Keine Auseinandersetzung hat die Bundesrepublik Deutschland so gespalten wie die Nutzung der Kernenergie. Das ist seit Fukushima Geschichte. Seitdem herrscht Konsens über den Ausstieg. Am Donnerstag, 15. Dezember 2016, hat der Deutsche Bundestag weitere Folgen des Ausstiegs geregelt. Für den Rückbau der Atomkraftwerke, von denen 2022 das letzte vom Netz gehen soll, bleiben die Atomkonzerne zuständig. Für die Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle überweisen sie mehr als 23 Milliarden Euro an den Staat, der ihnen dafür diese Aufgabe abnimmt. „Das ist der eigentliche Schlussakt des Atomaustiegskonsenses, den für ein Endlager werden wir noch herbeiführen müssen“, beschrieb Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Bedeutung.
Grüne: Leitlinie war immer Verantwortung
Koalitionsfraktionen und auch Bündnis 90/Die Grünen zeigten große Einigkeit, der Verantwortung gemeinsam gerecht zu werden. Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) stellte fest, die Grünen seien die Anti-AKW-Partei, „aber Leitlinie von uns war nie Widerstand, Leitlinie von uns war immer Verantwortung.“
Aus Verantwortung seien die Grünen gegen Atomkraft, und „aus Verantwortung suchen wir jetzt nach Lösungen für die langfristigen Aufgaben, die uns nach Abschalten der Atomkraftwerke bleiben.“ Bei Atomthemen gebe es selten die Superlösung, sondern meistens nur das „Bestmögliche in einer schlechten Gemengelage. Das leistet dieser Gesetzentwurf.“
CDU/CSU: Verursacherprinzip wird umgesetzt
„Das war für mich ein ungewohntes Gefühl. Aber es hat geklappt, und es war auch sinnvoll“, freute sich Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) über den gemeinsam von der Koalition und den Grünen eingebrachten und beschlossenen Gesetzentwurf. Gutachter hätten bestätigt, dass die Zahlung der Konzerne „in der Höhe gerechtfertigt und ausreichend ist, für die längere Sicherstellung der Lagerung“. Damit werde das Verursacherprinzip umgesetzt. Die Mittel für die Endlagerung lägen jetzt beim Staat und seien damit sicher, wenn die Konzerne zum Beispiel verkauft würden. „Diese guten Ergebnisse sind nicht vom Himmel gefallen“, lobte Fuchs die Bemühungen der vorbereitenden Kommission, der Regierung und im Bundestag. Man habe die Arbeit „nicht zur Ausführung der Schlachten der Vergangenheit genutzt, sondern wir haben im Gegenteil konstruktiv zusammengearbeitet.“
Fuchs mahnte einen schnellen Abschluss des geplanten öffentlich-rechtlichen Vertrages mit den Konzernen an. Auch müsse eine „gütliche Verständigung“ bei den noch offenen zwei Rechtsstreitigkeiten gefunden werden. Und die Suche nach einem Endlager müsse intensiviert werden. Einen Bohrlochtourismus in den Bundesländern dürfe es nicht geben. „Je schneller wir eine Lösung für ein Endlager, finden, desto sicherer ist, dass die Gelder, die in dem Fonds sind, auch ausreichen“, sagte Fuchs.
SPD: Finanzieller Entsorgungskonsens ist erreicht
„Am Ende der Debatte haben wir einen Konsens, dass die weitere Nutzung der Atomkraft nicht verantwortbar ist“, erinnerte Hubertus Heil (SPD). Jetzt sei es auch gelungen, einen „finanziellen Entsorgungskonsens“ zu erreichen. Das Gesetz sorge für Klarheit über die Finanzierung der „Altlasten des atomaren Zeitalters“. Die Betreiber würden für Stilllegung, Rückbau und Verpackung von atomaren Abfällen verantwortlich. Der Bund übernehme für Zwischen- und Endlager die Verantwortung, aber dafür würden die Betreiber über 23 Milliarden Euro zahlen.
„Wir wollen dem Staat diese Mittel sichern“, sagte Heil mit Blick auf die schlechte Lage der Energiekonzerne, bei denen „nicht für alle Zeit gesichert ist, ob dieses Geld wirklich da ist“. Daher sei es richtig, das Geld in einen staatlichen Fonds zu leiten, „damit wir ein für allemal das Geld sicher haben. Das nenne ich verantwortliche Politik.“ Zum gesellschaftlichen Konsens gehöre aber auch Rechtsfrieden. Daher müssten die Konzerne auch die letzten beiden Klagen zurückgezogen werden: „Es ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden.“
„Konsens braucht Rechtsfrieden“
Für Kotting-Uhl erfüllt das Gesetz seinen Zweck nur noch zum Teil, weil es zu spät komme. „Auch mich empört es, den Energiekonzernen finanzielle Risiken abzunehmen.“ Aber so richtig Empörung sei, aber sie sei nicht die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers: „Unsere erste und vornehmste Aufgabe ist, Schaden von der Bevölkerung zu wenden.“ Deshalb habe es den Atomausstieg geben müssen und deshalb gebe es Planungen zu einer sorgfältigen Endlagersuche, was aber etwas ganz anderes als Bohrlochtourismus sei. Jetzt seien die Empfehlungen der Kommission mit dem Gesetz umgesetzt und der Bundestag an der Aufsicht über den Fonds beteiligt worden.
Wie die Redner der Koalition verlangte auch Kotting-Uhl die Rücknahme aller Klagen: „Konsens braucht Rechtsfrieden.“ Offenbar hätten die Konzerne begriffen, dass ihre „maßlosen Ansprüche“ auf Widerstand in Politik und Gesellschaft stoßen. Die beiden letzten Klagen mit relevantem Finanzvolumen würden jedoch noch bestehen – im Falle eines Erfolgs würden sich die Konzerne die Hälfte der Einzahlungen in den Fonds auf diesem Weg zurückholen. „Sorgen Sie dafür, dass diese beiden Klagen vom Tisch kommen“, appellierte Kotting-Uhl an die Regierung.
Minister: Atomkraft ist teuerste Form der Energieerzeugung
Wirtschaftsminister Gabriel erinnerte an die Hoffnungen vor über einem halben Jahrhundert, mit Atomkraft die Energiefrage lösen zu können. „Wir alle wissen, es ist völlig anders gekommen.“ Der Bau von Atomkraftwerken sei die teuerste Form der Energieerzeugung. In Großbritannien sei zu sehen, dass neue Kernkraftwerke nur mittels öffentlicher Subventionen zu finanzieren seien, weil man sich nicht rechtzeitig um erneuerbare Energien gekümmert habe. In Finnland werde ein neues Atomkraftwerk mit immensen Kostensteigerungen gebaut.
„Das Argument, es würde in der Welt eine Renaissance der Kernenergie geben, war immer falsch“, stellte Gabriel erfreut fest. Er bekannte sich zu den erneuerbaren Energien: „Aus dem Kampf gegen die Kernenergie ist in Deutschland die Energiewende entstanden.“ Strom aus Sonne und Wind sei ohne unkalkulierbares Unfallrisiko und „ohne Abfälle, die Jahrtausende strahlen“.
Linke kritisiert Verstaatlichung der Atommüllentsorgung
Massiver Widerstand gegen den gefundenen Kompromiss der „supergroßen Koalition“ kam nur von der Linksfraktion. Deren Redner Hubertus Zdebel (Die Linke) erklärte: „Wenn Atomkonzerne nichts mehr verdienen können oder hohe Kosten drohen, muss der Staat ran.“ Nach diesem Prinzip werde jetzt die Verstaatlichung der gesamten Atommüllentsorgung besiegelt und dem Steuerzahler die Risiken aufgebürdet: „Das macht die Linke nicht mit.“ Die Verursacher müssten weiterhin in atomaren Haftung bleiben und für den atomaren Dreck geradestehen.
Stattdessen würden sie für den „Schnäppchenpreis“ von rund 23 Milliarden Euro aus der Haftung entlassen: „Das ist skandalös“, zumal die Konzerne laut Zdebel im nächsten Jahr um sechs Milliarden Euro wegen der ausgelaufenen Brennelementesteuer entlastet werden. Notwendig wäre dagegen eine weitere Nachschusspflicht der Konzerne, wenn die eingezahlten Beträge nicht ausreichen würden.
Große Mehrheit für den Gesetzentwurf
Mit dem vom Bundestag in namentlicher Abstimmung mit 516 gegen 58 Stimmen bei sechs Enthaltungen angenommenen Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und Grünen (18/10469, 18/10671) bleiben Betreiber von Kernkraftwerken für den Rückbau ihrer Anlagen zuständig, werden aber gegen Einzahlung in einen Fonds von der Pflicht zur Zwischen- und Endlagerung befreit. Außerdem gab es gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages einen Bericht des Haushaltsausschusses (18/10672). Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/10353) lag eine Stellungnahme des Bundesrates mit Gegenäußerung der Bundesregierung vor (18/10482). Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde im Rahmen der Abstimmung für erledigt erklärt.
Bei den Beratungen in den zuständigen Ausschüssen waren noch einige Ergänzungen vorgenommen worden. Damit wurden unter anderem die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages gestärkt. So müssen auch Mitglieder des Parlaments dem Kuratorium des Fonds angehören. Außerdem gibt es eine jährliche Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag. Der erste Bericht muss zum 30. November 2018 erstellt werden.
Der beschlossene Gesetzentwurf sieht weiter vor, dass die Kraftwerksbetreiber für die gesamte Abwicklung und Finanzierung der Bereiche Stilllegung, Rückbau und fachgerechte Verpackung der radioaktiven Abfälle zuständig bleiben. „Für die Durchführung und Finanzierung der Zwischen- und Endlagerung wird hingegen künftig der Bund in der Verantwortung stehen“, heißt es in dem Entwurf.
Die finanziellen Lasten der Zwischen- und Endlagerung müssen die Betreiber übernahmen. Dazu sind von ihnen 17,389 Milliarden Euro in einen Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung einzuzahlen. Entrichten die Betreiber noch zusätzlich einen Risikoaufschlag in Höhe von 35,47 Prozent, können sie ihre Verpflichtung zum Nachschuss weiterer Beträge an den Fonds beenden. Bis zum 1. Juli 2017 müssen die Konzerne ihren Grundbetrag in den Fonds eingezahlt haben. Von der Einzahlung können Entsorgungskosten, die im ersten Halbjahr 2017 entstehen, abgezogen werden.
Entschließung verabschiedet
In einer angenommenen Entschließung, die CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bereits im Wirtschaftsausschuss beantragt hatten, wird die Bundesregierung aufgefordert, sich im Zusammenhang mit den Verhandlungen über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Kraftwerksbetreibern dafür einzusetzen, dass alle im Atombereich anhängigen Klagen und Rechtsbehelfe zurückgenommen werden.
Abgelehnt wurde ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke (18/10673). Sie hatte verlangt, dass die Konzerne als Verursacher dauerhaft auch in der finanziellen Verantwortung für die Stilllegung der Atomanlagen und die langfristige Atommülllagerung bleiben. (hle/15.12.2016)