3. Untersuchungsausschuss

Verfassungsschutz-Präsident Maaßen sieht Behörde auf gutem Weg

Ein Mann im Anzug sitzt vor einer Deutschlandfahne.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sagte am 16. Februar im NSU-II-Untersuchungsausschuss aus. (© dpa)

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Dr. Hans-Georg Maaßen, sieht seine Behörde auf einem guten Weg. Über den Stand der Reformen innerhalb des Verfassungsschutzes, die aufgrund der Enthüllungen um die rechte Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) angestoßen worden sind, berichtete Maaßen am Donnerstag, 16. Februar 2017, als Zeuge vor dem 3. Untersuchungsausschuss (NSU II) des Bundestages unter Vorsitz von Clemens Binninger (CDU/CSU).

Dabei stand insbesondere der Skandal um vernichtete V-Mann-Akten im BfV erneut im Mittelpunkt. Kurz nachdem der NSU im November 2011 enttarnt worden war, wurden im BfV die Akten von mehreren V-Leuten geschreddert, die im Rahmen der sogenannten „Operation Rennsteig“ zwischen 1996 und 2003 in Thüringen angeworben worden waren – in dem Bundesland also, aus dem auch die mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe stammen.

Akten fälschlicherweise geschreddert

Nach bisherigem Kenntnisstand waren die Akten zuvor auf mögliche Bezüge zum NSU hin geprüft worden. Die Prüfung fiel offenbar negativ aus. Weil die Löschfristen der Akten zu diesem Zeitpunkt bereits überschritten waren, habe der damals zuständige Referatsleiter mit dem Decknamen „Lothar Lingen“ die Akten daraufhin fälschlicherweise schreddern lassen, so lautete bisher die offizielle Erklärung des BfV. Einige nachträglich aufgetauchte Dokumente lassen an dieser Darstellung jedoch zweifeln.

Unter anderem haben die Recherchen einzelner Ausschussmitglieder ergeben, dass Lingen im Oktober 2014 in einer Befragung gegenüber dem Bundeskriminalamt (BKA) und einem Bundesanwalt (GBA) eingeräumt hat, über die Brisanz der Akten durchaus im Bilde gewesen zu sein und diese vernichtet zu haben, um möglichen Schaden vom BfV abzuwenden. Enthielten die Akten also womöglich doch Informationen über den NSU, die zu einer früheren Ergreifung der Terrorgruppe hätten führen können? Dies ist weiterhin eine der zentralen Fragen im NSU-II-Ausschuss.

Mit Lothar Lingen nie persönlich gesprochen

Die genauen Hintergründe der Schredderaktion konnte auch Maaßen nicht erhellen. Er war damals noch nicht beim BfV, sondern im Bundesinnenministerium tätig. Mit dem mutmaßlich hauptverantwortlichen Referatsleiter Lingen habe er nie persönlich gesprochen, sagte Maaßen. Von der spät aufgetauchten Aussage Lingens aus dem Jahr 2014 habe er erst vor einigen Monaten erfahren.

Auf die Frage, wie viele der geschredderten Akten mittlerweile rekonstruiert werden konnten, wusste Maaßen allerdings konkrete Zahlen zu nennen. Bei den meisten Akten seien mittlerweile 100 Prozent der sogenannten Deckblattmeldungen rekonstruiert worden. Im Fall des V-Manns Tarif, der an diesem Sitzungstag besonders im Fokus stand, hätten 93 Prozent der Deckblattmeldungen und 76 Prozent seiner gesamten Akte wiederhergestellt werden können. Der V-Mann Tarif war einige Stunden vor Maaßen in nichtöffentlicher Sitzung vom Ausschuss befragt worden.

Lücke in Tarifs Deckblattmeldungen

Wie Tarif dort noch einmal bestätigt haben soll, will er im Jahre 1998 kurz nach dem Untertauchen des NSU-Trios von dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer André Kapke angerufen und gefragt worden sein, ob er ein Versteck für die drei Flüchtigen beschaffen könne. Tarif behauptet zudem, das BfV über die Anfrage informiert zu haben, was das Amt wiederum bestreitet. Somit steht nun Aussage gegen Aussage.

Obfrau Petra Pau (Die Linke) betonte: Ausgerechnet die Teile der Tarif-Akte, die den Sachverhalt womöglich aufklären könnten, würden bis heute fehlen. Im relevanten Zeitraum zwischen Januar 1998 und September 1999 klafft laut Pau eine Lücke in Tarifs Deckblattmeldungen. Maaßen wiederum betonte, er habe einige der damals mit dem Fall befassten Mitarbeitern persönlich gesprochen und sei daraufhin zum Schluss gekommen, das an Tarifs Vorhalten nichts dran sei.

„Historische Zäsur“

In der Gesamtbetrachtung bezeichnete Maaßen die Aktenvernichtungen als „historische Zäsur“ in seiner Behörde und sprach von einem seitdem angestrebten Perspektivwechsel im deutschen Verfassungsschutz. Neben der bereits erfolgten Umsetzung der im Juli 2015 vom Bundestag verabschiedeten Verfassungsschutzreform, die unter anderem strengere Regeln für den Einsatz von V-Leuten schafft, werde unter seiner Führung nun unter anderem darauf geachtet, künftig mehr Menschen mit unterschiedlichen Biografien und Expertisen einzustellen, sagte Maaßen. Das sei wichtig, um womöglich festgefahrene Sichtweisen und Vorgehensweisen im Amt aufzubrechen. Vermehrt würden jetzt zum Beispiel auch Geistes- und Naturwissenschaftler als Mitarbeiter gesucht.

Um analytischen Kurzschlüssen und Betriebsblindheit, wie sie der Untersuchungsausschuss in Bezug die Arbeit der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex immer wieder festgestellt hat, künftig besser entgegenzuwirken, sprach sich Maaßen unter anderem für eine stärkere Rotation der Mitarbeiter in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen aus. Bisher sei es verbreitet gewesen, dass ein Sachbearbeiter oder Referent, wenn er in seiner „Lieblingsposition“ angekommen war, auch dort blieb. Außerdem sei das Aus- und Fortbildungswesen an der seit Mai 2014 umbenannten und neu aufgestellten Akademie für Verfassungsschutz (AfV) grundlegend reformiert worden. 

„An damaligen Einschätzungen nichts geändert“


Zuvor hatte der Ausschuss den ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Heinz Fromm und einen früheren V-Mann des BfV befragt. Dabei ging es erneut auch um die Vernichtung mehrerer V-Mann-Akten im BfV, kurz nachdem die rechte Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) im November 2011 aufgeflogen war. Der brisante Vorgang, der in den Medien als „Aktion Konfetti“ bekannt wurde, wirft bis heute Fragen auf und zwang Fromm im Juli 2012 nach zwölf Jahren Amtszeit zurückzutreten.

Fromm war kurz nach seinem Rücktritt vom ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt worden. Er räumte damals Fehler seiner Behörde ein und sprach von „einer schweren Niederlage für die deutschen Sicherheitsbehörden“. Seinen damaligen Aussagen hatte er nun vor dem NSU-II-Ausschuss wenig hinzuzufügen. Trotz einiger neuer Erkenntnisse habe sich an seinen damaligen Einschätzungen nichts geändert, sagte Fromm.

„Gefahr eines aktiven Rechtsterrorismus unterschätzt“

Binninger wollte unter anderem von Fromm wissen, ob er heute eine Erklärung dafür habe, warum trotz der vielen V-Personen, die die deutschen Verfassungsschutzbehörden ab Mitte der 1990er-Jahre in der rechtsextremen Szene und auch im näheren Umfeld des NSU beschäftigt hatten, nicht einmal der Aufenthaltsort des Trios ermittelt werden konnten.

Fromm blieb auch hier bei seinen früheren Aussagen: „Ich habe in der Zwischenzeit keine Informationen bekommen, die mich in die Lage versetzen, die Frage zu Ihrer Zufriedenheit zu beantworten“, antwortete er dem Vorsitzenden. Aufgrund fehlender Informationen hätten die Sicherheitsbehörden damals die Gefahr eines aktiven Rechtsterrorismus unterschätzt, was ein Fehler gewesen sei.

Fromm verteidigt Einsatz von V-Personen

Die damaligen Fehleinschätzungen hätten nach der Enthüllung der NSU-Verbrechen zu strukturellen Veränderungen im BfV geführt, sagte Fromm. Neben personellen Konsequenzen sei unter anderem das sogenannte „Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus“ (GAR) eingerichtet worden, das später im sogenannten „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“ (GETZ) aufgegangen sei.

Die auch weiterhin gängige Praxis der Sicherheitsbehörden, Personen aus extremistischen Milieus als Informanten zu werben, verteidigte Fromm. So seien in seiner Amtszeit eine Vielzahl „wertvoller Informationen für das tägliche Geschäft“ durch V-Personen gewonnen worden. Damit meinte Fromm unter anderem die meist konspirativ geplanten rechtsextremen Demonstrationen, Konzerte und den Vertrieb von Propagandamaterial.

Zweifel am eigenmächtigen Handeln Lingens

Die Abgeordneten wollten von Fromm auch eine Einschätzung zu den erst kürzlich aufgetauchten Aussagen des unter dem Decknamen „Lothar Lingen“ firmierenden Referatsleiters, der als Hauptverantwortlicher für die Schredderaktion im BfV gilt. Entgegen früherer Aussagen hat Lingen im Oktober 2014 in einer Befragung gegenüber dem Bundeskriminalamt (BKA) und einem Bundesanwalt (GBA) eingeräumt, zum Zeitpunkt der Schredderaktion über die Brisanz der Akten im Bilde gewesen zu sein und diese vernichtet zu haben, um möglichen Schaden vom BfV abzuwenden.

Die erst durch Recherchen des Untersuchungsausschusses aufgetauchte Aussage ließ auch erneuten Zweifel daran aufkommen, dass Lingen, wie bisher angenommen, eigenmächtig, ohne die ausdrückliche Weisung oder Billigung seiner Vorgesetzten, gehandelt hat.

„Das will ich doch nicht hoffen“

Auf die Frage Binningers, ob es womöglich gängige Praxis im BfV gewesen sei, Akten zu schreddern, um später keine unangenehmen Fragen beantworten zu müssen, antwortete Fromm: „Das will ich doch nicht hoffen.“ Entsprechende Vorwürfe wies er entschieden zurück.

Obfrau Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) hakte nach, ob womöglich andere Vorgesetzte Lingens wie der damalige Abteilungsleiter Rechtsextremismus in die Entscheidung der Aktenvernichtung eingebunden waren. Daraufhin entgegnete Fromm: „Ich kann gar nichts ausschließen.“ Allerdings betonte er auch, der Sachverhalt sei seiner Kenntnis nach gründlich geprüft worden. Nach bisherigen Erkenntnissen hat Lingen seine Vorgesetzten über seine Beweggründe und den genauen Zeitpunkt der Schredderaktion zunächst in Unkenntnis gelassen.

Direkter Kontakt zu NSU-Terroristen nicht belegt

Zuvor hatte der Ausschuss in nichtöffentlicher Sitzung mit dem Zeugen M.S. einen ehemaligen V-Mann des BfV befragt. Bei S. handelt es sich um einen im NSU-Komplex bereits hinreichend bekannten, aus Thüringen stammenden Neonazi, der zumindest nachweislich Kontakt zu Personen im direkten Umfeld des NSU hatte und der ab Mitte der neunziger Jahre mehrere Jahre lang für das BfV als V-Mann „Tarif“ arbeitete. Seine V-Mann-Akte gehörte zu jenen, die 2011 im BfV geschreddert wurde.

Wie die Abgeordneten in anschließenden Pressestatements betonten, hat sich der Zeuge während der Befragung kooperativ gezeigt und die Fragen des Ausschusses konstruktiv beantwortet. Allerdings, so konstatierte SPD-Obmann Uli Grötsch, sei es nicht gelungen, den NSU-Komplex durch die Befragung des V-Mannes weiter zu erhellen. Ein direkter Kontakt zwischen dem V-Mann und den NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ist bisher nicht belegt.

Aussage gegen Aussage

M. S. hat gegenüber dem Magazin „Der Spiegel“ behauptet, im Jahre 1998 kurz nach dem Untertauchen des NSU-Trios von dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer André Kapke angerufen und gefragt worden zu sein, ob er die drei Flüchtigen verstecken könne. Ob es diese Anfrage tatsächlich gab und ob S. die Information dann auch, wie er behauptet, an das BfV weitergab, darüber herrscht auch nach seiner Aussage vor dem NSU-Ausschuss weiterhin Unsicherheit.

Der Zeuge sei während der Befragung bei seiner Version geblieben, sodass nun Aussage gegen Aussage stünde, sagte Binninger. Das BfV bestreitet, über den Anruf Kapkes informiert worden zu sein. Petra Pau (Die Linke) wies zugleich darauf hin: Ausgerechnet die Akten, die den Sachverhalt womöglich aufklären könnten, seien im November 2011 im Reißwolf gelandet. (fza/17.02.2017)

Liste der geladenen Zeugen

  • Dr. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz
  • Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz a.D.
  • M.T., Kriminalhauptkommissar, Landeskriminalamt Berlin