Gelungene Integration ist die beste Prävention
„Prävention gegen gewaltbereiten Islamismus und Wege aus der Radikalisierung – haben wir die richtigen Konzepte und Programme?“ Diese Frage stellte der Unterausschuss „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ am Montag, 20. Juni 2016, in einem öffentlichen Gespräch mit zwei Sachverständigen. Die Sitzung fand unter dem Vorsitz von Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) statt.
Entwicklungen auf beiden Seiten
Bereits im Oktober 2014 hatte sich der Unterausschuss mit einer ähnlichen Fragestellung befasst; damals ging es um die Frage, wie man bereits den Wegzug von später gewaltbereiten Heimkehrern präventiv verhindern kann.
Nach Ansicht der geladenen Sachverständigen hat sich seither eine Menge getan – sowohl auf der Radikalisierungsseite als auch auf Seiten der dagegen ankämpfenden Programme und Initiativen.
Von der schleichenden zur Turboradikalisierung
Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat der Gesellschaft Demokratische Kultur, Berlin, stellte noch im Oktober 2014 fest, dass im näheren Umfeld (Freunde, Familie, Bekannte) die Anzeichen für die Radikalisierung eines Menschen immer spürbar seien.
Mittlerweile erlebe man eine sogenannte Turboradikalisierung. Veränderungen im Verhalten seien nur noch von Eingeweihten zu erkennen, nach außen würden Signale wie eine stärkere Religiosität oder äußerliche Veränderungen nicht mehr wahrnehmbar sein.
Junge Mädchen Ziel von Rekrutierungen
Stark betroffen von Radikalisierungstendenzen seien vor allem junge Mädchen. Die Dschihad-Kämpfer würden in den sozialen Medien wie Popstars präsentiert und auch als solche wahrgenommen. Die Rekrutierer, die im Übrigen selbst noch Jugendliche seien, würden ihre Opfer auch nicht mit religiösen Argumenten locken.
Vielmehr werde den jungen Leuten suggeriert, dass sie sich im Kalifat selbst verwirklichen können und dass all ihre Lebensfragen, mit denen sich Pubertierende naturgemäß herumschlagen, hier auf einen Schlag gelöst werden.
„IS lässt niemanden freiwillig wieder gehen“
Dass beim Islamischen Staat (IS) nicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit auf die Rekruten wartet, erfahren sie dann leider erst vor Ort, so Dantschke weiter. Gerade die Mädchen dürften keinen Schritt ohne männliche Aufsicht tun und an eine Rückkehr ist gerade bei den Mädchen nicht zu denken.
Der IS lasse niemanden freiwillig ziehen, Frauen schon gar nicht. Die Problematik der radikalisierten Heimkehrer stelle sich mittlerweile nur noch sehr selten, und bei den vom Kalifat angelockten jungen Mädchen müsse man sich eher die bange Frage stellen, ob man diese überhaupt jemals wiedersehe.
Präventionsarbeit in Vordergrund gerückt
In Bezug auf die richtigen Programme gegen Radikalisierung und gewaltbereiten Islamismus merkte Dr. Götz Nordbruch vom Verein ufuq e.V. anerkennend an, dass die Präventionsarbeit seit der letzten Anhörung in den Vordergrund gerückt ist. Erfreulicherweise spielten auch die Träger muslimischer Institutionen hierbei eine größere Rolle. Seit 2014 sei eine Vielzahl neuer Projekte auf den Weg gebracht worden. Diese haben auch den positiven Effekt, dass man vieles ausprobieren könne. Nicht immer würden die Präventionsprojekte auch den gewünschten Effekt haben, aber dieses „Scheitern“ sei auch wichtig, da diese Erfahrungen helfen würden, die Präventionsarbeit künftig zu verbessern.
Kritik übte Nordbruch vor allem an den häufig angebotenen Kurzfortbildungen für Lehrer, Erzieher und andere relevante Zielgruppen in der Jugendarbeit. Diese sich oft nur in einem dreistündigen Vortrag erschöpfenden Angebote seien ungeeignet, um bei den Ansprechpartnern die nötige Kompetenz aufzubauen. Die Angebote müssten vielmehr langfristig in die Ausbildung der genannten Zielgruppen integriert werden.
Mittelverdoppelung ab 2017
Thomas Heppner vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verwies auf die gesteigerte Aufmerksamkeit, die die Bundesregierung dem Thema Präventionsarbeit schenke. In seinem Hause werde derzeit die Möglichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung geprüft. Darüber hinaus seien die Mittel für Prävention gegen gewaltbereiten Islamismus aufgestockt worden. Das Programm „Demokratie leben“ könne beispielsweise ab dem Jahr 2017 mit einer Verdoppelung der Mittel auf dann 104,5 Millionen Euro rechnen.
Im Onlinebereich seien viele Wettbewerbe ins Leben gerufen worden, die sich mit dem Thema Vielfalt und Toleranz beschäftigten. Als Beispiel nannte Heppner hier den Wettbewerb „i,Slam“, der sich von einer muslimischen Version des Poetry Slams zu einem bundesweiten Wettbewerb für sozial- und gesellschaftskritische Kunst entwickelt hat.
Authentische Ansprache entscheidend
Große Einigkeit bestand bei den Experten über die Frage, wie Präventionsmaßnahmen potenzielle Dschihadisten ansprechen muss, nämlich glaubwürdig. Entscheidend sei, wer die jungen Menschen ansprechen würde. Idealerweise seien dies Aussteiger, die ihre eigenen (enttäuschenden) Erfahrungen mit dem IS oder dem radikalen Islamismus gemacht haben.
Zwischen den jugendlichen und den Präventivarbeitern müsse ein authentischer Dialog geführt werden. Dazu gehöre auch, dass man bestimmte Positionen der muslimischen Jugendlichen bis zu einem erträglichen Maß auch mal aushalte und bereit sei, diese stehen zu lassen auch wenn sie nicht die den hiesigen Vorstellungen entsprechen. Dadurch werde das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit geschaffen, die für die effektive Präventionsarbeit nötig sei.
„Gelungene Integration ist beste Prävention“
Darüber hinaus helfe es, wenn die Argumente gegen die Propaganda des IS mit positiven Beispielen in der Gesellschaft belegt würden. Wenn beispielsweise auf Karrieren von Muslimen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verweisen werden kann. Die Vertreterin des Bundesinnenministeriums, Staatssekretärin Dr. Emily Haber, brachte es mit dem Satz auf den Punkt: „Die präventive Wirkung von gelungener Integration ist nicht zu unterschätzen.“ (eb/21.06.2016)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Claudia Dantschke, Beratungsstelle Hayat, Gesellschaft Demokratische Kultur, Berlin
- Dr. Götz Nordbruch, ufuq e.V., Berlin