Beschneidung von Jungen jetzt gesetzlich geregelt
Für Juden und Muslime in Deutschland herrscht künftig wieder Rechtssicherheit. In namentlicher Abstimmung hat der Bundestag am Mittwoch, 12. Dezember 2012, den Gesetzentwurf der Bundesregierung über den „Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“ (17/11295) in dritter Beratung verabschiedet. Für den Entwurf stimmten 434 Abgeordnete, 100 stimmten gegen ihn und 46 Parlamentarier enthielten sich der Stimme. Zur Wahl stand neben dem Regierungsentwurf auch ein von 66 Abgeordneten der Oppositionsfraktionen initiierter Gesetzentwurf mit fast wortgleichem Titel (17/11430). Während die Koalition in ihrem Entwurf keine Altersbegrenzung vorgesehen hat, wollte der Gruppenantrag eine Beschneidung erst ab dem vollendeten 14. Lebensjahr erlauben. Auch über diese Initiative wurde namentlich abgestimmt. Von 584 abgegebenen Stimmen entfielen nur 91 auf den Antrag der 66 oppositionellen Parlamentarier. 462 Abgeordnete stimmten gegen diesen, während sich 31 enthielten.
„Regeln der ärztlichen Kunst“
Vorangegangen war eine 90-minütige Debatte, in der Stephan Thomae (FDP) erklärte, zentraler Punkt sei die Formulierung im Regierungsentwurf, dass die Beschneidung „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“ vorgenommen werden müsse.
„Die Regeln der ärztlichen Kunst sind das Maß aller Dinge“, sagte Thomae. Deshalb bringe „der Regierungsentwurf die Rechte der Kinder, der Eltern und der Religionsgemeinschaften in den bestmöglichen Ausgleich“.
„Gesetzliche Regelung erforderlich“
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte, jeder, der in den letzten Wochen in jüdischen und muslimischen Gemeinden unterwegs gewesen sei, werde die Verunsicherung gespürt haben und wisse wie wichtig es sei, die Rechtssicherheit wieder herzustellen. Deshalb sei eine gesetzliche Regelung erforderlich, die diesen Ritus, der für die Ausübung ihrer Religion unverzichtbar sei, erlaube.
Der Regierungsentwurf, sagte der Sozialdemokrat weiter, orientiere sich an diesem Ziel: „Das will ich ausdrücklich einräumen“, sagte Steinmeier. Allerdings hätte die Regierung seiner Fraktion die Zustimmung einfacher gemacht, „wenn Sie Raum zur Diskussion gegeben hätten“.
„Gute und tragfähige Lösung“
Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) sprach sich nachdrücklich gegen den Gruppenantrag der Abgeordneten der Oppositionsfraktionen aus. Die Beschneidung erst ab dem 14. Lebensjahr zu erlauben, sei „ein staatliches Verbot“ und würde Eltern dazu zwingen, ins Ausland zu gehen.
„Sie laufen Gefahr der Kriminalisierung“, argumentierte Voßhoff, „und das kann doch nicht gewollt sein“. Deshalb sei der Regierungsentwurf „eine gute und tragfähige Lösung“.
„Rechte des Kindes“
Diana Golze von der Fraktion Die Linke ist nicht nur Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages, sondern auch eine der 66 Oppositionsabgeordneten, die den Gruppenantrag gestellt hatten. Kinderrechte, sagte sie, hätten in den vergangenen Jahrzehnten eine deutliche Aufwertung erfahren.
„Aber ich kann mich nicht glaubhaft für die Rechte des Kindes auf Schutz und Beteiligung und die Schaffung kindgerechter Lebensverhältnisse einsetzen“, argumentierte Golze, „und dann aber gleichzeitig sagen: Die Rechte des Kindes hören dort auf, wo Religion anfängt.“
„Beschneidung keine Straftat“
Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, dass die Beschneidung zwar den Tatbestand einer Körperverletzung erfülle, es aber Gründe gebe, „warum Eltern als Treuhänder ihrer Kinder“ zu dem Ergebnis kommen, in eine Beschneidung einzuwilligen. Diese Gründe seien in der Religionszugehörigkeit zu finden.
Deshalb sei die Beschneidung keine Straftat. Sie wolle nicht, sagte Künast weiter, dass Polizei und Gerichtstermine in Deutschland die Antwort auf eine Beschneidung sind. „Ich will Beschneidung nicht kriminalisieren“, sagte sie weiter, „deshalb stimme ich für den Regierungsentwurf“.
Drei Änderungsanträge
Drei Gruppen von Abgeordneten hatten Änderungsanträge zum Gesetzentwurf der Regierung vorgelegt, die alle in namentlicher Abstimmung scheiterten. Auf den ersten Teil des Änderungsantrags der SPD-Abgeordneten Burkhard Lischka und Christine Lambrecht sowie 36 weiterer SPD-Abgeordneter entfielen 379 Nein-Stimmen bei 131 Ja-Stimmen und 69 Enthaltungen. Darin wollten die Abgeordneten eine gesetzliche Klarstellung in Paragraf 1631d Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, dass es bei einer medizinisch nicht erforderlichen Beschneidung in jedem Fall vorheriger ärztlicher Aufklärung über Art, Umfang und Folgen des Eingriffs bedarf.
Im zweiten Teil des Änderungsantrags, der ohne namentliche Abstimmung abgelehnt wurde, traten die Abgeordneten dafür ein, das Gesetz innerhalb von fünf Jahren zu evaluieren und den Bundestag bis Ende 2018 darüber zu informieren.
Umstrittene Frist
Einem weiteren Änderungsantrag des Grünen-Abgeordneten Jerzy Montag und 20 weiterer Abgeordneter aus allen Fraktionen (17/11816) stimmten 71 Abgeordnete zu, 428 lehnten ihn bei 82 Enthaltungen ab. Diese Abgeordneten hatten verlangt, dass der zum Ausdruck gebrachte Wille des nicht einsichts- und urteilsfähigen Kindes beachtet werden muss und dass die Frist, innerhalb der auch Nichtärzte ohne Narkose beschneiden dürfen, von sechs Monaten auf 14 Tage verkürzt wird.
Der Änderungsantrag der SPD-Abgeordneten Dr. Carola Reimann und Kerstin Griese sowie 31 weiterer SPD-Abgeordneter, diese Frist von sechs auf zwei Monate zu verkürzen, scheiterte mit 379 Nein-Stimmen bei 153 Ja-Stimmen und 49 Enthaltungen. (ver/12.12.2012)