Überprüfung auf Stasi-Tätigkeit bleibt möglich
Abgeordnete des Bundestages können überprüfen lassen, ob sie hauptamtlich oder inoffiziell für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR tätig waren oder dafür politische Verantwortung trugen. Sie müssen das dann schriftlich beim Bundestagspräsidenten beantragen. Geregelt ist dies im Paragrafen 44c des Abgeordnetengesetzes. Dazu hat der Bundestag in seiner konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 beschlossen, dass die „Richtlinien zur Überprüfung auf eine Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ weiterhin gelten.
Überprüfung im Geschäftsordnungsausschuss
Der Bundestag hat diese Ergänzung des Abgeordnetengesetzes und die darauf bezogenen Richtlinien am 5. Dezember 1991 verabschiedet (12/1324, 12/1737). Die Regelung besagt weiter, dass eine Überprüfung ohne Zustimmung des Abgeordneten stattfindet, wenn der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Bundestages festgestellt hat, dass konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht einer solchen Tätigkeit oder politischen Verantwortung vorliegen (Absatz 2).
Der Ausschuss führt in jedem Fall die Überprüfung durch und bedient sich für das Verfahren der damals mitbeschlossenen und nun vom 19. Deutschen Bundestag bestätigten Richtlinien.
Mitteilungen des Stasi-Unterlagenbeauftragten
Darin heißt es, dass dem Geschäftsordnungsausschuss die Mitteilungen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und sonstige Unterlagen zur Überprüfung zugeleitet werden müssen und der Ausschuss Mitglieder mit der Durchsicht von Unterlagen beauftragen kann.
Die Entscheidung darüber, ob auf die Zustimmung des betroffenen Abgeordneten zu einer Überprüfung verzichtet werden kann, ob zusätzliche Auskünfte vom Bundesbeauftragten angefordert werden müssen und welches Ergebnis die Überprüfung ergeben hat, muss der Ausschuss mit Zweidrittelmehrheit treffen.
Akteneinsicht für den Betroffenen
Der betroffene Abgeordnete kann beim Ausschuss Akteneinsicht verlangen. Während der Beratungen im Ausschuss dürfen nur die ordentlichen Mitglieder und deren Stellvertreter anwesend sein, wobei im Einzelfall Ausnahmen beschlossen werden können.
Der Bundestagspräsident muss den Bundesbeauftragten bitten, Erkenntnisse aus seinen Unterlagen über einen Abgeordneten mitzuteilen und Akteneinsicht zu gewähren, wenn der betroffene Abgeordnete dies verlangt. Dies gilt auch, wenn der Ausschuss bereits konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht auf eine Stasi-Tätigkeit oder eine politische Verantwortung festgestellt hat. Der Abgeordnete muss über das Vorgehen des Präsidenten auf jeden Fall informiert werden.
Veröffentlichung als Bundestagsdrucksache
Der Ausschuss stellt nach Prüfung der Unterlagen fest, ob eine Stasi-Mitarbeit oder eine politische Verantwortung als erwiesen anzusehen ist. Zuvor muss der Ausschuss die Tatsachen mit dem betroffenen Abgeordneten erörtern. Der Ausschussvorsitzende informiert den Bundestagspräsidenten und den Vorsitzenden der Fraktion oder Gruppe, der der Abgeordnete angehört, über die beabsichtigte Feststellung des Ausschusses.
Die Feststellung selbst wird mit Angabe der wesentlichen Gründe als Bundestagsdrucksache veröffentlicht. Wenn der betroffene Abgeordnete dies wünscht, muss eine Erklärung von ihm „in angemessenem Umfang“ mit aufgenommen werden.
Inoffizielle Stasi-Tätigkeit
Nach den Kriterien des Ausschusses ist eine inoffizielle Stasi-Tätigkeit in der Regel vor allem dann erwiesen, wenn es eine unterzeichnete Verpflichtungserklärung gibt – es sei denn, es handelt sich nur um einen Bagatellfall oder es fehlen Unterlagen, die ein Tätigwerden belegen. Eine inoffizielle Stasi-Tätigkeit liegt auch dann vor, wenn nachweislich Berichte oder Angaben über Personen außerhalb offizieller Kontakte geliefert wurden oder wenn eine Tätigkeit für die Stasi auf sonstige Weise „zweifelsfrei“ belegt wird.
Als Indizien dafür gelten die nachgewiesene Entgegennahme von Zuwendungen, Vergünstigungen, Auszeichnungen oder Vergleichbarem oder eine nachgewiesene Eintragung in die Karteien. Gibt es jedoch Hinweise darauf, dass Unterlagen zulasten der Betroffenen manipuliert worden sind, so kann aus Sicht des Ausschusses in der Regel nicht mehr von Indizien gesprochen werden.
Kein Ausschluss wegen Befangenheit
Wenn Einzelpersonen nachweislich weder direkt noch indirekt durch eine Stasi-Tätigkeit oder eine politische Verantwortung belastet oder benachteiligt worden sind, so muss der Ausschuss dies in seine Feststellungen aufnehmen.
Der Geschäftsordnungsausschuss hat darüber hinaus im Jahr 1997 entschieden, dass Ausschussmitglieder nicht wegen Befangenheit von der Mitwirkung an einem solchen Überprüfungsverfahren ausgeschlossen werden können, weil es dafür keine Rechtsgrundlage gebe.
Überprüfungen seit 2013
In der abgelaufenen Wahlperiode des Bundestages von 2013 bis 2017 haben 188 Abgeordnete eine Überprüfung auf eine mögliche Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR beantragt, wie der Geschäftsordnungsausschuss in einem Bericht (18/12913) mitteilt.
Zwei davon waren bis 22. Juni 2017 aus dem Bundestag ausgeschieden und blieben daher unberücksichtigt. In weiteren 22 Fällen wurden keine Überprüfungen vorgenommen, da die Betroffenenvor dem 12. Januar 1990, dem Tag der Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit, noch minderjährig waren. In den verbliebenen 164 Fällen sei eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für die Staatssicherheit nicht festzustellen gewesen.
Überprüfungen von 2009 bis 2013
In der 17. Wahlperiode von 2009 bis 2013 hatten 481 Abgeordnete eine Überprüfung beantragt (17/14732). In 431 Fällen wurde eine hauptamtliche oder inoffizielle Stasi-Tätigkeit nicht festgestellt. In 49 Fällen wurde auf die Überprüfung verzichtet, da die Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt noch minderjährig waren, wie es in einem Bericht des Geschäftsordnungsausschusses vom September 2011 heißt (17/6917).
In einem Fall hatte die Staatssicherheit einen so genannten IM-Vorlauf („IM“ steht für „Inoffizieller Mitarbeiter“ angelegt, dessen Ziel darin bestand, die Betroffene als „Inoffizielle Mitarbeiterin für Sicherheit“ anzuwerben. Es fanden jedoch nur zwei Kontaktgespräche statt. Der IM-Verlauf wurde so dann archiviert, da die Betroffene aufgrund persönlicher und beruflicher Veränderungen für eine Werbung als IM nicht mehr geeignet erschien.
In einem gesonderten Bericht (17/6436) informierte der Ausschuss den Bundestag über die Überprüfung des Abgeordneten Thomas Nord (Die Linke), die der Ausschuss ohne dessen Zustimmung beschlossen hatte. Darin stellte der Ausschuss eine inoffizielle Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit als erwiesen fest.
Überprüfungen vor 2009
In der ersten Wahlperiode nach der deutschen Wiedervereinigung von 1990 bis 1994 haben sich 324 von 662 Abgeordneten freiwillig überprüfen lassen, in der folgenden Wahlperiode bis 1998 178 von 672 Abgeordneten. Eine hauptamtliche oder inoffizielle Stasi-Tätigkeit oder eine politische Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst wurde in keinem Fall festgestellt.
Dies gilt auch für die Wahlperioden von 2002 bis 2005, als sich 381 von 603 Abgeordneten einer Überprüfung unterzogen, und von 2005 bis 2009, als sich 139 von 614 Abgeordneten einer Überprüfung stellten.
Zwei Fälle in der 14. Wahlperiode
Zweimal fündig wurde der Ausschuss hingegen in der 14. Wahlperiode des Bundestages von 1998 bis 2002. 150 von 669 Abgeordneten hatten die freiwillige Überprüfung beantragt.
In den beiden Fällen, in denen eine inoffizielle Stasi-Tätigkeit als erwiesen festgestellt wurde, fand die Überprüfung aber ohne Zustimmung der betroffenen Abgeordneten Dr. Klaus Grehn (14/3145) und Prof. Dr. Heinrich Fink (14/6694), beide PDS, statt. (vom/30.10.2017)