathy von Februar bis April zu Wort melden sollen, wies Hartmann zurück. Seine Gespräche mit Edathy seien vertraulich gewesen, so rechtfertigte er sich, und er hätte auch nichts Wesentliches zur Klärung der offenen Fragen beitragen können.
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