Frauen, die Opfer von Gewalt werden, sollen künftig mehr Hilfe bekommen: Der Bundestag hat die sogenannte Istanbul-Konvention ratifiziert. Sechs Jahre nach der Unterzeichnung stimmten die Abgeordneten am Donnerstagabend, 1. Juni 2017, einstimmig dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/12037, 18/12479) zu, mit dem das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in deutsches Recht umgesetzt wird. Einen Antrag der Linken (18/7540) für mehr Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen lehnte das Parlament mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Opposition ab und folgte damit einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (18/12610).
SPD: Gleichstellung ein Gewinn
Elke Ferner, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sagte für die SPD-Fraktion, die Ratifizierung sei „ein weiterer Meilenstein“ im Kampf gegen Gewalt gegenüber Frauen. Seit der Reform des Sexualstrafrechts im vergangenen Jahr gelte heute der Grundsatz der Konvention „Nein heißt Nein“ ohne Wenn und Aber in Deutschland. Nun müsse die Istanbul-Konvention im Alltag wirken, dafür müsse sie besser in der Bevölkerung bekannt gemacht werden.
Ferner betonte in ihrer Rede, sie sei dankbar dafür, dass sie in ihrer langen Karriere als Abgeordnete, die in diesem Jahr zu Ende gehe, die Gelegenheit gehabt habe, „Frauengeschichte“ mitzuschreiben. Für ihre Nachfolgerinnen bleibe jedoch noch viel zu tun; sie wünsche sich, dass dabei „das Tempo erhöht“ werde. Die Gleichstellung von Frauen und Männern sei in allen Gesellschaftsbereichen „ein Gewinn“.
Linke: Koalition hat keine Gesamtstrategie
Die Linke-Abgeordnete Cornelia Möhring betonte in ihrer Rede, mit der Konvention sollten Frauen besser vor Gewalt geschützt werden. Sie habe eine so große Bedeutung, weil sie von allen staatlichen Akteuren einzuhalten zu sei. Es sei „an der Zeit“, dass die Konvention „nun endlich auch von Deutschland ratifiziert“ werde. Sie habe Sorge, so Möhring, dass die Denkschrift zur Konvention zum „politischen Papiertiger“ und „Ruhekissen“ werde.
Jährlich würden rund 18.000 Frauen und Kinder in Frauenhäusern aufgenommen, ebenso viele würden jedoch abgewiesen - angesichts dessen könnte man nicht von „punktuellen Versorgungslücke“ reden, wie es die Koalition tue; es handele sich um eine „eklatante Unterversorgung“. Die „Gesamtstrategie“, die nötig sei, um die Gewalt gegen Frauen zu beenden, habe die Koalition nicht. Sie appelliere dringend dafür, eine solche Strategie zu entwickeln.
CDU/CSU: Frauen unkompliziert helfen
Christina Schwarzer, Frauenpolitikerin der Unionsfraktion, sagte, häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch von Frauen sei immer noch ein Tabuthema, dabei finde sie ständig und in allen Schichten statt. Sie mache „vor niemandem halt“. Es sei erschreckend, dass so viele Frauen in Deutschland bereits Gewalt erfahren hätten - etwa 35 Prozent der Frauen in Deutschland seien im Leben bereits Gewalt angetan worden. Die Konvention stufe Gewalt gegen Frauen das ein, was sie sei: Diskriminierung und eine Verletzung der Menschenrechte. Hilfe müsse unkompliziert da angeboten werden, wo sich die Frauen bewegen, weil für sie schon „jeder Schritt zur Hilfe schwierig“ sei.
Ein weiterer wichtiger Schritt sei das Verbot von Kinderehen, über das der Bundestag später abstimmen werde. Die Ratifizierung der Konvention müsse nun mit politischen und gesellschaftlichen Inhalten gefüllt werden. Dabei sei Schnelligkeit aber „nicht der Weisheit letzter Schluss“ - die Türkei etwa habe „längst ratifiziert“, gleichzeitig sei dort der Schutz der Frauen vor Gewalt schlecht.
Grüne: Ein Meilenstein
Die Konvention sei ein „Meilenstein“ im Kampf gegen ein wichtiges gesellschaftliches Problem, sagte die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws. Ohne den gesellschaftlichen Druck wäre „Nein heißt Nein“ nicht als Gesetz eingebracht worden, Kanzleramt und Justizminister hätten sich lange verweigert. Den Erfolg der Ratifizierung nun als einen der Bundesregierung zu feiern, „wäre vermessen“.
Zugleich gebe es Grund für Kritik: Die Weigerung der Regierung, geflüchteten Frauen und Mädchen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu gewähren, sei nicht glaubhaft. Auch Maßnahmen für eine qualifizierte Notfallversorgung der Opfer fehle. Auch die Frauenhäuser müssten besser finanziert werden. Dies sei eine „Mammutaufgabe“. Aber: „Wo ein Wille, da ein Weg.“
Zugang zu Frauenhäusern
Die Istanbul-Konvention ist der erste völkerrechtliche Vertrag, dem europäische Staaten beitreten können, mit dem umfassende und spezifische Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sowie zum Schutz der Opfer formuliert wurden. Sie sieht vor, dass die Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen der Unterzeichnerstaaten verankert werden muss und alle diskriminierenden Vorschriften abzuschaffen sind.
Die einzelnen Maßnahmen sehen für Opfer unter anderem eine Rechtsberatung, psychologische Betreuung, finanzielle Beratung und den Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten zum Beispiel in Frauenhäusern vor. Zudem verpflichten sich die Vertragsstaaten, gegen alle Formen körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt, gegen Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, Zwangsabtreibung und Zwangssterilisation vorzugehen.
Die Konvention wurde am 11. Mai 2011 in Istanbul von 13 Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet. Bis heute haben insgesamt 43 Staaten das Abkommen unterzeichnet und 22 Staaten haben es ratifiziert.
Linke forderte Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz
Die Fraktion Die Linke forderte in ihrem Antrag (18/7540) einen Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassende Hilfen für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder. Von der Bundesregierung verlangte sie, dass diese einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt. Der Rechtsanspruch sollte unabhängig von Einkommen, Aufenthaltstitel, Herkunftsort, gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen gelten. Zudem sollte die Finanzierung des gesamten Schutz- und Hilfesystems zwischen Bund und Ländern so geregelt werden, dass „eine bedarfsgerechte Infrastruktur“ entwickelt werden kann. Das Gesetz sollte nach drei Jahren gemeinsam mit Vertreterinnen der Frauenhäuser evaluiert werden.
Die Linke verwies auf die Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, nach der 35 Prozent der Frauen in Deutschland seit ihrem 15. Lebensjahr von körperlicher oder sexualisierter Gewalt betroffen sind. Zum überwiegenden Teil werde diese Gewalt von aktuellen oder früheren Partnern der Frauen verübt. Je nach Gewaltform trügen 80 Prozent der betroffenen Frauen psychische Folgebeschwerden davon. Die derzeit 353 Frauenhäuser und 41 Zufluchtswohnungen mit mehr als 6.000 Plätzen seien angesichts der hohen Zahl der betroffenen Frauen und Kinder jedoch bei weitem nicht ausreichend, argumentieren die Linken. Gemäß einer Empfehlung des Europarates seien in Deutschland mindestens 11.000 Plätze in Schutzeinrichtungen angemessen.
Linke: Zahl der Frauenhäuser nicht ausreichend
Die Finanzierung der Frauenhäuser sei in Deutschland regional sehr unterschiedlich geregelt. Lediglich rund 30 Prozent seien pauschal finanziert und könnten Frauen unbürokratisch und schnell aufnehmen, monierte Die Linke.
Der größte Teil der Frauenhäuser werde durch freiwillige Leistungen der Bundesländer und Kommunen sowie Eigenmittel der Träger unterhalten. Dies führe zu einer Überforderung der Kommunen und einer großen Unsicherheit der Frauenhäuser. Die Finanzierung müsse deshalb zwischen Bund, Ländern und Kommunen sachgerecht aufgeteilt und dauerhaft geregelt werden, forderte die Linksfraktion. (suk/nal/01.06.2017).