Pluralismus statt Zensur: Konferenz im Bundestag über Online-Hass
Die digitale Gesellschaft verstehen und Hass mit Medienkompetenz und Transparenz statt Zensur begegnen: zu diesem Schluss kamen Experten und Politiker auf Konferenz zum Thema „Online-Hass, Verschwörungstheorien und sinkendes Vertrauen in den Medien“ am Montag, 13. Februar 2017, im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestages in Berlin. Veranstalter der Konferenz war der Ausschuss für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. In drei Themenblöcken informierten und diskutierten Experten, Politiker und Gäste zu den aktuellen Entwicklungen im Umgang mit Online-Hass, Verschwörungstheorien und Social Media.
Hass ist keine Meinung
„Als wir die Konferenz vor ein paar Jahren gegründet haben, war die Aktualität noch nicht abzusehen“, sagt Franke Schwabe (SPD), Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, zur Begrüßung der Teilnehmer. Aktuell sei eine Zeit der besonderen Herausforderungen. „Wir befinden uns in einer neuen Phase und müssen den Blick nach außen richten“, bestätigte auch die italienische Abgeordnete Milena Santerini. Sie verwies auf die Bedeutung einer Zusammenarbeit zwischen der Politik und Bloggern, Medien und Organisationen. Die Berichterstatterin für die Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz ist Koordinatorin der „No Hate Alliance“ im Parlament des Europarats, einer europaweiten Kampagne gegen Hass im Netz.
Die SPD-Abgeordneten Caren Marks, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, betonte die Möglichkeiten des Internets, demokratische Partizipation zu schaffen. Gleichzeitig steige dadurch jedoch die Gefahr von Hass und Verschwörungstheorien, die besonders junge Menschen ungefiltert erreichen würden. „Hass ist keine Meinung“, sagt die Politikerin. „Weder im Netz noch in unserer Gesellschaft ist Platz für antisemitische oder rassistische Parolen.“
Leben in der Filterblase
Die Soziologin Dr. Jasmin Siri von der Universität Bielefeld und Prof. Dr. Matthias Kohring von der Universität Mannheim informierten im Folgenden zu den Gründen von Hass und Verschwörungstheorien im Internet und zum Vertrauensverlust in die Medien. Dabei wurde deutlich, dass Phänomene wie Shit-Storms keine neuartigen Entwicklungen sind. Jedoch schaffe Social Media eine neue Form der Öffentlichkeit, so Siri.
Die Funktionsweisen von Plattformen wie Facebook führten dabei zu einer Art Echokammer einerseits und einer Filterblase andererseits. Benutzer blieben in ähnlichen Freundeskreisen mit ähnlichen Meinungen und behandelten und verstärkten dieselben Themen. In diesen homogenisierten Teil-Öffentlichkeiten gebe es nur eine begrenzte Wahrnehmung. Dies führe zu unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen, so die Expertin. „Zensurversuche können dabei eigentlich nur scheitern.“
„Medien werden Opfer ihrer eigenen Funktionsweise“
Zum Vertrauen in die Medien referierte Prof. Dr. Matthias Kohring von der Universität Mannheim. Vor allem die klassischen Medien würden das Bild einer Vertrauenskrise zeichnen, so der Experte: „Die Medien werden oft selbst Opfer ihrer eigenen Funktionsweisen.“ Anhand von Studien der Forschungsgruppen Wahlen oder des Instituts für Demoskopie Allensbach lasse sich über die letzten Jahre keine generelle Krise gegenüber den klassischen Medien erkennen.
Deutlich sei jedoch eine beginnende Politisierung im Zusammenhang zwischen Politik und Journalismus. Menschen, die der Politik kritisch gegenüberstünden, vertrauten auch den Medien nicht mehr, weil sie einen Zusammenhang zwischen den Institutionen vermuteten. Dadurch nehme das Vertrauen in soziale Medien zu. „Die Ablehnung der klassischen Nachrichtenmedien wird dann Teil der eigenen politischen Meinung“, so Kohring.
Zum Abschluss des ersten Panels fassten die beiden italienischen Abgeordneten Milena Santerini und Cécile Kyenge die Entwicklungen noch einmal zusammen. „Wir haben eine neue Herausforderung für die Demokratie“, sagte Santerini. Die politischen Entscheidungsträger müssten zusammenarbeiten, um eine Gegenkultur gegen Hass zu schaffen.
Hass als Bewältigung von Hilflosigkeit
Die Folgen von Hass im Internet und Verschwörungstheorien waren Teil des zweiten Panels, das von der Initiatorin der Konferenz, der SPD-Bundestagsabgeordneten Gabriela Heinrich, eröffnet wurde. Das deutsche Mitglied in der Parlamentarischen Allianz der Parlamentarischen Versammlung betonte, dass es für die unterschiedlichen Gründe von Hass auch unterschiedliche Reaktionen geben müsse.
Der Blogger und Online-Publizisten Sascha Lobo erläuterte in einem Praxis-Vortrag seine Erfahrungen und seinen Umgang mit der digitalen Gesellschaft. Hasskommentare im Netz seien vorwiegend die Bewältigung der eigenen Hilflosigkeit, so Lobo. Es gehe dabei oft weniger darum, Informationen zu verbreiten, sondern „es ist eine Form der Selbstdarstellung“. Jeder gebe dann nur noch Informationen weiter, die in das eigene Weltbild passen. Jedoch sei das Medienmisstrauen auch durch die Medien selbst begünstigt worden. „Es gibt eine Lücke zwischen dem, was man mit sozialen Medien tun kann, was man tun könnte und was die Medien tun.“ Diese Entwicklungen ließen sich aber nicht durch Zensur regeln. „Wir müssen herausfinden, wie die digitale Gesellschaft funktioniert.“ Nur ein ehrlicher Pluralismus könne eine Lösung sein.
„Hass im Netz hat Angst und Gewalt zur Folge“
Daran anschließend berichtete Johannes Baldauf von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus einsetzt, zum Thema „Folgen hat Hass im Netz“. „Der Hass reicht sehr weit über das rechtsextreme Spektrum hinaus“, so Baldauf. Das Netz sei dabei ein Multiplikator, das einen Handlungsdruck erzeuge. „Hass im Netz hat Angst und Gewalt zur Folge.“ Eine Institution wie die Amadeu-Antonio-Stiftung könne damit umgehen – dies sei jedoch kein Vergleich zu Personen, die sich allein gegen Hass im Netz stellen. Es sei daher immer mehr ein Rückzug der kritischen Stimmen zu verzeichnen und auch eine Art Sprachlosigkeit zwischen den Parteien. Das Phänomen sei jedoch nicht neu, so Baldauf. „Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.“
„Wir dürfen online nicht Dinge äußern, die wir niemals von Angesicht zu Angesicht äußern würden“, betonte Gülsün Bilgehan, Mitglied des türkischen Parlaments, zum Abschluss der Expertenrunde.
Sichtbare Gegenmaßnahmen
Mit Gegenmaßnahmen und möglichen Lösungsansätzen beschäftigte sich das dritte und abschließende Panel. „Hass ist nicht strafbar, aber wir reden hier über Kriminalität“, sagt Staatssekretär Gerd Billen vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Der Staat könne keine Nachrichten prüfen. Vielmehr müssten Unternehmen die Beschwerden ihrer Nutzer ernst nehmen. „Es reicht nicht aus, zur Zivilcourage und Gegenrede im Netz aufzurufen.“
Karolin Schwarz, Mitgründerin der Webseite hoaxmap.org, und Sebastian Hirsch von der Stiftung Warentest schilderten zum Abschluss ihren Umgang mit Hass und Verschwörungsphänomenen. Schwarz, die mit ihrer Website seit 2015 Falschmeldungen über Geflüchtete verzeichnet, rief zu einer Debatte über Medienkompetenz auf. Viele Menschen würden Annahmen und Vermutungen ungefragt übernehmen.
Debunking gegen Trolle
Aktives Entlarven von Falschmeldungen, um Trollen und Hatern nicht das Feld zu überlassen und vor allem stille Mitleser zu überzeugen, war der Ansatz von Sebastian Hirsch. Der Mitarbeiter der Stiftung Warentest verfolgt dieses sogenannte Debunking auf der Facebook-Homepage der Stiftung. Nur so könne man Akteuren die Plattform entziehen, sagte der Experte.
Falschaussagen sollten in einfacher Sprache widerlegt werden. „Wer eine Aussage trifft, ist in der Beweispflicht.“ Oft werde dann deutlich, dass nur Schein-Wissen hinter den Aussagen stehe. In der Diskussion kämen überzeugte Gegner mit ihren Argumenten nicht weiter oder blockierten schließlich die Seite. Ebenso wie seine Vorredner sprach er sich damit für eine offensive und sachliche Gegenwehr im Netz aus.
Brandbeschleuniger stoppen
Die luxemburgische Abgeordnete Anne Brasseur sowie das deutsche Mitglied der „European Commission against Racism and Intolerance“ Barbara John beendeten die Konferenz. „Armut, Korruption und Hass sind die großen Gefahren der Demokratie“, sagte Brasseur. Die Botschafterin des „No Hate Speech Movement“, zugleich Mitglied der „No Hate Parliamentary Alliance“, unterschied im Kontext des Online-Hasses zwischen Brandstiftern und Brandbeschleunigern.
Viele Teilnehmer seien sich ihrer Stellung und ihrem Einfluss im Netz nicht bewusst und müssten überzeugt werden. Dazu brauche es Bildung und Medienerziehung, so Brasseur. Phänomene wie Skepsis und Hass seien nichts grundsätzlich Neues, resümierte auch Barbara John. Heutzutage diene jedoch das Internet als Ventil. Nun sei es vor allem die Frage, wie man diese Entwicklung beeinflussen könne. (lau/14.02.2017)