Der Entwurf zur geplanten Änderung des Gentechnikgesetzes durch die Bundesregierung (18/10459) stößt bei Experten auf Kritik. In einer Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestages am Montag, 16. Januar 2017, bemängelten die Sachverständigen, dass der Entwurf zu kompliziert sei. Einerseits erschwere der Entwurf die Durchsetzung eines Anbauverbotes für gentechnisch veränderte Pflanzen (GVO), andererseits könnte durch das Gesetz eine wichtige Zukunftstechnologie riskiert werden.
Ausschussvorsitzender Alois Gerig (CDU/CSU) erläuterte zu Beginn, dass sich die Anhörung sowohl einem Entwurf der Bundesregierung als auch einem Entwurf des Bundesrates (18/6664) widme, die Anbaubeschränkungen oder Verbote für GVO in Deutschland ermöglichen sollen. Als rechtliche Grundlage dient die sogenannte Opt-out-Regelung auf Grundlage der Richtlinie (EU) 2015/412 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG. Opt-out meint eine Ausnahmeregelung für EU-Mitgliedstaaten, nationale Anbauverbote oder Beschränkungen für gentechnisch veränderte Pflanzen in ihrem Hoheitsgebiet oder in Teilen davon beschließen zu dürfen.
BUND befürchtet einen Flickenteppich
Die Leiterin Gentechnik-Politik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., Heike Moldenhauer (BUND), trat für ein Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen ein. Ihrer Ansicht nach nutzt die Bundesregierung den durch die EU-Richtlinie eröffneten Spielraum nicht aus. Obwohl die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber der Gentechnik sogar im Koalitionsvertrag festgehalten seien, werde der Gesetzentwurf der Ablehnung nicht gerecht. „Es werden hohe Hürden aufgebaut, die ein bundesweites Anbauverbot unmöglich machen“, meinte Moldenhauer.
Die Verantwortung würde auf die Bundesländer abgewälzt. Es sei illusorisch, innerhalb von 45 Tagen ein „Einvernehmen“ zwischen sechs Bundesministerien für einen Verbotsbeschluss herbeiführen zu wollen. Ein Veto würde genügen, jedes nationale Anbauverbot zu verhindern. Moldenhauer forderte, die Beteiligung aller Bundesministerien zu streichen. Sollte der Gesetzentwurf verabschiedet werden, leiste dieser einem „Flickenteppich“ Vorschub, wenn nicht alle Bundesländer Anbauverbote verhängen. Mittelfristig drohe dadurch der Verlust der Gentechnikfreiheit für in Deutschland erzeugte landwirtschaftliche Produkte.
Bundesländer bevorzugen eigenen Gesetzentwurf
Die Vertreterin der Bundesländer, Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser vom Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Hessen, hob indes die Vorzüge des Gesetzentwurfs des Bundesrates hervor. Ziel sei ein bundesweit zentrales und einheitliches Verfahren für Beschränkungen oder Verbote für den GVO-Anbau. „Doch dieser Entwurf wurde von der Bundesregierung im Rahmen der Stellungnahme abgelehnt“, monierte Tappeser. Der Bundesrat folge jedoch nicht der vom Bund vertretenen Einschätzung, dass eine höhere Rechtssicherheit nur bei Zuständigkeit der Länder erreicht werden könne. Regionale Aspekte könnten auch auf Bundesebene berücksichtigt werden.
Aus Sicht der Länder sei der vorgelegte Gesetzentwurf der Regierung deshalb als „enttäuschend“ zu beurteilen. Die Abstimmung unter so vielen Beteiligten werde nicht gelingen, kritisierte die Staatssekretärin. Der einfache und schlanke Weg, den die EU durch ihre Vorlage eröffnet habe, werde unnötig kompliziert gemacht. Bundesweite und flächendeckende Anbauverbote würden dadurch in weite Ferne rücken.
Experten äußern rechtliche Bedenken
Für den Einzelsachverständigen Dr. Georg Buchholz erweckte der Gesetzentwurf hingegen den Eindruck, eine gewollte bundesweite Regelung mit dem Ziel eines GVO-Verbots durchsetzen zu wollen. In der Praxis werde der Entwurf allerdings die Umsetzung dieses Ziels erschweren. Buchholz sah im Entwurf der Bundesregierung unnötig aufgebaute Hindernisse, indem die Einwilligung für Verbote und Beschränkungen von sechs Bundesministerien und einer Mehrheit der Bundesländer abhängig ist. Außerdem sah der Sachverständige in der Regelung eine „verfassungswidrige Mischverantwortung“ zwischen Bund und Ländern angelegt, die die Rechtssicherheit der getroffenen Beschlüsse infrage stelle. „Der Bundesratsentwurf eignet sich besser“, lautete das Fazit des Experten.
Der Einzelsachverständige Wolfgang Koehler beurteilte die EU-Richtlinie in ihrer Zielsetzung als eher „gentechnikfreundlich“ und weniger als „feindlich“. Allerdings mache der Regierungsentwurf seiner Meinung nach alles kompliziert. Für unglücklich hielt Koehler außerdem, dass das Bewertungsverfahren die Diskussion über die ökonomische Sinnhaftigkeit von GVO nicht ermöglicht und sich nur auf den Aspekt der Sicherheit fokussiere. Das sei aber der falsche Ansatz.
Schwerwiegende verfassungs-, unions- und welthandelsrechtliche Bedenken äußerte Prof. Dr. Hans-Georg Dederer von der Juristischen Fakultät der Universität Passau. Seiner Ansicht nach zielt die Änderung einzig auf ein Verwendungsverbot für als sicher befundene Produkte. Denn Verbote würden letzten Endes gegenüber GVO ausgesprochen, die durch EU-Kontrollbehörden auf Basis wissenschaftlicher Expertisen sowie entsprechend der Sicherheits-, Umwelt- und Gesundheitsregeln erlaubt worden sind. „Das wäre das Ende der grünen Gentechnik“, sagte er.
Wissenschaftler fürchten um Zukunftstechnologien
In eine ähnliche Kerbe schlug auch Prof. Dr. Hans-Jörg Jacobsen vom Institut für Pflanzengenetik der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover, der feststellte, dass im Ausland neue Techniken wie das Genome Editing bereits angewendet würden. Der Wissenschaftler befürchtete negative Auswirkungen durch die Einführung des Opt-out im Hinblick auf neue Züchtungstechniken, die er nicht zur Gentechnik zählte und deshalb auch nicht als regelungsbedürftig erachtete. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung bezeichnete Jacobsen allerdings als nachvollziehbar, weil die Forschung in der Bundesrepublik wieder aufgebaut werden müsse. Deshalb forderte er, dass das Einvernehmen des Bundesforschungsministeriums bei entsprechenden Entscheidungen erforderlich sein muss, um die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Begründung für Anbauverbote zu erhalten.
Ebenfalls als nicht erforderlich betrachtete Prof. Dr. Joachim Schiemann vom Julius-Kühn-Institut den Erlass nationaler Anbauverbote für GVO, die auf Grundlage einer wissenschaftlichen Risikobewertung für den Anbau in Europa zugelassen sind. Für Schiemann stelle das Gesetz im Vergleich zur vorherigen Regelung aber eine Verbesserung dar, denn nun müssten die Gründe für Verbote klar benannt werden und mit dem Verweis auf unwissenschaftliche Begründungen erfolgen. Fragwürdige wissenschaftliche Begründungen müssten dann nicht mehr bemüht werden, um politische Entscheidungen zu legitimieren. Der Wissenschaftler warnte in seiner Stellungnahme zudem davor, mit dem Gesetz Innovationen zu behindern. Auch Schiemann sah im Genome Editing ein großes Potenzial und eine wichtige Zukunftstechnologie.
Entwurf der Bundesregierung
Mit dem Entwurf der Bundesregierung soll eine rechtssichere Grundlage für die „Opt-out“-Regelung schaffen. Danach sollen in Deutschland der Bund und die Länder gemeinsam über den Genpflanzenanbau bestimmen. Das Gentechnikgesetz sieht dafür ein Verfahren vor, wonach die Unternehmen den Anbau von GVO auf EU-Ebene beantragen sollen.
Noch während des Antragsverfahrens soll die Bundesrepublik den Antragsteller im gleichen Schritt auffordern können, das Hoheitsgebiet Deutschlands vom Anbau auszunehmen. Die Bundesländer seien in diesem Rahmen angehalten, dazu Stellungnahmen an das Bundeslandwirtschaftsministerium abzugeben. Stimmt die Mehrheit der Länder für ein Verbot, soll dies dem Unternehmen durch das Bundesministerium mitgeteilt werden. Hat sich der Antragsteller dazu nicht geäußert oder zugestimmt, würde der Anbau umgehend reglementiert.
Verbote als letzter Schritt
Wird dem Beschluss jedoch widersprochen, muss die Bundesregierung den Anbau für ganz Deutschland aus wichtigen Gründen beschränken oder verbieten. Andernfalls hätte das Unternehmen die Möglichkeit, dem Verbot nur für ein Teilgebiet Deutschlands nachzukommen. Die Begründung könne aber nur aus einem regionalen oder lokalen Kontext erfolgen, der gleichzeitig für das gesamte Bundesgebiet gültig sein muss. Ist es bis zu diesem Punkt noch nicht zu einem flächendeckenden Anbauverbot gekommen, sollen die Bundesländer in einem letzten Schritt Verbote mithilfe von Verordnungen auf Basis zwingender Gründe durchsetzen können.
Dafür kämen umweltpolitische Ziele in Betracht, wie der Schutz der biologischen Vielfalt, oder sozioökonomische Auswirkungen, etwa auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft, und agrarpolitische Ziele, zum Beispiel die Förderung des ökologischen Landbaus oder der Reinheit des Saatguts in Gebieten mit Saatgutvermehrungsflächen. Darüber hinaus sollen auch die Stadt- und Raumordnung, die Bodennutzung oder die Wahrung der öffentlichen Ordnung zur Begründung angeführt werden können. (eis/16.01.2017)
Liste der geladenen Sachverständigen
Verbände:
- Heike Moldenhauer, Leiterin Gentechnik-Politik, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), Berlin
- Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser, Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Wiesbaden
Einzelsachverständige:
- Dr. Georg Buchholz, Berlin
- Prof. Dr. Hans-Georg Dederer, Universität Passau, Juristische Fakultät, Passau
- Prof. Dr. Hans-Jörg Jacobsen, Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover, Institut für Pflanzengenetik, Hannover
- Wolfgang Koehler, Bonn
- Prof. Dr. Joachim Schiemann, Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Quedlinburg