Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 127. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. Oktober 2015 Inhalt Wahl der Abgeordneten Ingo Gädechens, Julia Obermeier, Dr. Karl-Heinz Brunner, Heidtrud Henn, Katrin Kunert und Doris Wagner als Mitglieder des Stiftungsrates der „Deutschen Härtefallstiftung“ 12267 A Erweiterung und Abwicklung der Tages­ordnung 12267 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 20 12267 D Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes Drucksache 18/6185 12267 D b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur schnelleren Entlastung der Länder und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (Entlastungsbeschleunigungsgesetz) Drucksache 18/6172 12268 A c) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung Drucksache 18/6190 12268 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksache 18/6090 12268 A Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI 12268 B Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) 12270 D Christine Lambrecht (SPD) 12272 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12274 B Peter Bleser (CDU/CSU) 12276 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12276 D Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) 12277 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) 12279 A Boris Pistorius, Minister (Niedersachsen) 12280 B Albert Weiler (CDU/CSU) 12281 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12282 B Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) 12283 B Rüdiger Veit (SPD) 12285 A Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) 12286 B Aydan Özoğuz, Staatsministerin BK 12287 D Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU) 12288 D Kerstin Griese (SPD) 12290 A Johannes Kahrs (SPD) 12291 B Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Dr. Frithjof Schmidt, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Starke Schutzstandards – Ziel statt Zielscheibe moderner Handelspolitik Drucksache 18/6197 12292 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Thomas Nord, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Verhandlungen zum EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein starkes Primat der Politik – Für fairen Handel ohne Demokratie-Outsourcing – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stellungnahme im Rahmen des Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommission zum Investitionsschutzkapitel im geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Klageprivilegien für Konzerne – CETA-Vertragsentwurf ablehnen Drucksachen 18/1093, 18/1457, 18/1964, 18/4090, 18/2620, 18/4969 12292 D Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12293 A Dirk Wiese (SPD) 12294 A Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) 12295 D Klaus Ernst (DIE LINKE) 12297 C Dr. Martin Rosemann (SPD) 12298 D Dirk Wiese (SPD) 12299 D Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12300 B Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) 12302 A Klaus Ernst (DIE LINKE) 12303 A Dr. Nina Scheer (SPD) 12304 D Klaus Barthel (SPD) 12305 D Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12306 C Barbara Lanzinger (CDU/CSU) 12307 C Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi 12309 B Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) 12310 D Alexander Ulrich (DIE LINKE) 12312 C Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) 12314 B Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12316 A Rainer Spiering (SPD) 12318 B Tagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus­schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Elfter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik Drucksachen 18/3494, 18/6183 12319 C Frank Schwabe (SPD) 12319 D Inge Höger (DIE LINKE) 12321 C Erika Steinbach (CDU/CSU) 12323 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12324 C Michael Brand (CDU/CSU) 12326 B Angelika Glöckner (SPD) 12328 B Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) 12329 D Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsänderungsgesetzes (7. BesÄndG) Drucksache 18/6156 12331 B b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften Drucksache 18/6157 12331 C c) Erste Beratung des von der Bundes­regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern Drucksache 18/6158 12331 C d) Erste Beratung des von der Bundes­regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016) Drucksache 18/6159 12331 D e) Erste Beratung des von der Bundes­regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen Drucksache 18/6160 12331 D f) Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung sicher­stellen Drucksache 18/6191 12331 D g) Bericht des Ausschusses für Bildung, For­schung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung (TA): Technischer Fortschritt im Gesundheitswesen: Quelle für Kostensteigerungen oder Chance für Kostensenkungen? Drucksache 18/4283 12332 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundes­zentralregistergesetzes Drucksache 18/6186 12267 C Tagesordnungspunkt 24: a)   – Zweite Beratung und Schlussabstim­mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 17. März 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/5575, 18/6219 12332 B – Zweite Beratung und Schlussabstim­mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderation St. Kitts und Nevis über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch Drucksachen 18/5576, 18/6219 12332 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent­wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. August 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/5578, 18/6219 12332 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Richtlinien zum Schutz von Schulen und Hochschulen vor militärischer Nutzung in einem bewaffneten Konflikt umsetzen Drucksachen 18/4939, 18/5174 12333 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Ver­ordnung der Bundesregierung: Dritte Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/5902, 18/5976 Nr. 2.2, 18/6101 12333 B d)–k) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 224, 226, 227, 228, 229, 230, 231 und 232 zu Petitionen Drucksachen 18/5961 (neu), 18/6076, 18/6077, 18/6078, 18/6079, 18/6080, 18/6081, 18/6082 12333 C Tagesordnungspunkt 6: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaff­neter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer Drucksachen 18/6013, 18/6189 – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6213 Gabi Weber (SPD) 12334 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) 12335 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 12337 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) 12338 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) 12338 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12339 A Julia Obermeier (CDU/CSU) 12340 C Lars Klingbeil (SPD) 12341 C Michael Vietz (CDU/CSU) 12342 C Rüdiger Veit (SPD) (Erklärung nach § 31 GO) 12343 D Namentliche Abstimmung 12344 B Ergebnis 12346 A Tagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit und eine sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt Drucksachen 18/1115, 18/3549, 18/1963, 18/6128 12344 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 12345 A Katja Kipping (DIE LINKE) 12349 A Tino Sorge (CDU/CSU) 12350 B Jutta Eckenbach (CDU/CSU) 12351 A Katja Kipping (DIE LINKE) 12352 D Jutta Eckenbach (CDU/CSU) 12353 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12353 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) 12354 C Dr. Matthias Bartke (SPD) 12355 C Katja Kipping (DIE LINKE) 12356 D Dr. Matthias Bartke (SPD) 12357 A Namentliche Abstimmungen 12344 D Ergebnisse 12359 B Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Bertram, Yvonne Magwas, Michael Kretschmer, wei­terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Burkhard Blienert, Marco Bülow, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zukunftsweisende Kulturpolitik im demografischen Wandel – Stärkung der Kultur im ländlichen Raum Drucksachen 18/5091, 18/6167 12357 D Yvonne Magwas (CDU/CSU) 12357 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) 12365 A Burkhard Blienert (SPD) 12366 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12367 B Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) 12368 B Hiltrud Lotze (SPD) 12369 C Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung Drucksache 18/5384 12370 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12370 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) 12372 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) 12373 C Dirk Wiese (SPD) 12374 C Sylvia Pantel (CDU/CSU) 12376 A Christina Jantz (SPD) 12377 C Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes­regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie Drucksachen 18/5010, 18/5272, 18/5458 Nr. 1, 18/6220 12378 B Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) 12378 C Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 12379 D Christian Petry (SPD) 12380 D Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12382 A Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 12383 A Dr. Johannes Fechner (SPD) 12384 B Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) 12384 D Dr. Jens Zimmermann (SPD) 12385 D Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Armuts- und Reichtumsbericht qualifizieren und Armut bekämpfen Drucksachen 18/5109, 18/6218 12386 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) 12386 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) 12388 A Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 12389 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12390 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) 12391 A Markus Paschke (SPD) 12392 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) 12392 D Tagesordnungspunkt 14: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwi­schen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten Drucksachen 18/5271, 18/6161 12393 B b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika als erster Partei, der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als zweiter Partei, Island als dritter Partei und dem Königreich Norwegen als vierter Partei und zu dem Zusatzabkommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als erster Partei, Island als zweiter Partei und dem Königreich Norwegen als dritter Partei, betreffend die Anwendung des Luftverkehrsabkommens vom 16. und 21. Juni 2011 Drucksachen 18/5580, 18/6072 (neu) 12393 C Peter Wichtel (CDU/CSU) 12393 D Herbert Behrens (DIE LINKE) 12394 C Arno Klare (SPD) 12395 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12397 A Thomas Jarzombek (CDU/CSU) 12397 D Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitslosenversicherung gerechter gestalten und Zugänge verbessern Drucksache 18/5386 12399 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12399 C Albert Weiler (CDU/CSU) 12400 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) 12401 D Markus Paschke (SPD) 12402 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) 12403 C Ralf Kapschack (SPD) 12404 C Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank Drucksache 18/6163 12405 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF 12405 C Dr. Axel Troost (DIE LINKE) 12406 C Manfred Zöllmer (SPD) 12407 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12408 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) 12409 B Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Inge Höger, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den deutschen Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahr 2016 für Frieden und Abrüstung nutzen Drucksache 18/5108 12410 B b) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 zur Stärkung der OSZE nutzen Drucksache 18/6199 12410 B Andrej Hunko (DIE LINKE) 12410 C Jürgen Klimke (CDU/CSU) 12411 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 12412 A Doris Barnett (SPD) 12413 A Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) 12414 C Nächste Sitzung 12415 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 12417 C Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel und Dr. Alexander S. Neu (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 6) 12417 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 6) 12418 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit und eine sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt (Tagesordnungspunkt 7) 12419 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katharina Dröge und Lisa Paus (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Existenzminimum und Tilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt (Tagesordnungspunkt 7) 12419 D 127. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. Oktober 2015 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Gäste! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 127. Plenarsitzung. Ich möchte Sie gerne darauf aufmerksam machen, dass wir vor Eintritt in unsere Tagesordnung noch die Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der Deutschen Härtefallstiftung durchführen müssen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt als Mitglieder den Kollegen Ingo Gädechens und die Kollegin Julia Obermeier vor. Für die SPD-Fraktion sollen der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner und die Kollegin Heidtrud Henn berufen werden. Die Fraktion Die Linke benennt die Kollegin Katrin Kunert, und für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen soll die Kollegin Doris Wagner im Stiftungsrat vertreten sein. Stimmen Sie dem zu? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die genannten Kolleginnen und Kollegen als Mitglieder des Stiftungsrats gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zur Stationierung von 20 modernisierten Atombomben in Rheinland-Pfalz (siehe 126. Sitzung) ZP 2 Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksache 18/6090 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 23) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes Drucksache 18/6186 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss Digitale Agenda Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 20 – hier geht es um die erste Beratung eines Gesetzentwurfs zum Datenschutz bei der Zusammenarbeit in Strafsachen – wird abgesetzt und an dessen Stelle der Tagesordnungspunkt 8 aufgerufen. Die Tagesordnungspunkte 10, 12, 14 und 16 der Koalitionsfraktionen rücken dann entsprechend vor. Sind Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Das ist der Fall. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie den Zusatzpunkt 2 auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes Drucksache 18/6185 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur schnelleren Entlastung der Länder und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (Entlastungsbeschleunigungsgesetz) Drucksache 18/6172 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung Drucksache 18/6190 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss ZP 2 Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksache 18/6090 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am vergangenen Wochenende hat unser Bundespräsident in seiner Mainzer Rede die Bitte geäußert – ich zitiere –, „dass sich die Besorgten und die Begeisterten nicht gegenseitig denunzieren und bekämpfen, sondern dass sie sich in einem konstruktiven Dialog begegnen“. Es wäre schön, wenn unsere heutige Debatte einen Beitrag dazu leisten könnte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Damit erteile ich dem Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit dem Brief eines Bürgermeisters an seine Bürgerinnen und Bürger beginnen: Einladung zu einer Informationsveranstaltung zum Thema „Unterbringung von Flüchtlingen“ … Gerne möchten wir Sie an diesem Abend über die geplante Unterbringung von Flüchtlingen in unserer Gemeinde informieren und mit Ihnen gemeinsam in einen transparenten und offenen Dialog treten, in dem Möglichkeiten zur Schaffung einer „Willkommenskultur“ und der damit einhergehenden Integration besprochen werden sollen, aber auch Platz für Fragen und Bedenken aus der Bevölkerung sein wird … Wir freuen uns auf Ihr Kommen! Gezeichnet: der Bürgermeister. Diese und ähnliche Zeilen haben in den letzten Wochen und Monaten Millionen Menschen in den Händen gehalten. Sie wurden nicht mehrfach getwittert. Diese Zeilen gingen nicht mit Facebook um die Welt. Aber sie zeigen die Realität vor Ort: große Hilfsbereitschaft und Sorge. Meine Damen und Herren, wo wären wir ohne die Tüchtigen sowie die Bürgermeister und die Landräte in diesem Land, die jeden Tag vor Ort Überzeugungsarbeit leisten? Ich möchte meine Rede mit einem Dank beginnen. (Beifall im ganzen Hause) Diese Zeilen sind auch ein Zeichen dafür, dass wir mit dem Begriff der Aufnahmefähigkeit unseres Landes und den damit verbundenen Grenzen achtsam umgehen müssen. Auf den Bürgerversammlungen in den Städten und den Gemeinden wird viel diskutiert, mit Neugier, mit Sorge und manchmal auch mit Ärger, aber immer noch mit Zuversicht und Engagement. Das ist gut. Meine Damen und Herren, arbeiten wir alle dafür, dass es dabei bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bringe heute den Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes für die Bundesregierung ein. Er ist Teil eines großen politischen Pakets, das Bund und Länder in der vergangenen Woche gemeinsam beschlossen haben. Der Gesetzentwurf und das Paket enthalten fünf zentrale Botschaften: erstens zügige Ordnung und Beschleunigung der Asylverfahren; zweitens Integration der schutzbedürftigen Flüchtlinge durch Sprache, mit Arbeit und in sozialem Zusammenhalt; drittens Abbau von Fehlanreizen und konsequente Rückführung derjenigen, die kein Bleiberecht haben; viertens Abbau von Rechtsregeln, die uns daran hindern, zügig und winterfest die Flüchtlinge unterzubringen, und fünftens Hilfen des Bundes für Länder und Kommunen, um in Verantwortungsgemeinschaft diese große Herausforderung stemmen zu können. Mit dem Gesetzentwurf und auch mit dem Paket, das Sachverhalte enthält, die nicht Teil des Gesetzes sind, treffen wir dringend gebotene, aber auch harte Entscheidungen. Dazu zählt unter anderem die Verpflichtung der Flüchtlinge zur Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen. Dazu zählen weniger Geldleistungen. Dazu zählt, dass für diejenigen, die nicht ausreisen, die aber vollziehbar ausreisepflichtig sind, kein Anspruch mehr auf Asylbewerberleistungen besteht. Sie sollen, wenn sie nicht ausreisen, nur noch das unabdingbar Notwendige erhalten. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Manche können nicht!) Bund und Länder haben jeden Tag die ungeheuer schwierige Aufgabe, Tausende Flüchtlinge auf die Länder und in den Ländern zu verteilen, um eine faire Lastenteilung und ein geordnetes Verfahren zu gewährleisten. Wir können erwarten, dass sich jeder Flüchtling an diese Verteilungsentscheidung hält. Flucht und Ankunft in Deutschland bedeuten nicht eine freie Wahl des Wohnorts. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will allen Flüchtlingen sagen: Ja, manche Unterkunft ist nicht angenehm; viele sind überfüllt. Aber bitte keine zu hohen Ansprüche! Alle geben sich verdammt viel Mühe. Es geht im Moment nicht anders. Ein zentraler, wichtiger Baustein dieses großen Pakets ist die Beschleunigung der Asylverfahren. Ja, es gibt dort großen Verbesserungsbedarf. Jetzt werden die Prozesse in den Asylverfahren nochmals verbessert. Dafür haben wir mit Herrn Weise einen hervorragenden Fachmann gewonnen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommt nochmals deutlich mehr Stellen und Personal sowie Mittel, die es zur Bewältigung dieser großen Aufgabe braucht. Auch mit der Nutzung der Ressourcen der Bundesagentur für Arbeit werden wir schneller werden. Ich füge genauso hinzu: Auch hierfür brauchen wir die Mitarbeit der Länder. Schluss mit Schuldzuweisungen! Schluss mit dem Schwarzer-Peter-Spiel! Alle handeln gemeinsam in Verantwortungsgemeinschaft. Nur so geht es. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit dem Gesetz werden jetzt auch Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten. Dort liegen die Voraussetzungen für Asyl nur in wenigen Einzelfällen vor. Diese Länder haben selbst darum gebeten. Alle EU-Staaten sind dafür. Jetzt haben wir davon auch die Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung überzeugt, jedenfalls die meisten. Dafür schaffen wir legale Zuwanderungsmöglichkeiten für Menschen aus den Balkanstaaten – unter bestimmten Voraussetzungen. Das ist ein fairer Kompromiss. Wir schaffen mit dem Gesetz auch die Voraussetzungen für einen konsequenten Vollzug einer bestehenden Ausreisepflicht. Wem in unserem Land ein Asylantrag abgelehnt worden ist, der muss, wenn es sonst keinen Grund für Duldung gibt, unser Land verlassen. Diese Regel werden wir konsequent anwenden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Von überragender Bedeutung in dem Gesetzespaket sind die finanziellen Hilfen des Bundes. Vorweg aber sei gesagt: Auch der Bund hat gewaltige finanzielle Lasten zu stemmen: Hilfe vor Ort in den Flüchtlingslagern, Hartz IV, Kosten für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Kosten für die Bundespolizei, Integrationskurse – viele Aufgaben, die auch der Bund zusätzlich zu lösen hat. Und dennoch: Der Bund beteiligt sich dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten, die durch die Aufnahme von Asylbewerbern in Ländern und Kommunen entstehen. Wir haben als Sofortmaßnahme beschlossen, die bisher vorgesehene Entlastung der Länder und Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung in diesem Jahr, im laufenden Jahr 2015, auf 2 Milliarden Euro zu verdoppeln. Wir schaffen außerdem die Voraussetzung dafür, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Ländern und Kommunen die Kosten für die Herrichtung von Flüchtlingsunterkünften auf ihren Liegenschaften erstatten kann. Der Bund übernimmt vor allem für fünf Monate – und noch ein bisschen mehr; das ist jetzt zu kompliziert zu erklären – die Kosten der Länder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – pro Flüchtling. Längere Asylverfahren gehen dann nicht mehr zulasten der Länder. Die Finanzierungsmethode orientiert sich an der Dauer der Verfahren. Wir nehmen damit eine faire Risikoverteilung zwischen Bund und Ländern vor. Bund und Länder stehen damit klar zu ihrer Verantwortungsgemeinschaft. Wir nehmen die Herausforderung gemeinsam an, und wir handeln gemeinsam. Auch das ist ein wichtiges Zeichen für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mit dem Gesetzespaket bekennen wir uns genauso klar und deutlich zur Aufnahme und Integration derjenigen, die schutzwürdig sind und dauerhaft hier bleiben werden. Das, meine Damen und Herren, werden viele sein, sehr viele. Die Anerkennungsquoten, gerade was die Anerkennung mit einem Flüchtlingsstatus betrifft, sind hoch. Die Schutzbedürftigen, die bleiben werden, sollen hier nicht nur irgendwie geduldet werden, im rechtlichen und im immateriellen Sinne; sie sollen hier auch voll angenommen werden. Sie werden unsere Nachbarn und Mitbürger sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir öffnen für sie sehr früh die Integrationskurse. Wir erweitern das Angebot von Sprachkursen. Wir lockern das Leiharbeitsverbot für Asylbewerber. Neben der Sprache ist Arbeit der Schlüssel zur Integration. Diejenigen mit guter Bleibeperspektive sollen bereits frühzeitig Leistungen der aktiven Arbeitsförderung erhalten, damit sie schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Integration hat zwei Richtungen. Wenn wir mit unseren Bürgern über eine Willkommenskultur sprechen, müssen wir von denen, die zu uns kommen, auch eine Anerkennungskultur einfordern. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Was meine ich damit? „Anerkennungskultur“ bedeutet, dass die zu uns kommenden Menschen unsere Rechts- und Werteordnung akzeptieren und einhalten. Dazu gehört, dass man gegenüber Behörden seinen richtigen Namen sagt und zutreffend beschreibt, aus welchem Land man kommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dazu gehört, dass man sich nicht prügelt. Dazu gehört, dass man Geduld hat. Dazu gehört, dass man andere Menschen respektiert – unabhängig von Religion und Geschlecht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Genauso gilt: Jeder, der hierherkommt, hat das Recht, friedlich, respektvoll und menschenwürdig behandelt zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Den rechtsextremen Pöbeleien und der stark gestiegenen Zahl von Straftaten bis hin zum Mordversuch treten wir politisch und mit aller Härte des Rechtsstaats entgegen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Viele der gerade beschriebenen Grundsätze gelten auch für Europa. Wir haben eine gemeinsame humanitäre Verpflichtung in Europa und eine Verpflichtung, das von uns selbst gesetzte Recht anzuwenden. Der Rat der europäischen Innenminister hat in der letzten Woche beschlossen, 120 000 Flüchtlinge, vor allem aus Italien und Griechenland, innerhalb der EU zu verteilen. Diese Entscheidung, die gegen harten Widerstand durchgesetzt werden konnte, zeigt: Europa ist und bleibt handlungsfähig. Sicher: Das war nur ein erster Schritt. (Rüdiger Veit [SPD]: Genau!) Aber damit senden wir auch eine Botschaft nach außen: Wer nach Europa flüchtet, kann sich sein Zielland in Europa nicht einfach aussuchen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen ein einheitliches EUAsylrecht, auch bei Verfahren und Leistungsstandards. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Europa mag im Moment vielleicht auch Teil des Problems sein; aber nur Europa wird Teil der Lösung sein können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nach meiner persönlichen Meinung müssen wir uns in der Europäischen Union zu festen, großzügigen Kontingenten für die Aufnahme von Flüchtlingen verpflichten, die dann auch eine Begrenzung der Aufnahmefähigkeit bilden. Ich freue mich, dass darüber jetzt eine konstruktive Debatte stattfindet, sogar bei den Grünen im Europaparlament. Wir brauchen aber nicht nur nationale und europäische Antworten. Wir werden keines der Probleme auf der Welt lösen können, indem wir unbegrenzten Zuzug nach Europa erlauben und diesen einfach nur besser organisieren. Hier ist die Staatengemeinschaft insgesamt gefordert. Wir müssen die Fluchtursachen angehen und dazu beitragen, dass sich nicht noch mehr Menschen auf den Weg machen. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich in der vergangenen Woche auf zusätzliche Hilfen in Höhe von rund 1 Milliarde Euro für diese Aufgaben geeinigt. (Rüdiger Veit [SPD]: Das reicht nicht!) Die Transitländer brauchen mehr Unterstützung, sowohl außerhalb als auch innerhalb Europas. Die EU wird neue Wege gehen müssen, auch im Verhältnis zur Türkei; ich kann und will das hier heute nicht vertiefen. Meine Damen und Herren, was sollen wir tun, und was können wir tun? Beide Fragen gehören zusammen. Unser bisheriges System war nicht auf einen solchen Andrang an Menschen ausgelegt. Im September sind so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen wie seit Jahrzehnten nicht mehr in einem einzigen Monat. Wir haben unsere Organisation und das Recht nun auf die aktuelle Lage eingestellt. Ob das reicht, wird man sehen. Es geht jetzt nicht um Formblätter und nicht um große Scheindebatten, sondern um Handeln an vielen Stellen, mit vielen Händen und auf allen Ebenen – nicht nur in der Politik. In dieser Phase unserer Geschichte richtet sich die Aufgabe an alle. Wir brauchen Menschen, die mitmachen – überall in unserem Land. Wir brauchen Einfühlungsvermögen für die, die zu uns kommen. Aber wir müssen auch klare Erwartungen an sie richten. Wir müssen die echten Sorgen ernst nehmen und diejenigen in die Schranken weisen, die unser Land radikalisieren wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden Mut, Geduld und Ausdauer brauchen, und wir brauchen eine Politik, die großzügige, vernünftige und harte Entscheidungen treffen kann. Dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Teil davon. Ich bitte um zügige Beratung und Zustimmung. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es stellt sich wieder einmal heraus: Erst wenn Probleme gravierend werden, sucht eine Regierung auch nach Lösungen und geht Schritte, die zu einem großen Teil richtig und wichtig sind, zumindest was die Richtung der Schritte betrifft. Aber wir haben das schon seit Jahren beantragt – ohne jede Reaktion. (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich werde es Ihnen gleich belegen. Wollen Sie ein Beispiel hören? Herr Kahrs, da Sie ja nie etwas zur Kenntnis nehmen, nenne ich es Ihnen einmal: Wir haben seit Jahren gefordert, 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts, wie es die UNO vor 45 Jahren beschlossen hat, endlich für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Sie haben das immer abgelehnt. Wir sind bei 0,4 Prozent. Jetzt sagt die Bundeskanzlerin vor der UNO: Wir gehen auf 0,7 Prozent. – Das hätten wir schon seit Jahren machen können, Herr Kahrs, auch als Sie führend regiert haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Trotzdem – ich sage es noch einmal – ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt allerdings auch Schritte in die falsche Richtung. Das ist wieder eine Mischung gewesen, die Sie da mit den Länderministerpräsidenten verabredet haben. Woher kommen die Flüchtlinge? Sie kommen aus nordafrikanischen Ländern und aus Ländern neben Nordafrika, vor allem Syrien, dem Irak und Afghanistan. Was den Krieg in Afghanistan angeht, haben wir Ihnen gleich gesagt, dass er falsch ist. Sie sind mit dieser Politik vollständig gescheitert. (Beifall bei der LINKEN) Nichts in Afghanistan ist besser. Jetzt haben die Taliban sogar Kunduz erobert. Jetzt soll es wieder zurückerobert werden. Das heißt, es hat sich auch an den Herrschaftsstrukturen so gut wie nichts geändert. Ich sage es Ihnen ganz klar: Woran erinnert uns Kunduz? Auch unsere Soldaten haben da Zivilisten getötet: Kinder und Frauen. (Zuruf von der CDU/CSU: Bitte? Unverschämt, Herr Gysi!) Und auch unsere Soldaten wurden getötet, verletzt und sind traumatisiert. Das ist das Ergebnis des Afghanistan-Krieges. Genau das hätte man verhindern müssen – dringend verhindern müssen. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) In Syrien herrscht seit 2011 Krieg. Es gibt einen Konflikt zwischen den USA und Russland. Obama will Assad stürzen, Putin will es nicht. Aber wer führt den Kampf gegen den „Islamischen Staat“, die weltweit schlimmste Terrororganisation, eigentlich am Boden? Es sind die Truppen von Assad und die Kurdinnen und Kurden. Aber die Kurdinnen und Kurden werden von der Türkei bombardiert. Das ist ein NATOPartner. Sie aber sagen fast nichts dagegen. Auch das ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Wahr ist: Assad ist ein Tyrann. Trotzdem kann und muss man mit ihm reden, wenn man Frieden in Syrien will. Johannes Kahrs hat mich im Rahmen der Kanzlerdebatte, als ich vorschlug, mit Assad zu reden, wie verrückt beschimpft – lautstark. Nun schlägt genau dies aber auch ein Mitglied seiner Fraktion, Herr Steinmeier, vor. Nun schlägt es auch die Bundeskanzlerin Merkel vor. Da meckern Sie nicht, Herr Kahrs. Das heißt, Ihnen geht es nicht um Inhalt, sondern um Personen; das ist damit belegt. (Beifall bei der LINKEN) Auch mit dem König von SaudiArabien wird geredet. Was ist das für ein Mann? Er lässt auspeitschen. Dort gibt es nicht nur die Todesstrafe an sich, was schon schlimm genug ist, sondern sogar die Todesstrafe für Jugendliche. Ein 17Jähriger ist gerade zum Tode verurteilt worden. Außerdem steht Homosexualität unter Todesstrafe. SaudiArabien führt Krieg gegen den Jemen; das ist übrigens auch völkerrechtswidrig. Vor zwei oder drei Tagen ist dort eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert worden. Es gab weit über 100 Tote; Kinder und Frauen waren darunter. Was aber machen wir? Wir liefern Waffen an SaudiArabien. Wann stellen Sie diese Verträge eigentlich endlich einmal ein? (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen in Bezug auf die Flüchtlinge noch etwas: Vor dem Krieg gegen Afghanistan hatten wir relativ wenige Flüchtlinge aus Afghanistan. Jetzt haben wir sehr viele. Im Augenblick haben wir noch wenige Flüchtlinge aus dem Jemen. Aber wenn SaudiArabien weiter Krieg gegen den Jemen führt, werden wir viele, Tausende, Abertausende Flüchtlinge aus dem Jemen bekommen. Daran wird doch eines deutlich: Man muss die Ursachen der Flucht bekämpfen. Das ist das Entscheidende. (Beifall bei der LINKEN) Das heißt, dass wenigstens die Waffenexporte an SaudiArabien, an Katar und in Krisengebiete – wenn nicht sogar Waffenexporte generell – unterbunden werden müssen. Wir müssen aber auch etwas gegen Hunger, Not und Armut tun. Ich will Ihnen sagen, wovon wir in Europa gelebt haben, auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen: Wir haben in Europa davon gelebt, dass man in Afrika nicht wusste, wie wir leben. Wir haben alle die Bedeutung der technischen Revolution durch die Digitalisierung des Lebens unterschätzt. Jetzt weiß man auch in Afrika, wie wir leben. Da entstehen Fragen, und zwar Fragen, die auch zur Flucht führen. Wenn wir Hunger, Not und Armut also nicht wirksam bekämpfen, kann uns das Ganze überfordern. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir subventionieren Lebensmittel. Das kann für uns hier in Deutschland und Europa richtig sein. Aber subventionierte Lebensmittel nach Afrika zu exportieren, ist eine Frechheit, weil wir das Entstehen einer eigenen Landwirtschaft in Afrika damit verhindern. Das kann nicht unsere Aufgabe sein. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!) Jetzt kommen viele Flüchtlinge aus den Lagern in den verschiedenen Ländern. Vor einem Jahr habe ich die Lager in Nordirak und in Syrien besucht. Ich verstehe, warum sie kommen. Ich habe mir die Situation dort angesehen. Es ist eine große Zahl. Wissen Sie, dass die Mittel für diese Lager reduziert wurden? Pro Flüchtling gibt es pro Tag 50 Cent. Auch Deutschland hat seine Hilfe reduziert. Auch die Europäische Union hat die Mittel reduziert. Jetzt haben sie sie aufgestockt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. (Christine Lambrecht [SPD]: Wir haben nichts reduziert! – Johannes Kahrs [SPD]: Deutschland hat nicht reduziert! Grober Unfug!) Das muss verstetigt werden, sonst dürfen wir uns nicht wundern, dass die Flüchtlinge auch von dort fliehen und zu uns kommen. Die Zahl der Flüchtlinge ist sehr groß. In diesem Jahr sind es über 800 000. Ich danke allen Bürgerinnen und Bürgern, die dort eine sehr fleißige ehrenamtliche Arbeit leisten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich sage Ihnen auch: Wir dürfen das nicht überziehen. Der Bund muss schnell Hilfe leisten, damit die Stimmung nicht kippt. Die Bundeswehr – das fällt mir auf – hat doch so viele Kasernen. Ich finde, sie könnten doch beim Bettenaufstellen, beim Aufstellen der Zelte, helfen. (Zurufe von der CDU/CSU: Macht sie doch! – Christine Lambrecht [SPD]: Herzlich willkommen im Leben!) – Ja, ich weiß. Da können sie mehr helfen. Das ist viel nützlicher, als in Afghanistan Krieg zu führen, wenn ich das einmal sagen darf, auch wenn Sie sich aufregen. Bei der Registrierung dürfen sie nicht helfen, da das eine hoheitliche Aufgabe ist. Da sind sie wieder falsch eingesetzt. (Zuruf von der CDU/CSU: Einmal Zeitung lesen!) Die Kehrseite: Es gibt tatsächlich besorgte Bürgerinnen und Bürger. (Christine Lambrecht [SPD]: Tatsächlich?) Wir haben die Aufgabe, abstrakte Ängste abzubauen. Es gibt aber vor allem Rechtsextremismus und Rechtspopulismus von AfD bis Nazis, die versuchen, Ängste zu schüren, zu vereinnahmen und zu radikalisieren. Über 60 Anschläge auf Asylunterkünfte sind beschämend. Dagegen muss entschieden vorgegangen werden. (Beifall bei der LINKEN) Aber auch die offizielle Politik, vor allem die CSU aus Bayern, betätigt sich als Stichwortgeberin. Ich habe im Bayerischen Fernsehen erlebt, wie ein Iraner, der in Bayern lebt, erklärte, dass er vor zwei Jahren einen Asylantrag gestellt hat. Bis heute hat er keinen Bescheid. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat aber mit Bayern nichts tun!) Darum sollte sich Seehofer kümmern, nicht um Orban – um das auch einmal ganz klar zu sagen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Überlegungen von Orban und Seehofer, wie man Flüchtlinge verhindert, ist nicht nur inhuman, sondern sie geht auch nie auf. Flüchtlinge lassen sich von Zäunen nicht aufhalten. Seit Jahren fordern wir für die ärmeren Schichten unserer Bevölkerung Dinge wie Wohnungsbau, eine andere Arbeitsmarktpolitik, insbesondere die Überwindung der prekären Beschäftigung und vieles mehr. Das gilt sowohl für die Flüchtlinge als auch für die armen Schichten unserer Bevölkerung. Wir fordern das immer für alle. Anders geht es nicht. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen – das sagen wir auch seit Jahren – mehr Lehrerinnen und Lehrer, mehr Erzieherinnen und Erzieher. Das Kooperationsverbot aus dem Grundgesetz muss weg, damit der Bund sich darum kümmern kann, und zwar sowohl für unsere Bevölkerung als auch für die Flüchtlinge. Anders wird es nicht gehen. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Gysi. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich bin fast fertig. Ein Satz noch, Herr Bundestagspräsident. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, fertig! In jeder Richtung!) Die Kopfpauschale von 670 Euro pro Flüchtling ist wichtig, aber es reicht nicht. Es muss eigentlich mehr sein. Aber das ist nicht mein Hauptanliegen. Mein Hauptanliegen ist, dass zum Abschluss des Asylverfahrens die Zahlung beendet wird. Was ist mit all den Geduldeten, denen, die kein Asyl bekommen, aber auch nicht weggeschickt werden können? Das sollen die Kommunen und Länder alleine bezahlen? Wie sollen sie das denn machen? Lassen Sie sich noch eins sagen: Es gibt Flüchtlinge, die kann man nicht in gute und schlechte unterteilen. Wir müssen in erster Linie die Fluchtursachen bekämpfen. (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Das ist ja was völlig Neues!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Christine Lambrecht ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christine Lambrecht (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann gar nicht anders, als auf das kurz erwidern, was Herr Gysi von sich gegeben hat. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, es lohnt nicht!) Herr Gysi, in der ganzen Rede haben Sie nur über SaudiArabien, über Afghanistan, über Homosexualität in SaudiArabien, über Katar, über das 0,7Prozent-Entwicklungsziel gesprochen. Das alles sind wichtige Themen, über die man sicherlich reden könnte; auch in dieser Form und in einer solchen Debatte. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Fluchtursachen!) Aber Sie haben kaum ein Wort darüber gesagt, wie die tatsächliche Situation in unserem Land momentan ist. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Ignoranz von Ihnen kann ich überhaupt nicht mehr in Worte fassen. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn Sie sich statt mit der großen Weltpolitik mit der Situation vor Ort befassen würden, mit dem Bürgermeister reden oder vielleicht mit Herrn Ramelow, Ihrem Ministerpräsidenten in Thüringen. Wenn der heute hier gesprochen hätte, hätte sich das sicherlich völlig anders angehört. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, seit Wochen erreichen uns Bilder von Menschen, die aus ihren Heimatländern fliehen; Menschen, die großes Leid und Strapazen auf sich nehmen, weil sie dort, wo sie lebten, nicht mehr leben können; Menschen, die hoffen, in Europa eine Zuflucht zu finden und eine Chance zu bekommen, hier ihr Leben zu gestalten. Abstrakt wissen wir, was diese Menschen auf sich nehmen. Wenn man dann aber einem 17jährigen jungen Mann gegenübersteht, der erzählt, wie er auf seiner Flucht aus Eritrea vor Gewalt und Verfolgung tagelang ohne Wasser durch die Wüste geirrt ist, wie er von betrunkenen Schleppern verprügelt wurde und noch vieles andere mehr erlebt hat, dann wird deutlich, welche Dimension dieses Leid wirklich hat. Ich habe einen solchen Jungen in meinem Wahlkreis in einer Intensivklasse kennengelernt. Dieser Junge ist kein Einzelfall. Obwohl Abraham aus Eritrea erst kurze Zeit in Deutschland lebt, hat er mir von seinen Erlebnissen auf Deutsch erzählen können. Er ist hochmotiviert in einer Klasse mit 60 jungen Menschen, die mit Begeisterung Deutsch lernen und die Chance ergreifen wollen, hier ihre Ausbildung zu machen, um sich dann irgendwann ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Sie sind auf dem besten Weg dorthin. Abraham macht mittlerweile eine Ausbildung bei einem Optiker. Ich denke, wir sind uns alle darin einig, dass der von mir angesprochene junge Mann stellvertretend für viele, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben, eine Perspektive haben muss, hier bei uns zu bleiben; eine Perspektive, hier seine Ausbildung zu beenden; eine Perspektive, hier einer Erwerbsarbeit nachzugehen, von der man leben kann. An dieser Stelle sage ich zur Klarstellung noch einmal ganz deutlich: Allen Forderungen nach einer Aussetzung des Mindestlohns für Flüchtlinge erteilen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine klare Absage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir werden nicht zulassen, dass in diesem Land Geringverdiener und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt werden. Das wird es mit uns nicht geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für die Perspektive eines selbstbestimmten Lebens ist es wichtig, dass ein schnellerer Zugang zu Sprach- und Integrationskursen für Menschen mit einer guten Bleibeperspektive beschlossen wird. Daran machen wir uns jetzt. Wir regeln das mit diesem Gesetz; denn Sprachkenntnisse sind das A und O für eine gelungene Integration. Wir sorgen dafür, dass Menschen durch ein möglichst kurzes Verfahren bald wissen, ob sie in ihre Heimat zurückkehren müssen oder ob sie hier eine Perspektive haben. Dazu müssen wir Maßnahmen ergreifen, die das eine oder andere Mal schwerfallen. Dazu gehört die Feststellung, dass Länder, die sich bereits im Verfahren zur Aufnahme in die Europäische Union befinden, sichere Herkunftsstaaten sind, wie Albanien, Kosovo und Montenegro. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Warum braucht man dann die Bundeswehr im Kosovo?) Dazu gehört genauso, dass Menschen, die hier kein Bleiberecht bekommen, rückgeführt werden und diese Rückführung konsequent durchgesetzt wird. Das muss man klar ansprechen. Es geht darum, die Balance zu halten: einerseits der humanitären Verpflichtung nachzukommen, Menschen, die aus Not geflohen sind, wie der junge Mann, den ich beschrieben habe, hier eine Perspektive zu geben, andererseits aber all denen, die kein Bleiberecht haben, die klare Ansage zu machen, dass sie nicht hierbleiben können. Ich glaube, diese Balance haben wir in diesem Gesetzentwurf gut hinbekommen, mit dem einiges auf den Weg gebracht wird. Meine Damen und Herren, ja, wir nutzen Immobilien des Bundes dafür, dass dort Flüchtlinge untergebracht werden können, in Zukunft auch zu ganz geringen Mieten oder sogar kostenfrei für die Kommunen. Wir unterstützen die Kommunen bei der Unterbringung; denn sie leisten die Hauptaufgabe dieser Integrationsarbeit. Wir unterstützen die Kommunen durch noch mehr Geld. Das ist auch richtig so; denn vor Ort spielt die Musik, und dort muss alles umgesetzt werden. Ich will die Gelegenheit nutzen, Danke zu sagen. Ich möchte ausdrücklich auch Ihnen, Herr Minister, danken, dass Sie am Montag all jenen THW-Helferinnen und -Helfern gedankt haben, die ehrenamtlich zum Beispiel dafür sorgen, dass vor Ort, wo es darauf ankommt, Unterkünfte entsprechend ausgestattet und Sprachkurse angeboten werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mich als Vizepräsidentin des THW freut das besonders. Ich möchte aber auch all denjenigen Danke sagen, die momentan im öffentlichen Dienst einen richtig guten Job machen und nicht nur Dienst nach Vorschrift. Dafür ist momentan nämlich nicht der richtige Zeitpunkt. Mein ausdrücklicher Dank gilt auch all denjenigen, die für die Polizei arbeiten, den Polizistinnen und Polizisten, die momentan wirklich eine schwere Aufgabe haben. Sie müssen neben ihrer normalen Arbeit auch noch dafür sorgen, dass Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünften geregelt werden. Sie müssen sich gegen Anfeindungen und Gewalt von Rechten wehren. All denen möchte ich ein herzliches Dankeschön für ihr Engagement sagen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf bekennen wir uns zu unserer humanitären Verpflichtung gegenüber Menschen in Not, gegenüber Menschen auf der Flucht, aber wir schaffen auch die Voraussetzungen dafür, dass die konkrete Umsetzung des Gesetzes vor Ort gelingen kann. Herzliches Dankeschön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetzespaket, das uns heute hier vorliegt, ist in der Tat ein großer Schritt für die Länder und für die Kommunen in Deutschland. Monate-, ja jahrelang, muss man sagen, hat sich die Bundesregierung vor dieser Verantwortung gedrückt. Ich erinnere daran: Es waren nicht mehr als 10 Prozent, die der Bund für die Unterbringung gezahlt hat. Es ist wirklich gut, dass sich das endlich ändert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dass wir, die Länder und natürlich vor allen Dingen die Verhältnisse Sie dazu zwingen mussten – Schwamm drüber! Aber ich finde, es muss auch klar sein: Das ist hier jetzt eine gemeinsame Anstrengung, und es ist keine Wohltat des Bundes für die Länder. Wenn man gemeinsam Verantwortung übernimmt, dann heißt „gemeinsam“ eben auch „gemeinsame Finanzierung“. Das wird jetzt endlich nachgeholt. Vieles von dem, was wir an Chaos und Schwierigkeiten haben, hätte vermieden werden können, wenn es schon früher geschehen wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach monatelanger Kritik am BAMF präsentieren Sie uns jetzt mit Herrn Weise endlich einen Profi. Auch das ist gut. Die Beschleunigung der Verfahren und der Bearbeitung der unerledigten Fälle sind wirklich zentral, wenn die Not in den Kommunen gelindert werden soll. Dass Sie es wieder handwerklich vergeigt haben und Herr Weise nun doch nicht Präsident werden kann, ist eine weitere Perle in der langen Kette von Versagen, Verdaddeln, Verpassen des BMI. Aber sei es drum! Die Kommunen haben bisher den Preis bezahlt. Ich hoffe sehr, dass Herr Weise jetzt flotte Fahrt macht und es gelingt. Ich sage Ihnen aber auch: Wir werden sehr darauf achten, ob das wirklich geschieht. Wir hätten Herrn Weise und seine Mitarbeiter nämlich gerne um weitere Aufgaben erleichtert. Wir hätten ihn gerne um die Altfälle erleichtert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir hätten seine Mitarbeiter gerne um die Widerrufsverfahren erleichtert, die spätestens drei Jahre nach einer Entscheidung durchgeführt werden müssen. Gar nicht als Drohung, sondern nur als freundlich helfenden Hinweis – ich bin ja ein freundlicher Mensch – sage ich Ihnen: Das werden wir von den Grünen dem Bund und den Ländern für den Fall, dass das mit der Beschleunigung der Verfahren nicht klappt, wieder auf den Tisch legen; denn daran hängt sehr viel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass die im Bundestag vertretenen Parteien und die von ihnen geführten Landesregierungen einschließlich des thüringischen und des bayerischen Ministerpräsidenten einen Kompromiss erzielt haben. Ich glaube, das ist ein gutes Signal an die Bevölkerung. Wer aber meint, dass man Parteien am rechten Rand dadurch verhindern könnte, dass man ihre Parolen übernimmt, der hält diese Parolen nicht klein, sondern gibt ihnen Nahrung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Falsche Toleranz hat Pegida in Sachsen erst stark gemacht. Appeasement auf dem Rücken der Flüchtlinge funktioniert nicht, auch nicht in Bayern. Dass die AfD dort jetzt in Umfragen bei 5 Prozent liegt, meine Damen und Herren, ist kein Zufall. Wer die rechten Geister ruft, der wird sie nicht los und bringt sie auch nicht wieder zurück in die Flasche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Und wer Ressentiments schürt, der gefährdet den inneren Frieden mutwillig. Das gilt für Herrn Seehofer; das gilt aber leider in diesen Tagen auch für Julia Klöckner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU) – ja! –, die versucht, mit ein paar markigen Sprüchen gegen Muslime, und zwar pauschalster Art, Wahlkampf in Rheinland-Pfalz zu machen. Das ist billig, das ist gefährlich. Und ich sage Ihnen ehrlich: So wird man auch kein Land regieren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihre Angst vor dem Wahlkampf wird deutlich!) Recht und Werte einhalten, das ist selbstverständlich. Aber – wie an diesem Pult schon gesagt – es wird viele Konflikte geben. Es wird Konflikte geben, wenn es um die Rolle der Frau geht. Es wird an vielen anderen Stellen Konflikte geben, auch weil man Religion anders betrachtet, als die meisten von uns das tun. Aber die Konflikte kann man nicht lösen, indem man Ressentiments schürt. Der Innenminister hat eben von Einfühlungsvermögen und von Klarheit gesprochen. Ich würde mir sehr wünschen, dass beides gilt, und zwar auch für Julia Klöckner. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es gibt positive Punkte im vorliegenden Gesetzespaket. Ich bin froh – das will ich ausdrücklich sagen –, dass ein Beschäftigungskorridor für den Westbalkan vorgesehen ist. Das öffnet die Tür zu einem Einwanderungsgesetz, jedenfalls ein kleines Stück. Sie können sich sicher sein: Wir werden den Fuß in dieser Tür lassen. Endlich können auch Menschen jenseits der Mangelberufe kommen. Aus diesem Einwanderungskorridor muss aber dann endlich ein modernes Einwanderungsgesetz werden. Es ist wirklich nur ein erster kleiner Schritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man darf aber auch nicht drum herumreden. Sie versuchen, das Asylrecht an verschiedenen Stellen zu schwächen, und zwar auf Kosten der Flüchtlinge. Ich will nicht auf den sicheren Herkunftsländern als Symbol oder als Ideologie herumreiten. Aber wie sicher ist denn der Kosovo, wenn im Rahmen des KFOR-Einsatzes 700 Bundeswehrsoldaten stationiert sind? Die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates, die wir hier im Bundestag beraten haben, spricht – ich zitiere – „von einer ernsten humanitären Lage“. Der Einsatz habe den Zweck, für eine  – ich zitiere – „sichere und freie Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimat zu sorgen“. Nach dieser Resolution hat sich die Lage im Kosovo nicht verbessert – wie denn auch? –, sonst müssten wir die Bundeswehrsoldaten ja abziehen. (Thomas Oppermann [SPD]: Die machen Polizeiausbildung!) Ich finde, Sie sollten sehr klar sagen, worum es geht. Gerade beim Kosovo sollten Sie nicht einfach sagen: „Das ist schon sicher“, wenn gleichzeitig die Bundeswehr dort stationiert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, Sie haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass Sachleistungen ausgegeben werden. Ich halte das für einen Vorschlag aus der Mottenkiste. Ich glaube nicht, dass die Menschen, die im September aus Syrien, aus dem Nordirak und aus Afghanistan gekommen sind, wegen 4,70 Euro am Tag kommen. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Wem Sie es aber mit einer solchen Regelung schwer machen – das ärgert mich an diesem Vorschlag in besonderer Weise –, das sind die Helfer vor Ort, die Sie hier die ganze Zeit gelobt haben und bei denen Sie sich die ganze Zeit bedankt haben. Die sollen jetzt neben Betten aufstellen, neben Essensversorgung und neben Streitschlichten auch noch Deo und Zigaretten verteilen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Zigaretten sollen sie nicht verteilen!) Ich glaube übrigens, dass die Ihnen sehr schnell sagen werden, dass das überhaupt nicht geht. Ihr Vorschlag ist sinnlos und gleichzeitig eine Schikane. Das wird die Praxis deutlich machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Genauso ist es mit den Leistungskürzungen. Vielleicht wollten Sie ja uns ärgern; das können Sie auch machen, das ist nicht so schlimm. Es ist aber Schikane denjenigen gegenüber, die das betrifft. Sie sagen: Die Kürzungen sind unabdingbar notwendig. Wie viel ist das eigentlich? Soll das jetzt wieder Karlsruhe festlegen? (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja! Karlsruhe!) Ich halte auch das für keinen besonders sinnvollen Vorschlag. Ich will eines zum verlängerten Verbleib in der Erstaufnahmeeinrichtung sagen. Herr de Maizière hat gesagt: Das ist eine harte Maßnahme, die man jetzt durchführen muss. – Ich bin sehr gespannt, wie das umgesetzt wird. Ich finde, wir sollten in diesem Zusammenhang über das reden, was uns in diesen Tagen immer vor Augen geführt wird: vorgestern Calden, gestern Donaueschingen, dann Hamburg. Klar: Genauso wenig, wie wir Gewalt von Rechtsextremen vor Flüchtlingsheimen dulden, dulden wir sie in Flüchtlingsheimen. Hier muss entsprechend bestraft und gegebenenfalls auch ausgewiesen werden. (Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Aber die Situation in den meisten Erstaufnahmen ist drückend, und Konflikte sind unvermeidlich. Jetzt sagen Sie: Bitte noch mehr davon und noch länger. – Einmal abgesehen davon, dass das die Länder vor weitere Probleme stellt: Es verhindert Integration, und es schafft zusätzlichen Stress. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wir sind 630 Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus. Ich habe mir vorgestellt, wie das wäre, wenn wir alle gemeinsam in einer Messehalle untergebracht wären – auf Feldbetten, Herr Kauder neben Frau Wagenknecht –, (Heiterkeit) und dann würde auch noch jemand sagen: Die Grünen sind die kleinste Fraktion, die müssen zuerst an die Essensausgabe. – Ich nehme an, es würde alles total friedlich und ohne Schreierei abgehen, meine Damen und Herren. (Heiterkeit – Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, es gibt noch Schlimmeres, um das mal zu sagen!) – Da bin ich sehr beruhigt. Wir können ja einen Test machen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich achte auf meine Redezeit. – Worauf es jetzt ankommt, ist in der Tat Integration. Dafür brauchen wir eine große und eine neue Anstrengung. Das werden wir alles nicht nebenbei schaffen. Das wird Geld brauchen, das wird Zeit brauchen, das wird Personal brauchen. Wir müssen bei den Ursachen ansetzen. Zuallererst sage ich Ihnen: Ich finde es eine Schande, dass es für das World Food Programme immer noch keine vollständige Finanzierung gibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir dafür nicht sehr schnell sorgen, dass sich das ändert – die Menschen zum Beispiel in dem Lager in Zaatari haben uns schon vor einem Jahr gesagt: wir wissen noch nicht, wie wir morgen das Essen hier bezahlen sollen –, dann müssen wir uns gar nicht wundern, wenn die Zahl derer, die zu uns kommen, noch viel größer wird. Insofern ist diese Initiative neben all den innenpolitischen Angelegenheiten vordringlich, absolut zentral. Machen Sie international, aber auch mit einem deutschen Beitrag und mit einer Vorleistung deutlich, dass Sie dieses Problem sehen, dass Sie das nicht wieder vergessen; denn sonst wundert sich im nächsten halben Jahr wieder jemand, dass das Essen nicht reicht und dass es in Lagern wie diesem große Schwierigkeiten gibt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Peter Bleser das Wort. Peter Bleser (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Göring-Eckardt, ich weiß nicht, ob Sie schon zu Beginn der Debatte hier anwesend waren (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) und die Empfehlungen des Präsidenten zur Kenntnis genommen haben. Jedenfalls bedauere ich sehr, dass Sie Ihren Auftritt genutzt haben, um Wahlkampf zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN: Lächerlich!) Sie diskreditieren eine unserer herausragenden Politikerinnen, die sich sehr früh in Rheinland-Pfalz um die Integration von Flüchtlingen gekümmert hat. Als Erste hat sie einen Flüchtlings- und Integrationsgipfel initiiert. Sie hat die Kommunen zusammengeführt. (Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Rützel [SPD]: Wer macht denn hier Wahlkampf?) Sie hat sich in vielen Besuchen um die Situation der zu uns kommenden Menschen bemüht. Sie hat sich um sie gekümmert, und sie hat sich bei Problemen um Abhilfe bemüht. (Ulli Nissen [SPD]: „Bemüht“! Wissen Sie, was „bemüht“ heißt?) Wenn Sie ihr dann unterstellen, dass sie in eine rechte Ecke rücke, dann ist das eine Unverschämtheit, die ich mit aller Deutlichkeit zurückweise. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Peinlich!) Ich möchte Sie dringend bitten, dass wir gerade in dieser besonderen Situation, in der sich dieses Land jetzt befindet, solche Unterstellungen unterlassen. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Dann sollte Frau Klöckner überlegen, was sie sagt!) Wir sollten zusammenhalten, um die Herausforderungen im Sinne der zu uns Kommenden, aber auch im Sinne der heimischen Bevölkerung zu bewältigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zur Erwiderung Frau Göring-Eckardt. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also, niemals würde ich mich den Empfehlungen des Präsidenten widersetzen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, dann bleiben Sie jetzt ruhig! – Johannes Kahrs [SPD]: Das war schon mal der erste Fehler!) Das weiß er auch. Das entspricht überhaupt nicht meinem politischen Umgang in diesem Haus. Ich habe eigentlich auf genau das eingehen wollen, was der Präsident am Anfang hier gesagt hat. Ich finde es rührend, wie Sie hier über Julia Klöckner reden. Das ist aus Ihrer Sicht sicherlich auch gerechtfertigt. Das müssen Sie als Rheinland-Pfälzer auch machen. Das dürfen Sie auch gerne. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es nutzt Frau Klöckner nur! Ihr Bekanntheitsgrad steigt noch mehr! Weiter, weiter!) Aber ich will gerne darauf verweisen, dass ich nicht von „rechter Ecke“ geredet habe, sehr bewusst nicht. (Zurufe von der CDU/CSU: Doch, doch!) – Nein. – Vielmehr habe ich gesagt: Es geht darum, dass man keine Ressentiments schüren darf, schon gar nicht in so einer Situation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat sie ja auch nicht! – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Übel! Es wird von Wort zu Wort schwächer! Sie müssen sofort abbrechen! Es wird immer schlimmer!) Wenn man anfängt, Muslime – erst recht pauschal – zu verurteilen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat sie auch nicht!) dann wird es gefährlich. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Es wird nicht besser!) Ich habe ein Interview mit Julia Klöckner gehört. Da hat sie davon geredet, dass das Problem sei, dass ein Imam, der schon sehr lange hier in Deutschland ist, ihr nicht die Hand gegeben hat und dass das nicht passieren dürfe. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist aber was Frauenfeindliches!) – Einen Moment! – Das hat aber mit den Flüchtlingen nichts zu tun. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Meine Güte! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen Augenblick! (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt muss auch Schluss sein!) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. – Das hat etwas damit zu tun, dass man jetzt versucht, auf dem Rücken der Flüchtlinge, die hierherkommen, Ressentiments zu schüren. Ich kann nur davor warnen, und ich warne auch davor, das in Rheinland-Pfalz zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion. Im Übrigen erleichtert es die wechselseitige Verständigung sehr, wenn nicht alle gleichzeitig reden wollen. Das meiste davon kommt nicht einmal ins Protokoll. – Thomas Strobl. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wahlkampf! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Mann, Mann, Mann, müsst ihr nervös sein! – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Jetzt redet Ihr Mann!) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute die bedeutendste Reform des deutschen Asylrechts seit den 1990erJahren. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber kein Qualitätsmerkmal! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das war ein echter Schnellschuss!) Einen so umfangreichen Gesetzentwurf in so kurzer Zeit auf den Weg zu bringen, das ist eine gute Leistung, das ist ein Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist eine Gemeinschaftsleistung. Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion, die es nicht immer leicht hatten, für gute und kluge Beratungen. (Rüdiger Veit [SPD]: Das bleibt hoffentlich auch noch ein paar Tage so!) Ich bedanke mich bei den Ländern, die im Bundesrat zustimmen werden. Mein besonderer Dank gilt einem Mann, der sich in den letzten Wochen – das möchte ich wirklich so sagen – abgerackert hat: Herzlichen Dank dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Bundesinnenminister hat in seiner Rede auf zahlreiche Neuerungen, die mit diesem Gesetzespaket verbunden sind, hingewiesen. Ich möchte einen Gedanken herausgreifen, der sich wie ein roter Faden durch dieses Gesetzespaket zieht: Wir unterscheiden in den Asylverfahren zum ersten Mal sehr genau und folgenreich zwischen denen, die unseres Schutzes bedürfen, und denen, die offensichtlich nicht schutzbedürftig sind. Es geht nicht nur um die Tatsache, dass wir drei weitere sichere Herkunftsländer hinzubekommen und damit den gesamten Westbalkan zur sicheren Herkunftsregion erklären. Das ist für sich genommen schon ein wichtiger Schritt; wir haben in der Union lange für diesen Schritt geworben. Neu und richtungsweisend ist insbesondere, dass in Zukunft eine ganze Reihe von Einschränkungen mit dem Status „sicheres Herkunftsland“ verbunden sein werden. Diese Einschränkungen sollen denen, die nicht schutzbedürftig sind, den Anreiz nehmen, überhaupt einen Asylantrag in Deutschland zu stellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt, bleibt jetzt in der Erstaufnahmeeinrichtung. Es soll dort kein Bargeld mehr geben, und es gibt keine Gesundheitskarte. Die Leistungen werden nach Abschluss des Asylverfahrens deutlich gekürzt, und der Antragsteller wird direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung in sein Heimatland zurückgeschickt. Damit senden wir ein eindeutiges Signal: Wer keinen Anspruch auf Asyl hat und dennoch in Deutschland einen Asylantrag stellt, der muss in seine Heimat zurückgehen, und zwar rasch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist ein wichtiges Signal in Richtung Westbalkan: Verkauft nicht euer Haus und euer Auto, um den Schlepper und den Schleuser bezahlen zu können. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden euch schnell wieder zurückschicken. Ihr werdet schnell wieder da sein, wo ihr hergekommen seid, nur ihr werdet noch ärmer sein. Es macht keinen Sinn. Für euch gibt es andere Möglichkeiten, nach Deutschland zu kommen. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Zyniker! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Sag doch mal, welche!) Diese Konsequenz muss im Übrigen auch für Flüchtlinge gelten, die sich in den Erstaufnahmeeinrichtungen – ich werde immer häufiger darauf angesprochen – gewalttätig verhalten. Mir ist nicht begreiflich, wie Menschen, die vor Verfolgung aus Religionsgründen nach Deutschland fliehen, hier aus denselben Gründen mit Gewalt aufeinander losgehen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Integration der Flüchtlinge wird nur gelingen, wenn wir als aufnehmende Gesellschaft eine klare Vorstellung davon haben, was wir brauchen und was wir nicht brauchen, und wenn wir klare Ansagen machen. Wir müssen gleich zu Beginn formulieren und konsequent durchsetzen, was unsere Gesellschaftsordnung ausmacht: Das Grundgesetz steht über der Religion. Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Jeder kann leben und lieben, wie er will, (Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) glauben, was er will, oder auch nicht glauben und seine Meinung frei äußern, solange er die Gesetze respektiert. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Gesetze macht bei uns in Deutschland nicht der Prophet, die macht bei uns in Deutschland das Parlament, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bitte uns alle, die Entscheidungen, die wir jetzt gemeinsam gefunden haben, auch gemeinsam zu vertreten. Es kann nicht sein, dass ein Teil dieses Hauses allein für das Mitgefühl und der andere Teil für die harten Maßnahmen zuständig ist. Weil wir den Schutzbedürftigen heute und auch in Zukunft helfen wollen, werden wir Tausende, vielleicht Hunderttausende abweisen und zurückschicken müssen, die nicht schutzbedürftig sind – nicht aus Hartherzigkeit, sondern aus der Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkeiten. Nur wenn es bei uns funktioniert, dann können wir auch in Zukunft Schutzbedürftigen helfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir dieses Gesetzgebungsvorhaben zum Abschluss gebracht haben, sollten wir die Menschen nicht in ihren Zweifeln und in ihrem Unbehagen bestärken. Ja, es ist wahr: Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Aber große Herausforderungen sind nichts Neues in unserer Geschichte. Wir haben schon andere große Herausforderungen gemeistert: vor 25 Jahren die deutsche Einheit; zwei Jahrzehnte später drohte unsere Währung, der Euro, zu scheitern. Wir haben diese Herausforderungen angenommen, und wir haben sie gemeistert. Wir dürfen uns – lassen Sie es mich einmal so sagen – in dieser Krise durchaus bei unserer patriotischen Ehre packen lassen. (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Wenn Deutschland sich in dieser humanitären Notsituation geschlagen gibt, muss jedes andere Land in Europa das doch auch tun. Wenn Deutschland aufgäbe, was würden dann die anderen Länder in Europa vermögen? Was wollen wir anderen Ländern in Europa zumuten, wenn wir uns selbst nichts zutrauen? Es kommt schon auf uns an. Es hat in der vergangenen Woche mit den Beschlüssen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten ein beeindruckendes Zeichen nationaler Solidarität gegeben. Jetzt brauchen wir einen weiteren Schritt: Wir brauchen ein bemerkenswertes Zeichen europäischer Solidarität. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Scheitert Europa an der Flüchtlingsfrage, dann scheitert Europa insgesamt. Der heutige Schritt war ein richtiger Schritt. Weitere Schritte werden folgen müssen. Ich finde, wir sollten nicht verzagen, nicht lamentieren und schon gar nicht kapitulieren. Wir sollten das tun, wofür wir gewählt worden sind: die Ärmel hochkrempeln und unsere Arbeit machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Strobl, nur einen Satz zu Ihrer Rede: Sie haben heute wieder genau diese rassistischen Ressentiments bedient (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU) mit Ihrer Rede von den richtigen und falschen Flüchtlingen. Zwei Drittel aller Flüchtlinge, die gegenwärtig nach Deutschland kommen, sind schutzbedürftige Flüchtlinge, die aus Kriegsgebieten kommen. Alle anderen haben nichtsdestotrotz ein individuelles Recht darauf, nach unserem Grundgesetz jedenfalls immer noch, hier einen Antrag auf Asyl zu stellen. Dieser Antrag muss auch individuell bearbeitet und behandelt werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Das will auch niemand abschaffen! Daran will auch niemand was ändern!) Zweifellos, das Gesetzespaket, das hier heute vorliegt, hat einen positiven Aspekt: Endlich wird sich der Bund an der Finanzierung, die die Länder und Kommunen leisten, beteiligen. Aber wird dies nicht seit anderthalb Jahren hier diskutiert und gefordert? Sie sind doch mitverantwortlich für das Chaos, das in den Kommunen und in den Ländern entstanden ist, weil Sie diese finanzielle Beteiligung viel zu spät in Angriff genommen haben. Deswegen haben Sie, wie gesagt, eine Mitschuld an der aktuellen Situation. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ansonsten: Der Gesetzentwurf ist ein ganz gefährlicher Mix aus Gesetzesverschärfung, verfassungswidrigen Leistungseinschränkungen und Abschreckungsmaßnahmen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was wir gegenwärtig brauchen. Hier sind häufig genug Solidarität, menschenwürdige Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge eingeklagt worden. Das brauchen wir jetzt. Alle Kraft muss dafür aufgebracht werden. Aber was machen Sie stattdessen in diesem Gesetzentwurf? Flüchtlinge sollen bis zu sechs Monate lang in Erstaufnahmelagern eingezwängt werden, einige sogar so lange, bis sie abgeschoben werden können, und das, obwohl wir wissen, dass dies zusätzliche Konflikte und übrigens auch zusätzliche Kosten verursacht. Wir haben gerade wieder etwas über die Auseinandersetzungen in Flüchtlingslagern gehört. Ich frage Sie hier: Warum versperren Sie sich der Möglichkeit, Schutzsuchende einfach auch zu ihren Familien, Bekannten, Freunden gehen zu lassen? Das betrifft zum Beispiel viele Menschen, die aus Syrien kommen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie würden dort auch Unterkunft finden. Aber nein, da ist schon das nächste bürokratische Gesetz in Arbeit. Die Menschen jedoch haben diesen Wunsch. Sie könnten sich dann sprachlich besser verständigen und hätten die Chance, sich leichter zu integrieren. Völlig verfehlt ist natürlich auch das Vorhaben, bestimmten Gruppen das physische Existenzminimum nicht mehr zu gewähren. (Stephan Mayer (Altötting) [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!) Das Bundesverfassungsgericht hat hier eindeutige Urteile gefällt und gesagt: Menschenwürde ist nicht verhandelbar, auch nicht zum Zweck der Migrationspolitik. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch die Ausgabe von Sachleistungen statt Bargeld ist reine Schikane. Ich würde es sogar bürokratischen Irrsinn nennen. Es verursacht sogar Mehrkosten. Das ist längst erwiesen. Der Stammtisch mag ja behaupten, das Taschengeld von 140 Euro sei ein Anreiz für Flüchtlinge, aber ich halte das für totalen Unsinn. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Menschen kommen, weil sie vor Terror und Bomben fliehen. Die Menschen kommen vor allen Dingen auch, weil immer noch Waffen aus Deutschland in diese Länder geliefert werden. Davor müssen sie fliehen. Auch ich war im Irak und habe die Flüchtlingslager gesehen. (Zuruf des Abg. Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist eine Katastrophe – auch hier reagieren wir viel zu spät –, dass dort nur noch einmal am Tag eine Essensration ausgegeben wird und keine gesundheitliche Versorgung, nicht einmal mehr für Kinder, stattfindet. Es ist ein Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie haben eine Presseerklärung herausgegeben, in der es heißt, das, worüber wir hier heute diskutieren, sei eine tragfähige Grundlage für das weitere Gesetzgebungsverfahren. Ich appelliere an Sie: Schauen Sie sich das Gesetz wirklich genau an. Wenn Sie im Bundesrat zustimmen, werden wir diese Abschreckungspolitik festigen. Am schlimmsten finde ich: Es besteht die Gefahr, die Solidaritätsbewegung zu ersticken, an der auch Ihre Partei so stark beteiligt ist. Das würde ich sehr schade finden. (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss möchte ich hier noch einmal ganz deutlich sagen: Jetzt kommt aus Bayern der Ruf, sogenannte Transitzentren an den Grenzen einzurichten. Wenn Sie das umsetzen, dann werden wir an den Grenzen Massenlager mit Hunderttausenden haben. Ich sage Ihnen: Diese Orbanisierungspolitik dürfen wir nicht mitmachen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Ich komme zum letzten Satz. – Diese Flüchtlingspolitik wird den Hetzern von Pegida, AfD und NPD entgegenkommen. Da können wir nur klare Kante zeigen und unsere Solidarität mit den Flüchtlingen praktizieren. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Jelpke, es mag sein, dass Sie sich an einer Stelle versprochen haben. Nur um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: In dieser Debatte hat noch niemand vorgeschlagen, Menschen, die hier leben, das physische Existenzminimum nicht zu gewähren. (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Richtig! – Jan Korte [DIE LINKE]: Sie hat sich versprochen!) – Ja; ich vermute ja, dass es so ist. Dann haben wir das hiermit gleich klargestellt, ohne dass uns das weitere Zeit kostet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Nun erteile ich das Wort dem Minister für Inneres und Sport des Landes Niedersachsen, Herrn Pistorius. (Beifall bei der SPD) Boris Pistorius, Minister (Niedersachsen): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben derzeit mit den seit Generationen größten Flüchtlingsbewegungen nach Europa und insbesondere auch nach Deutschland zu tun. Unser Land lebt zu Recht seit Jahrzehnten das Asylrecht als einen wesentlichen Teil seiner Staatsräson. Es entspricht unserer historischen Verantwortung, dass wir unser Möglichstes tun, um Flüchtlingen Sicherheit vor politischer Verfolgung und Krieg zu gewähren. Seit Beginn des Jahres haben wir ununterbrochen anhaltend hohe Flüchtlingszahlen, Zahlen, die mittlerweile – ich wähle dieses Wort ganz bewusst – exponentiell zunehmen. Bis vor kurzem konnten wir uns die Ankunft von Menschen in der Größenordnung der letzten Wochen nicht einmal annähernd vorstellen. Die Flüchtlingspolitik in Deutschland wird dadurch eine enorme, vielleicht sogar die Herausforderung der nächsten Jahrzehnte. Die Flüchtlingspolitik in Deutschland ist zu einem Kristallisationspunkt der Zukunft dieses Landes und damit auch seiner Politik geworden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe immer wieder, auch auf Bundesebene, nachdrücklich unterstrichen: Wir haben hier eine nationale, eine gesamtstaatliche, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu bewältigen. Lassen Sie mich deshalb zunächst feststellen: Viele Menschen, Haupt- und Ehrenamtliche auf allen Ebenen – in den Ländern, in den Kommunen, im Bund –, leisten Großartiges. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Und noch etwas: Unser Land hat bei der Bewältigung dieser Aufgabe schon viel, viel mehr geleistet, als von so manchem Berufspessimisten in diesem Land erwartet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Allerdings ist es Realismus und nicht Pessimismus, wenn wir feststellen müssen: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns ehrlich sagen müssen: Es gibt Grenzen der Aufnahmegeschwindigkeit und der Aufnahmezahl, selbst trotz des großartigen Engagements in unserem Land; und damit rede ich nicht der Parole das Wort, das Boot sei voll. Wir haben eine rechtliche, eine menschliche Verpflichtung, unser Asylsystem nach allen Kräften des Staates und der Gesellschaft arbeitsfähig und funktionsfähig zu halten. Wir müssen begreifen: Unser Asylrecht kann nur dann effektiv wirken, wenn wir seine Grenzen respektieren, Grenzen, die trotz aller menschlich möglichen Anstrengungen erkennbar in Teilen erreicht und überschritten sind. Deswegen sage ich sehr deutlich: Der Gesetzentwurf des Bundesinnenministers schwächt nicht das Recht auf Asyl. Richtig umgesetzt und richtig beraten kann das Gesetz einen Beitrag dazu leisten, seine Gewährleistung zu sichern, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch wenn wir uns verantwortungsethisch verhalten, verhalten wir uns ethisch. Das sage ich allen, die leider die Augen vor der Realität verschließen. Ein großer Schritt, ein wichtiger Schritt, aber eben nur ein Schritt von vielen notwendigen ist das heute hier vorliegende Gesetzespaket. Ich bin allen Beteiligten, insbesondere der Bundesregierung, den sie tragenden Fraktionen und den Ministerpräsidenten der Länder, sehr dankbar, dass sie sich beim Gipfel über Maßnahmen verständigen konnten, die helfen können und müssen, die Flüchtlingspolitik zu ordnen und zu strukturieren und Länder und Kommunen finanziell zu entlasten. Ebenso wichtig wie die finanzielle Entlastung der Länder und Kommunen ist die zumindest vorübergehende Beseitigung bürokratischer Hindernisse, die die zügige Inbetriebnahme dringend benötigter Unterkünfte beinhaltet. Ich sage deshalb auch Danke dafür, dass die niedersächsische Bundesratsinitiative bereits vor ihrer Beschlussfassung Umsetzung erfahren hat. Auch das erlebt man nicht alle Tage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber, meine Damen und Herren, wo es Licht gibt, da gibt es auch Schatten. Die Länder müssen sich darauf verlassen können, dass die Bundesregierung die Verabredungen des Gipfels umsetzt – nicht mehr und nicht weniger. Das heißt, wir müssen getroffenen Vereinbarungen trauen können. (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Ich will nur drei Stichpunkte nennen, über die wir werden reden müssen: Ein Aspekt sind die nicht vereinbarten Verschärfungen beim Zugang zur Härtefallkommission. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Von Bedeutung ist auch die Ermessensausübung, ob Sachleistungen an die Stelle von Geldleistungen treten – das ist nämlich keineswegs so, wie sich der eine oder andere das vorstellen mag –; auch darüber wird zu reden sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Dreh- und Angelpunkt ist aber die – entschuldigen Sie den Ausdruck – naive Annahme, man könnte durch Gesetz beschließen, Menschen länger in Erstaufnahmeeinrichtungen zu lassen, weil sie aus sicheren Herkunftsstaaten kommen oder Asylfolgeantragsteller sind. Letzteres ist übrigens ebenfalls nicht Gegenstand der Vereinbarung von letzter Woche. Ich sage Ihnen: Ein Blick in die Erstaufnahmeeinrichtungen wird Ihnen zeigen, dass sie auf Sicht nicht in der Lage sind, die weiter hinzukommenden Menschen aufzunehmen, und sie sind erst recht nicht in der Lage, die Menschen, die aus sicheren Herkunftsländern kommen, bis zu ihrer Rückführung dann auch noch länger bei sich zu lassen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das werden wir auf Sicht nicht leisten können, und das muss allen klar sein. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Noch nicht beschlossen!) Die Kapazitäten sind erschöpft, und es ist illusorisch, anzunehmen, dass die Probleme durch niedersächsische, hamburgische, bayerische oder sogar kommunale Modelle gelöst werden können. Es ist auch illusorisch, anzunehmen, dass wir die nächsten Wochen ohne eine erneute große Kraftanstrengung aller staatlichen Ebenen bewältigen können. An dieser Stelle übrigens Dank an die Bundeswehr, die an vielen Standorten hervorragend unterstützt und ohne die wir viele Dinge nicht mehr leisten könnten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bei Betrachtung dieses Gesetzespakets sage ich: Wir sind nicht am Ende der Lösung und der Diskussionen, sondern wir stehen am Anfang einer riesigen Aufgabe. Deswegen brauchen wir auch das Bekenntnis, dass es ebenso illusorisch wäre, zu glauben, die größtenteils ehrenamtlich tätigen Angehörigen der Hilfsorganisationen könnten noch Monate so weitermachen. Das können sie nicht. Gleiches gilt für die Hauptamtlichen und für viele andere mehr. Es ist auch illusorisch, anzunehmen, dass die Fluchtursachen hinreichend bekämpft wären, dass die Unterstützung für die Flüchtlingslager im Nahen Osten und die beschlossenen Maßnahmen der EU auch nur annähernd ausreichend wären und dass die Verteilung der Flüchtlinge in der EU auch nur ansatzweise befriedigend gelöst wäre. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Daneben ist es auch illusorisch, anzunehmen – damit komme ich zum Schluss –, dass wir keinen europäischen oder bundesdeutschen Plan B für den Fall brauchen, dass die Zahl der Flüchtlinge weiter steigt und wir den Unterbringungsnotstand feststellen müssen. Dieses Land und seine Menschen haben in dieser Situation bis jetzt schon Großartiges geleistet. Wir haben mehr geschafft, als viele für möglich gehalten haben. Um die tagtägliche und in diesem Fall äußerst sinnvolle und menschlich wertvolle Sisyphusaufgabe zu meistern, braucht unser Land weitere große und noch größere Anstrengungen, noch größere Taten der Länder und Kommunen und besonders deutlich auch operative Taten des Bundes – auch bei der Flüchtlingsunterbringung und der Steuerung der Ströme. Meine Damen und Herren, es reicht nicht, zu sagen: „Wir schaffen das“. Die Menschen wollen von uns hören, was genau und wie viel wir schaffen, und vor allen Dingen wollen sie wissen, wie wir es schaffen. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Weiler das Wort. Albert Weiler (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Beim Beitrag von Herrn Gysi vorhin habe ich mich zu Wort gemeldet, aber er ist so schnell geflüchtet, dass der Präsident die Wortmeldung nicht mehr zulassen konnte. Herr Gysi, nur ganz kurz: Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Die Bundeswehr macht viele Einsätze bei mir in Ohrdruf in Thüringen und darüber hinaus, und sie holt Flüchtlinge aus dem Meer. Es ist also nicht nötig, der Bundeswehr noch einen Auftrag zu geben, etwas zu tun; denn sie tut das schon seit langer, seit geraumer Zeit, und zwar gut. Jetzt noch kurz zu Frau Jelpke: Es ist eine einfache Sache, die Menschen, die eine andere Meinung als die Linke haben – ob Frau Klöckner, Thomas Strobl oder ich nachher –, in eine rechte Ecke zu stellen, aber das wird der Sache nicht gerecht. Wir haben in Thüringen einen linken Ministerpräsidenten, der Abschiebestopps durchführt (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) und der der Ausweitung der sicheren Herkunftsländer nicht zustimmt. Das regt die Menschen auf und berührt sie. Ich bin seit elf Jahren Bürgermeister in einem Ort in Thüringen – das bin ich immer noch – und merke ganz genau, wie die Bevölkerung, meine Bürgerinnen und Bürger, (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sind nicht Ihre! – Weitere Zurufe von der LINKEN) durch solch eine Politik nicht nur nervös, sondern verängstigt werden. Und Sie wollen uns hier im Bund erklären, wie wir Flüchtlingspolitik machen sollen! Das, was Frau Merkel und Thomas de Maizière in harter Arbeit durchsetzen, versuchen Sie, mit reiner Polemik schlechtzumachen. Das ist nicht gut für Deutschland, und das ist für mich staatsgefährdend. Ich bitte Sie einfach, damit aufzuhören und ein bisschen mehr konstruktiv mitzuarbeiten und gute Vorschläge zu bringen. Dann wäre hier auch eine Zusammenarbeit möglich. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, diese Debatte ist zu ernst für parteipolitisches Klein-Klein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, wer hat denn angefangen, Herr Beck?) – Dieser Beitrag war wirklich nicht hilfreich. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das war Ihre Fraktionsvorsitzende!) Es ist gut, dass wir durch den Gipfel von Bund und Ländern eine dauerhafte Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme erreicht haben. Das war unabdingbar, damit Länder und Kommunen ihre Aufgaben wahrnehmen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind uns auch einig, Herr Minister, bei dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung. Wir brauchen schnellere Entscheidungen, damit die Menschen wissen, ob ihnen hier Schutz gewährt wird oder ob sie nicht dauerhaft hierbleiben können. Aber zu diesem Thema enthält Ihr Gesetzentwurf schlicht gesagt nicht eine einzige Bestimmung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben Ihnen dazu mehrere Vorschläge unterbreitet – nichts davon haben Sie aufgegriffen –: pauschale Anerkennung der Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea, dem Irak und Somalia, wo wir eine Anerkennungsquote von fast 100 Prozent haben, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die Abarbeitung der Altfälle, Schluss mit der Wiederaufnahme von Verfahren von anerkannten Flüchtlingen. Das hätte tatsächlich etwas gebracht. Stattdessen setzen Sie nur auf eines – das hat der Minister gestern im Plenum auch gesagt –, auf Abschreckung. Sie wollen signalisieren, dass es keinen Sinn hat, hierherzukommen. Das kann man auch anders tun; das haben wir im Kosovo gezeigt. Man kann den Menschen die Rechtslage erklären, anstatt sie, wenn sie hier in Deutschland sind, zu schikanieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit dem Fokussieren auf die Erstaufnahmeeinrichtungen, in die Sie alle Flüchtlinge sechs Monate und die Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten dauerhaft stecken wollen, produzieren Sie sehenden Auges sozialen Sprengstoff. (Stephan Mayer (Altötting) [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Das ist nur die Maximaldauer!) Menschen, die der Residenzpflicht, einem Arbeitsverbot und dem Bezug von Sach- statt Geldleistungen unterliegen und denen die Leistungen gekürzt werden – das konzentriert Armut, Elend, Benachteiligung und Ausgrenzung an bestimmten Orten. Das konzentriert zu sehen, wird unsere Bevölkerung schwer irritieren. Dort wird die Stimmung kippen, weil die Helfer dort nicht helfen wollen, weil sie sich an dieser Veranstaltung nicht beteiligen wollen. Deshalb ist es hochgefährlich, was Sie hier auf den Weg bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Von der Sache hier ist die Einstufung des gesamten Westbalkans als sichere Herkunftsstaaten einfach nicht vertretbar. Ich war vor zwei Wochen in Serbien. Warum sind die Roma aus dem Kosovo geflohen und leben in Serbien immer noch als „unsichtbare Roma“ – ohne Papiere, in wilden Siedlungen ohne jede Infrastruktur? Weil es im Kosovo so sicher ist? Nein, weil ihre Dörfer nicht mehr existieren, weil sie nicht sicher zurückkönnen. Da können wir doch mit einer solchen rechtspolitischen Entscheidung keinen Blankoscheck für diese Länder ausstellen; das ist zynisch und unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Civil Rights Defenders von Serbien haben für dieses Jahr 24 Übergriffe auf Journalisten im „sicheren Herkunftsland“ Serbien in ihrem Bericht festgestellt, den sie kürzlich in Belgrad vorgestellt haben. Sicher? – Das ist eine Chimäre. Ich bin dafür, dass wir solche Entscheidungen mit Verantwortungsgefühl für die Menschenrechte treffen. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Deshalb stimmen Sie im Bundesrat ja auch zu!) Deshalb kann ich diesen Vorschlägen nicht zustimmen, zumal sie in der Sache nichts bringen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Serbien sind die Zahlen nicht gesunken, sondern gestiegen. Der Kosovo war kein sicherer Herkunftsstaat. Da sind die Zahlen durch eine Aufklärungskampagne gesunken. Das zeigt: Die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten ist keine Remedur des Problems, richtet aber in anderen Bereichen enormen Schaden an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wird den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg sehr freuen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich muss alle Beteiligten noch einmal bitten, auch wenn es bei diesem Thema besonders schwerfällt, sich an die Redezeiten zu halten. Ich stelle ungerne dann das Mikrofon aus. Aber es kann nicht jeder individuell entscheiden, wie lange er am liebsten reden möchte. Das wäre schön, aber es geht leider nicht. Nächster Redner ist der Kollege Stephan Mayer. (Beifall bei der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Was wir heute auf den parlamentarischen Weg bringen, ist die umfassendste Reform unseres deutschen Asylrechts seit dem Asylkompromiss in den 90er-Jahren. Dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren sehr zügig bis Mitte Oktober durchführen wollen, zeigt, wie schwierig die Situation und wie dringend der Handlungsbedarf ist. Ich möchte zu Beginn ausdrücklich und mit großer Überzeugung all den unzähligen, all den Tausenden von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helferinnen und Helfern in ganz Deutschland danken, die sich tagein, tagaus – teilweise bis zur Belastungsgrenze und manche auch darüber hinaus – in der jetzigen Flüchtlingssituation engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte all den Polizisten, den THW-Helfern, den Feuerwehrleuten und den Mitarbeitern der karitativen Einrichtungen und der Rettungsorganisationen ganz herzlich danken. Es ist herausragend, was in Deutschland derzeit passiert und wie viel Solidarität und Empathie gegenüber den Flüchtlingen und Asylbewerbern an den Tag gelegt wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte aber auch ausdrücklich dem Bundesinnenminister und seinen hochmotivierten und versierten Mitarbeitern danken. Denn was jetzt unter hohem zeitlichen Druck und auch mit großer Expertise erarbeitet wurde, verdient großen Respekt und hohe Anerkennung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Flüchtlingssituation ist derzeit mit Sicherheit das größte Problem unserer Zeit. Es befinden sich zur Stunde über 60 Millionen Menschen auf unserem Globus auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Für Deutschland ist eine andere Zahl von entscheidender Bedeutung. Jeden Tag kommen zwischen 5 000 und 10 000 Flüchtlinge in unser Land, die meisten über die bayerisch-österreichische Grenze, und man kann nicht umhin, klar zu konstatieren: Das ist insbesondere für die südbayerischen Kommunen bzw. die Landkreise eine enorme Belastung und eine riesige Herausforderung. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt!) Wir hatten allein im September mehr Flüchtlinge in Deutschland zu verzeichnen als im gesamten letzten Jahr, und schon im gesamten letzten Jahr war es die vierthöchste Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber aller Zeiten. Eines muss klar sein: Wenn die Zahlen weiterhin auf diesem hohen Niveau bleiben, dann wird Deutschland über kurz oder lang überfordert sein. Was die Registrierung, Antragstellung und Antragsbearbeitung anbelangt, ist dies eine riesige Herausforderung, und die Unterbringung sowie die Integration in unsere Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt sind auch für ein starkes und wohlhabendes Land wie Deutschland auch bei größter Anstrengung auf die Dauer nicht zu leisten, wenn die Zahlen auf diesem hohen Niveau bleiben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, allein im September sind mehrere zehntausend Flüchtlinge und Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Sie wurden nicht registriert. Sie wurden nicht kontrolliert. Ich möchte in aller Deutlichkeit feststellen: Damit besteht auch ein großes Sicherheitsrisiko. Es ist deshalb das Gebot der Stunde, dass wir zur Rechtsstaatlichkeit zurückkehren. Jeder Flüchtling und jeder Asylbewerber muss schnellstmöglich, wenn er deutschen Boden betritt, registriert und überprüft werden. Das ist im deutschen Interesse. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Für mich ist eines entscheidend: Deutschland und Europa haben nicht nur Verpflichtungen gegenüber schutzbedürftigen Menschen – dies haben wir sehr wohl auch –, wir haben insbesondere auch eine Verpflichtung gegenüber unserer heimischen Bevölkerung, ein funktionierendes Gemeinwesen und sichere und soziale Lebensbedingungen zu gewährleisten. Es sind vor allem die Menschen in unserem Land, denen wir verpflichtet sind. Eines ist auch klar: Wenn Deutschland an Leistungs- und Integrationskraft einbüßt, ist letzten Endes niemandem geholfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nur ein starkes Deutschland kann Flüchtlinge im Inland unterstützen und dazu beitragen, dass Flüchtlinge ihre Herkunftsregionen erst gar nicht verlassen müssen. Deshalb ist nicht nur die Innenpolitik gefordert, sondern zuvorderst auch die Außen-, Europa- und Entwicklungspolitik. Ich bin unserem Entwicklungshilfeminister Gerd Müller sehr dankbar, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) dass er sich nachdrücklich dafür einsetzt, die Bedingungen vor Ort in den Anrainerstaaten deutlich zu verbessern. Unser Bundesminister Gerd Müller weist immer wieder darauf hin: Jeder Euro, der im Herkunftsland bzw. im Anrainerland investiert wird, ist zehnmal so effektiv investiert, als wenn er in Deutschland investiert würde. (Widerspruch des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb ist es ein wichtiger Schritt, dass wir hier mehr tun. Hier ist nicht nur Deutschland gefordert, sondern hier ist die gesamte Europäische Union in der Verantwortung. Wir geben mit diesem Gesetz zur Beschleunigung des Asylverfahrens ein wichtiges Signal an all die Menschen, die nicht schutzbedürftig sind, sich nicht nach Deutschland aufzumachen. Ich möchte der insbesondere vonseiten der Linken – leider auch in dieser Debatte – aufgestellten stereotypen Behauptung widersprechen, dass wir zwischen schlechten und guten Flüchtlingen differenzierten. Das stimmt nicht. Jeder Mensch ist gleich viel wert, und jeder Mensch hat natürlich Anerkennung und Respekt verdient. Aber es kommt entscheidend darauf an, ob jemandem der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird oder nicht. Es geht nicht um eine Differenzierung in schlechte und gute Flüchtlinge, sondern darum, ob jemand überhaupt Flüchtling oder anerkannter Asylbewerber ist oder ob er es nicht ist. Wenn er es nicht ist – das gehört zur Ehrlichkeit dazu –, dann muss er Deutschland wieder verlassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Ich bin unserem Bundespräsidenten Joachim Gauck sehr dankbar, dass er in seiner Rede am vergangenen Sonntag in Mainz deutlich gesagt hat, dass wir es mit einem epochalen Ereignis zu tun haben, „dessen Ausmaß und Tragweite wir noch schwer erfassen können“, und dass unsere Möglichkeiten endlich sind. Dieser Satz ist keine Selbstverständlichkeit, aber er ist unbestreitbar wahr. Nicht nur Juristen wissen: Unmögliches ist nie geschuldet. – Ich möchte noch eines offen sagen: Wer mit Ignoranz darauf reagiert, dass sich Ängste in der Bevölkerung manifestieren, und wer die Probleme in der Bevölkerung negiert, gefährdet letzten Endes den inneren Frieden und auch unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eines muss auch klar sein: Es gibt kein Recht – auch nicht für anerkannte Flüchtlinge –, sich den Staat der Schutzgewährung nach Günstigkeitserwägungen auszusuchen. Der Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge ist in allen Staaten der Europäischen Union, in allen Staaten der Genfer Flüchtlingskonvention im Grundsatz möglich und zumutbar. Es geht deshalb insbesondere in den nächsten Wochen und Monaten darum, dass wir Rechtsstaatlichkeit in der gesamten Europäischen Union wiederherstellen, dass sich alle Mitgliedsländer der Europäischen Union an die europäische Asylrechtsgesetzgebung halten, an die Dublin-Verordnung, die Schengen-Verordnung und die EurodacVerordnung; auch das gehört dazu. Das Gesetz dient insgesamt drei primären Zielen. Es geht darum, die Asylverfahren zu beschleunigen, die Unterbringung zu erleichtern und gleichzeitig die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber zu forcieren. Auch hier werden wir als Bund darauf achten, wie die Länder mit dieser Aufgabe umgehen; ich sage das hier in aller Offenheit. Es wird in Zukunft verboten sein, Abschiebungen im Vorfeld anzukündigen. Sehr geehrter Herr Minister Pistorius, wir werden einen intensiven Blick insbesondere auf Niedersachsen werfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben mindestens zweimal Abschiebungen im Vorfeld angekündigt und haben selbst vor wenigen Jahren den Paradigmenwechsel beim Abschiebungsrecht ausgerufen. Es wird darauf ankommen, dass sich alle politischen Ebenen, angefangen von der Kommune über die Länder bis zum Bund, entsprechend konzertieren und zusammenarbeiten. In diesem Sinne bringen wir mit dem heutigen Gesetzentwurf ein sehr weitreichendes und wichtiges Gesetzgebungsverfahren im Deutschen Bundestag auf den Weg. Ich möchte zum Abschluss nicht verhehlen: Es handelt sich zwar um einen essenziellen Zwischenschritt. Aber es wird uns nicht erspart bleiben, hier in diesem Haus sehr schnell über weiter gehende Maßnahmen zu diskutieren und sie dann auch zu verabschieden. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Rüdiger Veit das Wort. (Beifall bei der SPD) Rüdiger Veit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst am Anfang etwas machen, was meiner Meinung nach bisher zu kurz gekommen ist. Ich möchte der Bundeskanzlerin für ihre Entscheidung und ihre klaren Worte am 5. September danken. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Da sie nicht mehr anwesend ist, bitte ich, ihr das auszurichten. Ich teile ihre Auffassung und kleide das nun einmal in meine Worte: Ich möchte auch nicht in einem Land leben, in dem kein Platz mehr für Mitgefühl gegenüber geschundenen, verfolgten und vom Tode bedrohten Menschen ist, egal woher sie kommen. Und ich möchte auch nicht in einem Land leben, in dem kein Platz mehr ist für Hilfsbereitschaft – Hilfsbereitschaft, egal ob letztendlich christlich motiviert, aus sozialistischer Ideologie heraus, einfach humanistisch motiviert oder weil man schlicht und ergreifend, so mein Empfinden, ein anständiger Mensch ist. (Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Das reicht ja auch!) – Genau, Herr Dr. Schäuble; das reicht. – Ich finde, Frau Dr. Merkel hat anständig gehandelt, und dafür dürfen wir alle sie einmal loben und ihr sagen: Wir sind an Ihrer Seite gewesen, auch in dieser Entscheidung und bei diesen Ihren Worten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind als SPD-Fraktion von der hier zur Debatte stehenden Asylrechtsreform, zumindest in ihren flüchtlingsrechtlichen Teilen, durchaus nicht nur begeistert; das können Sie sich denken. Ich hoffe sehr, lieber Kollege Stephan Mayer, dass wir über ein paar Punkte, die so auch gar nicht vereinbart sind, im Gesetzgebungsverfahren noch einmal reden werden. Einen Punkt hat Minister Pistorius angesprochen; einen weiteren hast du eben selbst angesprochen. Eines muss aber klar sein – das muss auch in der Debatte herausgestellt werden –: Wir können auf die gegenwärtige Situation nicht stets und ständig mit neuen gesetzlichen Vorschlägen antworten, schon gar nicht mit solchen, die vielleicht populistisch gedacht sind, aber überhaupt nicht realisierbar sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich weiß nicht, ob Herr Kauder noch da ist. Ihm wollte ich ebenfalls ein Wort der Zustimmung zurufen. Herr Kauder hat im Zusammenhang mit der Sitzung seiner Fraktion am Dienstag ausgeführt, nachdem noch nicht einmal die Tinte unter dem Beschluss der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin trocken sei, sei es verfehlt – da bin ich ganz bei ihm –, sofort schon wieder neue Vorschläge zu machen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu. Das ist die zweite Neuigkeit, jedenfalls in der Verhaltensweise, der ich mich hier heute, glaube ich, befleißigen darf. Dazu gehört dann auch – da gucke ich in den Süden der Republik, ein bisschen verstohlen vielleicht auch auf die Regierungsbank –, dass wir den Menschen nicht weiszumachen versuchen, etwas leisten zu können, was wir in Wahrheit schon von der Realität her gar nicht leisten können. Bevor wir davon reden, dass wir die Grenzen effektiver kontrollieren wollen, dass wir das Flughafenverfahren übertragen wollen, müssen wir uns doch einmal klarmachen, was das heißt: Im Flughafen, wo niemand die Transitzone verlassen kann, kann man ihn auch gegen seinen Willen sozusagen einsperren. Aber wie wollen Sie denn die deutschen Grenzen darüber hinaus noch kontrollieren? Sie können das vielleicht noch in den Zügen machen, vielleicht noch stichprobenartig an den Autobahnen, den Bundesstraßen, den Landstraßen, den Kreisstraßen, aber Sie können es nicht mehr an der grünen Grenze. Die grüne Grenze Deutschlands, die Landgrenze, ist ganze 3 621 Kilometer lang. Allein die Landgrenze zu Österreich ist über 800 Kilometer lang. Was wollen Sie denn da machen? Wollen Sie da Zäune errichten wie in Ceuta, Melilla oder wie vielleicht in Ungarn oder in Griechenland, wo wir es auch schon erlebt haben? Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Zäune müssten Sie im Ernstfall dann vielleicht auch noch durch die Bundeswehr oder wen auch immer gegen Flüchtlinge verteidigen. Das ist ein völlig falscher Weg. Wenn Sie jetzt von mir wissen wollen, was der richtige Weg wäre, dann sage auch ich Ihnen, was erfreulicherweise schon von vielen in der heutigen Debatte herausgearbeitet worden ist, und das geht über die nationale Gesetzgebung hinaus: Wenn es uns nicht gelingt, die Push-Faktoren – Herr Bundestagspräsident, die Vertreibungsfaktoren – Präsident Dr. Norbert Lammert: Geht doch! Rüdiger Veit (SPD): – in der Nähe der Herkunftsländer zu verringern und dafür zu sorgen, dass die Menschen dort wenigstens nicht verhungern oder erfrieren, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die sich alle auf den Weg zu uns machen. Da ist internationale Politik gefragt. Davon dürfen wir nicht nur übereinstimmend reden; wir müssen da auch handeln. Und dann gibt es da auch die europäische Komponente: Es reicht eben nicht, Europa als ein bloßes Verrechnungskonto zu begreifen und Solidarität nur dann zu zeigen, wenn es darum geht, den Steiß – mit Verlaub – griechischer Banken auch im Interesse internationaler Gläubigerbanken zu retten, sondern es geht auch darum, der humanistischen Idee Europas an dieser Stelle Geltung zu verschaffen, und das heißt, dass wir uns verstärkt für eine solidarische Flüchtlingspolitik auch auf europäischer Ebene einsetzen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Rüdiger Veit (SPD): Wenn die Bundesregierung, namentlich die Bundeskanzlerin, hier mit vergleichbarer Härte auftreten würde, wie sie das im Zusammenhang mit der Bewältigung oder – vielleicht ist sie ja noch nicht bewältigt – wenigstens Bekämpfung der Griechenland-Finanzkrise gemacht hat, dann hätte sie, glaube ich, unser aller Unterstützung. Wir sagen noch einmal allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union: Europa ist keine Schönwetterveranstaltung, ist kein Verrechnungskonto, von dem man ab und zu Geld abzweigen kann, wenn es einem gerade gefällt, sondern wir haben auch gemeinsame Pflichten; wir haben gemeinsame Werte. Dazu müssen wir stehen. Dafür müssen wir alle gemeinsam kämpfen. Darum würde ich Sie alle bitten. Danke sehr. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Eckhardt Rehberg ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Beck, lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen: Zu klären, ob es sich um Syrer handelt, ist nicht ganz so einfach, wie Sie meinen. Wenn Sie sich einmal vor Ort kundig machen, dann erfahren Sie: Ein hoher Prozentsatz hat keinen Pass. Wenn Sie sich mit Dolmetschern unterhalten, die die Anhörungen durchführen, dann sagen diese Ihnen: Ein hoher Prozentsatz gibt vor, Syrer zu sein, spricht aber nicht den Dialekt, der in den entsprechenden Regionen in Syrien eigentlich heimisch ist. Deswegen muss man, wenn jemand sagt: „Ich komme aus Syrien“, schon prüfen, ob er auch wirklich aus Syrien kommt. Auch das gehört zu einem geordneten Asylverfahren und zur Realität in diesem Land. Das muss auch benannt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Ja, Herr Pistorius, all das ist eine nationale, gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich glaube, wir als Bund, also die Bundesregierung und der Bundestag, stellen uns dieser Aufgabe und werden uns dieser Aufgabe stellen. Wir werden das für dieses und auch für das kommende Jahr leisten können, ohne neue Schulden aufnehmen zu müssen. Der Grund dafür ist, dass wir eine gute wirtschaftliche Entwicklung haben. Deswegen können wir es uns auch leisten, in diesem Jahr eine Rücklage in Höhe von 5 Milliarden Euro zu bilden. Diese wird nicht nur aus den Erlösen der Digitalen Dividende und Zinsminderausgaben gespeist, sondern sie ist so strukturiert und konstruiert, dass auch zukünftig bei Entlastungen des Bundeshaushaltes oder bei Minderausgaben Geld dort hineinfließen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund hat für 2015 eine finanzielle Entlastung der Länder um insgesamt 2 Milliarden Euro zugesagt. Dieses Geld, Herr Minister Pistorius, geht in diesem Jahr ungebunden und unkonditioniert in die Länderhaushalte, wie auch die 3,67 Milliarden Euro im nächsten Jahr. Herr Minister Pistorius, wenn Sie von einer nationalen, gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen Aufgabe sprechen, dann muss ich Ihnen dazu sagen: Es liegt jetzt in der Verantwortung der Länder, dass das gesamte Geld, das der Bund zur Verfügung stellt, bei den Kommunen ankommt. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist jetzt Ihre Verantwortung und die Ihrer Kollegen in den einzelnen Ländern, dafür zu sorgen, dass das nicht zur Sanierung der Landeshaushalte verwendet wird, sondern bei den Kommunen ankommt. Welche Situation haben wir in den Ländern? Bei den drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg ist das relativ unproblematisch. Dann gibt es drei Länder, die, weil sie ihren Kommunen die vollen Kosten erstatten, das Geld im Landeshaushalt vereinnahmen könnten: Das sind der Freistaat Bayern, das Saarland und mein Heimatbundesland MecklenburgVorpommern. Herr Kollege Pistorius, ich muss Ihnen sagen: Nach meinen Informationen bleiben die Kommunen in Niedersachsen auf 40 Prozent der Kosten sitzen. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Ja! – Zurufe von der SPD: Stimmt nicht! – Falsch!) Deswegen erwarte ich, dass in all den Bundesländern, die den Kommunen nicht die vollen Kosten erstatten, dafür gesorgt wird, dass dieses Geld des Bundes zukünftig bei den Kommunen ankommt und damit eine Vollkostenerstattung vorgenommen wird. Das muss man erwarten. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) Ich erwarte weiterhin von den Ländern, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass auch die 350 Millionen Euro, die in diesem Betrag für unbegleitete Jugendliche enthalten sind, den unbegleiteten Jugendlichen zugutekommen. Ich erwarte weiter von den Ländern, dass auch die 339 Millionen Euro, die für die Kinderbetreuung ungebunden in die Länderhaushalte gehen, für die Kinderbetreuung in den Ländern ausgegeben werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Stichwort „sozialer Wohnungsbau“: Wir als Bund stellen nicht nur mietzinsfrei Bundesimmobilien zur Verfügung, sondern wir gehen noch einen Schritt weiter: Wir werden auch die Herrichtungs- und Erschließungskosten übernehmen, und zwar rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres. Und hinsichtlich der 500 Millionen Euro, die wir noch zusätzlich zu den Kompensationsmitteln für den sozialen Wohnungsbau dazugeben, ist zu sagen: In den 2,5 Milliarden Euro an Entflechtungsmitteln sind schon 518 Millionen Euro für die Förderung von sozialem Wohnraum enthalten. Das heißt, es handelt sich um 500 Millionen Euro und 518 Millionen Euro, also insgesamt über 1 Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau vonseiten des Bundes. Aktuell verwendet aber keines der 16 Bundesländer die in den Entflechtungsmitteln für die Förderung von sozialem Wohnraum vorgesehenen Mittel zweckgerichtet und zweckentsprechend für den sozialen Wohnungsbau. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Und an dieser Stelle, Herr Pistorius, müssen Sie sich von mir anhören: Wir erwarten, dass die 78,3 Millionen Euro, die Niedersachsen zustehen, für den sozialen Wohnungsbau verwendet werden und für nichts anderes. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Höchste Zeit!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben darüber hinaus das Thema Regionalisierungsmittel abgeräumt. Vorausgegangen war eine lange Debatte. Ich fand es allerdings dreist, dass Ministerpräsident Kretschmann aus BadenWürttemberg auf die Frage, warum das Thema der Regionalisierungsmittel mitverhandelt wurde, geantwortet hat – Zitat –: Wir müssen ja immer aufpassen, dass der Bund uns die Gelder, die er uns an der einen Stelle zusätzlich gibt, uns an anderer Stelle nicht wieder abzieht. Das war am 26. September 2015, also gerade einmal 48 Stunden nach dem Gipfel bei der Bundeskanzlerin. Ich finde, so kann man nicht miteinander umgehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei gibt es in BadenWürttemberg für die Kommunen keine Vollkostenerstattung. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, eben!) Gerade einmal drei Viertel der Kosten werden erstattet. Wir als Deutscher Bundestag sollten von daher die Botschaft senden: Ja, der Weg dahin war nicht ganz einfach, aber wir haben uns dieser Herausforderung gestellt und überweisen die entsprechenden Mittel an die Länder. – Mir persönlich – das sage ich ganz ehrlich – wäre eine Zweckgebundenheit lieber gewesen. Das ist nur mit einer Grundgesetzänderung möglich, und ich gestehe zu, dass das schwierig und kompliziert gewesen wäre. Wir werden im Zuge der Haushaltsberatungen natürlich auch die Mittel in den Haushalt 2016 einstellen, die der Bund zu tragen hat: Leistungen für den SGBIIAufwuchs, 4,5 Millionen Euro für das Auswärtige Amt, Personalmittel für 3 000 neue Stellen bei der Bundespolizei und mehr Geld für Sprach- und Integrationskurse. Dieser Herausforderung werden wir uns stellen. Ich glaube – das ist meine feste Überzeugung –, wenn hier jeder, aber auch wirklich jeder, seine Zusagen einhält, dann werden wir gesamtstaatlich der nationalen Verantwortung gerecht. In den letzten Wochen und Monaten haben die Länder gefordert, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht werden muss, und heute können wir das Fazit ziehen, dass er seiner nationalen Aufgabe gerecht geworden ist. Die Länder müssen dieser Aufgabe aber in gleicher Art und Weise gerecht werden. Sie tragen nach unserem föderalen System die Verantwortung für ihre Kommunen und müssen jetzt hier und heute ihrer gesamtstaatlichen, ihrer nationalen Aufgabe gerecht werden. Ich bin davon überzeugt, dass wir so als Gesamtstaat die Problematik und den Ausnahmezustand beim Thema „Flüchtlinge und Asylbewerber“ bewältigen werden können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich will nur eine kurze technische Zwischenbemerkung machen: Da wir die vereinbarte Redezeit von 96 Minuten bereits erkennbar überschritten haben und noch vier weitere angemeldete Redner zu Wort kommen, werde ich jetzt weder Zwischenfragen noch Kurzinterventionen zulassen. Mir ist schon klar, dass es noch sehr viel weiteren Diskussionsbedarf gibt. Aber wir können mit Blick auf die weitere Tagesordnung unsere selbst festgelegten Redezeiten nicht beliebig sprengen. Nächste Rednerin ist die Staatsministerin Özoğuz für die Bundesregierung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Aydan Özoğuz, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Thomas de Maizière sagte am Anfang: Nur gemeinsam geht es. – In Wahrheit verbirgt sich dahinter viel mehr, als wir hier immer sonst so mit dem Überparteilichen meinen. Ich finde, bei Herrn Rehberg ist das eben schon ein Stück weit angeklungen. Es ging bei diesem Paket natürlich auch um eine Vereinbarung zwischen Parteien, aber tatsächlich handelt es sich dabei in erster Linie um eine Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen. Alle mussten an einen Tisch, mehrfach. Wenn man das Ergebnis mit dem schlechten Asylkompromiss von 1993, wenn ich das einmal sagen darf, vergleicht, dann kann man feststellen: Wir haben in der Asylpolitik jetzt einen riesigen Schritt gemacht, der unser Land voranbringen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist die schlimmste Verschärfung seit 1993 im Asylrecht! Können Sie nicht lesen?) – Das sehe ich nicht so. Ich bin sehr froh, dass wir eine dauerhafte strukturelle Finanzierung haben, (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind die Beauftragte für das Thema! Sie müssen lesen können!) dass wir davon weg sind, Herr Beck, dass wöchentlich Menschen zusammenkommen müssen, um darüber zu verhandeln, wie man es finanzieren kann, wenn so viele Asylbewerber kommen, und wie wir solche Dinge wie Sprachkurse von Anfang an auch für Asylbewerber zur Selbstverständlichkeit machen. Wenn Menschen jetzt zu uns kommen, können wir sagen, dass wir aus der Vergangenheit gelernt haben, indem wir dafür sorgen, dass sie nicht monatelang und jahrelang nur herumsitzen müssen und nichts tun, sondern Deutsch lernen und Zugänge zu unserer Gesellschaft finden. Selbst dann, wenn sie eines Tages wieder gehen sollten, weil zum Beispiel in ihrem Land wieder Frieden herrscht, ist das für alle Beteiligten eine sehr gute Sache. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig!) Aber, wie Herr Mayer zu Recht sagte, wird nicht jeder bleiben können. Das ist hier schon mehrfach angeklungen. Das ist auch ein Teil der Wahrheit, der Ehrlichkeit. Ich möchte nur eines dazusagen, weil mir das manchmal in den Debatten aufstößt: Es ist aus einem deutschen Wohnzimmer, wo man gemütlich sitzt, leicht, ein Wort wie Wirtschaftsflüchtling in den Mund zu nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir sollten uns überlegen, welche wirtschaftliche Not sich oftmals dahinter verbirgt, wenn Menschen alles aufgeben, wenn sie ihre Kinder nehmen und sich auf den Weg machen, auch wenn sie bei uns kein Asyl bekommen können. Deswegen ist es richtig, dass wir legale Zugangsmöglichkeiten schaffen wollen und denjenigen, die kommen, um zu arbeiten, um hier zu leben und um ein Teil von uns zu werden, eine Möglichkeit dazu eröffnen. Da wird das Ventil einmal aufgemacht und eine solche Tür geöffnet. Das war, wie ich glaube, längst überfällig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, es ist ganz wichtig, hier auch zu betonen, dass sich Fremdheit nur durch Begegnung ändern kann. Wenn ich jetzt in der Kürze der Zeit auf die vielen Ängste und Sorgen in unserer Bevölkerung nicht mehr Bezug nehmen kann, so ist mir doch besonders wichtig, auf einen Punkt hinzuweisen: Wenn man das, was all die Ehrenamtlichen und auch all die Hauptamtlichen leisten, die wahrlich genug Überstunden machen – ich denke nur an die Sozialarbeiter, die Extraschichten an den Wochenenden einlegen, damit immer jemand da ist und eine Ordnung und eine Struktur hineinkommen –, wirklich ernst nehmen will, dann muss man auch auf das hören, was sie sagen. Beim ersten Ehrenamtsempfang im letzten Jahr, den ich mit Ihrer aller Hilfe geben durfte – Sie haben ja die Ehrenamtlichen vorgeschlagen –, haben wir von allen Seiten gehört, dass Strukturen benötigt werden, dass man jemanden braucht, den man fragen kann, bei dem man auch einmal eine Information bekommen kann. Ich freue mich, dass es jetzt gelungen ist, mit den Wohlfahrtsverbänden einen entsprechenden Anfang zu machen. Die Haushälter haben hier Gott sei Dank ein Auge zugedrückt, sodass ich noch ein bisschen mehr Geld als sonst ausgeben konnte, um Schulungen durchführen zu können, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) um Strukturen schaffen zu können, sodass auch Ehrenamtliche entsprechende Anlaufstellen haben. Dabei hilft uns übrigens sehr der deutsche Fußball. Die Sportvereine beginnen jetzt damit. Überall dort, wo Menschen zusammenkommen, werden die Begegnungen ein Stück weit unterstützt. Ich glaube, das hilft, Fremdheit abzubauen. Herr Präsident, ich möchte nur noch einen Satz sagen, der mir sehr wichtig ist, und bin dann gleich am Ende meiner Redezeit. Viele Abgeordnete in diesem Haus, und zwar aus allen Fraktionen, bekommen in diesen Tagen viele Verleumdungsversuche übergestülpt. Das sind sehr bösartige Verleumdungen. Ich weiß nicht, wie häufig mittlerweile vorgeschlagen wurde, Strafanzeige zu stellen. Manchmal überlegt man sich, ob man sie noch unterschreiben soll. Wir sollten hier, wie ich finde, jedenfalls auch einmal sagen: Gerade in einer solchen Zeit müssen wir alle zusammenstehen, müssen gemeinsam gegen Hetze und völkische Ideologien vorgehen und dürfen so etwas überhaupt nicht in die Debatte hineintragen lassen, auch wenn das leider oft versucht wird. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Fragen Sie einmal Herrn Seehofer!) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Klaus-Dieter Gröhler hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Klaus-Dieter Gröhler (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, Sie haben vorhin von Besorgten und Begeisterten gesprochen. Ich will mich, wie so oft, in der Mitte, also dazwischen, einordnen, vielleicht mit einer ganz kleinen Tendenz zum Besorgtsein. Ich glaube, da befinde ich mich in ganz guter Gesellschaft, zumindest mit den Bürgerinnen und Bürgern meines Wahlkreises. An dieser Stelle möchte ich Ihnen einmal die Zahlen einer Umfrage aus Berlin präsentieren, die vor einigen Tagen durchgeführt wurde. Sie hat folgendes Ergebnis zutage gebracht: 7 Prozent aller Berlinerinnen und Berliner würden aktiv dagegen vorgehen, wenn in ihrer Nachbarschaft eine Flüchtlingsunterkunft entstehen würde. In meinem Wahlkreis, Charlottenburg-Wilmersdorf – darauf bin ich stolz –, war die Zahl am niedrigsten, nämlich 2 Prozent. Aber in einem Bezirk von Berlin haben 15 Prozent aller Menschen gesagt, sie würden aktiv etwas gegen Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft unternehmen. Da ist der Wahlkreis Treptow-Köpenick. Leider kann Herr Gysi nicht zuhören, weil er seit etwa 20 Minuten telefoniert. Aber vielleicht sind die Genossen seiner Fraktion einmal so gut, ihm zu sagen: Statt hier über SaudiArabien zu schwadronieren, wäre es gut, in den Wahlkreis zu gehen, mit den Menschen zu reden und ihnen zuzuhören. Das würde mehr bringen. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN) Ich habe in den letzten Wochen wie sicherlich viele andere Kollegen sehr aufmerksam zugehört. Ich habe häufig die Frage gehört: Können wir das wirklich schaffen? Und sagt uns doch bitte einmal: Wie werden wir das schaffen? – Ich glaube, heute geht vom Gesetzentwurf der Bundesregierung und von der Mehrheit dieses Bundestages ein Signal ins Land hinaus. Die Frage „Wie können wir das schaffen?“ beantworten wir nämlich mit diesem Gesetzespaket und senden deutliche Signale. Wir senden Signale an diejenigen, die noch kommen wollen, und sagen ihnen: Wenn ihr in Deutschland kein Bleiberecht bekommen könnt, dann überlegt wirklich gut, ob ihr euch auf den Weg macht. Es ist nämlich eigentlich falsch, zu kommen. Wir sagen denen, die hier sind und kein Bleiberecht bekommen können: Ihr habt die Verpflichtung, wieder zurückzugehen. Wenn ihr diese Verpflichtung nicht erfüllt, dann werden wir sie mit staatlichen Maßnahmen durchsetzen. Das ist weder Rassismus, meine Damen und Herren, noch ist es ungerecht oder unmenschlich, sondern das ist schlicht und ergreifend Rechtsstaatlichkeit, das ist ein Stück Gerechtigkeit; denn derjenige, der ein Recht hat, muss anders behandelt werden als derjenige, der kein Recht hat. Dazu sollten wir uns an dieser Stelle auch bekennen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir senden ein Signal an diejenigen, die bleiben können. Wir senden das Signal: Wir werden alles dafür tun, dass ihr in Deutschland vernünftig und würdevoll behandelt werdet. Wir senden das Signal: Wir wollen euch integrieren. Aber wir erwarten auch, dass ihr euch integriert. – Wer in das Land des Grundgesetzes flüchtet, der darf nicht nur die Vorteile dieses Grundgesetzes für sich in Anspruch nehmen wollen, sondern er muss dieses Grundgesetz auch leben. Wir sind es den Menschen, die in diesem Land leben, seien sie Deutsche oder seien sie Nichtdeutsche, schuldig, das durchzusetzen, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir senden ein Signal an diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, die in den Behörden tätig sind, die bei der Polizei, der Bundespolizei und der Bundeswehr arbeiten. Wir senden auch ein Signal an die Kommunen. Leider ist die Länderbank inzwischen verwaist. Ich will die Worte meines Kollegen Rehberg unterstreichen: Wenn Herr Pistorius sagt, er erwarte, dass der Bund seine Verpflichtungen erfüllt, dann erwarten wir von den Ländern das ganz genauso. Ich kann die Kollegen in den Länderparlamenten und in den Kommunen nur auffordern: Bitte überprüft sehr deutlich, was die Länder mit dem Geld des Bundes tatsächlich machen, damit sie die Kommunen hinterher nicht im Regen stehen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Es ist heute schon zahlreichen Mitgliedern der Bundesregierung gedankt worden. Ich will aber noch einmal ein deutliches Dankeschön an Wolfgang Schäuble aussenden. Den Nachtragshaushalt, den er jetzt vorgelegt hat, und die Vorsorge, die er für 2016 trifft, hätten wir gar nicht auf den Weg bringen können, wenn er als Finanzminister in den letzten Jahren mit unseren Staatsfinanzen nicht so verantwortungsvoll umgegangen wäre. Wenn er das nicht gemacht hätte, wären wir zu den genannten Maßnahmen heute nicht in der Lage. Ich weiß, meine Damen und Herren, dass wir mit dem Gesetzespaket einige Menschen in der Bevölkerung möglicherweise nicht erreichen. Diese Menschen sagen: Was interessiert uns das alles? Wir machen die Schotten dicht. Wir geben kein Geld für andere in der Welt. Warum sollen die Probleme der anderen unsere Probleme sein? Diesen Menschen rufe ich zu: Vergesst nicht, dass auch Deutschland einmal Solidarität erfahren hat. (Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich sage das ganz bewusst als Berliner und denke dabei an die Zeit von 1948/49. Ich erinnere auch an 25 Jahre deutsche Wiedervereinigung. Wir haben die Solidarität der anderen europäischen Länder bekommen, als die DDR praktisch über Nacht der Bundesrepublik Deutschland beitrat und damit auch Teil der Europäischen Union wurde. Damals waren wir darauf angewiesen, dass uns die anderen dabei unterstützen. Das sollten wir nicht vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wissen, meine Damen und Herren, dass die Entwicklung im Moment äußerst dynamisch ist. Wir wissen, dass dieses Gesetzespaket möglicherweise nicht die letzte Antwort sein kann. Es kann auch nur eine von vielen Maßnahmen sein. Neben dem Bemühen, die Fluchtursachen zu beseitigen, geht es auch darum, die Europäische Union stärker in die Verantwortung zu nehmen, die Türkei zu fördern und zu fordern und die Vereinten Nationen an dieser Stelle verstärkt ins Boot zu holen. Zwei Sätze der Kanzlerin sind für mich sehr wichtig, und an die halte ich mich. Erstens: „…wir können nicht alle Probleme in Deutschland lösen …“ – das hat sie gestern gesagt. Der zweite Satz lautet: „Wir können das schaffen …“ Beide Sätze zusammen, meine Damen und Herren, sollten unsere Handlungsmaxime sein. Dann sind wir in der Tat auf einem guten Weg. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU]) Kerstin Griese (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, haben in unserem Land eine Seite geweckt, von der wir gar nicht wussten, dass es sie gibt. Das Engagement und die Hilfsbereitschaft, mit denen sich tagtäglich Zehntausende von Menschen in Deutschland um Flüchtlinge kümmern, sind ungeahnt groß und leidenschaftlich. Ohne diese tatkräftige Hilfe der vielen Freiwilligen wäre es gar nicht gelungen, Flüchtlinge so gut willkommen zu heißen. (Beifall bei der SPD) Auch unsere Stadtverwaltungen, die Kitas, die Schulen – ich habe großartige Schulklassen besucht, in denen die Kinder Deutsch lernen –, die Hilfsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und die Polizei leisten Großartiges, um allen Geflüchteten ein Dach über dem Kopf und eine erste Versorgung zu bieten. Deshalb als Allererstes ein herzliches Dankeschön dafür. (Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD]) Jetzt kommt es darauf an, dass auch die staatlichen Strukturen funktionieren, dass Unterkünfte und Versorgung bereitstehen, dass die Registrierung der Flüchtlinge schneller erfolgt, dass die Verfahren beschleunigt werden, damit die Menschen wissen, ob sie bleiben können oder nicht, und damit diejenigen, die bleiben dürfen, sofort die deutsche Sprache lernen können und die Chance haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Auch dafür stellen wir mit diesem Gesetzentwurf die Weichen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]) Wir nehmen die große Herausforderung an und wollen jetzt Bedingungen schaffen, damit aus Flüchtlingen gute Nachbarn und Kollegen werden. Sprache und Arbeit, das sind die wichtigsten Schlüssel für die Integration. Gute Sprachkenntnisse sind die Voraussetzung dafür, dass jemand arbeiten kann, ein Einkommen erzielen kann. Das ist auch für unsere Sozialsysteme wichtig. Deshalb ist unser vordringlichstes Anliegen, dass Flüchtlinge frühzeitig die deutsche Sprache lernen können. Wir sorgen jetzt dafür, dass die Integrationskurse auch für Menschen, die sich im Asylverfahren befinden und eine gute Bleibeperspektive haben, sowie für Geduldete geöffnet werden. Das heißt, es wird in Zukunft möglich sein, viel früher Deutsch zu lernen. Die Zahl der Sprachkurse wird erheblich erhöht. Die Mittel dafür werden erhöht. Zusammen mit den berufsbezogenen Deutschkursen wird ein Gesamtprogramm Sprache entwickelt. Zusätzlich werden Mittel der Bundesagentur für Arbeit bereitgestellt. All das ist wichtig. Wir müssen schon jetzt dafür sorgen, dass die deutsche Sprache schnell gelernt werden kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sprache ist der erste Schritt in die Arbeitswelt. Darüber hinaus brauchen wir mehr Vermittler in den Jobcentern und Arbeitsagenturen, die sich um die Flüchtlinge kümmern. Ich will ausdrücklich sagen, dass wir gleichzeitig nicht die Menschen aus den Augen verlieren, die schon bei uns leben und Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben. Wir werden und wollen uns weiter intensiv um Langzeitarbeitslose kümmern; denn wir wollen nicht, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese (Ehingen) [CDU/CSU]) Deshalb ist es auch so wichtig – das ist ja völlig klar –, dass der gesetzliche Mindestlohn gilt – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) egal, ob jemand hier geboren ist oder zu uns geflohen ist. Wer das infrage stellt, schürt Probleme, die es noch gar nicht gibt. Erst letzte Woche sagte eine Betriebsrätin zu mir, dass es gerade jetzt ein Segen ist, dass wir den Mindestlohn haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesagentur für Arbeit wird mit diesem Gesetz schon viel früher denjenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben, helfen können, eine Arbeit zu finden. Das Programm „Early Intervention“ wird flächendeckend ausgebaut zu einem Programm, bei dem die Qualifikationen der Flüchtlinge erfasst werden, um mit ihnen gemeinsam überlegen zu können, wie sie sich weiterbilden und einen Arbeitsplatz finden können. Wenn wir all das schaffen, liegt eine große Chance in den Flüchtlingen, die zu uns kommen. Wir erleben junge Leute – 50 Prozent der Flüchtlinge sind unter 25 Jahren –, die etwas lernen wollen, die unbedingt arbeiten wollen. Wir erleben Kinder, die unglaublich schnell Deutsch lernen und sich mit ihren Mitschülern anfreunden. Ich sage ganz klar: Wenn wir das gut machen – und wir wollen das gut hinkriegen –, dann ist das eine große Chance. Da nimmt auch niemand einem anderen den Arbeitsplatz weg; vielmehr brauchen wir mehr Menschen, die bei uns leben und arbeiten wollen. Ich will auf einen Punkt hinweisen, der auch in diesem Gesetz geregelt wird und den noch keiner genannt hat; er findet sich in der Änderung der Beschäftigungsverordnung. Wir wissen, dass Flüchtlinge aus den Ländern des Westbalkans in den weitaus meisten Fällen kein Asyl bekommen, weil sie nicht verfolgt sind. Insofern brauchen wir endlich für diejenigen aus dem Balkan, die hier arbeiten wollen, eine legale Möglichkeit der Arbeitsmigration, damit sie keine Asylanträge stellen. So kann die Menge der Verfahren reduziert werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich bin sehr froh, dass wir eine entsprechende Regelung gefunden haben. Wer künftig einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag mit tarifvertraglichen Bedingungen vorweisen kann und in den letzten beiden Jahren nicht als Asylbewerber in Deutschland Leistungen erhalten hat oder – und das ist wichtig; das ist eine wichtige Botschaft an die Menschen in den Flüchtlingsunterkünften – wer in diesem Jahr gekommen ist – bis zur Verabschiedung dieses Gesetzes –, der kann künftig mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland arbeiten oder eine Ausbildung machen und dafür ein Arbeitsvisum beantragen. Das ist gerade für die Menschen aus dem Westbalkan ein wichtiger Schritt zur legalen Arbeitsmigration. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn es uns gelingt, dass Asylverfahren deutlich schneller entschieden werden, dass die deutsche Sprache schnell erlernt werden kann, dass Qualifikationen erfasst und Praktika und Ausbildung angeboten werden, dann können wir diese Herausforderung meistern. Ich will nicht verschweigen, dass das viel Anstrengung und auch viel Geld kosten wird. Aber es ist gut angelegtes Geld in die Zukunft unseres Landes. Und angesichts dessen, was ich in Schulen und Flüchtlingsunterkünften mit den Ehrenamtlichen und Verantwortlichen erlebt habe, bin ich optimistisch, dass wir diese Herausforderung meistern wollen und meistern können. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Einen schönen Tag von meiner Seite aus und auch noch weiterhin einen schönen Tag Ihnen und den Gästen auf der Tribüne! Der letzte Redner in dieser Debatte ist Johannes Kahrs. (Beifall bei der SPD) Johannes Kahrs (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute hier viel Wahres gehört. Wir haben als Koalition vieles angestoßen, das wir umsetzen werden. Ich glaube, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen werden wir das schaffen. Kollege Rehberg hat im Einzelnen erklärt, wie die Leistungen für die Kommunen aussehen. Wir müssen nur darauf achten, dass die Länder die Mittel an die Kommunen auch entsprechend weiterleiten – das ist einer der wesentlichen Punkte –, und wir Haushälter werden unseren Teil dazu beitragen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Der Bundesinnenminister de Maizière – wenn ich das noch kurz erwähnen darf – hat eine sehr gute Rede gehalten. Ich möchte nur noch eine kurze Anmerkung machen. Es ist nicht nur wichtig, dass wir 3 000 neue Stellen für die Bundespolizei beschließen, sondern wir müssen auch darauf achten, dass die Verwaltung der Bundespolizei entsprechend ausgestattet wird und dass die Ausstattung der Bundespolizei modernisiert wird. Die Unterkünfte der Bundespolizei sind auch nicht immer so toll. Wir müssen in den nächsten Jahren strukturell daran arbeiten, dass hier etwas passiert. Wenn wir das gemeinschaftlich hinkriegen, Kollege Rehberg, dann würde mich das sehr freuen. Vielen Dank! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Man muss es einfach sagen: Die Bundespolizei, genauso wie die Polizeien der Länder, leistet in diesen Tagen Unendliches. Die Polizisten sind rund um die Uhr im Einsatz, sie werden von einer Ecke der Republik in die andere gefahren. Dass das geschieht, ohne dass es dabei zu großen Verwerfungen kommt, ist wirklich unglaublich. Deswegen gebührt ihnen nicht nur unser Dank und unsere Anerkennung, sondern man muss sie auch entsprechend ausstatten und bezahlen. Ich glaube, das gehört zur Wahrheit dazu. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Gleiche gilt für die Hilfsorganisationen. Lassen Sie mich exemplarisch das THW erwähnen. Das THW macht sehr viel mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Das THW ist personell sehr bescheiden aufgestellt. Es gibt circa 800 Hauptamtliche, der Rest sind Ehrenamtliche. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden dem THW Unterstützung angedeihen lassen müssen. Das THW braucht unsere Hilfe. Wir haben das im Haushaltsausschuss – der Kollege Rehberg war immer tapfer dabei – in den letzten zwei Jahren gemacht. Ich bin mir sicher: Das werden wir auch in diesem und im nächsten Jahr schaffen, damit das THW weiterhin das leisten kann, was es in den letzten Tagen und Wochen geleistet hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben darüber hinaus weitere 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt. Insgesamt stellen wir also 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Ich hoffe, dass die Länder dieses Geld in Zukunft für diesen Zweck ausgeben werden. Aber ernsthafterweise muss man zur Kenntnis nehmen, dass wir zurzeit damit beschäftigt sind, Flüchtlinge überhaupt unterzubringen. Sie müssen raus aus den Zelten und in irgendeine Form von Unterkunft für den Winter. Das wird in den nächsten Jahren anders organisiert werden müssen. Wir können die Flüchtlinge ja nicht alle in den provisorischen Unterkünften lassen. Diejenigen, die hierbleiben, müssen anständig untergebracht werden. Gleichzeitig ist die Wohnungssituation in vielen Städten schwierig. Deswegen wird der soziale Wohnungsbau, und zwar über den dritten und den ersten Förderweg, in den nächsten Jahren richtig ausgebaut werden müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es bedarf einer großen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen, um das gemeinschaftlich hinzubekommen. Es ist gut, dass wir Grundstücke von der BImA haben. Sie allein werden aber nicht reichen. Wir werden in den nächsten Jahren dafür sorgen müssen, dass alle, die in diesem Land leben, anständige Wohnungen vorfinden. Auch hier darf man keinen gegen den anderen ausspielen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich abschließend sagen – Kollegin Griese hat das dankenswerterweise ebenfalls gesagt –: Wenn man keinen gegen einen anderen ausspielen will, heißt das, dass wir, obwohl wir diese große Flüchtlingskrise gemeinsam meistern werden und wir viel Geld investieren, nicht vergessen dürfen, wofür wir auch gewählt worden sind, zum Beispiel zur Bewältigung von Fragen des Teilhabegesetzes, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) von Fragen der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt; und auch andere Punkte müssen dringend angegangen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich hoffe, dass das Anfang nächsten Jahres passiert, dass wir mit einzelnen Gesetzespaketen das Problem fehlender Ordnung auf dem Arbeitsmarkt angehen und dass wir im nächsten Jahr den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes nicht nur vorstellen, sondern auch beschließen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Johannes Kahrs. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6185, 18/6172, 18/6190 und 18/6090 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina Dröge, Dr. Frithjof Schmidt, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Starke Schutzstandards – Ziel statt Zielscheibe moderner Handelspolitik Drucksache 18/6197 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Thomas Nord, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Verhandlungen zum EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein starkes Primat der Politik – Für fairen Handel ohne Demokratie-Outsourcing – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stellungnahme im Rahmen des Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommission zum Investitionsschutzkapitel im geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Klageprivilegien für Konzerne – CETA-Vertragsentwurf ablehnen Drucksachen 18/1093, 18/1457, 18/1964, 18/4090, 18/2620, 18/4969 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Unruhe) – Diejenigen, die sich an der Debatte nicht beteiligen wollen, bitte ich, entweder still zu sein oder den Raum zu verlassen oder beides zu tun. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Ich eröffne die Debatte mit der Worterteilung für Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die europäische Bürgerinitiative zum Thema TTIP hat inzwischen fast 3 Millionen Unterschriften bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Bei 500 Millionen europäischen Einwohnern ist das ja nicht so viel!) Das ist die stärkste europäische Bürgerinitiative, die es je gab. Jetzt wird den Kritikern ja immer vorgeworfen, sie hätten sich nicht ausreichend informiert. Gefordert wird, besser zu informieren. Es ist sicher so, dass viele Menschen nicht sämtliche 500 Seiten des CETA-Vertrags und die 1 500 Seiten Anhang, die noch dazu in juristischem Englisch verfasst sind, gelesen haben. Aber die Menschen haben oft ein verdammt gutes Gespür dafür, dass Dinge grundlegend schieflaufen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich kann Ihnen sagen: Bei TTIP läuft einiges grundlegend schief. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: TTIP ist richtig!) Worum geht es bei TTIP im Kern? Im Kern geht es darum: Was ist man für ein äußerst vages Wachstumsversprechen aufzugeben bereit? (Peter Beyer [CDU/CSU]: Haben Sie denn immer noch nicht verstanden, worum es geht? Das ist aber beschämend!) Die Bundesregierung tut immer so, als wenn alle Standards erhalten bleiben würden. Die Bundesregierung agiert so nach dem Prinzip Hoffnung. Aber ich würde Ihnen einfach mal empfehlen, nachzulesen, was der französische Handelsminister sagt. Er hat nämlich Einblick in die Unterlagen, und er hat sich dazu ganz klar geäußert. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns doch einfach einmal an, was bisher geschah und was von dem, was bisher geschah, öffentlich wurde. Die europäische Seite hat versucht, die amerikanische Seite unter Druck zu setzen, doch endlich ihre strengeren Finanzmarktregulierungen zu senken. So viel zu der Behauptung, dass keine Standards gesenkt werden sollen. Die amerikanische Seite wiederum hat versucht, die strengeren Lebensmittel- und Agrarstandards, die wir in Europa haben, zu senken. Beide Seiten haben versucht, Schiedsgerichte durchzusetzen, und beide Seiten kämpfen darum, eine regulatorische Kooperation zustande zu bringen. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Regulatorische Kooperationen sind etwas sehr Gutes!) Ist es das, was Sie unter „Standards erhalten“ verstehen? Ist es das, was Sie unter „Transparenz“ verstehen? Ist es das, was Sie unter einem „bürgerfreundlichen, sinnvollen Vertrag“ verstehen? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vieles ist besser geworden!) Was wir stattdessen brauchen, sind entsprechende Reformen der bereits bestehenden Schiedsgerichtsverfahren. Da liegt vieles im Argen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil!) Da anzusetzen, wäre besser, als dem alten Falschen noch etwas neues Falsches hinzuzufügen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bundeskanzlerin Merkel hat erst letzte Woche gesagt, TTIP sei eine Riesenchance. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Recht hat sie!) Aber welche Fakten hat sie, um das zu belegen? (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Welche Fakten haben Sie?) Sie hat die schöne Aussage getätigt, dass das Wachstum um 0,05 Prozent pro Jahr wachsen würde. – Das ist statistisches Rauschen. Das liegt im Bereich einer Messungenauigkeit, ist aber nun wirklich kein Faktum. 0,05 Prozent mehr Wachstum – und dafür geben Sie Standards auf? Das ist doch lächerlich. Seien Sie doch ehrlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – ­Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt fangen Sie mal mit den Fakten an! – Dr. ­Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo steht, dass Standards aufgegeben werden?) Die Leute haben längst gemerkt, dass diese 0,05 Prozent Wachstum ein total tönernes Versprechen sind. Deswegen lehnen sie es ab, und die Leute haben damit recht. Darum lehnen auch wir das, was vorliegt, ab. Hören wir doch einfach einmal auf eine große Mehrheit in der Bevölkerung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Leute, die ich kenne, lehnen das nicht ab!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Wiese? Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Warum nicht? Vizepräsidentin Claudia Roth: Das war ein bayerisches Ja. Passt schon! (Heiterkeit) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es sei ihm gestattet. Dirk Wiese (SPD): Herr Kollege Hofreiter, vielen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich bin etwas irritiert von Ihren Ausführungen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie sind nicht der Einzige!) Vielleicht können Sie mir weiterhelfen im Hinblick auf Ihre Position und die Position der Grünen. Ich habe vorliegen die „Eckpunkte der Positionierung der Landesregierung Baden-Württemberg“, herausgegeben von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. In diesen Eckpunkten schreibt er unter Punkt eins: „Aus Sicht der Landesregierung bietet die Freihandelszone TTIP eine Riesenchance, um die Wirtschaft zu stärken.“ Weiter schreibt er im zweiten Punkt: „TTIP gibt die Möglichkeit, globale Maßstäbe zu schaffen.“ Weiter führt er aus, unter Drittens: „Das ist eine Riesenchance für die exportorientierte Industrie in Baden-Württemberg.“ (Peter Beyer [CDU/CSU]: Welcher Partei gehört der eigentlich an?) Ich zitiere weiter: „Der Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse und Zölle“ ist „aus Sicht der Landesregierung“ in Baden-Württemberg „richtig“. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!) Weiter schreibt er, unter Viertens: „Die angestrebte regulatorische Kooperation kann nach dem Dafürhalten der Landesregierung“ dazu beitragen, zukünftige „Regulierung besser zu koordinieren und gemeinsam zu gestalten“. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sind die Fakten! – Peter Beyer [CDU/CSU]: So sieht das aus!) Das widerspricht in allen Punkten dem, was Sie hier gerade ausführen. Darum würde ich gerne einmal fragen: Sprechen Sie hier für die Grünen, oder spricht Winfried Kretschmann für die Grünen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Beyer [CDU/CSU]: Sehr gut!) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank für Ihre Frage. Sie haben einige Punkte aus der Stellungnahme der Landesregierung von Baden-Württemberg aufmerksam gelesen. Schade, dass Sie sich nicht die Mühe gemacht haben, die Stellungnahme komplett zu lesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Jetzt mal darauf antworten! Das können Sie nicht!) Wenn Sie die Stellungnahme komplett gelesen hätten und wenn Sie unser Positionspapier gelesen hätten, dann wüssten Sie, dass wir der Meinung sind, dass TTIP so nicht geht. (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben überhaupt nichts dagegen, wenn – das ist ein schönes Beispiel, das immer genannt wird – die Farbe der Kabel in den Geräten angeglichen wird. Ich habe vergessen, ob sie in deutschen Maschinen weiß und in amerikanischen grün sind oder umgekehrt. Das können Sie gerne angleichen. Damit hat kein Mensch ein Problem. Ein anderes Beispiel sind die berühmten Blinker. Ich bin Verkehrspolitiker und kann Ihnen sagen: Mein Gott, wenn das so wichtig ist, dann einigen wir uns halt auf orange oder rote Blinker. Davon wird die Welt nicht untergehen. Es war ein Vorschlag der italienischen Ratspräsidentschaft, sich bei TTIP auf das zu konzentrieren, was sinnvoll und notwendig ist, nämlich auf ein paar wichtige Angleichungen bei den Industriestandards. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Zurück zur baden-württembergischen Landesregierung!) Damit hätte in diesem Haus wahrscheinlich überhaupt niemand ein Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – ­Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist aber Gegenstand von TTIP!) Damit hätte wahrscheinlich auch kein einziger Bürger ein Problem. Die Bürger haben aber zu Recht ein Problem damit, dass geheime Schiedsverfahren eingeführt werden sollen, (Christine Lambrecht [SPD]: Längst vom Tisch! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist doch die Wahrheit!) die einen dazu verdonnern, Strafzahlungen in Millionenhöhe zu leisten, wenn man bestimmte Gesetze verabschiedet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Sie spielen mit den Ängsten der Menschen! Unmöglich!) Sie haben ein Problem damit, dass Umweltstandards gesenkt werden, sie haben ein Problem damit, dass Agrarstandards gesenkt werden, sie haben ein Problem damit, dass das Transparenzniveau sinkt, und sie haben ein großes Problem damit, dass auf Tausenden von Seiten Regulierungen festgelegt werden, an die die Parlamente nicht herankommen. Damit haben die Leute zu Recht ein Problem, und damit hat auch Winfried Kretschmann ein Problem. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nebenbei: Nochmals vielen Dank für Ihre Frage, Herr Wiese. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zu Ende lesen hilft immer!) Schauen wir uns einmal die bereits existierenden Dokumente zu CETA an. Was ist zum Beispiel nicht drin? Das Vorsorgeprinzip ist nicht drin, obwohl das Vorsorgeprinzip in unserer Umweltpolitik ganz entscheidend ist. Wir haben doch bereits negative Erfahrungen mit Verträgen gemacht, in denen das Vorsorgeprinzip nicht enthalten ist. Kennen Sie den WTO-Vertrag? Der WTO-Vertrag ist ganz spannend. Wir als Europäische Union haben bereits eine Verurteilung kassiert, weil wir Hormonfleisch nicht importieren wollen. Wollen Sie noch mehr Verurteilungen erhalten? Oder wollen Sie in Zukunft Hormonfleisch importieren? Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie noch mehr Steuergelder zum Fenster hinausschmeißen, oder wollen Sie Hormonfleisch importieren? Eines von beiden geht nur. Oder lehnen Sie einfach die Verträge in der Form ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Wenn wir uns das Ganze weiter anschauen, dann stellen wir fest, dass unsere amerikanischen Kollegen ziemlich gute Zugänge zu den Verträgen haben und hineinschauen können. Bei uns im Haus ist es sehr skurril. Von den Abgeordneten ohne Regierungsamt hat ausgerechnet ein CDU-Abgeordneter, nämlich Jürgen Hardt, Zugang. Ich meine, skurriler geht es nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Das ist längst geregelt!) Wir beglückwünschen ihn, und wir wünschen ihm ein spannendes Lesen. Wir bedanken uns aber auch bei Herrn Lammert für die klaren Worte. Wir erwarten von den Regierungsfraktionen, dass sie dafür sorgen, dass alle Abgeordneten, die das lesen wollen, Leserechte erhalten. So viel Stolz sollten wir als Parlament haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Zur SPD mit ihren Schiedsgerichten. Da findet eine wunderbare PR-Arbeit von Herrn Gabriel und Frau Malmström statt: dass es jetzt angeblich einen öffentlichen Handelsgerichtshof geben soll, dass dabei ganz vieles verändert werden soll. Frau Malmström hat allerdings auf eine Frage – wir können dabei auch einmal etwas zugestehen – von Vertretern der Linken im Europäischen Parlament, ob denn am CETA-Vertrag noch etwas geändert werden solle, geantwortet: Nein, daran wird überhaupt nichts mehr geändert. Also, was stimmt jetzt, die Aussage von Frau Malmström im Europäischen Parlament oder die Aussage von Herrn Gabriel? Ich vermute, dass die Aussage von Frau Malmström dazu stimmt. Sie ist näher dran und hat den Daumen drauf. Also hören Sie auf mit Ihrer PR-Arbeit und damit, auf Frau Malmström hereinzufallen. Lassen Sie diese Form von PR-Arbeit sein! Geben Sie es einfach zu: Sie stehen genauso zu Schiedsgerichten, und Ihre Parteibeschlüsse sind Ihnen einfach nichts wert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch Unfug, was Sie erzählen!) – Sie können so viel schreien, wie Sie wollen. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Der Einzige, der hier schreit, sind Sie! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Deshalb bleibt es trotzdem bei den Aussagen auf europäischer Ebene. (Ulli Nissen [SPD]: Unfug!) Dabei wäre es dringend notwendig, dass wir uns auf eine stärkere Kooperation auf internationaler Ebene einigen. In Paris wäre es dringend notwendig, dass wir einen vernünftigen Vertrag finden, der entsprechende Klimaschutzstandards setzt. Es wäre auch dringend notwendig, dass wir uns auf internationale Verträge verständigen, dass die großen Unternehmen wie Amazon, Google oder Starbucks endlich Steuern zahlen. Erst in Addis Abeba hat die Bundesregierung das Gegenteil gemacht. Also: Es ist ganz klar, dass bei den großen Herausforderungen von den Flüchtlingen über die Klimakrise bis zur Veränderung der Konzernstrukturen und der Weigerung der Konzerne, Steuern zu zahlen, sowohl Deutschland als auch die USA zu klein sind, ebenso wie auch viele andere Länder zu klein sind, um solche Probleme in den Griff zu bekommen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Redezeit! Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dabei sind Veränderungen nötig. Dazu sind entsprechende internationale Abkommen notwendig, aber Abkommen, die an den Interessen der Bürger orientiert sind, Abkommen, die die Standards heben, und nicht Abkommen, die die Standards senken. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Hofreiter. – Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade einmal wieder ein Paradebeispiel gehört, wie die Grünen internationale Handelspolitik verteufeln. Sie wollen sie ja auch nicht. Sie schreiben in ihrem Antrag den bemerkenswerten Satz: Zudem ist zu befürchten, dass die Abkommen einen zunehmenden Wettbewerbsdruck schaffen ... Meine Damen und Herren, Wettbewerb ist etwas Schlechtes. Das lernen wir von den Grünen: Wir wollen keinen Wettbewerb, um Gottes willen. – Es soll alles schön brav in der Kuschelecke der Grünen bleiben. Wir wollen Wettbewerb. Wenn dieses Abkommen ein Positives hat, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zum Wohl der Bürger!) dann das, dass es Wettbewerb schaffen wird. Genau den brauchen wir im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher. Aber für Sie gilt das alles nicht, Sie interessiert das nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist auch bemerkenswert, dass es auf einmal ein Handelsabkommen gibt, an dem gewaltiges Interesse herrscht. Es hat früher in diesem Hohen Hause kaum einer zugehört, wenn wir über ein Handelsabkommen gesprochen haben. Deutschland allein hat 134 verschiedene Abkommen abgeschlossen. Deutschland hat über die EU noch einmal mehr als 30 Abkommen abgeschlossen. In 130 Abkommen haben wir ISDS vereinbart. Wir haben dies überall gehabt. Ich habe nie gehört, dass die Grünen sich aufgeregt haben. Aber ich weiß, warum Sie sich jetzt aufregen: Das ist der Antiamerikanismus, der bei Ihnen vorhanden ist, und nichts anderes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so peinlich! Das ist unter Ihrem Niveau! Eindeutig!) Wo waren Sie denn, als wir das KoreaAbkommen verhandelt haben? Ich habe niemanden hier im Hohen Hause gehört, der sich darüber aufgeregt hat. Wir haben ein Handelsabkommen mit Korea abgeschlossen, und in diesem Abkommen haben wir Hunderte von verschiedenen Standards vereinbart. All das war genau der richtige Weg. (Zuruf von der LINKEN) Wir müssen Standards angleichen. Warum ist dieses Abkommen mit den Amerikanern so wichtig? Weil wir damit globale Standards setzen können. Mir wäre es ja recht – das ist das Einzige, wo ich mit Herrn Hofreiter einig bin; aber das geht auch ganz schnell zu Ende, keine Sorge –, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) wenn wir über die WTO Weltstandards setzen könnten. Aber wir müssen uns im Klaren sein, dass Doha seit etlichen Jahren keinen Zentimeter weiterkommt, dass es niemandem gelungen ist, Doha in Bewegung zu bringen, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum? Weil wir nicht auf Wünsche der ärmeren Länder eingehen! Weil man nur seine eigenen Wünsche durchdrücken will! Weil man kein Interesse hat an den Interessen des globalen Südens! Das ist der Punkt!) weil keine Interessen daran bestehen und weil es unheimlich schwierig ist, 156 Länder in ein Abkommen hineinzubekommen. Wir müssen leider erkennen, dass Doha in den letzten Jahren keinen Zentimeter weitergekommen ist. Dem müssen wir auch insofern Rechnung tragen, dass wir Free Trade Agreements mit anderen schließen. Wenn es uns gelingt, ein vernünftiges TTIPAbkommen auszuhandeln, dann setzen wir für 800 Millionen Menschen Standards. Diese Standards werden mit ziemlicher Sicherheit auch in andere Regionen der Welt übertragen. Sie werden dann auch bei TPP, also auch in der Pazifikregion, zur Anwendung kommen. Dies ist für uns wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Märchenstunde der Grünen, in der sie behaupten, die Standards würden gesenkt und die amerikanischen Standards seien des Teufels und so schlecht, ist doch durch VW ziemlich intensiv beendet worden. Haben Sie einmal geschaut, was bei VW los war? Die Amerikaner haben wesentlich strengere Standards bei den Abgasen von Dieselfahrzeugen als die Deutschen, als die Europäer. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau das, was ich gesagt habe!) 80 Milligramm NOX pro Kilometer darf ein Auto in Deutschland ausstoßen; in den USA sind es etwas über 50 Milligramm pro Meile. Da ich manchmal das Gefühl habe, dass der eine oder andere von Ihnen nicht richtig rechnen kann, sage ich: Das sind 31 Milligramm pro Kilometer. Das heißt, nicht einmal die Hälfte an Stickstoffmonoxid darf in den USA ausgeschieden werden. Der Standard ist wesentlich strenger als bei uns. Wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe, weswegen gewisse Manipulationen – ich verurteile diese – von VW vorgenommen wurden. Das muss man in aller Deutlichkeit sagen. Die amerikanischen Standards sind in vielen Bereichen deutlich strenger als die deutschen oder die europäischen Standards. Diese sollen aneinander angeglichen werden. Dafür bin ich. Ich möchte erreichen, dass dieses Abkommen vieles ändert, wo wir jetzt aneinander vorbeilaufen. Sie haben eben die Automobilindustrie erwähnt. Natürlich ist es Blödsinn, dass in dem einen Land der Blinker rot und in dem anderen Land gelb sein soll. Das kann man ändern. Es gibt jede Menge technische Standards, die man angleichen kann. Beispielsweise müssen amerikanische Armaturenbretter komplett anders ausgestattet sein als deutsche. Wesentlich größere Airbagsysteme müssen eingebaut werden. Das führt zu einer gewaltigen Verteuerung für deutsche Automobilhersteller. (Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Noch viel mehr brauchen die kleinen und mittleren Unternehmen dieses Abkommen. Sie können sich nicht wie VW oder andere große Unternehmen eine riesige Rechtsabteilung leisten, die sich mit den Standards in den USA beschäftigt. Nein, sie werden schlicht und ergreifend daran gehindert, in die USA zu exportieren. Ich sage Ihnen eines: Jedes dieser Freihandelsabkommen hat gerade für Deutschland enorme Vorteile gehabt. Nehmen wir einmal das KoreaAbkommen. Es ist vor drei Jahren in Kraft getreten. Endratifiziert ist es, nebenbei gesagt, immer noch nicht, weil einige Mitgliedsländer noch nicht zugestimmt haben; aber es ist zu großen Teilen in Kraft, und es wird danach gehandelt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres, Herr Hofreiter, hat sich unser Handel mit Korea um 50 Prozent gegenüber der Zeit vor dem KoreaAbkommen verbessert. Die einzige Branche, die erheblich Probleme befürchtete, war die Automobilindustrie, weil man Angst hatte, dass dann zuhauf Hyundais, Kias etc. auf deutschen Straßen herumfahren würden. Das mag ja der Fall sein, aber es fahren mittlerweile deutlich mehr Mercedes, Audi und BMW in Korea als koreanische Autos hier. Die deutsche Industrie war immer der Profiteur von Außenhandel. Das sehen Sie auch daran, dass wir mittlerweile einen Außenhandelsüberschuss, einen positiven Saldo von über 200 Milliarden Euro haben. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Zum Leidwesen der anderen europäischen Länder!) Wenn wir das Abkommen nicht abschließen, was passiert denn dann? Unser Export ist eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft. Es ist einfach Unfug, zu glauben, wir könnten darauf verzichten. Wenn wir das machen würden, dann können Sie davon ausgehen, dass die deutsche Wirtschaft sehr schnell nicht mehr in der Lage sein würde, die vielen Arbeitsplätze zu stellen, die sie stellt. Gestern haben wir die tolle Zahl zur Kenntnis bekommen, dass wir nur knapp 2,7 Millionen Arbeitslose haben. Das sind immer noch zu viele. Aber auf der anderen Seite gab es seit der Wiedervereinigung noch nie so wenige Arbeitslose. Das ist doch eine Erfolgsstory! Darüber möchten Sie nicht reden; das kann ich durchaus verstehen. Als Opposition gefällt es einem nicht, wenn die Regierung etwas gut macht; dann ärgert einen das. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie machen ja nichts gut!) Aber ich möchte das hier schon erwähnen, und ich bin stolz darauf, dass es so ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Nur: Das hängt natürlich auch mit einem funktionierenden Export zusammen. Wenn er nicht funktioniert, dann sind rund 30 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland nicht nur gefährdet, sondern sie fallen weg. Gerade in der Situation, in der wir uns jetzt befinden, einer Situation, in der überall Flüchtlinge sind, brauchen wir die Integrationskraft der deutschen Wirtschaft. Wir müssen dafür sorgen, dass wir in der Lage sind, möglichst viele dieser Flüchtlinge aufzunehmen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen sollten wir gemeinsam dafür kämpfen, dass das funktioniert. Wir sollten gemeinsam dafür kämpfen, indem wir alle Schwierigkeiten für die Wirtschaft, die da sind, jetzt aus dem Weg räumen. Das muss unsere Aufgabe sein, und diese werden wir auch erledigen. Ich weiß genau, dass wir mit den Kollegen von der SPD auf dem richtigen Weg sind. Wir werden nicht zulassen, dass Abkommen wie TTIP die ganze Zeit schlechtgeredet werden. TTIP ist eine große Chance für uns, eine Chance für Europa, eine Chance für Arbeitsplätze in Europa, eine Chance zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Europa und für eine bessere Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg. Daran arbeiten wir weiter. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Dr. Fuchs. – Nächster Redner in der Debatte: Klaus Ernst für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Klaus Ernst (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Herr Fuchs, Sie haben gerade eine Rede gehalten, die ich insofern fantastisch finde, (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sehr gut!) als sie den besten Beweis geliefert hat, warum TTIP und CETA nicht notwendig sind. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bundesrepublik Deutschland ist Exportweltmeister gewesen und hat aus Ihrer Sicht hervorragende Überschüsse; wir sehen sie problematisch. Das haben wir alles ohne TTIP und ohne CETA hinbekommen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, ja! Bloß nicht besser werden! – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Muss denn immer alles so bleiben, wie es ist?) Wir brauchen diese Abkommen nicht. Der Export funktioniert auch ohne die Handelsabkommen, die Sie unbedingt wollen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich sehe am Glitzern in Ihren Augen, wie sehr Sie sich über diese Debatte hier freuen; Sie hätten ja am liebsten, dass das ganze Thema im stillen Kämmerlein behandelt wird. Sie können sich übrigens noch viel mehr freuen, Herr Fuchs und Herr Pfeiffer. Denn am 10. Oktober dieses Jahres werden schätzungsweise mehrere 10 000 Menschen in Berlin gegen diese Abkommen demonstrieren. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Organisiert von der Protestmaschinerie!) Es freut uns, dass das so ist. Ich hoffe, dass sich die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Protest gegen Ihre Lobbypolitik für Teile der Industrie durchsetzen werden. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, der Antrag der Grünen ist richtig. (Beifall beim BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Ja, wir brauchen einen Neustart in der Handelspolitik. Wir brauchen das Vorsorgeprinzip. Das bedeutet, dass Produkte, die auf den Markt kommen, erwiesenermaßen unschädlich sein müssen und nicht erst hinterher nachgeschaut wird, ob es eine Schadenersatzklage gibt, wie zum Beispiel in den USA. Wir brauchen die Setzung robuster ökologischer und sozialer Standards. Das alles ist in diesem Antrag der Grünen beinhaltet. Wir haben dieselbe Position. Wir sagen auch: All die Standards, die gesetzt wurden, übrigens auch positiv in den USA – Herr Fuchs, Sie haben hier richtige Beispiele genannt –, dürfen nicht der Handelspolitik zum Opfer fallen. In den USA bestehen dieselben Ängste wie bei uns hinsichtlich eines Abbaus der Standards. Das gilt auch für das Finanzwesen, Herr Fuchs; das wissen Sie ganz genau. Das wollen wir nicht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Zahl der Kritiker an den Handelsabkommen nimmt immer mehr zu. Laut Wirtschaftswoche droht Frankreich jetzt damit, die Verhandlungen platzen zu lassen. Ja, die Franzosen sind mutig. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie müssen es ja wissen! Frankreich ist ja auch unglaublich erfolgreich in der Wirtschaftspolitik! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das liegt bestimmt an der sozialistischen Wirtschaftsweise!) Und wie ist es bei uns? Ich möchte einmal Herrn ­Gabriel, unseren Wirtschaftsminister, zitieren. Er sagte hier im Plenum – Zitat –: Aber den Glauben, wir hätten es im Kreuz, gegen den Rest Europas den Investitionsschutz komplett wieder aus den Verhandlungen herauszunehmen, den habe ich nicht. So viel Zaudern! Nun hat er doch ein breites Kreuz; er könnte es in diesen Verhandlungen doch einmal zeigen, statt sich immer bloß zu Glaubensfragen zu äußern. Ob er daran glaubt oder nicht, ist nicht die Frage. Die Frage ist, was er tut, um diese Positionen durchzusetzen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Widerstand wird immer größer: Österreich, Frankreich und Ungarn. Wir sind in dieser Frage mit unserer Position jedenfalls nicht alleine. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Sehr alleine!) Ich zitiere die Berliner Zeitung vom 11. September 2015, die die Schiedsgerichte so beschrieben hat, Herr Fuchs – das ist übrigens auch der Unterschied zu dem, was früher in den Handelsabkommen enthalten war –: Mittlerweile hat sich eine regelrechte Klageindustrie entwickelt. – Übrigens nicht Empörungsindustrie, Herr Pfeiffer, sondern Klageindustrie. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Darauf kommen wir nachher!) Die Zahl der Klagen – vor diesen Schiedsgerichten – hat sich in den vergangenen 20 Jahren verfünfzigfacht, mit steigender Tendenz. ... Ganz offenbar dient der Investitionsschutz nicht mehr in erster Linie dem ursprünglichen Zweck, Unternehmen vor staatlicher Willkür zu schützen. Er ist selbst zum Geschäft geworden. Vor allem für die Beteiligten! Das ist auch ein Grund dafür, dass wir sagen: Diese Schiedsgerichte brauchen wir nicht; sie müssen weg. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt haben wir so eine Position auch von der SPD; ich verstehe sie nicht richtig. Es wird gesagt: Wir haben mit dem internationalen Handelsgerichtshof jetzt doch eine andere Position. – Kolleginnen und Kollegen, bitte lest euch CETA durch! Da sind die Schiedsgerichte drin und nicht ein internationaler Handelsgerichtshof. Von Malmström bis Gabriel, alle sagen: Das kann nicht mehr verändert werden. – Wenn Sie diese Schiedsgerichte bei CETA akzeptieren, dann können 80 Prozent der amerikanischen Unternehmen über Kanada klagen, weil sie dort einen Standort haben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Kollege Ernst, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rosemann von der SPD? Klaus Ernst (DIE LINKE): Freilich. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Rosemann. Dr. Martin Rosemann (SPD): Herr Kollege Ernst, weil Sie eben über das breite oder nicht breite Kreuz von Herrn Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gesprochen haben: (Sigmar Gabriel, Bundesminister: Das ist eindeutig zu breit! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja, das ist unstrittig!) Würden Sie vielleicht freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass die Europäische Kommission ihre Haltung in der Frage der Schiedsgerichte massiv geändert hat, dass sie keine Schiedsgerichte mehr, sondern einen internationalen Handelsgerichtshof will und dass diese veränderte Haltung ganz maßgeblich auf zwei deutsche Sozialdemokraten zurückgeht, nämlich auf Sigmar ­Gabriel und auf den Berichterstatter und Vorsitzenden des Handelsausschusses im Europäischen Parlament, Bernd Lange? (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Natürlich nehme ich das zur Kenntnis. – Ich habe aber schon in der letzten Rede gesagt und will hier noch einmal sagen: Da passiert etwas sehr Seltsames. Es wird nämlich so getan, als würde man mit dieser Position die privaten Schiedsgerichte tatsächlich verhindern. Das tut man aber nicht, weil die privaten Schiedsgerichte – ich habe gerade versucht, das auszuführen – in CETA, also in dem Abkommen mit Kanada, enthalten sind. Da sind sie drin, und da bleiben sie auch drin, weil das Abkommen nicht verändert werden soll. Da 80 Prozent der Unternehmen in den USA über Kanada in Deutschland und in Europa klagen können, weil CETA die Schiedsgerichte beinhaltet, nützt Ihnen ein internationaler Handelsgerichtshof überhaupt nichts, sondern wenn Sie CETA nicht ablehnen, dann akzeptieren Sie letztendlich private Schiedsgerichte. Das ist der Zusammenhang. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die gibt es doch jetzt in Deutschland auch schon! Meine Güte! Diese Argumentation tut ja weh!) Ich komme zu meinem nächsten Punkt: Selbst wenn Sie diesen internationalen Handelsgerichtshof hätten – ich gehe davon aus, dass es eine gewisse Zeit dauern wird, bis wir ihn kriegen –, hätten Sie folgendes Problem: Auch das ist eine Sondergerichtsbarkeit. Vor diesem Gericht können nur die Unternehmen gegen die einzelnen Staaten klagen. Kein Bürger Europas hat die Möglichkeit, vor diesem internationalen Handelsgerichtshof zum Beispiel dagegen zu klagen, dass irgendein Konzern aus Amerika, aus Kanada oder sonst woher die Umwelt versaut und die Standards nicht einhält. Dafür müsste er vor ein deutsches Gericht gehen, wenn er deutscher Bürger ist. Für Franzosen und Italiener gilt das entsprechend. Das ändern Sie mit diesem internationalen Handelsgerichtshof überhaupt nicht. Deshalb sage ich: Wir brauchen auch keinen internationalen Handelsgerichtshof; wir brauchen keine Sondergerichte. Die USA, Kanada, Frankreich, Italien und Deutschland sind Rechtsstaaten. Wenn jemand klagen will, dann soll er es da tun, wo er lebt, und damit hat sich das. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren von der SPD, aufgrund Ihrer Frage und Ihrer Einlassung vorhin muss ich natürlich fragen: Welche Position hat eigentlich die SPD? Was will sie denn eigentlich mit diesem Schlingerkurs gewinnen? Ich kenne doch die Debatte. In der SPD sind langsam immer mehr Leute frustriert, weil sie nicht mehr wissen, wohin Sie wollen. Ich möchte den Vorsitzenden der IG Metall zitieren, weil immer so getan wird, als würde durch CETA Wachstum entstehen. Er hat gesagt: Da hat das Wetter mehr Einfluss auf das Wachstum als das Handelsabkommen. Die Gewerkschaften, Sigmar Gabriel, sind euch von der Fahne gegangen. Sie demonstrieren mit uns am 10. Oktober gegen diese Abkommen. Ich weiß nicht, wo die Freunde noch sind, vielleicht bei Herrn Pfeiffer und anderen. Eigentlich ist es doch so, dass das breite Mehrheiten in der Bevölkerung inzwischen sehr, sehr kritisch sehen. Meine Damen und Herren, wir wollen, dass es bei den Schutzvorschriften bleibt, die wir haben. Wir wollen, dass es bei unseren Regulierungen bleibt. Wir wollen nicht, dass die Regulierungen künftig nicht mehr von Parlamenten oder Regierungen ausgehen. Wir wollen nicht, dass regulatorische Räte, die genauso geheim handeln und tagen werden, wie bisher dieser ganze Laden gelaufen ist, letztendlich die Geschichte bestimmen. Ich komme zum Schluss. Wenn man sich das ganze Vertragswerk zu Kanada ansieht – und das wird die Blaupause für TTIP werden –, stellt man fest: Da sind auf der einen Seite Dinge von der Liberalisierung ausgenommen, auf der anderen Seite sind sie wieder drin. Wenn man das liest, hat man den Eindruck: Die Politik, die gemacht wird, läuft unter dem Motto: Wenn wir sie nicht überzeugen können, dann verwirren wir sie halt.  Man kommt sozusagen nicht richtig an das Fleisch heran. Der eigentliche Sinn wird verschleiert. – Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin. – Es geht – und da hat Herr Hofreiter vollkommen recht – nicht um die gelben oder roten Blinklichter. Es geht noch nicht einmal um das Chlorhühnchen. Es geht darum, dass wir nicht wollen, dass Standards abgesenkt werden, dass private Schiedsgerichte Rechtsstaaten aushebeln. Vielmehr wollen wir, dass es dabei bleibt, dass die Parlamente entscheiden, welche Regelungen wir haben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb unterstützen wir die heutigen Anträge der Grünen, haben auch eigene vorgelegt und rufen alle Bürgerinnen und Bürger auf, am 10. Oktober mit uns gemeinsam gegen TTIP und CETA zu demonstrieren. Ich danke fürs Zuhören. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Ernst. – Nächster Redner: Dirk Wiese für die SPD. (Beifall bei der SPD) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich für die SPD-Bundestagsfraktion zunächst eines betonen: Ohne die vielen engagierten NGOs hätten wir heute hier im Haus keine so bewegende Debatte über das Für und Wider von Freihandelsabkommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: An Ihnen hat es nicht gelegen!) Während sich früher nur eine Handvoll Spezialisten für Themen der internationalen Handelspolitik interessierte, so findet heute eine breite Diskussion darüber statt, wie wir Globalisierung gestalten wollen, und dies ist gut und richtig. Leider hat es dieses Interesse aber bei den über 100 bereits ratifizierten Freihandelsabkommen der Bundesrepublik Deutschland so nicht gegeben. Doch jetzt wird debattiert, Argumente werden ausgetauscht. Jede Diskussionsrunde hier in Berlin oder vor Ort in den Wahlkreisen ist wichtig; das haben mir viele Veranstaltungen und persönliche Gespräche in den letzten Wochen eindrucksvoll gezeigt. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte braucht keine Feindbilder, sondern Pro- und Kontraargumente. Eine einseitige Stigmatisierung des – in Anführungszeichen – Westens greift aus meiner Sicht ins Leere. Warum wird nicht auch über das Für und Wider der Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Vietnam, Singapur, Japan oder Indien diskutiert? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da sind die Amerikaner nicht dabei! Das interessiert keinen Ideologen!) Was verbirgt sich hinter dem Investitionsschutzabkommen mit China? Wieso wird nicht öffentlich über das Pro und Kontra einer Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok diskutiert? Was tut sich in anderen Regionen der Welt? Allein in der Asien-Pazifik-Region sind über 100 Freihandelsabkommen in Kraft, und 75 befinden sich derzeit in Verhandlung. Dazu kommt ein Wettlauf zwischen der Trans-Pacific Partnership und der Regional Comprehensive Economic Partnership in Asien. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Wiese, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ebner? Dirk Wiese (SPD): Harald, klar, bitte. Vizepräsidentin Claudia Roth: Harald, ja. (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Kollege Wiese, lieber Dirk, es kamen gerade die weiteren Handelsabkommen mit China usw. zur Sprache, all jene, die derzeit verhandelt werden bzw. bereits verhandelt sind. Vorhin wurden die Punkte 1 bis 4 aus dem Kabinettsbeschluss der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg zitiert. Deshalb möchte ich an dieser Stelle nachfragen, ob es sich nicht gelohnt hätte, auch die Ziffern 5 bis 21 zu lesen, in denen auf genau solche Dinge eingegangen wird, in denen auf Investitionsschutz eingegangen und klargestellt wird: Die Landesregierung Baden-Württemberg stellt sich gegen solche Investitionsschutzabkommen und möchte sich auch dafür einsetzen, in all diesen – auch vom Kollegen Fuchs vorhin angeführten – bereits abgeschlossenen Handelsabkommen diese aus unserer Sicht und aus Sicht der Landesregierung Baden-Württemberg nicht tragbaren Investitionsschutzvorschriften mit den Schiedsgerichtsverfahren, die intransparent ablaufen, aus der Welt zu schaffen. Ein Letztes noch: die Frage der Transparenz. Ist Ihnen zum Beispiel bekannt, dass gestern zum ersten Mal der von der Landesregierung aufgrund dieses Kabinettsbeschlusses eingesetzte öffentliche Beirat zu TTIP getagt hat, in den gesellschaftliche Gruppen wie NGOs und Kirchen eingebunden sind? (Klaus Barthel [SPD]: Das haben wir doch auf Bundesebene längst!) Damit stellt man Transparenz her; sie ist notwendig. Davon könnte sich der Bund eine Scheibe abschneiden. Ich glaube, dafür sollten wir uns einsetzen, auch was das Leserecht für Abgeordnete und all diese Dinge angeht. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Wiese, bitte. Dirk Wiese (SPD): Lieber Kollege Ebner, ich danke für die Zwischenfrage und begrüße ausdrücklich, dass die Landesregierung in Baden-Württemberg auf Initiative des Europaministers Peter Friedrich, SPD, den TTIPBeirat ins Leben gerufen hat. Das heißt doch: Sie haben sich Sigmar Gabriel im Bundeswirtschaftsministerium als Vorbild genommen, der schon längst einen TTIPBeirat eingerichtet hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Darum freuen wir uns, wenn wir auch Ministerpräsident Kretschmann mal auf gute Ideen bringen. Zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben. Ja, die Eckpunkte der baden-württembergischen Landesregierung umfassen 21 Punkte. Ich war mir, ehrlich gesagt, nur nicht sicher, ob ich alle 21 Punkte zitieren soll. Denn ich bin mir nicht ganz sicher, wie lange gemäß unserer Geschäftsordnung die Fragezeit ist, die man als Abgeordneter hat. Vizepräsidentin Claudia Roth: So lange nicht. Dirk Wiese (SPD): Die Präsidentin bestätigt es gerade: So lange ist die Zeit nicht. Darum sehen Sie es bitte nach. Die Geschäftsordnung ermöglicht es nicht, alle Punkte aufzuzählen. Ich habe die Punkte 1, 2, 3 und 4 angesprochen. Aber mir sind auch die Punkte bewusst, die deutlich machen, dass das bestehende System der Schiedsgerichtsbarkeit einer Reform bedarf. Das sehe ich definitiv so – darauf gehe ich gleich noch ausführlich ein –, und darum ist es gut, dass das auf den Weg gebracht worden ist. In den Punkten wird aber auch betont, dass in solchen Abkommen Chancen stecken. Allerdings müssen wir die Position der baden-württembergischen Landesregierung in Bezug auf die regulatorische Kooperation in Punkt 4, die sie relativ unkritisch sieht, meiner Meinung nach etwas genauer in den Blick nehmen. Aber dabei helfen wir Ihnen als SPD immer gerne. Wenn die SPD mitregiert, ist es immer gut. Darum noch einmal Dank an ­Peter ­Friedrich, dass er in Baden-Württemberg den Beirat initiiert hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Zwei zu null!) Man sieht also: Jedes dieser von mir genannten Abkommen, die auch Kollege Harald Ebner eben angesprochen hat, bedarf einer breiten Diskussion. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist aus meiner Sicht klar: Globalisierung braucht keine Denkverbote, sondern Regeln, und zwar ganz im Sinne von Willy Brandt: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ Wir wollen an den Regeln aktiv mitwirken und unsere sozialdemokratischen Vorstellungen und Konzepte einbringen. Nur aktive Gestaltung und engagierte Mitarbeit ermöglichen Lösungen für unsere Bürgerinnen und Bürger: für gute Arbeitsplätze vor Ort, für eine tatsächliche Stärkung der ILO-Kernarbeitsnormen und für einen Weg hin zu einem internationalen Handelsgerichtshof bei Investitionsstreitigkeiten zwischen Rechtsstaaten, wie ihn Sigmar Gabriel vorgeschlagen hat. Dazu gehört auch – das möchte ich ausdrücklich betonen – eine umfassende Reform der Schiedsgerichtsbarkeit bei nicht vergleichbaren Rechtsstaaten. Die Ratifizierung der Mauritius-Konvention in diesem Jahr war ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Aber wer sich nicht konstruktiv einbringt und auch nicht am Verhandlungstisch sitzt, der redet auch nicht mit. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sitzen auch nicht am Verhandlungstisch!) Einfach und verführerisch klingt deshalb der Ruf „Stoppt TTIP!“. Das wäre allerdings aus meiner Sicht ein Pyrrhussieg. Würden wir die Verhandlungen stoppen, dann gestalten zukünftig andere die Globalisierung und setzen ihre Regeln und Standards, und die EU und ihre Mitgliedstaaten würden ihren Gestaltungsanspruch aufgeben. Diese Art demonstrativer Ablehnung zeigt keine Stärke, sondern gibt einfach den Ball aus der Hand. Wir müssen aber am Verhandlungstisch mit starker Stimme präsent bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie geht es eigentlich bei TTIP und CETA weiter? Der heraufziehende USPräsidentschaftswahlkampf bestimmt den Zeitplan. 10 von 27 Verhandlungsrunden sind gelaufen. Bis zum Jahresende wird daher ein Memorandum of Understanding angestrebt. Darin sollen der derzeitige Verhandlungsstand und etwaige Einigungen festgehalten werden. Aber es soll auch erneut deutlich gemacht werden, was nicht Gegenstand der Verhandlungen ist. Das MoU ist sehr sinnvoll, da man damit einen handfesten Zwischenstand für die Diskussionen hat, woran sich alle handfest abarbeiten können. CETA wird derzeit noch juristisch geprüft. Im Anschluss erfolgt die Übersetzung in die Amtssprachen der Europäischen Union. Die Resolution des Europäischen Parlaments vom Juli – noch einmal Dank an meinen Kollegen Bernd Lange; mein Kollege Martin Rosemann hat es bereits angesprochen – macht diesbezüglich klare Vorgaben und erteilt dem alten Schiedssystem eine klare Absage. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Reformvorschläge von Professor Dr. Krajewski im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft zeigen zudem den sozialdemokratischen Gestaltungswillen in der Debatte. Warten wir also die anstehenden Wahlen in Kanada am 16. Oktober in Ruhe ab. Es freut mich ganz besonders – Harald Ebner hat das angesprochen –, dass auch die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg einen TTIP-Beirat ins Leben gerufen hat. Sie hat sich in ihren Eckpunkten klar zu den Chancen bekannt, hat aber auch aufgezeigt, wo Reformen und Änderungen in den laufenden Verhandlungen nötig sind, und dies ganz im Sinne von Sigmar Gabriel. Ich freue mich sehr, dass Winfried Kretschmann auf die Linie der SPD eingeschwenkt ist. (Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dies ist nicht erstaunlich, sondern richtig. Lieber Kollege Hofreiter, ich würde mich freuen, wenn Sie beim nächsten Mal meine Frage beantworten und nicht darum herumreden würden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Dirk Wiese. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Kollegen Hofreiter, Ernst und Konsorten reden hört, dann fragt man sich, worum es eigentlich geht. In der Sache geht es darum, den größten Binnenmarkt der Welt zu schaffen, der 800 Millionen Menschen umfasst, 500 Millionen aus Europa – wir haben 1992 einen vergleichbaren Binnenmarkt geschaffen, und zwar mit sehr vielen positiven Wirkungen, die hier im Haus mittlerweile von niemandem mehr bestritten werden, nicht einmal von ganz links – und 300 Millionen Amerikaner auf der anderen Seite des Atlantiks. Insgesamt werden auf diesem Binnenmarkt mehr als 50 Prozent des Weltsozialprodukts erwirtschaftet. Über ein Drittel des Welthandels wird damit umfasst. Gerade für Deutschland als globalisierte Nation par excellence, die wie kein anderes Land in die Weltwirtschaft eingebunden ist, ist von zentraler Bedeutung, dass wir Freihandel, freie Regeln, Marktzugang und einheitliche moderne Standards schaffen. Es geht nicht darum, Standards abzusenken; es geht darum, Standards und Regeln zu vereinbaren, die weltweit Vorbildcharakter haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Was sind die Instrumente? Sie wurden teilweise schon genannt. Es geht darum, den Marktzugang zu verbessern und Zölle, sofern noch vorhanden, abzusenken. Es geht nicht darum, Standards abzusenken, sondern darum, gleich hohe und vergleichbare Standards dort, wo es sinnvoll ist, gegenseitig anzuerkennen, genauso wie es 1992 auf dem Binnenmarkt der Europäischen Union der Fall war. Es geht nicht um Demokratieabbau, wie Sie behaupten, sondern um Bürokratieabbau und Verbesserung der Standards. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war schon klar, dass Sie Umweltschutzgesetzgebung für Bürokratie halten! Das passt zu Ihnen, Herr Pfeiffer!) Es geht auch darum, einen Zugang – einen solchen haben wir bisher nicht – zu den Beschaffungsmärkten der öffentlichen Hand in den USA zu ermöglichen. Darüber wird verhandelt, und zwar zwischen der EU und den USA und nicht zwischen Deutschland und den USA, Herr Hofreiter. Auch Sie haben zugestimmt, dass die EU und nicht Deutschland das verhandelt. Erzählen Sie also nichts Falsches! Sie haben vorhin gesagt, dass Sie keinen Zugang zu den Unterlagen hätten. Es verhandelt die Europäische Union mit den USA, und zwar transparent wie nie und demokratisch legitimiert. Die EU-Kommission, die auf unserer Seite die Verhandlungen führt, wird eng begleitet vom Europäischen Parlament, das genauso demokratisch legitimiert ist wie der Deutsche Bundestag. Ich frage Sie von der Linken und den Grünen: Wollen Sie sich in die Verhandlungen einbringen? Wollen Sie das beste Abkommen, das die besten Standards setzt und das unsere Anliegen berücksichtigt, oder sind Sie in Totalopposition und dagegen? Ich habe den Eindruck, dass Letzteres zutrifft. Herr Hofreiter und Herr Ernst sprachen von Bürgerinitiativen gegen TTIP. Mit Bürgerinitiativen kennen sich sicherlich manch andere besser aus als ich. Vizepräsidentin Claudia Roth: Das stimmt. Das ist aber auch leicht. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Ich jedenfalls denke, dass Bürgerinitiativen demokratisch strukturiert, legitimiert und verfasst sind. Dort kommen Bürger zusammen, die gemeinsam für eine Sache kämpfen. Was steckt wirklich hinter diesen vermeintlichen Bürgerinitiativen, von denen Sie hier vorher gesprochen haben? Sie haben von Millionen Menschen gesprochen, die sich angeblich in der Sache bürgerschaftlich engagieren. Ich habe eher den Eindruck: Dort werden Ängste und Emotionen geweckt, bewusst bedient. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb habe ich den Begriff der Empörungsindustrie geprägt und hier auch schon mehrfach verwendet; ich will ihn an dieser Stelle ausdrücklich wiederholen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte das auch gern einmal mit ein paar Beispielen belegen, und zwar mit Zitaten, wie andere Kollegen das vorher auch getan haben. Zufälligerweise ganz aktuell, gestern, hat Cicero geschrieben, was sich hinter dieser Empörungsindustrie, wie ich sie nenne, verbirgt: „digitalen One-Klick-Aktivismus aus den USA nach Deutschland“ geholt. – Ich rede jetzt von Campact. (Zuruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist eine dieser Organisationen; andere sind Attac, Foodwatch; ich weiß nicht, ob ich es schaffe, heute auf alle einzugehen. Die kann man schön analysieren und zerlegen. Allein bei Campact „erreicht jede Aktionsmail fast 1,7 Millionen Protestwillige“. Sie nennen das „Bürgerinitiativen“. Cicero schreibt: Von Aufklärung ist allerdings nicht viel zu sehen, stattdessen setzt Campact auf den schnellen Protest. An die Stelle von Argumenten treten Emotionen und Angstkampagnen. (Zurufe von der CDU/CSU: So ist das!) Ich führe weiter aus: Der Etat der Organisation umfasst für das Jahr 2015 rund 6,2 Millionen Euro. Tendenz steigend. ... Rund 40 Mitarbeiter sorgen dafür, dass die Empörungsmaschine läuft. … (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und Campact braucht einen Partner, denn das Campact-Prinzip heißt: Inhaltliche Details interessieren uns nicht. (Ulli Nissen [SPD]: Aber die Bürger interessiert es! – Gegenruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Bürger auch nicht!) Der BUND, ver.di, die Diakonie und der Verkehrsclub Deutschland – viele große NGOs haben schon auf die Schlagkraft von Campact zurückgegriffen. Im besten Fall ist es eine Win-win-Situation, der eine liefert die Inhalte, der andere die Klick-Bataillone. (Ulli Nissen [SPD]: Es gibt ganz viele Menschen, die Angst haben!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Dr. Pfeiffer, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Klaus Ernst? Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Selbstverständlich. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war jetzt schade! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Ich habe ja noch Zeit. Vizepräsidentin Claudia Roth: So lange nicht mehr. (Heiterkeit) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Pfeiffer, ich wollte Ihre Redezeit tatsächlich ein bisschen verlängern. Je länger Sie reden, desto mehr werden Sie den Widerstand gegen diese Abkommen sicher erhöhen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Warum unterbrechen Sie ihn dann?) Aber zu dieser Empörungsindustrie, über die Sie sich ja so trefflich auslassen: Sind Sie mit mir der Auffassung, dass die Empörungsindustrie und die Menschen, die bereit waren, sich mit dieser Empörungsindustrie dafür einzusetzen, dass das öffentlich wird, was sich bis jetzt hinter dem Rücken der Menschen vollzogen hat, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!) eigentlich ein Erfolg der Demokratie sind? Sind Sie mit mir der Auffassung, dass wir es diesen Initiativen zu verdanken haben, dass das eine oder andere öffentlich geworden ist, das sonst nach wie vor nur in den Schränken und Aktenkoffern von einigen in der Europäischen Union und von einigen Vertretern großer Industrieunternehmen gewesen wäre? Herr Pfeiffer, weil Sie sich so vortrefflich für den Handel ausgesprochen haben: Ich glaube nicht, dass hier jemand sitzt, der gegen Handel ist. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha!) Was uns unterscheidet, ist, dass wir fairen Handel wollen – darin unterscheiden wir uns: fairen Handel. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben den Eindruck, dass das, was mit den Handelsabkommen stattfinden soll, eben nicht fairer Handel ist, sondern dass das dazu führen wird – das ist bereits ausgeführt worden –, dass die Standards sich verschlechtern. Zum Schluss, Herr Pfeiffer: (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dr. Pfeiffer! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – Ich bin ja froh, wenn Sie länger reden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, aber ich nicht, wenn Sie länger fragen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Ernst (DIE LINKE): Ich wünsche Herrn Pfeiffer, dass er auch einmal in seine eigene Basis hineinhört und nicht nur bei Campact. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt empören Sie sich doch mal! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Mehr Empörung!) Wenn ich mit verschiedenen Leuten aus Ihrer Partei rede, dann merke ich, dass es dort auch sehr große berechtigte Vorbehalte gegen das gibt, was Sie hier vertreten. Ich danke für die Möglichkeit, Ihnen eine Frage zu stellen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Dr. Pfeiffer, bitte. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Vielen Dank für die Bemerkungen und auch die Fragen. – Ich teile Ihre Auffassung dezidiert nicht, (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche? Dass Sie uns unterstützen?) weil ich nicht erkennen kann, dass sich hinter den Millionen von Klick-Aktivisten, allein 1,7 Millionen bei Campact, wirkliche Bürgerinteressen verbergen, Interessen von Bürgern, die auch informiert sind. Die sind vielleicht eher etwas hinters Licht geführt worden. Das ist ja vorher schon angeklungen. Ich habe hier gerade die aktuellen Zahlen von der Europäischen Union. Es sind, wie gesagt, 1,3 Millionen, die sich in Deutschland beteiligt haben. Ein großes Thema ist zum Beispiel die Frage, ob öffentliche Dienstleistungen bzw. die öffentliche Daseinsvorsorge privatisiert werden sollen oder nicht. Über die wird ja gar nicht verhandelt. Die Dokumente von Malmström und Froman wurden gerade einmal 149mal auf Deutsch abgerufen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein toller Schnitt!) Das Konzeptpapier zum Investitionsschutz wurde seit dem 1. Januar 2015  601mal abgerufen, das Infopapier zu CETA, von dem vorhin auch gesprochen wurde, 899mal, und, und, und. Das lässt sich fortsetzen. Ich stelle da eine gewisse Diskrepanz fest: Sie klagen Transparenz ein; diese ist aber schon vorhanden. Die Texte sind verfügbar, zwar nicht immer sofort auf Deutsch, aber die Transparenz ist da, ob man sich mit den Texten auseinandersetzt oder ob man das nicht tut. Insofern frage ich Sie: Machen Sie sich gemein mit diesen Leuten? Haben Sie Interesse an einem Abkommen, das das beste Freihandelsabkommen ist, das wir jemals hatten, oder haben Sie Interesse daran, hier mit Emotionen Angst zu schüren, um Ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen? Das frage ich Sie. Ich habe jedenfalls diesen Eindruck. Ich frage Sie auch: Machen Sie sich gemein mit Campact und anderen wie Attac oder Foodwatch, die die Großdemonstration am 10. Oktober organisieren? (Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, wir machen uns gemein! Jawohl!) – Okay. Vielen Dank. Dann führe ich weiter aus, um was es dort geht. Ich zitiere weiter: (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen das nicht im Ganzen vorlesen!) … Campact braucht einen Partner … Der Partner sind offensichtlich auch die Grünen und die Linken. Es ist gut, dass wir das wissen und dass Sie das auch hier für das Protokoll niedergelegt haben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sind ja immer für Demokratie. Sie sollten sich vielleicht auch einmal mit der Struktur von Campact auseinandersetzen. In dem Verein, der in seinen Kampagnen gerne die Fahne der Bürgerbeteiligung schwingt, – ich zitiere weiter – herrscht vor allem Zentralismus. „Bürger machen selber Politik“ heißt das Motto von Campact, doch innerhalb der Organisation wird von oben nach unten durchregiert. … Anders als beim amerikanischen Vorbild … dürfen die Campact-Unterstützer bei der Auswahl der Kampagnen nicht mitentscheiden. Das wird sogar vom Vorsitzenden entsprechend konzediert. Er sagt ja selbstverständlich: Wir legen das fest. Er führt Campact wie ein „privates Protestunternehmen“. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Und er sagt: TTIP ist unverhandelbar, da gibt es keinen Raum für Kompromisse. So sagen das auch die Linken. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Bei den Grünen bin ich mir nicht ganz sicher. Man könnte auch sagen: Ein Kompromiss würde dem Geschäftsmodell schaden. (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Beyer [CDU/CSU]: Entlarvend!) So weit das Zitat zu Campact. Ich könnte das fortführen mit Attac. Dafür würde die Zeit nicht reichen. Lassen Sie mich noch etwas zu Foodwatch sagen; das ist auch so eine Spezialorganisation, bei Campact ist es übrigens ähnlich. Aber jetzt nehmen wir einmal Foodwatch. Die haben 30 000 Förderer, nicht stimmberechtigte Fördermitglieder und Einmalspender, also vor allem solche, die für die Aktivitäten dieses Unternehmens zahlen. Über die Aufnahme stimmberechtigter Mitglieder bestimmt der Aufsichtsrat. Der besteht aus fünf Personen. Die Zahl der stimmberechtigten Mitglieder hat Thilo Bode, der da der Vorderaktivist ist, einmal angesprochen – eine Veröffentlichung gibt es nicht –: Es sind 80. Mehr als 10  dürfen es nicht werden. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Was? So viele?) Die bestimmen sich alle gegenseitig. Mit Demokratie hat das, was diese Organisationen unternehmen, nichts, aber auch gar nichts zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt frage ich mich: Lassen Sie sich vor deren Karren spannen? Sind Sie so einfach strukturiert, Herr Hofreiter, oder ist das Absicht? (Peter Beyer [CDU/CSU]: Ich befürchte, ja! – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ja!) Dann kann sich jeder sein Bild selber machen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Pfeiffer, wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Bemerkungen! Sie unterstützen uns, wo Sie können! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind unser bester Mann! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Undemokratische Organisationen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Dr. Pfeiffer, es gibt noch eine kurze Zwischenfrage der Kollegin Scheer, wenn Sie das erlauben. Dr. Nina Scheer (SPD): Herr Kollege Pfeiffer, meinen Sie im Ernst, dass wir uns als Abgeordnete hier im Deutschen Bundestag auf dieses Niveau begeben sollten, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Das ist das Niveau der Wahrheit! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wahrheit ist immer wichtig!) in einer Pauschalität Stimmen von Bürgern, die sich in verschiedenster Weise in den von Ihnen genannten Organisationen äußern, als nicht demokratische Stimmen wahrzunehmen? (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das sind doch nur Fakten!) Sie haben die Organisation Campact als quasi nicht demokratisch dargestellt. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Da wird sie ganz nervös!) Sie haben damit die Legitimation der dahinterstehenden Bürger infrage gestellt, (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es auch!) sich überhaupt zu Wort zu melden, und haben das auch auf andere Organisationen noch ausgeweitet. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Ich finde das untragbar, so mit den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes umzugehen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Es geht doch gar nicht um die Bürger bei den Organisationen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Scheer, wenn Sie bitte stehen bleiben würden. – Herr Pfeiffer, wenn es geht, dann bitte nur eine kurze Replik. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Ich glaube, Sie haben etwas verwechselt. Ich habe nicht die Bürger, die dahinter stehen (Ulli Nissen [SPD]: Doch! Genau das haben Sie gemacht!) – nein, das habe ich nicht –, (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sondern die Strukturen und die Organisationen adressiert und gesagt, wie sie funktionieren und wie sie offensichtlich Menschen, die leicht mit Ängsten oder Emotionen zu bedienen sind, für ihren Zweck und ihr Geschäftsmodell instrumentalisieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt noch nicht mal dazu stehen!) Das hat mit demokratischer Legitimation überhaupt nichts zu tun. Ich stelle in der Tat die demokratische Legitimation von Campact, Attac, Foodwatch und den anderen Mitgliedern dieser Empörungsindustrie infrage, (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: TTIP ist ein Angriff auf die Demokratie! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und frage noch einmal – und darauf erwarte ich von Ihnen eine Antwort, entweder heute hier oder an anderer Stelle –, ob Sie mit denen gemeinsame Sache machen (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, wir machen gemeinsame Sache mit denen! – Weiterer Zuruf von der LINKEN): Jetzt erst recht!) und was Ihre Intention ist. Ich will wissen, ob Sie sich in der Sache einbringen wollen, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir schon!) oder andere Dinge anführen. Ich glaube, Ihre Reaktion zeigt, welch Geistes Kind Sie sind. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Bald werden Union und SPD über dieses so wichtige Abkommen mit der demokratischen Legitimation, über die sie verfügen, in Deutschland beschließen und die Europäische Union bei diesem Vorhaben unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Weiterreden! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zugabe!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Dr. Pfeiffer. – Er hat seine Redezeit ausgeschöpft, und es gibt keine Zugabe. (Heiterkeit) Der nächste Redner ist Klaus Barthel von der SPD. (Beifall bei der SPD) Klaus Barthel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich so viel Zeit hätte wie der Kollege Pfeiffer, dann müsste man sich auch einmal über Kampagnen unterhalten. Es gibt schließlich noch andere, zum Beispiel die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) in die jedes Jahr 10 Millionen Euro etwa von den Metallarbeitgeberverbänden fließen. Da müssten wir in der Tat mehr Transparenz herstellen. Die Frage ist doch: Warum sind Millionen Menschen bereit, solche Kampagnen zu unterstützen? (Max Straubinger [CDU/CSU]: Weil ihnen etwas Falsches vorgesagt wird!) Selbst wenn die Bundesregierung und die Befürworter von TTIP mit allem recht hätten, was sie sagen, müsste man sich doch fragen, warum offensichtlich so viele Menschen Ängste und Bedenken haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, mit dieser Frage müssen wir uns inhaltlich ernsthaft auseinandersetzen. Da wir schon über Kampagnen reden, komme ich auf das Thema von vorhin zurück – das sollten wir vielleicht nicht ganz ausblenden –: Wer über Fluchtursachen und deren Bekämpfung reden will, der darf natürlich beim Thema Handelspolitik nicht schweigen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vieles spricht in der Tat für eine Neuorientierung unserer Außenwirtschafts- und Handelspolitik, für einen multilateralen Ansatz, für eine Nachbarschaftspolitik und für faire Regeln statt Liberalisierung. Deswegen halte ich die Teilnahme an der Demonstration am 10. Oktober dieses Jahres mit vielen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sowie mit vielen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern für sinnvoll. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man muss aber schon lesen, was in dem Aufruf steht. Darin steht wesentlich mehr und etwas ganz anderes als das, was von den Grünen und den Linken vorgetragen wird. Dort heißt es zum Beispiel: Wir treten für internationale Abkommen ein, die die Umwelt- und Sozialstandards erhöhen, statt sie zu senken. Wir treten für Abkommen ein, die Arbeitsstandards wie die Kernarbeitsnormen festschreiben. Wir treten für eine Stärkung der Daseinsvorsorge, für kulturelle Vielfalt ein. Das heißt also: Wir sind für eine Gestaltung durch Verträge und Abkommen; denn wenn wir die nicht haben, dann bestimmen die Märkte, was in dieser Welt passiert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dem werden die hier vorgelegten Anträge bei weitem nicht gerecht; denn darin wimmelt es von Widersprüchen. Um ein Beispiel zu geben, möchte ich aus dem neuen Antrag der Grünen zitieren. Ich weiß nämlich nicht, ob Sie das Zeug lesen, was Sie hier vorlegen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Bevor Sie zitieren: Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau Dröge? Klaus Barthel (SPD): Ja. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Herr Barthel, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich beginne mit dem Punkt, mit dem Sie geendet haben, nämlich mit der Frage, ob wir „das Zeug lesen“, was wir hier vorlegen. Sie haben gesagt, wir Grüne würden uns entgegen dem, was im Aufruf zur Demo am 10. Oktober steht, nicht für gute Abkommen, für internationale Regelungen, für hohe Umweltschutzstandards, für ILO-Kernarbeitsnormen, für die ISO aussprechen. Unter Ziffer 2 des Beschlussteils unseres Antrags steht genau das. Ich gebe zu: Wir haben uns Mühe gegeben, und der Antrag ist daher etwas lang; (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Ja!) das ist leider so. Aber man muss diesen Antrag auch einmal lesen, wenn man ihn berät. Wir haben in sechs Punkten ausgeführt, wie man Handelspolitik vernünftig gestalten könnte. Es sind konstruktive Vorschläge, wie eine bessere Handelspolitik aussehen kann. Von Ihrer Fraktion habe ich dazu noch keinen Antrag im Deutschen Bundestag gesehen. Deshalb meine Frage: Haben Sie diesen Antrag überhaupt gelesen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Klaus Barthel (SPD): Ich freue mich sehr, Kollegin Dröge, dass Sie es mir ermöglichen, aus Ihrem Antrag zu zitieren, ohne dass es auf meine Redezeit angerechnet wird. Das wollte ich nämlich ohnehin machen, um die Widersprüche, von denen ich geredet habe, aufzuzeigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: 1 : 0!) Das ist ein schönes Geschenk. In ein und demselben Absatz heißt es dort einerseits, Sie seien für „robuste ökologische und soziale Standardsetzung“, und zwar auf höchstem Niveau. Zwei Sätze weiter heißt es zum Thema „Exportchancen von Entwicklungsländern“ andererseits – ich zitiere –: Ihre wirtschaftliche Entwicklung könnte dadurch gehemmt werden, dass zwischen Industriestaaten Standards festgelegt werden, die ihre Teilnahme am Markt enorm erschweren. Das ist ein Widerspruch. Das fällt Ihnen aber gar nicht auf, und Sie lösen das im Antragstext auch nicht auf. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen müssen wir die Abkommen entsprechend ausgestalten!) Ich mache weiter, Frau Dröge. Sie lehnen Living Agreements und regulatorische Kooperationen ab. Weiter heißt es im Text: Angesichts zukünftiger Herausforderungen dürfen politische Handlungsspielräume für zusätzliche Regulierungen nicht erschwert werden, um ein Überleben zukünftiger Generationen innerhalb der planetaren Grenzen sicherzustellen. Der nächste Satz lautet dann: Die Europäische Handelspolitik sollte sich stattdessen die robuste Standardsetzung auf internationaler Ebene zum Ziel setzen ... Okay. – Aber ich frage Sie: Wie soll das gehen ohne regulatorische Kooperationen, ohne Living Agreements? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Lösen wir die planetaren Probleme durch nationale Regulierungen? Das frage ich Sie im Ernst. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das überhaupt nicht verstanden! – Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz) – Sie können stehen bleiben. – Auch hier lösen Sie den Widerspruch nicht auf, indem Sie nach Wegen suchen, zum Beispiel die regulatorische Kooperation demokratisch auszugestalten und parlamentarische Beteiligung sicherzustellen und die Regeln und Ziele zu definieren, die mit der regulatorischen Kooperation erreicht werden sollen. So geht es weiter; Sie hätten stehen bleiben können. Ihr Antrag trieft vor deutscher und europäischer Selbstgerechtigkeit, als hätte es nie Gammelfleisch, die bayerischen Eier, BSE, das Pferdefleisch und VW gegeben. Überall geht es nur darum, unsere Standards zu behaupten. Wäre es denn nicht besser, den jeweils höheren Standard zur gemeinsamen Norm zu machen, anstatt zweimal wirkungslos zu kontrollieren, wie es sich jetzt bei VW herausgestellt hat? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Gleiche gilt leider auch für die Anträge der Linken. Vieles ist überholt. Die Reden, die hier manchmal gehalten werden, hätte man vor einem Jahr hören können. In puncto Streitbeilegung zum Beispiel hat sich die Zeit geändert. Wenn ich zuerst lese, dass wir CETA ablehnen sollen, und einige Zeilen weiter steht, dass wir möglichst schnell eine deutsche Übersetzung auf den Tisch legen sollen, dann frage ich mich: Warum soll man das Abkommen übersetzen lassen, wenn Sie es eh ablehnen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ähnlich ist es im Antrag der Grünen auf Drucksache 18/2620. Dort steht zuerst, dass wir CETA ablehnen sollen, und anschließend, dass wir das ISDS herausnehmen sollen. Was soll das eigentlich? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Alles in allem gibt es keinen Gestaltungsansatz. Die Anträge bleiben auch hinter dem zurück, was wir gemeinsam – die Sozialdemokraten, die Grünen und die Christdemokraten – im Europäischen Parlament beschlossen haben. Daran aber sollten wir, wie ich finde, im Sinne eines konstruktiven Ansatzes weiterarbeiten. An unseren Koalitionspartner habe ich die Bitte: Sie sagen ja, dass Sie sich für gute Standards einsetzen und sie erhalten wollen. Aber dann nehmen Sie bitte nicht jede Gelegenheit wahr, erreichte Standards und soziale Leistungen wie zum Beispiel den Mindestlohn infrage zu stellen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben wir nicht!) Ansonsten wird sich das Misstrauen weiter erhöhen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Kollege Barthel. – Nächste Rednerin: Barbara Lanzinger für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht erst seit Monaten, sondern seit mehreren Jahren wird das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA sehr kontrovers und sehr hitzig, wie wir es gerade wieder erlebt haben, diskutiert – ein Abkommen, mit dem wir – davon bin ich und sind sehr viele überzeugt – eine der wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen der nächsten Jahre treffen und treffen müssen. Es ist doch unbestreitbar, dass ein solches Abkommen mit zwei technisch und wirtschaftlich hochentwickelten Industriestaaten mit Herausforderungen verbunden ist. Hochentwickelte Strukturen führen zu einer erhöhten Komplexität. Hochentwickelte Strukturen können zusammengeführt werden und somit auch zu mehr Synergien führen. Genau das ist unser gemeinsames Ziel. Ein Stopp der Verhandlungen, wie es die Linke fordert, ist sicherlich der falsche Weg. Hochemotionale und überhitzte Debatten bringen uns nicht weiter. Notwendig sind sachliche und inhaltlich richtige Diskussionen. Wir müssen klug abwägen und uns unserer ökonomischen, politischen und auch gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein. Sachlich und inhaltlich richtig ist, dass der Kern dieses Abkommens die Abschaffung von Handelshemmnissen ist, mit dem Ziel, unsere Wirtschaft international zu stärken. Wie wichtig dies vor allem für die Gesellschaft eines Landes ist, liegt bereits in unserer Geschichte begründet; darauf gehe ich gerne ein. Freier Handel ist die älteste Form des Wirtschaftens und seit Jahrhunderten das wichtigste Instrument für mehr Wachstum, Bildung und Beschäftigung. Handel ist auch der Ursprung für die Rechtsregeln in unserem Geschäftsverkehr. Ohne Handel würde es unseren heutigen Wohlstand so nicht geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb ist das Abkommen so wichtig für unsere Wirtschaft und für unseren gesamten Wirtschaftsraum. Vor allem Deutschland hat einen unschlagbaren Vorteil im globalen Wettbewerb. Es hat Gott sei Dank immer noch einen starken Mittelstand, im Ausland bewundert und geschätzt. Nach wie vor gilt dieser Mittelstand als Jobmotor Nummer eins, als Treiber für Innovationen und schlicht als das Rezept für den Erfolg der deutschen Wirtschaft. Daher ist es besonders wichtig, EUweit nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen sowie regulatorische Vorschriften zu harmonisieren und gegenseitig anzuerkennen. Das Ergebnis muss sein, die internationalen Aktivitäten unseres Mittelstandes weiter zu fördern und auszubauen. Nur die Zölle abzuschaffen, reicht nicht aus. Dadurch hätten vor allem unsere KMUs, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, mit ihrer hohen Qualität und Kompetenz so gut wie keine Vorteile oder Wachstumseffekte. Das DIN, das Deutsche Institut für Normung, hat es einmal auf den Punkt gebracht: Normen sind die Sprache der Wirtschaft. – Wir sollten und müssen das Steuer ergreifen und die europäischen Normen die Sprache der Weltwirtschaft werden lassen. Das geht aber nicht im Alleingang oder durch rein europäische Aktivitäten, sondern nur gemeinsam. Es ist eine Schwarzmalerei, ständig von der Absenkung der Standards zu sprechen. Weder die USA noch die EU haben dies nötig. Beide Industriegesellschaften zusammen erwirtschaften immerhin 50 Prozent des gesamten internationalen Bruttoinlandsprodukts. Handel, und zwar nicht nur regional, sondern auch international, ist eines unserer wichtigsten Güter – ein Gut, das leider seit TTIP und CETA – das sage ich ganz bewusst – von einigen Gruppierungen, zu denen ich nicht nur Verbände, sondern auch die Fraktionen der Linken und der Grünen zähle, grundsätzlich infrage gestellt wird. Allen, die Unheil und Geister heraufbeschwören, sage ich ganz deutlich: Es geht um mehr als politische und ideologische Diskussionen. Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, und zwar für alle. (Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Gerade deshalb ist es wichtig, sorgfältig und differenziert, vor allem sachgerecht zu diskutieren, statt Stimmungsmache zu betreiben und gezielt Desinformationskampagnen zu führen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen: Erstens. Das internationale Schiedsgerichtsverfahren ist kein Verfahren, das neu zum Tragen kommt, sondern wird bereits vielfach in internationalen und europäischen Abkommen angewendet. Die EU-Mitgliedstaaten haben 1 400 Investitionsschutzabkommen vereinbart, die zu 95 Prozent einen Investorenschutz nach dem internationalen Schiedsgerichtsverfahren vorsehen, so zum Beispiel beim 1994 unterzeichneten Energiecharta-Vertrag. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Lanzinger, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage. Da bringt mich erstens inhaltlich nicht weiter, zweitens nicht politisch, und drittens verlängert man damit nur Debattenzeit. (Lachen des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Sie brauchen das überhaupt nicht zu begründen, sondern müssen nur Ja oder Nein sagen. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Ich sage Nein. Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie haben Nein gesagt. Gut. Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Dem Energiecharta-Vertrag gehören neben der Europäischen Union auch Länder wie Japan, Russland oder auch Australien an. Haben Sie da jemals Beschwerden gehört? Haben Sie gehört, dass das Schiedsverfahren Schwierigkeiten bereitet? (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, beim Atomausstieg zum Beispiel! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nein, und das, obwohl es bei diesem Abkommen um ein wesentliches Gut, die Energie, geht und das Verfahren exakt das gleiche ist. – Erfunden hat das Investitionsschutzabkommen im Übrigen Deutschland vor rund 50 Jahren, um das deutsche Kapital im Ausland zu schützen. Und es sind beileibe nicht die Amerikaner, die weltweit am meisten klagen, also die aktivsten Kläger sind; die Klagen der USA machen gerade einmal 22 Prozent aus. Vielmehr sind es die Europäer, die am meisten klagen; auf sie entfallen 53 Prozent aller Klagen. In diesem langen Zeitraum gab es außerdem nur drei Klagen gegen Deutschland. Man muss wirklich die Kirche im Dorf lassen. Ja, wir müssen das Investitionsschutzrecht sicherlich modernisieren – da gebe ich allen recht –; aber TTIP bietet eine Chance, verschiedene Verbesserungen zu erreichen, zum Beispiel klare Regeln für die Zusammensetzung und die Funktionsweise der Schiedsgerichte. Desinformationskampagne Nummer zwei: mangelnde Transparenz. Die EU-Kommission informiert regelmäßig das Parlament und die EU-Mitgliedstaaten; das wurde heute schon erwähnt. Zudem gibt es zahlreiche Informationsveranstaltungen und -plattformen, darunter auch eine der CDU, auf denen ausschließlich über die Inhalte und den aktuellen Sachstand bei TTIP informiert wird. Nennen Sie mir ein Abkommen, das transparenter verhandelt worden ist! Die Beschuldigungen, dass Verhandlungsergebnisse verschleiert werden und die Öffentlichkeit nicht ausreichend eingebunden werde, sind falsch. Wenn man die Pressemeldungen, die Informationen der Medien und die Demonstrationen verfolgt, dann kann man sicher sein, dass das Misstrauen gegenüber TTIP durch – auch das sage ich ganz bewusst – antikapitalistische und antiamerikanische Gruppierungen hervorgerufen und verbreitet wird. (Zuruf von der LINKEN: Jawohl! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Einigen professionellen Protestorganisationen scheint es nicht um die Sache zu gehen, sondern einzig darum, das Abkommen aus Prinzip zu verhindern. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, ganz genau!) Diesen Eindruck gewinnt man. Ich finde es schon erstaunlich, dass das Handelsabkommen der EU mit Vietnam, das kurz vor seinem Abschluss steht, noch niemals Anlass für Anträge oder Kampagnen war; (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja, weil es sich dafür nicht eignet! Aber um die Sache geht‘s ja nicht!) ich habe jedenfalls nichts davon gehört. Bei diesem Abkommen mit einem südostasiatischen Land gibt es aber hinsichtlich der Standards ein weitaus größeres Gefälle zu überwinden als bei TTIP. Freie Meinungsäußerung ist unser höchstes Gut. Das ist tagtäglich hörbar und unübersehbar. Schlimm und absolut nicht hinnehmbar – auch das ist mir wichtig zu erwähnen – ist für mich, wenn dieses hohe Gut dazu missbraucht wird, um bei den Menschen ganz gezielt Ängste zu schüren. Unsere Aufgabe als Politiker – ich komme zum Schluss – ist es vielmehr, zu erklären, aufzuklären und die Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger, die durchaus vorhanden sind, ernst zu nehmen. Wir müssen mit allen Bürgerinnen und Bürgern einen vertrauensvollen und sachlichen Dialog führen und ihnen in persönlichen Gesprächen die vorhandenen Ängste und Sorgen nehmen. Für mich und für uns alle gilt: Wir müssen mit offenem Visier kämpfen, dürfen uns nicht von der Stimmungsmache treiben lassen, müssen den Fakten ins Auge blicken und diesem Abkommen, das mehr Vorteile als Nachteile bietet, offen gegenüberstehen. Wir sollten dieses Abkommen beschließen, gemeinsam mit unseren Bürgerinnen und Bürgern. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Bundesregierung Sigmar Gabriel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit der ersten Frage von Herrn Hofreiter beginnen, die rhetorisch gemeint war, aber trotzdem die wichtigste in der Debatte ist. Er hat gefragt: Was sind wir bereit für dieses Abkommen aufzugeben? – Meine Antwort lautet: Gar nichts! (Beifall bei der SPD) Es geht nämlich nicht darum, etwas aufzugeben. Jedenfalls werde ich keinem Abkommen im Handelsministerrat zustimmen – mit Sicherheit auch das Parlament nicht –, wenn dabei etwas aufgegeben wird. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Herr Krischer, ich wäre da etwas aufmerksamer, da die weit überwiegende Mehrheit Europas – und die verhandeln ja – in diesem Abkommen große Chancen sieht. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Es ist erstaunlich – in dieser Frage wie manchmal auch sonst –, dass manche glauben, dass nur wir Deutschen genau wüssten, was gut und richtig, was hilfreich und gefährlich ist. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja falsch! Frankreich zum Beispiel!) – Nein, es gibt auch in Österreich Widerstand, ebenfalls ein deutschsprachiges Land. In Frankreich gibt es ihn bei weitem nicht in dem Maße. Mein Kollege Matthias Fekl und ich haben gemeinschaftlich ein paar Dinge durchgesetzt, die Sie heute hier kritisiert haben. Herr Hofreiter hat ihn vorhin gelobt; er hat aber vergessen, zu erwähnen, dass Matthias Fekl ausgesprochen stolz darauf ist, dass es im TTIP keine privaten Schiedsgerichte geben wird. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wissen Sie mehr als wir! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei CETA sind sie drin!) – Ich komme schon noch zu CETA, Klaus, keine Sorge. – Ich finde nur, wir sollten aufpassen, dass wir nicht so tun, als sei das alles völlig klar und nur wir Deutschen wüssten, wie sich die Welt neu zu ordnen hat. Ich wäre da vorsichtig. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das macht das ganze Problem deutlich. Es geht gerade nicht um ein Freihandelsabkommen alter Art. Was ist der große Unterschied? Es ist ganz interessant: Früher waren die Produzenten gegen den Freihandel – sie waren protektionistisch – und die Konsumenten für den Freihandel, weil das die Preise senkte. Wir führen jetzt eine völlig andere Debatte: Die Produzenten sind dafür – die amerikanischen wollen in die Agrarmärkte, unsere in die öffentlichen Märkte –, aber die Konsumenten sind sehr skeptisch. Das ist auch verständlich; denn die alten Zollbarrieren, die wir früher kannten, sind zu 80 Prozent weg. Auch in diesem Freihandelsabkommen geht es um Zollfragen; aber das macht nur einen kleinen Teil aus. Zum großen Teil geht es um die Frage: Gibt es in den beiden großen Wirtschaftsräumen Europa und USA eigentlich vergleichbare Standards? Wenn ja: Können wir die beim Verbraucherschutz gegenseitig anerkennen, oder können wir das nicht? Ich prophezeie: Wenn das Abkommen jemals kommt, dann wird es in der Tat, wie es vorhin genannt wurde, ein Living Agreement sein. Das heißt, es werden Strukturen festgelegt, innerhalb derer die Standards in den Bereichen Verbraucherschutz, Umweltschutz, Sozialschutz und vieles andere überprüft werden. Es wird aber keine Entscheidung festgelegt. Ich frage mich, wer eigentlich etwas dagegen haben kann. Es ist ja keineswegs so, dass in den Vereinigten Staaten sämtliche Standards schlechter sind als bei uns. In der amerikanischen Food and Drug Administration sind die Standards offensichtlich viel höher. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Bei der Chemikaliensicherheit sind unsere Standards viel besser. Was spricht also dagegen, mit einem Abkommen die Standards weiterzuentwickeln, und zwar nach oben? Das muss doch unser Ziel sein. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Prognose der Linkspartei, der Grünen und vieler Menschen, die sich – das muss ich schon zugeben – des Unternehmens Campact bedienen – das ist ein Geschäftsmodell; es ist etwas anderes als der BUND –, lautet: Es wird niemals gelingen, die Standards nach oben anzupassen; die Entwicklung wird immer nur nach unten gehen. Ich sage: Versuchen wir doch einmal, das zu verhandeln. Keiner von uns kann heute sagen, ob wir am Ende zustimmen. Hier im Parlament sitzen Abgeordnete, die auf Demonstrationen „Stoppt Campact!“ fordern, weil sie nicht glauben, dass bei den Verhandlungen etwas Vernünftiges herauskommen kann. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Zu der Demonstration gehen wir mit!) – Habe ich Campact gesagt? Ich meine TTIP. Vorsicht, sonst geht da noch jemand hin. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Pfeiffer zum Beispiel. Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Also, ich meine eine Demonstration „Stoppt TTIP!“. – Was heißt das eigentlich für das Selbstbewusstsein des Parlaments? Gleichzeitig wird hier gefordert – wie ich finde, zu Recht –, dass das Parlament über dieses Handelsabkommen abstimmt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn das so ist: Mit wie viel Minderwertigkeitsgefühl geht eigentlich ein Teil des Parlaments in diese Verhandlungen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage Ihnen einmal in aller Offenheit: Ich finde, Europa hat richtig etwas anzubieten. (Zurufe von der LINKEN) – Hören Sie doch einmal eine Sekunde zu! Ich habe mir das auch eben angetan. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch Ihre Aufgabe als Minister! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie sitzen ja auch auf der Regierungsbank!) Wenn es neue Argumente gäbe, wäre das nicht schlecht. Ich sage nur Folgendes, damit die Rede kürzer wird: Ich gebe alles zu Protokoll, was ich zu Ihren Fragen hier bereits beantwortet habe. Jetzt reden wir über neue Fragen. Was ist der Grund dafür, dass es für uns so bedeutsam ist, diesen Versuch zu unternehmen und jetzt nicht die Verhandlungen zu stoppen? Ein Grund ist, dass sich die Welt ändert. Es wird hier doch so getan, als sei die Frage: Gibt es eine Einigung mit den Vereinigten Staaten über Standards, oder gibt es keine? Das ist doch Unsinn! Es geht nur um die Frage: Wird es Europa sein, das diese Standards beeinflusst, oder werden es China und Indien sein? Das ist die einzige Frage. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der Welthandel wächst. Übrigens werden China, Asien und Lateinamerika mit Recht bedeutsamer. Dort leben sehr viele Menschen, und die haben aufzuholen. Wir können nicht eurozentristisch sagen: Wir sind die Einzigen, die etwas zu sagen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Also wird es Handelsabkommen und neue Standards geben. Die Frage ist nur: Können wir diese Standards selber fortschrittlich bestimmen, oder werden wir uns ihnen anpassen müssen? Das ist doch die einzige Frage. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Minister Gabriel, jetzt will Herr Dr. Dehm eine Frage stellen. Erlauben Sie das? Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Dass mir das noch passiert. Diether, dann man los. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja oder nein? Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Ja. Vizepräsidentin Claudia Roth: Bitte, Herr Dehm, machen Sie es kurz. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Ich habe drei ganz kurze Fragen. Erste Frage. Bei den Pestiziden hat die EU-Kommission jetzt schon Standards in die Verhandlungen eingebracht, die weit niedriger sind als die, die in Europa bislang gelten. Wie verhältst du dich bzw. wie verhalten Sie sich dazu? Zweite Frage. Vorhin haben wir in zwei CDU/CSU-Reden ein Abwatschen der kritischen Öffentlichkeit gehört. Welche Empfindungen haben dich bzw. Sie da auch vor dem Hintergrund deiner bzw. Ihrer Biografie beschlichen? Dritte Frage. Wenn der Entwicklungsminister Gerd Müller sagt: „Wir wollen fairen Handel statt Freihandel“, ist das dann die gemeinsame Position der Koalition? Wie verhält sich das zu dem, was Herr Pfeiffer vorhin gesagt hat? (Beifall bei der LINKEN) Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Antwort zu Frage eins: Die Handelskommissarin und die Europäische Kommission haben mit exzellenten Argumenten die Behauptung, dort gebe es eine Standardabsenkung, widerlegt. Antwort zu Frage zwei: Mein Gefühl ist stets humorvoll, was immer ich hier erlebe. (Heiterkeit) Antwort zu Frage drei: Freier und fairer Handel gehören zusammen. Fairer Handel ohne freien Handel geht nicht; freien Handel ohne Fairness gibt es. Aber fairen Handel werden die Entwicklungsländer einklagen. Es sind die Industrienationen, die den armen Ländern häufig den Zugang zu ihren Märkten verweigern und deshalb übrigens auch Fluchtbewegungen auslösen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Freier Handel ist also die notwendige, aber nicht die hinreichende Bedingung. Hinreichend ist es, wenn er frei und fair ist. Es wird um die Frage gehen: Wer bestimmt diese Standards? Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass es besser wäre, wenn wir zu einem solchen Abkommen kämen, als wenn man mit China zu einem solchen Abkommen käme. Fairer wird es mit uns. (Beifall bei der SPD) Ein anderer Aspekt ist: Warum sind wir eigentlich so wenig selbstbewusst? Warum gehen wir als Europäer nicht selbstbewusster in solche Verhandlungen? Wir haben doch etwas anzubieten. Wir sind nicht gezwungen, am Ende Ja zu sagen; aber erst einmal haben wir etwas anzubieten. Übrigens haben wir jetzt durchgesetzt, dass es in dem amerikanisch-europäischen Freihandelsabkommen garantiert nicht zu den alten Schiedsgerichten kommt. Klammer auf: Ich finde es bemerkenswert, dass es in Deutschland niemals eine Debatte über diese privaten Schiedsgerichte gegeben hat, solange wir Deutschen dabei die Stärkeren waren. Jetzt, wo wir einen Partner auf Augenhöhe kriegen, dem wir uns manchmal unterlegen fühlen, ist das auf einmal ein Riesenproblem. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Solange wir das den Entwicklungsländern aufdrücken konnten, fanden wir das alles nicht einmal diskussionswürdig. – Klammer zu. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Warum vertritt Frau Malmström jetzt eigentlich die Position, dass man mit den Amerikanern über einen öffentlich-rechtlichen Handelsgerichtshof redet? Ich sage es Ihnen: Weil wir ihr mit sechs sozialdemokratischen Handelsministern gesagt haben: Wenn du das nicht machst, werden wir nicht zustimmen, dann gibt es kein Abkommen. Es wird kein Abkommen geben, ohne dass das da drinsteht, oder es gibt keine privaten Schiedsgerichte da drin. Nur dann wird das funktionieren. Toni Hofreiter hat mir vorhin vorgeworfen, ich würde öffentlich erklären, dass es keine gibt. Als Beispiel dafür, dass ich nicht die Wahrheit sage, haben Sie CETA angeführt. Meine Bitte: Immer nur das kritisieren, was ich wirklich tue und sage. Ich habe hier im Haus auf Fragen Ihrer Fraktion immer gesagt – ein bisschen zur Verärgerung meiner Fraktion –: Bei TTIP bin ich sicher, dass ich es durchsetzen kann; bei CETA bin ich nicht sicher, dass ich es durchsetzen kann. – Warum nicht? Weil das ein fertig verhandeltes Abkommen ist. Trotzdem versucht die Bundesregierung das. Das Wirtschaftsministerium und das Kanzleramt versuchen das gemeinsam. Aber wir können Ihnen nicht versprechen, dass das gelingt. Das habe ich hier nie getan. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann müssen wir es ablehnen!) Lieber Toni Hofreiter, Fairness im Umgang zeichnet Sie eigentlich aus. Seien Sie bitte auch in Zukunft bei dieser Frage fair. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Ernst, ich komme zu der Frage: Warum braucht man das eigentlich überhaupt? Die Antwort ist ganz einfach: Weil es einem deutschen Mittelständler große Schwierigkeiten bereiten würde, vor dem amerikanischen Gerichtshof in Alabama seine Interessen durchzusetzen, wenn der Richter kurz zuvor gewählt wurde, (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) möglicherweise sogar gewählt wurde, weil er erklärt hat, dass er „Buy American“ durchsetzen will. Das gilt übrigens auch umgekehrt. Selbst für Deutschland ist es manchmal schwierig, die Interessen deutscher Mittelständler in einigen europäischen Mitgliedstaaten durchzusetzen, (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Eins zu eins!) weil sich die Gesetzgebung dort gelegentlich überhaupt nicht für europäisches Recht interessiert. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sigmar, das verstehen die nicht!) Das ist der Grund, warum wir das machen. Jetzt sagt Frau Malmström etwas – was wir von ihr übrigens gefordert haben –, was für CETA ein interessanter Hinweis ist. Sie sagt: Wenn das mit den Amerikanern verhandelt wird, will ich hinterher, dass dieser öffentlich-rechtliche Handelsgerichtshof auch für alle anderen Abkommen, die Europa oder die Mitgliedstaaten geschlossen haben, zuständig ist. Mein Ziel geht über den Aufbau eines öffentlich-rechtlichen Handelsgerichtshofs mit den USA hinaus. Mein Ziel ist ein multilateraler Handelsgerichtshof. – Dazu habe ich gesagt: Alle Achtung; das dauert ein paar Jahre. – Im Umkehrschluss ist das für mich ein weiteres Argument, um das bei CETA auch zu ändern. (Beifall bei der SPD) Deswegen versuchen wir das; aber ich kann Ihnen das nicht versprechen. Was ist die große Chance, die vor uns liegt? Die große Chance – nicht die Sicherheit, aber die große Chance – ist, dass die beiden größten Handelsräume der Welt ein Abkommen neuer Art schließen – fragen Sie einmal den früheren Chef der Welthandelsorganisation, Pascal Lamy, was er Ihnen dazu sagt; er ist nun wirklich unverdächtig –, mit dem wir die Standards Stück für Stück anheben. Ein Abkommen alter Art hat solche Standards gar nicht. Ein Abkommen alter Art, wie es China mit den USA schließen würde, kennt keine sozialen Standards, kennt keine ökologischen Standards, kennt keine Standards für Verbraucherschutz, Kulturschutz oder Kulturförderung. Die entscheidende Frage ist: Haben wir als Europäer den Mut, das selber in die Hand zu nehmen? Wollen wir mit den Amerikanern darüber reden und verhandeln, oder wollen wir schon vorher den Kopf in den Sand stecken und uns auf Demonstrationen wohlfühlen? Auf der Besuchertribüne sitzen junge Leute. Die werden auszubaden haben, was wir hier entscheiden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Das ist ja das Problem!) – Sie von der Opposition haben diese Debatte doch initiiert, um die Öffentlichkeit auf die Demonstrationen in der kommenden Woche aufmerksam zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben diese Diskussion ja nicht angestrebt, weil Sie etwas Neues wissen wollen. – Die jungen Menschen dort oben werden entweder in einer Welt leben, in der Europa Standards mitbestimmt, oder sie werden in einer Welt leben, in der sich Europa den Standards anpassen muss. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist das!) Das ist die Debatte. Ich finde, alles, was Sie an Sorgen vortragen, sind doch berechtigte Hinweise. Wir sind doch alle durch die kritische öffentliche Debatte klüger geworden, das ist doch gar nicht die Frage. Aber den Kopf in den Sand stecken und nicht weiter verhandeln, wie Sie es fordern, das ist falsch. Deshalb hat Herr Kretschmann die bessere Position als die grüne Bundestagsfraktion. Sorry to say that. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Sigmar Gabriel. – Es war jetzt ein bisschen überzogen, nein, es war nicht nur ein bisschen überzogen, sondern es war reichlich überzogen. Deshalb bekommen die anderen etwas mehr Redezeit. Nächster Redner in der Debatte: Alexander Ulrich für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wirtschaftsminister hat zwar reichlich überzogen, ist aber nicht auf die Argumente derer eingegangen, die dazu aufrufen, am 10. Oktober hier in Berlin zu demonstrieren. Das ist eine weitere Chance, die Sie vollkommen verpasst haben. (Beifall bei der LINKEN – Dirk Wiese [SPD]: Sie bringen seit zwei Jahre keine Argumente hier!) Wir, die Linke im Bundestag, fordern den Bundestag auf, den CETA-Vertrag abzulehnen. Wir fordern auch die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die TTIP-Verhandlungen mit den USA abgebrochen werden. Diese Verträge widersprechen in jeder Form unserer politischen Idee. Sie sind auch ein Angriff auf die Demokratie, auch auf die Demokratie, für die wir hier im Deutschen Bundestag streiten. Herr Gabriel, wenn Sie sagen, diese jungen Menschen müssen es ausbaden: Ja, diese jungen Menschen müssen in ein paar Jahren ausbaden, wenn die Demokratie durch solche Verträge ausgehöhlt wird. Diese Menschen müssen es ausbaden, wenn Umwelt- und Verbraucherschutzstandards abgebaut werden, sie müssen es ausbaden, wenn Arbeits- und Sozialschutz abgebaut wird und wenn die Demokratie bis hinunter zur Kommune ausgehöhlt wird. Das müssen diese Menschen ausbaden, da haben Sie recht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Sie haben sich gar nicht weiterentwickelt!) Man kommt nicht umhin, hier auch noch etwas zum Herrn Pfeiffer zu sagen. Herr Pfeiffer, ich muss Ihnen sagen, das Niveau in diesem Bundestag kann nicht mehr unterboten werden, wenn Sie hier stehen. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Da haben Sie recht! Wenn Sie reden!) Sie haben sich aufgeregt über eine Empörungsindustrie. Ich möchte einmal nennen, wer sich darin alles wiederfindet. Nahezu alle DGB-Gewerkschaften, BUND, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Campact – haben Sie erwähnt –, Naturfreunde, Oxfam, Attac, Brot für die Welt, Foodwatch, NABU – alle diejenigen erklären Sie hier zur Empörungsindustrie. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf!) Sie haben beklagt, dass zu wenige Bürgerinnen und Bürger die Dokumente von der Europäischen Kommission abrufen. Man würde sich wünschen, dass jeder Bürger in diesem Land Ihre Rede abruft. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn dann würden die sich wirklich empören. Dann würde klar sein, was hier eigentlich gewollt ist. Was Sie hier gemacht haben, ist tatsächlich eine pauschale Herabwürdigung zivilgesellschaftlichen Engagements. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Politiker wie Sie sind mit daran schuld, dass sich immer mehr Menschen von der Demokratie verabschieden. Denn alle Gründe, die diese Menschen bewegen, die diese Organisationen bewegen, am 10. Oktober auf die Straße zu gehen, werden von Ihnen und auch von Herrn Gabriel überhaupt nicht wahrgenommen. Das können wir nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) Zu Campact. Vielleicht sollten Sie sich trotzdem einmal die Mühe machen. Es gibt drei Vorsitzende. Die Strukturen kann man alle auf der Webseite einsehen. Sie finanzieren sich ausschließlich durch Spenden und Förderbeiträge, also viel transparenter als teilweise die CDU. (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist auch nur der einzige Zweck: Spenden zu akquirieren!) Deshalb haben die, glaube ich, es nicht verdient, von Ihnen so angegriffen zu werden. Dann haben Sie die Demokratie angesprochen. Ich möchte Ihnen sagen: TTIP und CETA höhlen die Demokratie aus. Ich möchte vier Beispiele nennen. Zum einen der Investorenschutz: Mit dem Vorschlag für einen internationalen Handelsgerichtshof, wie von Herrn Gabriel eben gesagt, soll zwar etwas Bewegung in die Sache hineinkommen. Aber an dem Grundproblem, dass ausländische Investoren durch besondere Tatbestände und ein paralleles Justizsystem systematisch bevorteilt werden, ändert das rein gar nichts. Zudem gelten diese Sachen für CETA überhaupt nicht, und ob die USA überhaupt mitspielen und so etwas akzeptieren, was Malmström und Gabriel vorschlagen, ist auch noch völlig unklar. Es wird jetzt so dargestellt, als wäre das Thema bereinigt. Gar nichts ist bereinigt. Von der US-Seite hört man ja, dass sie überhaupt nicht bereit sind, darüber zu diskutieren. (Zuruf von der SPD) Zweites Beispiel: Die regulatorische Kooperation. An die Stelle des bewährten Vorsorgeprinzips der EU soll künftig das wenig bewährte US-Regulierungssystem treten. Dort ist das Regulieren so bürokratisiert, dass es am Ende überhaupt nicht mehr stattfindet. Nicht einmal die jahrzehntelangen Versuche, Asbest zu verbieten, waren dort erfolgreich. Drittens: Stillstand- und Sperrklinkenklauseln. Die Vertragsparteien sollen sich verpflichten, das gegebene Liberalisierungsniveau nicht mehr anzuheben und künftige Liberalisierungen in alle Ewigkeit festzuschreiben. Damit würde eine politische Einbahnstraße geschaffen, die alle künftigen Regierungen bindet. Das kann ein riesiges Problem werden, wenn zum Beispiel Privatisierungen wieder rückgängig gemacht werden sollen. Derzeit wollen viele Kommunen ihre Stromversorgung rekommunalisieren. Mit TTIP und CETA wäre das nicht mehr ohne Weiteres möglich. (Ulli Nissen [SPD]: Wo steht das?) Viertens: die Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung. Durch marktradikale Regeln bei der öffentlichen Auftragsvergabe, Subventionierungsverbote, Marktzugangsverpflichtungen etc. soll den Kommunen jeglicher Gestaltungsspielraum genommen und ein massiver Privatisierungsdruck vor Ort aufgebaut werden. Allein in Deutschland haben sich schon fast 300 Kommunen gegen TTIP ausgesprochen. Auch viele CDU- und SPD-Kommunalpolitiker sind dabei. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch der Städtetag, die kommunalen Spitzenverbände und der Verband kommunaler Unternehmen haben TTIP scharf kritisiert. Das Beispiel passt hier ganz gut: Ich war bei einer Veranstaltung, da haben sich sogar die deutschen Bierbrauer – Herr Kauder ist Botschafter des deutschen Bieres; ich weiß nicht, ob er es immer noch ist – über TTIP und CETA beschwert, weil sie Angst haben, dass das deutsche Reinheitsgebot durch Fracking gefährdet wäre. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!) Herr Kauder, wenn Sie nicht auf uns hören, auf die Empörungsindustrie, dann hören Sie zumindest auf Ihre Bierbrauer. Vielleicht wäre das ein guter Fortschritt. (Beifall bei der LINKEN) Herr Gabriel, ich möchte Ihnen dringend widersprechen, wenn Sie sagen, dass das nur ein deutsches Problem ist. Wir haben jetzt fast 3 Millionen Unterschriften. Die europäische Bürgerinitiative ist ein großer Erfolg. Herzlichen Glückwunsch dafür! Macht noch weiter mit! Es sind 3 Millionen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In 23 von 28 Ländern sind die Länderquoren überschritten. Das ist also weit mehr als nur eine deutsche Protestbewegung. Es ist eine europäische. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In vielen Ländern, auch in Spanien, Frankreich, Österreich und den Niederlanden, sind Kommunen, die sich gegen TTIP aussprechen. Wenn Sie, Herr Gabriel, das alles ignorieren, dann ist das ein Sargnagel für die europäische Demokratie, für die europäische Sozialstaatlichkeit. Machen Sie diesem Spuk endlich ein Ende! Ihre Partei war schon einmal so weit, nur Sie nicht. (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Jetzt ist aber genug!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie müssen Ihre Rede jetzt beenden. Alexander Ulrich (DIE LINKE): Ja, ich komme zum Ende. Die Forderungen der Empörungsindustrie, wie Herr Pfeiffer es nennt, sind vollkommen gerechtfertigt. Wir teilen sie uneingeschränkt. Ich rufe alle Bürgerinnen und Bürger auf: Lesen Sie die Rede von Herrn Pfeiffer, lesen Sie die Rede von Herrn Gabriel, und kommen Sie am 10. Oktober um 12 Uhr an den Hauptbahnhof in Berlin! Empört euch! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächster Redner in der Debatte: Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es läuft eigentlich wie immer, wenn wir in den letzten Monaten über TTIP und CETA diskutiert haben. Herr Ernst, ich habe Sie stark im Verdacht, dass Sie Ihre Redemanuskripte sozusagen fünfmal nachnutzen. Das ist zwar sehr effizient, aber es bringt hier kein einziges neues Argument. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das war heute bei Herrn Hofreiter nicht anders als bei Ihrer Rede, Herr Ernst. Wenn man das auf die Politik ummünzt, müsste man konstatieren: Wenn die Grünen und die Linken an der Macht wären, gäbe es einen völligen Politikstillstand in unserem Land. (Widerspruch bei der LINKEN – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn seit Jahren haben Sie zu diesem Thema nichts anderes zu sagen als das, was Sie auch heute gesagt haben. Die Grünen wussten ja gestern im Ausschuss nicht einmal so richtig, wo der Antrag abgeblieben war, über den wir heute diskutieren. Offensichtlich ist Ihre Fraktion nicht so gut organisiert. Wenn man sich den Antrag einmal anschaut, Frau Dröge, dann sieht man, dass das ein Sammelsurium von Unterstellungen ist. Dazu hat auch der Minister Stellung genommen. Wir dürfen doch nicht der Illusion aufsitzen – das schüren vor allem die Grünen in diesen Diskussionen –, dass Deutschland der Verhandlungsführer ist und dass das, was wir in Deutschland an Systemen und Standards haben, das ist, was die Welt braucht. Da sind viele sehr gute Dinge dabei; da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber ignorieren Sie ganz einfach, dass auch in anderen Ländern mitgedacht wird, dass sich auch andere Länder Standards geben, dass sie sich Regelungen geben, die sie für gut befinden, die aber nicht den deutschen entsprechen? Diese ignorante Politik betreiben Sie im Prinzip seit Jahren. Sie sind der Auffassung: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. (Lachen bei der LINKEN) Das setzen Sie bei diesen Verhandlungen natürlich genauso fort. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch auch die Rede vom letzten Mal!) Noch einmal zu dem Aufruf. Bei der letzten Rede ist ja offensichtlich geworden, dass es heute nicht darum geht, sachliche Argumente auszutauschen, sondern dass Sie heute Ihren Demonstrationsaufruf verstärken wollen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Lämmel, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Dr. Schmidt? Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Nein, danke. Ich brauche jetzt keine Zwischenfrage. (Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Kommen wir zu der Demonstration, die Sie am Wochenende planen. Campact ist ein Unternehmen, das gegen Geld Kampagnen organisiert; ganz einfach. Die haben das Prinzip der Marktwirtschaft erkannt. Wer Geld gibt, bekommt seine Kampagne organisiert. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass eine solche Vereinigung demokratisch legitimiert wäre, meine Damen und Herren. Das muss man einmal deutlich sagen. Ich meine, man muss sich natürlich auch die Frage stellen, wieso sich eine so große mitgliederfinanzierte Organisation wie der Deutsche Gewerkschaftsbund mit seinen Mitgliedsorganisationen in das Bündnis „TTIP und CETA stoppen!“ begibt. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, allerdings! – Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Genau!) Ich frage mich ganz ernsthaft, Herr Ernst, wieso eine solche Organisation ohne demokratischen Beschluss ihrer Mitglieder entscheidet, (Klaus Barthel [SPD]: Müsst ihr einmal die Beschlüsse nachlesen!) sich einem solchen Bündnis anzuschließen. (Klaus Barthel [SPD]: Doch, gibt es! Es gibt Beschlüsse, Herr Lämmel! – Ulli Nissen [SPD]: Haben Sie denn eine Mitgliederbefragung gemacht?) Damit entzieht sich der Deutsche Gewerkschaftsbund vollkommen einer unabhängigen Diskussion, weil er sich einseitig festgelegt hat. Damit ist doch klar: Wenn wir mit Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes diskutieren, dann müssen wir nicht darüber reden, wie bessere Regelungen aussehen könnten oder welche Befürchtungen die Mitglieder haben. Vielmehr ist klar: Der DGB ist gegen TTIP, und damit ist die Welt für sie zu Ende. (Klaus Barthel [SPD]: Quatsch!) Genau das ist das Problem an der ganzen Sache. Zu der Bürgerbewegung. Sie sprachen von 3 Millionen Unterschriften. Aber auch Sie wissen, dass Europa 500 Millionen Einwohner hat. Dann können Sie ja einmal rechnen. 3 Millionen, das ist zwar schon ganz gut. Aber wir wissen auch, wie auf den Straßen Unterschriften gesammelt werden. (Ulli Nissen [SPD]: Ach ja? Wie denn?) Meine Damen und Herren, ich nehme bei verschiedensten Gelegenheiten an Diskussionen über TTIP und CETA teil. Eines fällt immer wieder auf: Wenn man einmal die Chance hat, eine Stunde oder zwei Stunden über TTIP und Freihandel zu diskutieren, dann kommen hinterher 80 Prozent der Leute zu mir und sagen: Ja, das muss uns doch einmal jemand erklären. – Genau das ist das Problem an Ihren Kampagnen: Sie verkürzen das Thema auf fünf Hauptsätze und sagen dann: Hier bitte unterschreiben. – Das ist Ihre Art, Unterschriften zu sammeln, und das ist Ihre Art, Kampagnen zu betreiben. Deswegen ist die Verunsicherung bei den Bürgerinnen und Bürgern natürlich sehr groß. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie auch inhaltlich mal etwas dazu sagen?) Denn eines ist ganz klar: Zu versuchen, ein Freihandelsabkommen mit fünf Kernsätzen zu beschreiben, kann nicht gelingen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen, meine Damen und Herren, sind Sie diejenigen, die die große Verunsicherung in Deutschland verbreiten und nichts dazu beitragen, die Diskussion auf ordentliche Füße zu stellen. Ich meine, als sich Europa und die Vereinigten Staaten auf den Weg gemacht haben, ein Freihandelsabkommen zu schließen, wussten wir von vornherein, dass das ein holpriger Weg ist. Dass es nicht leicht wird, wenn die zwei größten Wirtschaftsräume der Welt versuchen, so ein großes Abkommen auf den Weg zu bringen, war allen klar. Sie sagen jetzt: Verhandlungen abbrechen! Keinen Schritt weiter! – Aber Sie wissen doch selber, dass Verhandlungen dazu da sind, unterschiedliche Positionen möglicherweise zu einer gemeinsamen Position zu bringen. Sonst könnten wir ja überall in der Welt aufhören, zu verhandeln. Wenn es nach Ihren Verhandlungsprinzipien ginge, bräuchten wir auf europäischer Ebene über nichts mehr zu verhandeln, und dann bräuchten wir letztendlich auch in der WTO nicht weiter zu verhandeln. Nun zu den Grünen und ihren Unterstellungen. Sie sagen, Sie befürchten, dass wir das im Rahmen der EU nie schaffen werden. Ja, auch ich denke, dass die Grünen nie wieder an die Macht kommen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich kann mich täuschen; aber ich denke das. Ich befürchte, dass Ihnen das angesichts dessen, was Sie so machen, nicht mehr gelingt. Wieso versuchen Sie, die Leute für dumm zu verkaufen, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso lassen Sie keine Zwischenfragen zu?) anstatt Ihre Positionen einzubringen und zu sagen: „Wir möchten gerne, dass in diesem Abkommen die und die Punkte berücksichtigt werden“? (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie da sagen, ist wirklich völlig neben dem Thema!) Der Minister hat deutlich gemacht: Die Einrichtung eines Handelsgerichtshofes war ein Vorschlag, den Europa eingebracht hat. Wir müssen uns doch nicht verstecken! Sie suggerieren immer, die Amerikaner zögen uns über den Tisch. Na ja, meine Damen und Herren von den Linken und den Grünen, was denken Sie eigentlich, wie blöd die Leute in Brüssel sind und wie blöd das deutsche Parlament ist, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Tja, das ist die Frage!) das letztendlich über dieses Vorhaben abstimmen muss? (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie nicken doch alles ab, was die Amerikaner uns vorgeben!) Das gesamte Verhandlungsergebnis wird in den Deutschen Bundestag kommen. Hier wird darüber diskutiert. Letztendlich wird es dann eine Abstimmung geben, und dann wird man sehen, ob es dafür eine Mehrheit gibt oder nicht. Herr Ernst, im Gegensatz zu Campact und solchen Hilfsorganisationen, die nicht demokratisch legitimiert sind, ist der Deutsche Bundestag das gewählte Gremium des deutschen Volkes, in dem letztendlich diese Entscheidungen getroffen werden müssen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja gruselig!) Insofern kann ich nur sagen: Ihre Stimmungsmache wird letztlich nicht dazu führen, dass Sie erfolgreich sind. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Darin sind wir uns hier im Hause auch völlig einig. Wir müssen noch viel in die Verhandlungen einbringen, und es wird diejenigen, die am Verhandlungstisch sitzen, sicherlich noch manche Nerven kosten, bis sie zu einer Vereinbarung kommen. Wir können nur hoffen, dass wir in einem absehbaren Zeitraum zum Abschluss kommen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein Grauen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Lämmel. – Nächste Rednerin in der Debatte: Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, kennen Sie eigentlich das Versteckspiel von kleinen Kindern? Wenn kleine Kinder Verstecken spielen, dann halten sie sich manchmal die Augen zu und glauben, niemand könne sie mehr sehen. (Heiterkeit des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) Ein bisschen erinnert mich das, was Sie hier in den letzten zwei Stunden vorgetragen haben, und die Politik, die die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren gemacht hat, auch an dieses Versteckspiel von kleinen Kindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie scheinen ernsthaft zu glauben, dass niemand die Probleme sieht, die es mit TTIP und CETA gibt, wenn Sie sie nicht sehen, sodass Sie sie einfach wegignorieren können. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Welche gibt es denn? – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wo sind die Probleme!) Schauen wir einmal auf die letzten zwei Jahre: Probleme durch die Einführung von Schiedsgerichten, weil Großkonzerne Staaten verklagen können, gab es für Sie am Anfang nicht. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ist doch erledigt!) Das gilt für beide Seiten. Die SPD ist hier mittlerweile ja schon ein bisschen näher an der Realität, aber die CDU/CSU verweigert die Realität weiterhin. Probleme bei der Liberalisierung von Dienstleistungen durch Negativlisten gab es in Ihrer Wahrnehmung am Anfang nicht. Gefahren für den europäischen Verbraucher- und Umweltschutz durch die Schwächung des Vorsorgeprinzips gab es für Sie am Anfang nicht. Alles, was zumindest die Hälfte des Bundestages an gemeinsamer Erkenntnis gewonnen hat, ist nicht auf Ihren Mist gewachsen. Die Arbeit der Opposition und der Nichtregierungsorganisationen, die von Herrn Pfeiffer hier so schändlich bedacht wurden, hat zu diesem Erkenntnisgewinn geführt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ach, komm!) Herr Wiese, Sie haben sich hier ja wirklich sehr fragwürdig hingestellt und so getan, als sei die SPD in der Landesregierung Baden-Württemberg der Motor für einen kritischen TTIP-Beschluss gewesen. Von Ihrer Fraktion habe ich im Deutschen Bundestag – dafür sind Sie verantwortlich – noch niemals einen einzigen Antrag zu TTIP und CETA gesehen, mit dem Sie irgendeine Position zu diesem Abkommen eingebracht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Das wäre aber Ihre Pflicht als Abgeordnete gewesen, wenn Sie sagen, dass Sie hier solche Erkenntnisse gewonnen haben. Jetzt komme ich zu den Kinderspielen zurück. Bei kleinen Kindern finde ich das Blinde-Kuh-Spiel manchmal sogar niedlich. Bei Ihnen finde ich das aber nicht wirklich niedlich. Angesichts der Tragweite dieser Abkommen finde ich das sogar höchst unangemessen. Ich möchte Ihnen nur ein neues Beispiel für das Blinde-Kuh-Spiel nennen, das Sie hier versuchen mit dem Parlament zu spielen. Noch vor der Sommerpause habe ich Sie gefragt, wie denn diese neuen Gremien, diese Hauptausschüsse, in CETA ausgestaltet sein sollen. Ich habe Sie gefragt: Welche Kompetenzen wird der Hauptausschuss in CETA haben? Ist es richtig, dass dieser Hauptausschuss die Kompetenz hat, verbindliche Entscheidungen zu treffen, wie Annexe und Protokolle von CETA zu verändern? Auf die schriftliche Frage von mir und auf die schriftliche Frage von Frau Haßelmann haben Sie geantwortet: Das stimmt nicht. Danach haben wir Ihnen in der Regierungsbefragung noch einmal die Textstelle des CETA-Vertragsentwurfs vorgehalten, in der steht, dass dieses Gremium die Kompetenz haben soll, die Anlagen zu verändern. Darauf haben Sie geantwortet: Ja, okay, das stimmt; ihr habt recht. – Das haben Sie zwar nicht so klar gesagt, aber wenn man Sie richtig verstanden hat, dann war das genau die Antwort. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt nämlich noch das Legal Scrubbing, durch das sich, so hoffen Sie, vielleicht noch etwas ändern wird. Das Problem ist nur: Ich habe Sie vor der Sommerpause auch gefragt, was Sie im Rahmen des Legal Scrubbing an CETA noch ändern wollen. Darauf haben Sie geantwortet: Ein bisschen bei den Schiedsgerichten und ein bisschen bei der kulturellen Vielfalt. – Das Thema „Hauptausschuss in CETA“ kam in Ihrer Antwort überhaupt nicht vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch viel wichtiger finde ich – die Kollegen von der CDU haben ja immer gesagt, das Parlament ist der Ort der Demokratie, und wir sind gewählt, um über diese Abkommen zu entscheiden –: In CETA ist die Frage, was nach der Ratifizierung des Abkommens passiert, nicht geklärt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben die Bundesregierung gefragt: Ist sicher, ist wirklich abschließend sicher, dass das Europäische Parlament und gegebenenfalls der Deutsche Bundestag nach Abschluss des Abkommens noch beteiligt sein werden, wenn der Hauptausschuss Veränderungen am Abkommen vornimmt? (Klaus Barthel [SPD]: Das fordern Sie in Ihrem Antrag nicht einmal!) Da hat die Bundesregierung immer nur gesagt: Ja, das regeln die innereuropäischen Verfahren. Wir haben mehrfach nachgefragt: Kennt die Bundesregierung denn die innereuropäischen Verfahren? Meine Interpretation ist: Sie weichen der Antwort darauf aus, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weil Sie ganz genau wissen, dass die Einbindung des Europäischen Parlaments nicht explizit abgesichert ist. Das ist ein Fehler. Der ist Ihnen nicht aufgefallen, er ist Ihnen jetzt, durch unsere Nachfragen, erst bewusst geworden, und das möchten Sie nicht zugeben. (Klaus Barthel [SPD]: Komisch, dass Sie das nicht einfordern!) – Doch, genau das fordern wir in unseren Anträgen ein. (Klaus Barthel [SPD]: Eben nicht!) Herr Barthel, ich muss Ihnen ja zugestehen: Sie sind einer der wenigen in der Debatte, der diesen Antrag gelesen hat. Die Redner der CDU/CSU haben das anscheinend nicht getan. (Dirk Wiese [SPD]: Toni Hofreiter auch nicht!) Aber zwischen Lesen und Verstehen gibt es noch einen Unterschied. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Wiederspruch bei der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Da schau her!) In unserem Antrag gibt es eine ganze Reihe konkreter Vorschläge, die wir gemacht haben, wie eine bessere Handelspolitik in der Europäischen Union aussehen kann. Wir haben dezidiert zu der Frage der Hauptausschüsse Stellung genommen, haben gesagt: Es muss abgesichert sein, dass das Europäische Parlament einbezogen ist. Wir haben zu der Frage Stellung genommen: Wie kann man die Standards in der Europäischen Union absichern? Wir haben gesagt: Das europäische Vorsorgeprinzip muss elementarer Bestandteil aller Handelsabkommen sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist in CETA nicht abgesichert. Sie erzählen uns hier immer wieder, es sei nicht wahr, dass durch CETA oder TTIP Standards abgesenkt werden könnten. Immer wieder erzählen Sie dieselbe Leier. In unserem Antrag haben wir dezidiert an verschiedenen Punkten auch schon für den CETA-Vertrag nachgewiesen, dass die Standards in Gefahr sind, weil nämlich das europäische Vorsorgeprinzip, der zentrale Pfeiler, mit dem wir hier unsere Verbraucher- und Umweltschutzstandards in Europa absichern wollen, in diesem Vertragstext nicht erwähnt ist. Den hätten Sie verankern müssen, wenn Sie beispielsweise vor dem WTO-Staat-zu-Staat-Schiedsverfahren diesen Grundsatz sichern wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Wir werden jetzt schon – das hat Anton Hofreiter gesagt – vor dem WTO-Staat-zu-Staat-Schiedsverfahren genau deshalb verurteilt, weil dieses Vorsorgeprinzip nicht verankert ist. Dasselbe gilt für das Right to regulate, dasselbe gilt für die Absicherung des „hohen Schutzniveaus“. All das steht in unserem Antrag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Von der CDU/CSU habe ich keinen einzigen Satz zum Inhalt dieses Antrags gehört, keinen einzigen Satz zur Debatte, stattdessen nur Verfahrenskritik oder Beschimpfungen der Zivilgesellschaft. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Was sich nicht alles als Zivilgesellschaft bezeichnet!) Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir unsere Aufgabe als Parlament ernst nehmen, dann setzen wir uns vernünftig mit diesen Abkommen auseinander. Dann führen wir hier nicht immer eine solch polemische Debatte, in der man sich gegenseitig beschimpft, wer jetzt hier falsch argumentiert, und Stilnoten erteilt. (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Wer beschimpft hier wen?) Das tun Sie die ganze Zeit, und das finde ich der Sache nicht angemessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen können wir uns doch einfach einmal mit den Inhalten der Vertragstexte beschäftigen. Das ist viel – 500 Seiten Vertragstext CETA plus 1 000 Seiten Anhänge –, aber da muss eine vernünftige Analyse her. Das Problem ist: Am Ende, wenn die Abkommen ausverhandelt sind, wenn sie dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden, dann haben wir als Parlamentarier keine Chance mehr, dann können wir nur noch Ja oder Nein sagen. Wenn wir aber in den Verhandlungsprozess hineinwollen, dann müssen wir jetzt unsere Beteiligung einfordern. Dann müssen wir jetzt der Bundesregierung sagen, welche Punkte wir akzeptieren würden und welche Punkte nicht. Deswegen sind Debatten hier im Bundestag so zentral wichtig. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir Zugang zu den Verhandlungsdokumenten bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch da vermisse ich jegliche Unterstützung der Bundesregierung. Herr Ramsauer und Herr Lammert sind die Einzigen hier aufseiten der Bundesregierung, die uns an dieser Stelle unterstützt haben. Von der Bundesregierung ging bis jetzt nur ein einziger Brief nach Brüssel; das haben Sie auf unsere entsprechende Frage geantwortet, (Lachen bei der CDU/CSU) was Sie tun, um uns zu unterstützen, damit wir hier Zugang zu den Leseräumen bekommen. Da haben Sie gesagt, Sie haben der Kommission einen Brief geschrieben. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, die Redezeit. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, die Redezeit – das stimmt –, da achte ich jetzt auch drauf. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich komme jetzt zum Ende meiner Rede. Vizepräsidentin Claudia Roth: Da achte ich drauf. Bitte kommen Sie zum Schluss. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Stimmt, das ist dein Job. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Deswegen komme ich jetzt zum Ende meiner Rede. Ich kann Ihnen wirklich nur sagen: Lassen Sie uns die Debatte etwas über die Inhalte führen. Wir haben hier einen Antrag vorgelegt, von dem ich überzeugt bin, dass er eine gute richtungsweisende Politik für Europa gestalten könnte. (Dirk Wiese [SPD]: Sie wollen es doch stoppen und nicht verhandeln!) Wenn Sie sich dem nicht anschließen wollen, legen Sie eigene Anträge vor, aber debattieren Sie endlich mit uns über die Sache. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der letzte Redner in dieser wirklich sehr lebhaften Debatte ist Rainer Spiering für die SPD. (Beifall bei der SPD) Rainer Spiering (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Vorab zu Herrn Ulrich: Der Deutsche Städtetag und alle Wohlfahrtsverbände haben mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein gemeinsames Papier zu TTIP erarbeitet, das pro TTIP ist, und dafür die Bedingungen festgelegt. Das kann man aber, glaube ich, nachlesen. Die öffentliche Diskussion über Freihandelsabkommen ist gut, richtig und notwendig. Das erleben wir auch heute. Voraussetzung dafür ist Transparenz. Es ist heute schon mehrfach gesagt worden: Deutschland hat bereits 138 Freihandelsabkommen ratifiziert. Wenn ich mir die Debatte vergegenwärtige, stelle ich mir die Frage: Welches davon hat uns geschadet? Welches Abkommen hat uns geschadet, dass diese Emotionen freigesetzt werden? Ich zumindest habe den Eindruck, dass die Freihandelsabkommen, die wir in der Vergangenheit geschlossen haben, diesem Land ausgesprochen gutgetan haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich glaube, das ist auch der Ansatz, dem wir folgen sollten. Eine Bemerkung möchte ich mir noch erlauben, weil häufig angesprochen wurde, wie sich die SPD zu Sigmar Gabriel verhält. Mein eigener Kreisverband hat das tief- und raumgreifend debattiert. Dann haben wir darüber abgestimmt. Dabei ist herausgekommen, dass die Linie des Wirtschaftsministers zu nahezu 100 Prozent bestätigt worden ist. So erlebe ich meine SPD auch im ganzen Bundesgebiet. Wir sind rührig im Diskutieren, aber wir wissen auch, wann der Punkt gekommen ist, der Sache zuzustimmen und dem Verhandlungsmandat Raum zu geben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie erlauben vielleicht, dass ich mit einer gewissen regionalen Betroffenheit argumentiere. Ich habe es gerade noch schnell gegoogelt: Drei der weltweit größten Landmaschinenhersteller mit circa 12 000 Mitarbeitern sind in meiner Heimatregion. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie googeln?) Das sind alles kleine und mittelständische Unternehmen, die auf dem amerikanischen Markt sehr große Probleme haben, wenn sie ihre Rechte durchsetzen wollen. Denn aufgrund der „Buy America“-Gesetzgebung der Amerikaner wird keiner von ihnen in den Vereinigten Staaten von Amerika klagen. Ich sehe eine sehr große Chance, das Mandat „Buy America“ über das Freihandelsabkommen aufzubrechen. Dann hätten wir völlig andere Marktbedingungen, und zwar Marktbedingungen, die wir gestalten können, wobei wir uns einen ganz anderen Raum geben könnten. Nehmen Sie das zur Kenntnis! 12 000 Mitarbeiter in einer Region in einer bestimmten Sparte sind eine richtige Ansage. Ich finde, sie haben das Recht, eine Zukunft zu haben und sich weiterzuentwickeln. Das ist die Aufgabe, die mit einem Freihandelsabkommen, das zu unseren Bedingungen gestaltet wird, durchverhandelt werden kann. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung dazu: Wir erleben zurzeit eine gigantische Auseinandersetzung auf dem Automobilsektor, was selbstfahrende Fahrzeuge angeht. Google und Co. strecken ihre Finger aus, und die deutsche Automobilindustrie hat große Probleme. Bei unserem Landmaschinensektor sieht das anders aus. Die ITPlattformen werden zurzeit noch in Deutschland selber hergestellt: mit unseren Sicherheitsstandards. Parallel dazu sind in den Vereinigten Staaten von Amerika Monsanto und Google unterwegs. Ich würde mir zum Schutz unserer heimischen Industrie wünschen, dass wir gemeinsame Standards erwirken können, die auch den Datenschutz umfassen und unseren Herstellern eine faire Chance geben, sich auch auf dem ITSektor zu behaupten. Aber diese Chance bekommen Sie nur, wenn Sie verhandeln, Kolleginnen und Kollegen, statt ein Verhandlungsmandat abzulehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank, Herr Kollege. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich diese Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6197 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 4 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/4969. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1093 mit dem Titel „Die Verhandlungen zum EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP stoppen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Ich komme zu dem Buchstaben b der Beschlussempfehlung. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1457 mit dem Titel „Für ein starkes Primat der Politik – Für fairen Handel ohne Demokratie-Outsourcing“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1964 mit dem Titel „Stellungnahme im Rahmen des Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommission zum Investitionsschutzkapitel im geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Enthaltungen? – Keine. Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Wir kommen zu dem Buchstaben d der Beschlussvorlage des Ausschusses. Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4090 mit dem Titel „CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wiederum die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2620 mit dem Titel „Keine Klageprivilegien für Konzerne – CETA-Vertragsentwurf ablehnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Wer enthält sich? – Niemand. Dann ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Elfter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik Drucksachen 18/3494, 18/6183 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Debatte hat Frank Schwabe von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Schwabe (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über den elften Menschenrechtsbericht der Bundesregierung. Interessanterweise ist gleichzeitig der Menschenrechtskommissar des Europarats in Berlin. Ich weiß nicht, ob das Zufall ist. Aber es ist nicht schlecht, auch seinen Bericht zur Menschenrechtslage in Deutschland zur Kenntnis zu nehmen. Der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung betrachtet gleichberechtigt die Menschenrechtslage im Inland wie im Ausland. Das kann man schon an der Dicke und der Seitenzahl erkennen. Es ist wichtig, den Blick ins Inland zu wenden, zum einen weil es in der Tat viele Verletzungen von Menschenrechten im Inland gibt – die Lage der Menschenrechte in Deutschland ist vielleicht besser als in manchen anderen Ländern, aber sie ist nicht perfekt – und zum anderen weil der Blick ins Inland uns überhaupt erst das Recht gibt, ins Ausland zu schauen und andere Staaten für ihre Menschenrechtspolitik zu kritisieren. Ich will zur Flüchtlingsdebatte nicht so viel sagen, weil darüber schon heute Morgen intensiv diskutiert wurde. Aber ich will ein Zitat vortragen und zwei Bitten äußern. Das Zitat lautet: „Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht.“ Das Zitat könnte von vielen stammen. Es gibt viele ähnliche Zitate. Aber dieses Zitat stammt von Helmut Kohl aus dem Jahr 1998. Damit möchte ich zwei Bitten verbinden. Die erste Bitte lautet: Ich bitte alle, die sich an der Debatte beteiligen, auf die Sprache zu achten, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist. (Beifall bei der SPD) Man sollte darüber nachdenken, ob es zum Beispiel angemessen ist, von Flut, Welle und Überschwemmung zu sprechen, wenn es letztendlich um Menschen geht. (Beifall im ganzen Hause) Ich finde, dass – einige werden wissen, wem die folgenden Zitate zuzuordnen sind – Sprüche wie „Der Grieche hat genug genervt“ oder „Die Gesetze macht bei uns nicht der Prophet“ alles andere als hilfreich sind, wenn es um die dringend notwendige Versachlichung der Debatte geht. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die zweite Bitte lautet – auch sie hat etwas mit Menschenrechten zu tun –, darüber nachzudenken, wie wir mit Menschen umgehen, die zu uns kommen, und unter welchen Bedingungen wir es Menschen ermöglichen wollen, zu uns zu kommen. Das Bild des ertrunkenen kleinen Jungen ging um die Welt; alle haben darüber geredet. Ich habe den Eindruck, dass der eine oder andere dieses Bild gerade vergisst. Ich will zur Flüchtlingsdebatte nicht sehr viel sagen, aber ich will sagen, dass wir versuchen müssen, den Menschen die Chance zu geben, auf eine vernünftige Art und Weise zu uns zu kommen, auch um Zuwanderung steuern zu können. Ich werde nicht vergessen, mein ganzes Leben nicht, denke ich, dass ich vor ein paar Wochen im Libanon in Flüchtlingslagern war und dort zwei Jungs getroffen habe, die ganz gespannt auf mich waren, auf den Besuch aus Deutschland, weil sie die Chance haben, jetzt über Kontingente nach Deutschland zu kommen. Ein paar Tage später war dann überall das Bild des Jungen, der an der Küste angeschwemmt wurde. Ich kann einfach nicht verstehen, warum die einen sozusagen die Chance haben, vernünftig nach Deutschland zu kommen, zu überleben, und die anderen nicht. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir für vernünftige Kontingentlösungen, für Resettlement-Programme sorgen. Wir können nicht sagen, dass jeder kommen soll; wir können aber eine Steuerung hinbekommen, indem wir zum Beispiel sagen: Wir nehmen 200 000 pro Jahr in Europa auf. Ihr könnt dieses Verfahren aber nur von dort aus betreiben, wo ihr euch befindet. Macht euch nicht auf diesen halsbrecherischen Weg, sondern versucht, das Verfahren aus dem Land heraus zu betreiben, wo ihr seid. – Ich glaube, das wäre zumindest eine Möglichkeit. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Heinrich (Chemnitz) [CDU/CSU]) Wenn wir über die Lage der Menschenrechte in Deutschland reden, reden wir über viele Mechanismen und Möglichkeiten, die Lage zu verbessern, über Aufklärung, über die Notwendigkeit von Strafgesetzen, zum Beispiel gegen Rassismus. Wir reden aber auch über Institutionen. Nils Muiznieks, der Menschenrechtskommissar des Europarats, den ich gerade schon erwähnt habe, hat heute gesagt, die Menschenrechtsarchitektur könnte durch Verbesserungen gestärkt werden. Ich glaube, das ist eine zentrale Aufgabe, der wir uns in den nächsten Jahren weiter widmen müssen. Wir haben das Deutsche Institut für Menschenrechte gestärkt. Wir haben ein Gesetz geschaffen. Wir haben dem Institut neue Aufgaben gegeben. Wir haben es beim Bundestag aufgehängt; ich glaube, das kann man gar nicht wichtig genug nehmen. (Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD] – Michael Brand [CDU/CSU]: Angehängt!) – Angegliedert. Wir sind zuständig, jedenfalls was den Haushalt angeht. – Jetzt geht es aber darum – das sage ich auch –, über die finanzielle Ausstattung zu reden. Wenn man mehr Aufgaben hat, dann muss man auch gut ausgestattet werden, um diese Aufgaben bewältigen zu können. Wir haben andere Institutionen wie zum Beispiel die Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Auch da kann es Verbesserungen geben; auch dort haben wir Verbesserungen durchgesetzt. Es braucht am Ende eine vernünftige Finanzausstattung, damit diese Institutionen ordentlich wirken können. Es gehört auch dazu, über die Performance und eine verbesserte Finanzausstattung des Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe zu reden. Auch da ist noch der eine oder andere Spielraum. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir führen wichtige Debatten zum Thema Flüchtlingsaufnahme. Ich habe es gerade gesagt. Wir werden das schaffen; da bin ich mir sicher. Ich glaube, wir werden in dieser Gesellschaft auch daran wachsen. Aber es ist eine große Herausforderung, ganz zweifellos, eine Herausforderung im Inland; es ist aber auch eine Herausforderung für uns, zu verstehen, dass das, was wir im Inland tun und diskutieren, auch etwas mit dem zu tun hat, was wir im Ausland tun und diskutieren. Es hat etwas zu tun mit auswärtiger Politik, mit Menschenrechtspolitik, mit Entwicklungspolitik. Deswegen reden wir über Friedenspolitik, über Diplomatie, manchmal auch über Gewalt, die wir einsetzen müssen, um Menschenleben zu schützen, um Menschenrechte durchzusetzen. Wir müssen auch über die humanitäre Hilfe und die Entwicklungspolitik reden. Aber es kommt eine neue Dimension dazu – ich glaube, das muss man sich angesichts der Dramatik der Situation klarmachen –, eine neue Dimension von Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik. Zu der bürgerlichen Dimension der Menschenrechte – Unversehrtheit, Schutz des Lebens, gleiche Rechte vor Gericht – kommen eine wirtschaftliche und eine soziale Dimension der Menschenrechte. Sie geraten in den Fokus, und ich finde, wir müssen die Debatte jetzt führen und ernst nehmen. Deswegen ist es gut, dass der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages in der nächsten Woche in Mexiko und Peru sein wird, um sich über die Auswirkungen von Handels- und Rohstoffabkommen zu informieren. Wir haben dazu gestern eine Anhörung im Ausschuss gehabt. Es ist auch gut, dass im Auswärtigen Amt ein Nationaler Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ erarbeitet wird – zusammen mit der Zivilgesellschaft. Ich bin dabei für ganz viel Dialog. Ich bin für ganz viele Regeln, für Austausch darüber, wie man das besser machen kann, wie man die Wirtschaft nutzen kann, um Menschenrechte zu schützen. Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es aber auch um die Frage der Verbindlichkeit und die Frage der verbindlichen Durchsetzung von Regeln. Dabei reden wir darüber, dass es endlich dringend notwendig ist, dass Deutschland das ILO-Übereinkommen 169 ratifiziert und ebenso das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt. (Beifall bei der SPD) Wenn wir über die internationale Dimension der Menschenrechtspolitik reden – nun bleibt mir nicht mehr ganz so viel Zeit –, will ich sagen, dass ich stolz darauf bin, dass die Europäische Union und die 47 Mitgliedsländer des Europarats sich dazu bekennen, die Todesstrafe nicht anzuwenden. Das ist immer wieder ein Thema; aber man kann es hier leider nicht oft genug ansprechen, weil es die Todesstrafe immer noch gibt und sie in vielen Ländern der Welt noch vollstreckt wird. Die Todesstrafe ist nicht nur eine Barbarei, sondern die, die sie vollstrecken, verstoßen sehr häufig gegen UN-Abkommen, die sie selbst unterzeichnet haben. Beispielhaft zu nennen ist hier der Fall von Ali Mohammed al-Nimr, der zur schiitischen Minderheit Saudi-Arabiens gehört und der bei einer Demonstration dabei war und jetzt getötet werden soll – geköpft und gekreuzigt. Er war 17 Jahre alt, als er die Tat, derer er beschuldigt wird, begangen haben soll. Ebenso zu nennen ist Abdul Basit aus Pakistan. In Pakistan ist die Aussetzung der Todesstrafe aufgehoben worden, angeblich um Terroristen zu strafen. Am Ende straft man sozusagen aber Menschen, die wegen ganz anderer Verbrechen angeklagt sind. Bei Abdul Basit ist es nicht nachvollziehbar, warum er überhaupt verurteilt wurde. Tatsache ist: Er ist querschnittsgelähmt und soll trotzdem hingerichtet werden. Hingerichtet wurde vor wenigen Stunden Kelly Gissendaner aus Georgia in den USA. Ich finde, es ist besonders schmerzhaft, dass wir die USA immer wieder in die Reihe dieser Staaten einreihen müssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Zum Glück wenden viele Staaten die Todesstrafe nicht mehr an. 95 Prozent der Vollstreckungen der Todesstrafe finden in wenigen Ländern der Welt statt. Die USA sind in schlechter Gesellschaft mit China, dem Iran, Saudi-Arabien, dem Sudan und dem Jemen. Zum Glück sinkt auch die Zustimmung in den Vereinigten Staaten. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, finde ich, ist immer wieder ein Appell an die Vereinigten Staaten, aber auch an Japan nötig: Schafft die Todesstrafe ab. Begebt euch nicht in die falsche Gesellschaft. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Inge Höger von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Grenzen überwinden“, so lautet das Motto zum diesjährigen Tag der Deutschen Einheit. Es könnte auch ein gutes Motto für die Menschenrechtspolitik der deutschen Bundesregierung sein. Nicht nur die Grenzen zwischen den Ländern sind zu überwinden – obwohl dies aktuell von größter Dringlichkeit ist –, sondern auch die Grenzen zwischen Armut und Reichtum. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem geht es auch darum, blinde Flecken zu erkennen und Mauern in den Köpfen zu überwinden. Für die Überwindung von Grenzen ist der vorliegende Menschenrechtsbericht leider ein schlechtes Beispiel. Er ist durchzogen von zwei gefährlichen Grundannahmen: erstens, dass in Deutschland alles in Ordnung sei, und zweitens, dass Deutschland und die EU für das Elend in anderen Teilen der Welt keine oder nur eine geringe Verantwortung tragen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Falsch gelesen!) Während führende Politikerinnen und Politiker hier im Land gerne von Freiheit und Verantwortung reden, bleiben die konkreten Schlussfolgerungen häufig weit hinter dem Notwendigen zurück. Wir erleben zurzeit, dass Menschen, die aus Not und Elend fliehen, Tag für Tag Grenzen überwinden oder dies zumindest versuchen. Einige der Gründe für die Flucht finden wir im Menschenrechtsbericht, doch wesentliche Aspekte der Fluchtursachen bleiben ausgeblendet. Es wird Zeit, dass sich die Bundesregierung der Verantwortung stellt, die unser Land für Menschenrechtsverletzungen und Fluchtursachen hat. (Beifall bei der LINKEN) Es fehlt in dem Bericht vieles, wofür die Politik in Deutschland mitverantwortlich war und ist: Der Klimawandel wird durch die Industrienationen wesentlich mitverursacht und führt zu neuen Fluchtursachen in der Welt. Die deutsche und europäische Außenhandels­ und Wirtschaftspolitik, die Liberalisierung von Handelsbeziehungen, die Ressourcenausbeutung und der Export von subventionierten Lebensmitteln gefährden die Menschenrechtslage in Drittstaaten. Deutsche Rüstungsexporte wirken wie Öl im Feuer zahlreicher Kriegs- und Krisennationen. Konsequente Menschenrechtspolitik heißt deshalb auch: Freihandel beenden und Rüstungsexporte stoppen. (Beifall bei der LINKEN) Eine Politik, die sich am Schutz von Menschenrechten ausrichtet, hätte weltweit einen positiven Effekt. Einen Anfang könnte die Bundesregierung zum Beispiel mit einer verbindlichen Menschenrechtsprüfung bei Investitionen deutscher Firmen im Ausland machen. Jahr für Jahr sterben 2,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung, und weltweit haben etwa 800 Millionen Menschen nicht genügend zu essen. Wie können Sie es da zulassen, dass deutsche und europäische Unternehmen Kraftstoffe aus Biomasse importieren? Warum beginnen Sie nicht umgehend damit, die Spekulationen auf Nahrungsmittel an den Börsen zu verbieten? (Beifall bei der LINKEN) Das wäre wirkungsvolle und vorbildliche deutsche Menschenrechtspolitik. In vielen Bereichen profitieren deutsche Unternehmen und Banken von Menschenrechtsverletzungen und Notlagen auf der ganzen Welt. Warum hilft die Bundesregierung dabei, international exklusive Rechte zur Verwertung von Arzneimitteln durchzusetzen? Das führt dazu, dass in ärmeren Regionen die adäquate Behandlung von Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder Aids erschwert wird. Für die Linke stehen die Rechte der Menschen über den Profitinteressen der Unternehmen. Der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung ist ein Menschenrecht. (Beifall bei der LINKEN) Für die Linke stehen Menschenrechte auch über Bündnissolidarität. Wir werden nicht schweigen, wenn Militärbasen in Deutschland von NATOVerbündeten genutzt werden, um Drohneneinsätze durchzuführen. Killerdrohnen sind ein massiver Angriff auf das Menschen- und Völkerrecht. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen muss diese Technologie global geächtet werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Kriegs und Besatzungseinsätze der Bundeswehr und ihrer Verbündeten tragen weltweit zur Destabilisierung und Zerstörung ganzer Gesellschaften bei. Sie binden Ressourcen, die für eine friedliche Krisenbewältigung fehlen. Bitte erklären Sie jetzt nicht, der im Anschluss an diese Debatte auf der Tagesordnung stehende EU-Mittelmeereinsatz sei ein Beitrag zum Schutz der Menschenrechte. Ich leugne nicht, dass zahlreiche Menschen von Militärschiffen im Mittelmeer gerettet wurden. Ich bezweifle aber, dass es bei diesem Einsatz tatsächlich um die Rettung von Flüchtlingen geht. Denn dann wäre eine zivile Rettungsmission sehr viel sinnvoller. (Beifall bei der LINKEN) Noch besser wären sichere und legale Einreisemöglichkeiten. Sehr verräterisch in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass das Sterben im Mittelmeer im vorliegenden Bericht keine Rolle spielt. Dabei sind zwischenzeitlich Zehntausende von Ertrunkenen im Mittelmeer eine direkte Folge der europäischen Abschottungspolitik. Menschenrechtspolitik geht definitiv anders. Die Linke fordert deswegen, dass in den künftigen Berichten die europäische Flüchtlingspolitik und die Fluchtursachen in einem eigenen Kapitel ehrlich aufgearbeitet werden. Auch die Situation von Flüchtlingen in anderen EUStaaten ist kritisch zu betrachten. Mit Lagern wie in Ungarn, neuen Grenzanlagen und -zäunen quer durch Europa dürfen wir uns nicht abfinden. (Beifall bei der LINKEN) Auch der Umgang mit Flüchtlingen hierzulande ist genau zu betrachten. Warum befinden sich im Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention immer noch Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren in Abschiebehaft? Warum helfen deutsche Bundespolizisten der ungarischen Regierung bei deren Abschottungspolitik? (Dr. Bernd Fabritius [CDU/CSU]: Weil es notwendig ist!) Das muss aufhören. (Beifall bei der LINKEN) Neben der großen Hilfsbereitschaft gibt es in Deutschland leider auch einen tief verankerten Rassismus in der Bevölkerung und bei staatlichen Institutionen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Schlimm, was Sie hier sagen!) Im Zuge der Aufarbeitung der NSUMorde darf das Thema „Geheimdienste und Menschenrechtsverletzungen“ nicht vergessen werden. Wir dürfen rassistische und faschistische Tendenzen in unserer Gesellschaft nie mehr kleinreden. (Beifall bei der LINKEN) Wie kann es sein, dass es zwischenzeitlich etwa 70 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben hat, aber nur 10 Verdächtige ermittelt wurden? Wie kann es sein, dass in diesem Land diejenigen, die anders aussehen, besonders häufig in Polizeikontrollen geraten? Dabei widersprechen Personenkontrollen aufgrund der Hautfarbe dem Gleichbehandlungsgrundsatz. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke kämpft für ein Land, in dem Menschenrechte für alle gleichermaßen gelten, nicht nur auf dem Papier. Zu Beginn meiner Rede habe ich das Motto „Grenzen überwinden“ zitiert. Dies funktioniert nur mit Solidarität. Dazu gehört, dass breite Schultern mehr tragen können als schwache. Es ist deswegen absolut unverständlich, warum bei der Finanzierung der Kosten für die Integration von Flüchtlingen verschiedene Gruppen in prekären Lebenslagen gegeneinander ausgespielt werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Warum darf der Mehrbedarf durch Kürzungen in anderen Etats finanziert werden, während es einen Haushaltsüberschuss gibt? Deutschland muss in den sozialen Frieden investieren. Das bedeutet mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau, Kampf gegen Steuerflucht und nicht zuletzt, endlich die Superreichen in diesem Land ausreichend zur Kasse zu bieten. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Warum immer so einfach?) Grenzen überwinden heißt Armut überwinden – in Deutschland und weltweit. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Erika Steinbach von der CDU/CSU- Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Erika Steinbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Elfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung mit all seinen bedenkenswerten Facetten ist heute zu beraten. Es ist ein umfangreiches Paket, in dem viele Themen und Dinge bezüglich der Menschenrechte dargelegt werden. Es gibt zurzeit ein Thema, das in Deutschland, in Europa und vor unserer Haustür im Nahen Osten alles überlagert: Die Völkerwanderung in Richtung Europa, hier insbesondere nach Deutschland, beschäftigt die Menschen im Lande. Damit eng verbunden ist ein gravierendes Menschenrechtsthema. Die aktuellen Migrantenströme zeigen die Anziehungskraft unseres Landes. Hunderttausende aus dem Nahen Osten und Afrika suchen in diesen Tagen und Monaten das, was ihnen in der Heimat fehlt. Sie suchen ein Leben in Sicherheit. Sie suchen ein Leben in Freiheit und in Wohlstand. Illegitim ist das nicht. Heute sind weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht oder auf der Wanderung und damit auf der Suche nach einem anderen Ort für ihr neues Leben. Neu für uns ist diese Erkenntnis nicht. Im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages beschäftigen wir uns seit Jahren mit den zunehmenden Wanderungsströmen. Bereits bei der Einbringung des Haushaltes im vorigen Jahr habe ich darauf hingewiesen, wenn Deutschland, wenn Europa, wenn die demokratischen Staaten dieser Welt nicht gemeinsam alles tun, um das massenhafte Elend am Entstehungsort zu lindern, dann werden wir früher oder später in unserem Land die Folgen spüren. Die pure Not hat Menschen hierher getrieben, weil die Völkergemeinschaft nicht alles getan hat, um vor Ort Linderung zu schaffen. Die meisten Menschen würden doch gerne in der Heimat oder nahe der Heimat bleiben. Dafür hat es in den letzten Jahren viel zu wenig Hilfestellung gegeben, im Gegenteil. Was ist geschehen? Der UNHCR, die Vereinten Nationen haben die Mittel für Nahrung in den Flüchtlingscamps im Nahen Osten fast halbiert, weil die anderen Länder das Geld nicht bezahlt haben, das der UNHCR benötigt. Das ist eine Schande für die Weltgemeinschaft; das muss man deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Europäischen Union war das nicht unbekannt. Die Europäische Union hat nicht alles getan. Sie hat die Augen und Ohren vor dem verschlossen, was sich vor den Toren Europas tut. Allein mit dem Retten von Menschen im Meer ist es nicht behoben. Mehr noch: Die Europäische Union hat seit Jahren die katastrophale Flüchtlingslage in Griechenland und in Italien – wie oft haben wir uns im Menschenrechtsausschuss mit dieser Thematik auseinandergesetzt – fahrlässig, ja sträflich hingenommen und damit dazu beigetragen, dass sich die Karawane der Migranten heute in Richtung Europa, in Richtung Deutschland bewegt. Deutschland ist ein Land mit wirklich großer Hilfsbereitschaft. Es ist erfreulich, das zu sehen. Es ist erfreulich, zu sehen, dass das Betreuen von Flüchtlingen fast überwiegend mit ehrenamtlichen Kräften möglich gemacht wird. Das ließ sich selten so erkennen wie bei der Betreuung von Hunderttausenden Flüchtlingen in den letzten Wochen, die innerhalb einer kurzen Zeit zu uns gekommen sind. Jeder Mensch, der nach Deutschland kommt, muss und soll menschenwürdig behandelt werden – das ist unser Anspruch –, ob er hierbleiben darf oder ob er zurückgeschickt werden muss. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wer Augen hat, um zu sehen, weiß, dass die Grenzen der Aufnahmefähigkeit hier im Lande erreicht sind. Sprechen Sie mit den Bürgermeistern, mit den Landräten vor Ort. Die Situation in den Lagern – anders kann man es nicht nennen – wie Messehallen, Turnhallen, Zeltlager macht es deutlich; noch so viel Hilfsbereitschaft kann nicht darüber hinwegtäuschen. Wenn wir auf der einen Seite Hilfsbereitschaft zeigen, dann müssen wir auf der anderen Seite die Augen für das offen halten, was es noch gibt: Die Zustände, die inzwischen in den Masseneinrichtungen und in ihrem Umfeld zu beobachten sind, müssen uns alarmieren. Wir dürfen darüber nicht einfach den Mantel des Schweigens ausbreiten. Es spricht sich trotzdem herum; also müssen wir darüber reden. Gewaltausbrüche zwischen Asylsuchenden sind nach Angaben des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Herrn Wendt, seit Wochen zu beobachten. Insider wissen das schon seit längerer Zeit. Religiöse und ethnische Konflikte sind nach Deutschland importiert worden. Es haben sich teilweise Clans herausgebildet, die um die Vorherrschaft in den Lagern gewalttätig ringen. Die Leidtragenden sind oftmals Frauen und Kinder. Sie sind in diesen Einrichtungen immer wieder sexuellen Übergriffen bis hin zur Vergewaltigung ausgesetzt. Auch werden Frauen zur Verschleierung gezwungen. Unsere Polizei und die Ordnungskräfte, auch die nichtausgebildeten Ordnungskräfte, sind mit diesen Situationen oftmals überfordert. Die ungeheure Zahl von Menschen, die mit einem ganz anderen Wertefundament hierhergekommen sind, hat mit dazu beigetragen, dass leider das Recht häufig nicht mehr umgesetzt werden kann, weder in den Aufnahmeeinrichtungen noch in deren Umfeld. Darüber hinaus sind Hunderttausende abgetaucht und befinden sich illegal im Lande. Diese Situation muss Menschenrechtsengagierte hellhörig machen. Die Grenze dessen, was Deutschland an Hilfe leisten kann, ist längst überschritten. An die Linke gerichtet: Nur ein Narr gibt mehr, als er hat. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wir haben aber mehr! 10 Billionen Privatvermögen!) Das Elend dieser Welt mit 60 Millionen flüchtenden Menschen lässt sich weder in Deutschland noch in Europa heilen, beim allerbesten Willen nicht. (Inge Höger [DIE LINKE]: Rüstungsexportstopp!) Der gute Wille hier im Lande ist doch jeden Tag sichtbar. Was ist zu tun? (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie wurden aus der Heimat vertrieben, Frau Steinbach!) Was haben wir für Möglichkeiten? Es muss baldmöglichst gelingen, alle, die nicht hierbleiben dürfen, wieder zurückzuschicken. Wenn man die einzelnen Schicksale sieht, dreht es einem schon das Herz im Leib herum. Aber wir haben eine Gesamtverantwortung. Wir alle, die wir hier sitzen, sind für dieses Land verantwortlich. Aber das wird nicht reichen. Wir müssen den Zuwanderungsstrom so konsequent wie möglich stoppen. Wir müssen dazu beitragen, in den Herkunftsländern und in deren Anrainerstaaten, auch mithilfe der Europäischen Union, die Versorgung der Menschen mit den elementarsten Dingen zu sichern. Es darf nicht sein, dass die Menschen in den Flüchtlingseinrichtungen im Nahen Osten Hunger leiden, sie nicht genug zu trinken bekommen und die Kinder nicht in die Schule gehen können. Das, was wir leisten können, sollten wir vor Ort, also heimatnah, zu implementieren versuchen. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das weiß man seit zwei Jahren! Jetzt plötzlich kommen Sie damit! Zwei Jahre zu spät!) Was Deutschland betrifft: Wenn wir nicht auf eine katastrophale Situation zusteuern wollen, müssen wir ein Grenzregime implementieren, mit dessen Hilfe Nichtasylberechtigte sofort abgewiesen werden. Wenn wir Menschenrechte ernst nehmen, dann ist das unverzichtbar, um hier unseren Menschenrechtsstatus zu erhalten und ungute Strömungen nicht aufwachsen zu lassen. Warum sage ich das? Wir haben kaum noch Möglichkeiten, noch mehr Menschen hier unterzubringen. Jeder möge in seinem Wohnort nachsehen, wo es dort noch Möglichkeiten gibt. Für diejenigen, die das Recht haben, hierzubleiben, wird es nicht reichen, unsere Sprache zu sprechen. Sie müssen sich auch mit unseren Werten auseinandersetzen. Diese müssen sie respektieren. Sie müssen auch gewisse Gewohnheiten ablegen. Wenn ich in Frankfurt sehe, dass eine Muslima drei Schritte hinter ihrem Mann läuft, dann widerspricht das dem Menschenrechtsstatus der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Das bedeutet auch, dass wir die Grenzen im Zusammenleben aufzeigen müssen. Das heißt, Regeln und Werte, die unser schönes Land ausmachen und die das Miteinander so auskömmlich und erfreulich machen, sollten wir offensiv vertreten. Wer Menschenrechte in Deutschland tatsächlich ernst nimmt, der muss auf die Einhaltung dieser Regeln dringen. Ich glaube, das ist der einzige Weg, den wir gehen können. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Steinbach, was Sie beschrieben haben, ist völlig richtig: Es gibt auch in den Aufnahmeeinrichtungen große Probleme, Ausschreitungen und Gewaltanwendungen. Davon muss man sprechen; da haben Sie völlig recht. Zur Redlichkeit gehört aber auch, davon zu sprechen, wie die Zahl der Anschläge auf diese Einrichtungen in den letzten Wochen und Monaten explodiert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU] – Erika Steinbach [CDU/CSU]: Auch das ist richtig!) Meine Damen und Herren, es ist gut, dass alle zwei Jahre ein Menschenrechtsbericht vorgelegt wird. Es ist gut, dass wir alle zwei Jahre die Möglichkeit haben, diesen hier zu diskutieren. Das gibt uns im Hohen Hause die Möglichkeit, über die Lage der Menschenrechte im Allgemeinen und über die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung im Besonderen zu diskutieren. An dieser Stelle möchte ich – ich glaube, nicht nur in meinem eigenen Namen – einen herzlichen Dank an Christoph Strässer aussprechen. Christoph, du machst eine unglaubliche Arbeit unter widrigsten Umständen, du bohrst sehr dicke Bretter. Herzlichen Dank dafür! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist gut, dass es hier einen Konsens gibt, dass die Frage der Menschenrechte kein Thema der Innenpolitik oder der Außenpolitik ist, sondern Thema von beiden. Der Bericht besteht zum Großteil aus einer Auflistung von Einzelaktivitäten. Im Übrigen wurden alle 19 Handlungsbereiche der Bundesregierung unverändert aus dem alten Aktionsplan übernommen. Auch diesmal bleibt der Bericht unscharf und asymmetrisch. Menschenrechtsverletzungen im Westen, wie zum Beispiel in Guantánamo, werden kaum thematisiert; stattdessen liegt der Fokus auf dem globalen Süden und dem Nahen Osten. Der Bericht lässt offen, was das Ziel deutscher Menschenrechtspolitik ist. Sie soll eine „Querschnittsaufgabe“ sein. Aber was heißt das? Was folgt daraus? Was will die Bundesregierung mit ihrer Menschenrechtspolitik bewirken? Und vor allem: Wo ist eigentlich die Selbstkritik? Haben wir wirklich alles perfekt gemacht? Die Bundesregierung muss die Stellen nachvollziehen und benennen, an denen ihre eigene Politik zu Menschenrechtsverletzungen beigetragen hat, damit das Thema Menschenrechte nicht nur eine leere Floskel bleibt. Meine Damen und Herren, 2014 war ein katastrophales Jahr für die Menschenrechte, 2015 ist noch schlimmer. Wir sehen jeden Tag, wie die Weltgemeinschaft bei der Durchsetzung der Menschenrechte kläglich versagt. Menschenrechtsverletzungen treffen die Schwächsten und Unschuldigsten. Ob in der Zentralafrikanischen Republik, im Irak, in Syrien, Palästina, Südsudan oder der Ukraine – Gewalt gegen Kinder, in all ihren Ausprägungen, erreichte im vergangenen Jahr ein unbegreifliches Ausmaß. Das Grauen der Gewalt macht uns fassungslos und viel zu häufig auch sprachlos. Aber es ist unsere Pflicht, darüber zu sprechen. Sprechen wir über Folter an Kindern. Gerade in Kriegsgebieten sind Kinder brutalster körperlicher und geistiger Folter ausgesetzt. Ich empfehle niemandem, Berichte über einzelne Fälle aus Syrien zu lesen, die Amnesty International vorgelegt hat. Aber wir müssen uns mit dem Thema beschäftigen. Auch in Deutschland ist die Umsetzung der Anti-Folter-Konvention noch nicht vollständig gewährleistet. Man sieht ja, wie überfordert viele sind, weil die Mittel für die Unterstützung traumatisierter Flüchtlingskinder fehlen. Sprechen wir über Kinder auf der Flucht. Etwa 30 Millionen minderjährige Menschen mussten ihre Heimat verlassen. Die Zahl der alleine Fliehenden hat sich 2014 fast verdoppelt. Wir sehen: Unsere Kommunen sind finanziell und auch personell damit überfordert, diese jungen Menschen so zu versorgen, wie sie es brauchen. Sprechen wir über Kinderarmut. Armut hat viele Gesichter. Nicht nur in Nordkorea hungern derzeit Kinder. Wir sehen, dass in Indien trotz konstitutioneller Aufhebung des Kastensystems nach wie vor die Praktiken der Unberührbarkeit existieren. Häufig werden Dalit-Kinder – das sind Kinder aus der untersten Kaste – in Schulen gezielt ausgegrenzt: Sie müssen Toiletten putzen, beim Unterricht auf dem Boden sitzen oder werden geschlagen, und das alles vor den Augen der anderen. So wird die Saat der Diskriminierung immer weiter fortgepflanzt. Sprechen wir über Kinderarbeit. Weltweit arbeiten etwa 168 Millionen Kinder – sehr häufig als Sklaven – auf Plantagen, auf Müllkippen, in Minen oder werden zur Prostitution gezwungen. Diese Arbeit hinterlässt lebenslange physische und psychische Spuren. Im Bericht steht: Die Bundesregierung engagiert sich fortan im weltweiten Kampf gegen Kinderarbeit. Das ist gut, das ist begrüßenswert. Ich kann aber nur appellieren, endlich verbindliche Regeln auf den Weg zu bringen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) etwa Regeln für die globale Lieferkette oder Standards für die Kennzeichnung von Produkten. Sprechen wir über Kindesmissbrauch. Es gibt Unmengen Fälle körperlicher, sexueller und seelischer Misshandlungen im In- und Ausland, und jeder einzelne Fall muss schonungslos aufgeklärt werden. In den letzten Monaten gab es einen Fall, der unsere Vorstellungskraft gesprengt hat: Das war der Kindesmissbrauch durch UN-Blauhelmsoldaten – die eigentlich für den Schutz der Kinder da sind – im Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik. Die Aufklärung verläuft nur schleppend. Es wurde sogar versucht, die Anschuldigungen zu vertuschen. Hier darf es auf keinen Fall Straflosigkeit geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sprechen wir über die Todesstrafe für Minderjährige. Gerade erst hat Pakistan einen Mann wegen Mordes hingerichtet, der zur Tatzeit 15 Jahre alt war. Amnesty International hat seit 1990  50 Hinrichtungen von Minderjährigen im Iran registriert. In Saudi-Arabien soll, wie es ISIS Tag für Tag macht, nun ein 21-Jähriger, der zur angeblichen Tatzeit 17 Jahre alt war, gekreuzigt werden. Nicht bei allen angesprochenen Grausamkeiten kann die deutsche Bundesregierung direkten Einfluss ausüben – das ist richtig –; aber sie muss beobachten, sie muss aufdecken, sie muss benennen, sie muss ansprechen, und sie muss aussprechen. Es ist notwendig, Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Wir müssen vor allem darüber nachdenken, wo wir eine Mitschuld tragen. Man kann nicht von einer menschenrechtsbasierten Außenpolitik sprechen und gleichzeitig Saudi-Arabien als unseren Partner bezeichnen und mit Waffen beliefern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sprechen wir über Kinder im Krieg. Es heißt immer: Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges. Das ist sicherlich nicht falsch, aber heutzutage sieht man: Die ersten Opfer von Kriegen sind die Kinder. Sie verlieren ihre Kindheit, ihr Leben, ihr soziales Umfeld. Die Zahl der Gewaltexzesse gegen Kinder ist unglaublich. Um nur ein einziges Beispiel zu nennen: 230 Millionen Kinder leben zurzeit in Kriegs- und Krisengebieten. Im Jemen werden aufgrund von Bombenanschlägen der Saudis und ihrer Alliierten Tag für Tag Kinder in Bombenbunkern geboren. Dennoch gibt es in Deutschland keinerlei Skrupel, mit diesem Krieg auch noch Geld zu machen. Sprechen wir über Kindersoldaten. Sprechen wir über die Firmen, die Handwaffen extra klein bauen, damit sie in Kinderhände passen. Sprechen wir darüber, was wir endlich dagegen tun können. Kinder sind keine Soldaten. Kinder brauchen Zukunftsperspektiven, sie brauchen Bildung. Unter der Leitung von Norwegen und Argentinien gibt es bei den Vereinten Nationen die Initiative „Safe Schools Declaration“. Es geht darum, dass Schulen und Hochschulen aus militärischen Kampfhandlungen herausgehalten werden. Mittlerweile sind 49 Staaten Unterstützer dieser Erklärung. Wir haben bereits vor der Sommerpause einen Antrag vorgelegt – nachher tun wir es wieder –, in dem wir die Bundesregierung bitten, diese Erklärung zu unterschreiben. Es ist uns vollkommen schleierhaft, warum das nicht passiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kann Sie nur anflehen: Wenn Sie unseren Antrag nicht unterstützen, dann finden Sie einen anderen Weg, damit die Bundesregierung diese Erklärung unterschreibt. Denn schließlich ist die Frage der Kinderrechte und der Menschenrechte keine Frage der richtigen Formulierung in einem Bericht, sondern stets konkret. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Astrid Lindgren hat es in ihrer wunderbaren Rede „Niemals Gewalt!“ anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche auf den Punkt gebracht  – ich zitiere  –: Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas von ihr übrig ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Gesellschaft sie leben wollen. In einer, wo die Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, wo die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben wollen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner in der Debatte hat Michael Brand von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Brand (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil die Lage außergewöhnlich ist, möchte ich heute keine gewöhnliche Rede halten. Ich hoffe, die hier Anwesenden vertragen sowohl grundlegenden Optimismus als auch scharfe Kritik, auch an uns selber. Selten hat eine Diskussion zum Thema Menschenrechte und humanitäre Hilfe vor einem solchen Hintergrund von Dynamik und Dramatik in unserem Land stattgefunden. All denjenigen, die sich Sorgen machen, ob wir in Deutschland mit dieser Lage zurechtkommen, sei gesagt: Ja, wir werden das schaffen, weil wir das können, und auch, weil wir das wollen. (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Von meinen Reisen vor Ort – ob in den Flüchtlingscamps in Jordanien, im Libanon, in Ostafrika, in Dadaab oder anderswo – habe ich erschütternde Eindrücke mitgebracht, und das seit vielen Jahren, wie viele andere Kollegen auch. Aber von dieser Stelle aus möchte ich denjenigen mit den vielen Sorgen und auch manchen Kommentatoren, die ernste Probleme viel zu rasch zur absoluten Katastrophe erklären, zurufen: Ja, wir haben das ein oder andere auch sehr ernste Problem. Und ja, viele Menschen hier bei uns machen sich angesichts der Größe dieser Dimension auch Sorgen. Aber wahr ist auch: Diese Sorgen möchten die Menschen in Syrien, im Irak oder in den Flüchtlingslagern einmal haben! Wir leben – ich sage das bewusst – in dem Teil der Welt, den man auch das christliche Abendland nennt. Und man ist nicht weltfremd, wenn man dazu feststellt: Gerade in Situationen mit Problemen gilt der christliche Kompass. Gerade dann kommt es auf die helfende Hand an. Zu manchen überzogenen Beiträgen muss allerdings auch klargestellt werden in Richtung Bürger wie auch in Richtung Medien und natürlich auch in Richtung sozialer Medien: Ein dreijähriger Junge, der im Mittelmeer ertrinkt, stellte keine islamistische Gefahr dar. Ein junger Mann, der mit 14 von den Eltern weggeschickt wird, weil es für ihn kaum eine Chance auf Überleben oder auf ein menschenwürdiges Leben gibt, der will nicht die Islamisierung Europas, der will schlicht ein Leben in Menschenwürde. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist uns doch allen völlig klar – und es ist wichtig, das auch anzusprechen –: Nicht alle, die kommen, haben Anspruch auf Asyl, und nicht alle werden bleiben können. Es gibt auch die berechtigten Ansprüche von Eltern auf Unterricht ihrer Kinder, auf Turnhallen, auf Schwimmbäder und auf vieles, was Kommunen für ihre Bürger bereitstellen. Aber jeder, der sich ernsthaft fragt, wird doch zur selben Antwort kommen: Wer aus solch verzweifelter Lage zu uns kommt, wer an Leib und Leben bedroht ist, hat zunächst einmal Anspruch auf eine menschlich ordentliche Behandlung, (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) unabhängig von Herkunft, Religion und Hautfarbe – um es klar und zweifelsfrei zu formulieren –, so wie dies in den Grundsätzen unserer Verfassung niedergelegt ist. Dabei zeigt die Erfahrung der letzten großen Flüchtlingsbewegung nach Deutschland: Die allerwenigsten von denen, die kommen, bleiben. Hunderttausende sind in den 90er-Jahren auf den Balkan zurückgegangen. Es bleibt eine schwierige – auch das will ich sagen –, aber dennoch richtige Entscheidung, dass im aktuellen Asylkompromiss drei sichere Länder ohne politische Verfolgung auch von uns als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Es ist nichts anderes, als den Status quo so zu beschreiben. Und es wäre zudem für diese Länder und ihre Gesellschaften ein unverantwortliches Stigma, wenn Deutschland sich weigerte, diesen Ländern zu attestieren, dass es dort eben keine politische Verfolgung mehr gibt. Wenn heute wieder Zehntausende vom Balkan hierherkommen, dann liegt das auch an einem: Deutschland und auch die Europäische Union haben die Menschen dort in den 90er-Jahren – jedenfalls zum Teil – vor Genozid und Gewalt gerettet, und wir haben sie dann offenen Auges und wider besseres Wissen mit dem Abkommen von Dayton im Stich gelassen – mit organisierter Kriminalität, mit Korruption, die nicht entstanden ist, bevor die internationale Gemeinschaft kam, sondern unter den Augen der internationalen Gemeinschaft, mit der größten Mission, die die UN und die EU je auf den Weg gebracht haben, und das in einem der kleinsten Länder mit so wenigen tatsächlichen Ergebnissen. Dass dann Leute sagen: „Wir haben hier keine Zukunftsperspektive, weil die internationale Gemeinschaft mit den Falschen auch gemeinsame Sache macht“, muss uns Anlass geben, eine Analyse über eigene Fehler vorzunehmen. (Beifall der Abg. Gabriela Heinrich [SPD]) Hier bei uns in Deutschland gilt: Wir sind ein Rechtsstaat. Der Rechtsstaat muss sein Recht anwenden, wenn er sich selbst ernst nehmen will. Das gilt sowohl für die Anwendung des Asylrechts als auch für die anderen Rechtsnormen. Wer Straftaten begeht als eingesessener Bürger oder als Neuankömmling, muss es selbstverständlich mit dem deutschen Recht zu tun bekommen. Das Recht gilt für alles und für alle – für Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte, bei Gewaltanwendung, für Vergewaltigungen in Flüchtlingsunterkünften und auch für Volksverhetzung. Wir alle wissen: Wenn wir die Ursache nicht bekämpfen, werden wir das Thema „Migration und Flüchtlinge“ nicht in den Griff bekommen. Wir wissen auch: Wenn wir die Bekämpfung der Ursachen in dem Maße intensivieren würden, wie es schon länger erforderlich ist, würden wir dazu beitragen, dass Hunderttausende Flüchtlinge sich eben nicht auf den Weg machen und dass wir die Folgen dessen nicht hier mit Milliarden abfedern müssten. Entwicklungsminister Gerd Müller hat ja recht, wenn er sagt: Wir können mit dem gleichen Geld im Libanon, in Jordanien, in der Türkei oder in Griechenland das 10- bis 20-Fache von dem ausrichten, was wir hier erreichen können. Wir diskutieren heute über den Bericht zur Lage der Menschenrechte. Wenn wir über das Regime Assad reden, dann reden wir über einen der größten Menschenrechtsverbrecher auf diesem Globus. Dass wir neuerdings einen Kompromiss mit Assad suchen wollen und dass wir das gemeinsam mit dem lupenreinen Menschenrechtsverletzer Putin tun, ist eine teilweise Bankrotterklärung unserer Menschenrechtspolitik. Es bleibt ein teuflisches Unterfangen: Wir paktieren mit dem einen Teufel, um den anderen Teufel in Schach zu halten. Ich hoffe und bete, dass wir nicht alle miteinander am Ende ein faustisches Erwachen erleben. Die aktuelle Entwicklung, der Alleingang Russlands, zeigt das ja sehr deutlich. Die Logik dieses taktischen Paktes mit dem Bösen ist, die noch Böseren hoffentlich stoppen zu können. Wir werden am Ende nicht nur hier in Deutschland, sondern auch andernorts mehr Bereitschaft zum Handeln zeigen müssen, wenn wir noch mehr Opfer und den Vormarsch des sogenannten Islamischen Staates bis nach Europa verhindern wollen. Menschen und ihre fundamentalen Rechte schützt man nicht allein mit Resolutionen, auch nicht mit einem taktischen Pakt mit dem Bösen. Und Deutschland und Europa schützt man nicht vor ungebremster Zuwanderung, indem man Grenzen verdichtet, eine harte Rhetorik auflegt und die Probleme konsequent ignoriert. (Beifall des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU]) Diese Flüchtlingsfrage ist eine der größten Fragen der europäischen und deutschen Politik der nächsten Jahre. Das Problem ist an unserer Grenze gelandet und hat sie bereits überschritten. Zur Wahrheit gehört, dass das ein Dauerthema bleiben wird. Wenn wir nicht begreifen, dass dies nicht allein mit Geld zu regeln ist, dass das nicht allein durch Ressortabstimmungen zu regeln ist, dass das nicht allein durch Kompromisse zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu regeln ist, dann werden wir auf Jahre hinaus teils hohe Preise bezahlen, und das sowohl politisch wie auch finanziell, im Dialog der Religionen und der Regionen Europas, im Nahen Osten, in Afrika und darüber hinaus. Deutschland und Europa werden so lange ein Magnet sein, wie die Lage in den Herkunftsländern nicht besser wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hätte viele einzelne Themen ansprechen können, von der Menschenrechtslage in China und Tibet über die Religionsfreiheit bis hin zu zahlreichen anderen wichtigen Themenfeldern dieses Berichtes. Ich hätte auf die Gespräche mit Bundesaußenminister Steinmeier im Ausschuss hinweisen können, auf den langen und intensiven Austausch mit Entwicklungsminister Gerd Müller in der letzten Sitzungswoche oder die Runden mit der Bundeskanzlerin, natürlich auch auf die Gespräche mit unserem Kollegen Christoph Strässer, dem ich an dieser Stelle in besonderer Weise danken möchte, für seinen Einsatz und für seine Überzeugung bei diesem Thema. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entscheidung der Bundeskanzlerin zur Beendigung des Dramas am Budapester Bahnhof war richtig. Sie war eine starke Geste, die im Übrigen mitnichten eine Flüchtlingswelle ausgelöst hat: Die war doch längst unterwegs! (Inge Höger [DIE LINKE]: Genau!) Und selbst wenn die Bundeskanzlerin nicht so reagiert hätte, würde das Thema uns heute beschäftigen. Ich glaube, im Gegenteil, mit der Geste wurde etwas getan, was andere hoffentlich zur Einsicht bringt und zum Mitanpacken einlädt, und zwar in ganz Europa, aber auch in den arabischen Ländern und in Afrika; daran arbeiten wir ja gerade intensiv. Und es ist gut, dass auf europäischer Ebene in der vergangenen Woche endlich die ersten Trippelschritte in die richtige Richtung beschlossen wurden. Auch unser Gesetzespaket, über das wir heute Morgen hier im Parlament beraten haben, ist gut. In diesen Zeiten über Symptome zu reden, ist falsch. Wichtiger sind die einzelnen Themen. Wir brauchen auch als Deutscher Bundestag jenseits des Krisenmechanismus eine neue Sicht auf diese sich dynamisch verändernde Welt. Wer jetzt behauptet, er habe schon alle Antworten, der hat entweder null Ahnung oder null Respekt vor der Wahrheit. Ich gestehe, dass ich viele Fragen habe zu diesen sich abzeichnenden, großen Veränderungen, in Deutschland und um uns herum. Und auf viele Fragen keine Antwort. Eines aber weiß ich: Wir werden uns anders um Antworten bemühen müssen, als wir dies bisher tun. Vielleicht fangen wir hier im Deutschen Bundestag damit an. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Angelika Glöckner von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Angelika Glöckner (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen, die den Flammen in einer Textilfabrik in Bangladesch zum Opfer fallen, steigende Selbstmordraten in einem weltweit führenden Elektronikkonzern, Schreckensherrschaft des IS und weltweite Krisen sind – es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen – Beispiele dafür, dass die Achtung von Menschenrechten kein Selbstläufer ist. Frau Höger, ich kann nicht verstehen, warum Sie diesen Bericht nicht für gut befinden. Ich will Ihnen sagen, warum: Mit dem Elften Bericht zur Menschenrechtspolitik stellt die Bundesregierung ihre eigene Menschenrechtspolitik vor und bietet damit meines Erachtens einen hervorragenden Ausgangspunkt für eine Debatte über den Stellenwert der Menschenrechte in ihrem eigenen politischen Handeln. Der Bericht ermöglicht aber auch eine breite öffentliche, gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung und Umsetzung menschenrechtlicher Grundsätze. Es ist generell wichtig, dass neben Experten und Wissenschaftlern auch breite Bevölkerungsschichten darüber diskutieren können und diskutieren und sie dadurch die nötige Sensibilisierung erhalten, ganz besonders vor dem Hintergrund der aktuellen weltweiten Krisen und der Flüchtlingssituation. Dieses Thema hat doch zunehmende Bedeutung. (Beifall des Abg. Frank Schwabe [SPD]) An dieser Stelle ist es mir wichtig, die vielen Ehrenamtlichen zu erwähnen, die sich in den letzten Monaten und Jahren – so kann man es sagen – mit immer größerem Engagement eingesetzt haben. Darauf wurde bereits hingewiesen. Es ist mir aber auch ein wichtiges Anliegen, darauf hinzuweisen, dass auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, in den Verwaltungen und ganz besonders die Kolleginnen und Kollegen in der Bundespolizei, ihre Kraft mit großem Durchhaltevermögen daransetzen, das große Unterfangen des derzeitigen Flüchtlingszustroms Tag für Tag zu bewältigen. Ich wünsche allen weiterhin viel Kraft und Durchhaltevermögen, nicht zuletzt den Flüchtlingen, den Menschen, die in besonderer Weise betroffen sind. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, täglich erreichen uns Bilder aus Kriegs- und Krisengebieten. Die Flüchtlingsströme treffen uns unmittelbar. Gerade in diesen Zeiten wird einmal mehr deutlich, dass die Sicherung und Achtung der Grund- und Menschenrechte den elementaren Grundstein bilden für ein friedvolles Zusammenleben, für Glück, Sicherheit und Wohlstand. Folgerichtig stellt die Bundesregierung in diesem Bericht ihre Menschenrechtspolitik sowohl nach innen als auch nach außen dar. Sie verdeutlicht dabei auch, dass die Menschenrechte zahlreichen wechselseitigen Abhängigkeiten unterliegen und daher Grundlage eines kohärenten, ressortübergreifenden Regierungshandelns sein müssen. Vorrangig ist es staatliche Aufgabe, auf den Schutz und die Achtung der Menschenrechte hinzuwirken. Dennoch, so meine ich, hat auch die Wirtschaft einen entscheidenden Beitrag zur Verwirklichung der Menschenrechte zu leisten. Im Rahmen zunehmender globaler Aktivitäten wachsen auch die Anforderungen gerade an international agierende Unternehmen, sich für die Achtung der Menschenrechte weltweit einzusetzen. (Beifall bei der SPD) Primär muss natürlich jedes Land selbst den gesetzlichen Handlungsrahmen für seine Unternehmen stecken und trägt so die Hauptverantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte sowie für seine wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Immer mehr setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass transnational agierende Unternehmen ebenfalls Verantwortung übernehmen müssen. Insbesondere mit Blick auf die Arbeitsbedingungen und nachhaltige Produktionsweisen können Unternehmen erheblichen Einfluss auf die Verwirklichung der Menschenrechte nehmen bzw. auf deren Umsetzung hinwirken. Hierbei darf man aber nicht nur auf die Selbstverpflichtung der Unternehmen hoffen, sondern muss durch staatliches Handeln in Form gezielter Normensetzung verbindlich darauf Einfluss nehmen. (Beifall bei der SPD) Richtige Ansätze dazu sind die nationale Umsetzung der europäischen CSR-Richtlinie oder auch die Menschenrechtsklauseln in den gegenwärtig viel diskutierten Handelsabkommen. Hierbei bedarf es aber Sanktionsmechanismen, die die konsequente Durchsetzung von Menschenrechten sicherstellen. Sie müssen mehr wert sein als das Papier, auf dem sie stehen. (Beifall bei der SPD) Schlussendlich müssen die Verbraucher in die Lage versetzt werden, Liefer- und Produktionsketten umfassend nachzuvollziehen. Das kann nicht nur in der Verantwortung der Unternehmen oder der Verbraucher liegen, sondern es liegt nach meiner Überzeugung in der Verantwortung staatlichen Handelns, durch verbindliche Regeln Transparenz zu schaffen. Hier gilt es für die Bundesrepublik Deutschland, Verantwortung zu übernehmen, mit gutem Beispiel voranzugehen und positiv auf unsere Partner in der internationalen Staatengemeinschaft einzuwirken. Es muss klar sein, dass der Schutz von Menschenrechten weltweit ein unverzichtbarer, unverhandelbarer Bestandteil unserer auswärtigen Beziehungen ist. Ich möchte an dieser Stelle dem Kollegen Christoph Strässer sehr für sein Engagement danken, das wirklich wertvolle Früchte trägt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung bewusst ist, zeigt die Tatsache, dass dem Elften Menschenrechtsbericht auch ein nationaler Aktionsplan angeschlossen ist, welcher die menschenrechtspolitischen Ziele der Bundesregierung für die nächste Berichtsperiode zusammenfasst. Zu begrüßen ist hier die klare Herausstellung und Benennung von menschenrechtspolitischen Zielen sowohl im Inland als auch im Ausland und dass die Bundesregierung auch schreibt, wie diese Ziele multilateral und bilateral umgesetzt werden sollen. Hier muss aber Ziel sein, dass die doch recht allgemein gehaltenen Formulierungen des Berichts in konkretes Handeln umgesetzt werden. An dieser Stelle bietet sich bezüglich der menschenrechtlichen Situation insbesondere bei Betrachtung der Länderberichte einiges an Verbesserungspotenzial, aber auch im Hinblick auf die menschenrechtliche Situation in der EU, an den EU-Außengrenzen und innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gerade anhand der derzeitigen Flüchtlingssituation – es wurde mehrfach angesprochen – in Deutschland und Europa wird deutlich, was passiert, wenn Menschen nicht sicher sind vor Tod, Folter, Vertreibung oder religiös und politisch motivierter Verfolgung, wenn sie keinen Zugang zu elementaren Lebensgrundlagen wie Nahrung, Bildung, Kultur und wirtschaftlicher oder politischer Teilhabe besitzen. Die Wander- und Fluchtbewegungen – sie wurden mehrfach angesprochen –, die Hunderttausende über die Westbalkan- und Zentralroute sowie über das Mittelmeer zu uns führen, sind eben nicht nur der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien geschuldet, nein, sie sind auch ein tiefer Ausdruck dessen, dass Menschenrechte wie Meinungs- und Religionsfreiheit nicht gelten sowie die Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens in vielen der Herkunftsländer nicht annähernd sichergestellt sind. Für viele dieser Menschen ist der lebensgefährliche Versuch, nach Europa zu gelangen, die einzige Option für ein Leben in Sicherheit und in Freiheit. Spätestens hier werden sich viele ihrer unmittelbaren Verantwortung bewusst, gerade weil schlussendlich wir Bürgerinnen und Bürger sowie die Kommunen und die Bundesländer vor ganz enorme Herausforderungen gestellt sind. Deutschland ist nicht losgelöst von den Lebensumständen der Menschen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft und der Welt zu sehen. Das muss und wird auch weiterhin deutlich gemacht. Ich möchte nur ermuntern, dass dieser Prozess so fortgeführt wird. Wir brauchen eine kohärente Menschenrechtspolitik, die sich der Verbesserung der Lebensumstände der Menschen weltweit verschreibt. Das ist von vitaler Bedeutung für unser Land. Der vorgelegte Menschenrechtsbericht muss ein wichtiger Ausgangspunkt in der Diskussion sein, um den Menschen in unserem Land die Bedeutung menschenrechtsgeleiteter Außenpolitik zu verdeutlichen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Angelika Glöckner (SPD): Ich komme zum Schluss. – Die weltweite Umsetzung von Menschenrechten ist ein Prozess, der nicht durch das Umlegen eines Schalters abgeschlossen wird. Aber wir müssen diesen Prozess vorantreiben. Denn wenn wir abwarten, sind die Menschenrechtsprobleme von heute die Flüchtlingsströme von morgen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als letzter Redner in der Debatte hat Dr. Bernd Fabritius von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Blick auf die Menschenrechtssituation weltweit und vieles von dem, was wir heute schon gehört haben, gibt Anlass zu großer Sorge. Hunger, Vertreibungen, Kriege sowie despotische Machthaber berauben ganze Völker ihrer Grundrechte und ihrer Würde. In den vergangenen Jahren mussten wir darüber hinaus beklemmende Rückschritte sogar in Weltregionen beobachten, die eigentlich auf einem guten Weg zu sein schienen. Vor allem im Vergleich dazu ist das Schutzniveau der Menschenrechte bei uns in Deutschland erfreulich hoch. Dafür sollten und können wir ausgesprochen dankbar sein. Herr Kollege Schwabe, wir dürfen das auch anerkennen. Dennoch gilt es, sich auf dem Erreichten nicht auszuruhen, sondern weiter Verbesserungen vorzunehmen. Genau das ist unser Ziel. Lassen Sie mich ein paar Beispiele dafür nennen. Bereits vor einigen Jahren wurde eine neue Strafvorschrift eingeführt, um die Opfer von Zwangsheirat – meist sind es junge Frauen oder gar Kinder – besser vor einer gegen ihren Willen erzwungenen Eheschließung zu schützen. Auch gegen die weibliche Genitalverstümmelung haben wir einen eigenen Straftatbestand geschaffen, der wegen der Schwere dieser Rechtsverletzung einen erhöhten Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Haft vorsieht. Natürlich ist das eigentliche Problem nicht in Deutschland verortet, sondern primär in afrikanischen Ländern zu finden. Die Bundesregierung setzt daher auf einen breiten Strauß von Maßnahmen, um dieser schweren Menschenrechtsverletzung beizukommen. Ich bin ihr sehr dankbar dafür, dass sie weibliche Genitalverstümmelung in ihrem Bericht als Brennpunktthema ausweist und damit die hohe Priorität dieses Themas unterstreicht. Im Juni dieses Jahres haben wir das Deutsche Institut für Menschenrechte auf eine stabile gesetzliche Grundlage gestellt. Der Unterausschuss für Akkreditierung des ICC hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2008 unter anderem gerügt, dass unser Institut die von den Pariser Prinzipien geforderte pluralistische Vertretung relevanter gesellschaftlicher Kräfte in seinen Gremien nicht gewährleistet. Unser neues Gesetz trägt dem nun Rechnung und stellt sicher, dass sich die gesamte Bandbreite der Gesellschaft in den Gremien des Instituts widerspiegeln kann. Ich muss schon sagen: Ich war verwundert, dass gerade dieser Punkt in Teilen der Opposition lange Zeit umstritten gewesen ist. Ein weiterer wichtiger Punkt in Bezug auf das Institut ist seine neue Multiperspektivität. Die grundsätzliche Intention der Vereinten Nationen ist, dass die nationalen Menschenrechtsinstitute ihren Blick vor allem nach innen richten; und das ist auch richtig so. Allerdings haben wir gerade festgestellt – die Reden heute im Plenum haben das belegt –, dass es um die Situation der Menschenrechte in vielen Ländern weltweit deutlich schlechter bestellt ist als bei uns. In einer zunehmend globalisierten Welt hat die Menschenrechtslage Auswirkungen weit über regionale Grenzen hinweg, oft bis zu uns nach Deutschland. Wo kämen wir denn da hin, wenn unser Institut Scheuklappen aufsetzen und auch für uns relevante Aspekte außerhalb Deutschlands einfach ausblenden würde? Der Blick in andere Länder darf schon alleine deshalb nicht fehlen, um eine möglichst effektive, nach außen gerichtete Menschenrechts- und Entwicklungspolitik gewährleisten zu können. Im Übrigen ist der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, den wir heute debattieren, genau dafür ein gutes Beispiel. Auch er legt den Fokus auf die Situation der Menschenrechte bei uns im eigenen Land. Gleichzeitig spart er die Probleme in anderen Teilen der Welt nicht aus, spricht von Menschenrechten in der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik und weltweit und gewährt so einen weiten Blick deutlich über den eigenen Tellerrand hinaus. Das aktuell drängendste Thema ist eine humanitäre Katastrophe gigantischen Ausmaßes. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren nicht mehr so viele Menschen auf der Flucht wie heute; vom Kleinreden werden es auch nicht weniger. (Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD]) Hier, meine Damen und Herren, leistet Deutschland Vorbildliches. Wenn da dauernd Kritik von der Opposition kommt, darf ich den Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, António Guterres, zitieren, der Deutschland für seine – so wörtlich – „führende Rolle beim Flüchtlingsschutz“ explizit gelobt hat. Ein Schritt in die richtige Richtung ist das Asylpaket, das aktuell auf den Weg gebracht wird und das wir heute Vormittag hier im Plenum bereits ausgiebig debattiert haben. Nicht alles daran ist neu. Die Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten beispielsweise hätten wir gerne bereits vor einem Jahr umgesetzt. Es wird höchste Zeit, dass auch die Grünen hier zur Vernunft kommen und ihre Blockade im Bundesrat dazu aufgeben. Neben europäischer Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen sind vor allem entschlossene außenpolitische Ansätze gefordert, die eine spürbare Verbesserung der Situation nicht nur in den Herkunftsländern, sondern auch in den angrenzenden Schutzgebieten bringen und damit das Problem der Sekundärmigration, für das unser Asylrecht schon laut Definition nun überhaupt nicht gedacht ist, endlich an der Wurzel angehen. Meine Damen und Herren, 1 000 Kalorien pro Tag oder 14 Dollar pro Monat und Flüchtling in diesen Gebieten sind absolut unzureichend, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) ein Problem, das aber von der Staatengemeinschaft menschenrechtskonform dort vor Ort und nicht durch Sekundärmigration nach Deutschland zu lösen ist. Ein weiterer Punkt, der mir am Herzen liegt, ist die vielerorts schwierige Lage von Menschenrechtsverteidigern. Sie sind in ihren Ländern oftmals die Letzten, die sich noch aktiv für die Rechte ihrer gepeinigten Landsleute einsetzen. Häufig werden sie dafür selbst bedroht, verfolgt, entführt oder gar ermordet. Ihre Arbeit ist von unschätzbarem Wert und verdient unsere Hochachtung und unsere Unterstützung. Der Fall des Ukrainers Oleg Sentsov ist ein erschreckendes Beispiel für die Willkür, die Menschenrechtsaktivisten und -verteidigern oftmals wiederfährt. Der Filmregisseur hatte seine Popularität genutzt und sich öffentlich gegen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland ausgesprochen. Dafür wurde er von russischen Behörden zuerst entführt, dann angeklagt. Man dichtete ihm kurzerhand angebliche terroristische Aktivitäten an. Kurz nach seiner Festnahme durch den FSB wurde Sentsov unwiderlegten Angaben zufolge sogar gefoltert. Im August – vor wenigen Wochen – wurde er dann in einem Schauprozess zu sage und schreibe 20 Jahren Haft verurteilt. Die in diesem eindeutig politisch motivierten Verfahren gegen ihn verwendeten Zeugenaussagen sind vermutlich ebenfalls durch Folter zustande gekommen. Meine Damen und Herren, das ist eine vollständige Preisgabe des Rechtsstaates zugunsten staatlicher Willkür mitten in Europa. Es ist ein Frontalangriff auf elementare Menschenrechte, den wir nicht akzeptieren können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nicht nur der russische Staat entledigt sich auf diese Weise unbequemer Oppositioneller und Regimegegner. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass der Schutz von Menschenrechtsverteidigern seit langem zentraler Bestandteil unserer Menschenrechtspolitik ist. Eine Schwerpunktsetzung in diesem Bereich ist daher dringend notwendig und zu unterstützen. Lassen Sie uns daher auf dem Weg weitermachen, der durch den Menschenrechtsbericht der Bundesregierung skizziert wird. Herr Kollege Nouripour, er ist sicher nicht nur eine leere Floskel, wie Sie gesagt haben. Lassen Sie uns den Aktionsplan der Bundesregierung Punkt für Punkt beherzt umsetzen. Das ist der richtige Weg. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/6183 zu dem Elften Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 18/3494 eine Entschließung anzunehmen, die Teil der Drucksache ist. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Ich komme zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6193. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die Koalition. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 g sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 23   a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsänderungsgesetzes (7. BesÄndG) Drucksache 18/6156 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften Drucksache 18/6157 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern Drucksache 18/6158 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016) Drucksache 18/6159 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen Drucksache 18/6160 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung sicherstellen Drucksache 18/6191 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss g) Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung (TA) Technischer Fortschritt im Gesundheitswesen: Quelle für Kostensteigerungen oder Chance für Kostensenkungen? Drucksache 18/4283 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 3 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes Drucksache 18/6186 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss Digitale Agenda Dabei handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 k auf. Hierbei handelt es sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 24 a: –  Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 17. März 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5575 –  Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderation St. Kitts und Nevis über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch Drucksache 18/5576 –  Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. August 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/5578 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/6219 Ich komme zunächst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Protokoll zur Änderung des Abkommens mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6219, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5575 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf angenommen worden. Da es bei einigen gerade eine Irritation gegeben hat: Es gibt hier nur eine zweite Lesung, da dies ein Vertragsgesetz ist. Deshalb sind wir unmittelbar zu der entscheidenden Abstimmung gekommen. Ich komme zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Föderation St. Kitts und Nevis über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6219, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5576 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte wiederum diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Das ist die Opposition. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Ich komme zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6219, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5578 anzunehmen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte wiederum diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Die Opposition. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Ich komme zu Tagesordnungspunkt 24 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Richtlinien zum Schutz von Schulen und Hochschulen vor militärischer Nutzung in einem bewaffneten Konflikt umsetzen Drucksachen 18/4939, 18/5174 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5174, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4939 abzulehnen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6209 vor. Über diesen Änderungsantrag stimmen wir zuerst ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden. Wer stimmt jetzt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Enthaltungen? – Keine. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Ich komme zu Tagesordnungspunkt 24 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Dritte Verordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/5902, 18/5976 Nr. 2.2, 18/6101 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6101, der Verordnung auf Drucksache 18/5902 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das ist die Fraktion Die Linke. Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 24 d bis 24 k. Tagesordnungspunkt 24 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 224 zu Petitionen Drucksache 18/5961 (neu) Wer stimmt dafür? – Die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke. Damit ist die Sammelübersicht 224 mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 24 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 226 zu Petitionen Drucksache 18/6076 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Alle. Stimmt jemand dagegen? – Nein. Enthaltungen? – Das ist auch nicht der Fall. Dann ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 24 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 227 zu Petitionen Drucksache 18/6077 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Ebenfalls alle. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Enthält sich jemand? – Das ist auch nicht der Fall. Dann ist die Sammelübersicht 227 ebenfalls einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 24 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 228 zu Petitionen Drucksache 18/6078 Wer stimmt dafür? – Die Koalition. Stimmt jemand dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen. Dann ist die Sammelübersicht 228 mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Tagesordnungspunkt 24 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 229 zu Petitionen Drucksache 18/6079 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Die Koalition und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke. Damit ist diese Sammelübersicht 229 mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 24 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 230 zu Petitionen Drucksache 18/6080 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Alle. Stimmt jemand dagegen? – Nein. Enthält sich jemand? – Das ist auch nicht der Fall. Damit ist diese Sammelübersicht einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 24 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 231 zu Petitionen Drucksache 18/6081 Wer stimmt dafür? – Die Koalition und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen gibt es keine. Damit ist diese Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 24 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 232 zu Petitionen Drucksache 18/6082 Wer stimmt dafür? – Die Koalition. Gibt es jemanden, der dagegen stimmt? – Die Opposition. Gibt es jemanden, der sich enthält? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Sammelübersicht 232 mit den Stimmen der Koalition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: –  Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer Drucksachen 18/6013, 18/6189 –  Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6213 Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlungen werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin Gabi Weber von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gabi Weber (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Mittelmeer ist ein Grab geworden. Das Bild des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan hat viele Menschen aufgerüttelt. Aber warum erst jetzt? Lampedusa ist doch schon längst eine bittere Mahnung. Die UNO verzeichnete für 2014 rund 3 500 im Mittelmeer ertrunkene Menschen; dieses Jahr sollen es bereits 2 000 sein. Die Menschen begeben sich in die Hände von kriminellen Schleppern, die sie auf seeuntüchtigen Booten auf den Weg nach Europa schicken. Es sind die Schrecken des syrischen Bürgerkrieges, der Terror des selbsternannten IS-Kalifats, zerfallende Staaten und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die sie verzweifeln lassen und zum Aufbruch bewegen. Die Not der Menschen ist so groß, dass sie die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer antreten. Wenn wir heute dem Bundeswehreinsatz im Rahmen der Operation EUNAVFOR MED zustimmen, dann genehmigen wir eine Operation, die das Geschäft der Schleuser massiv behindern soll, diese in Italien vor Gericht stellen lässt und aufgefundene Flüchtlinge sicher nach Italien geleitet. Ja, diese Operation setzt bei den Symptomen an, aber auch das ist neben der Ursachenbekämpfung notwendig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle – und hier spreche ich sicher für alle in diesem Hause – den beteiligten Soldatinnen und Soldaten Dank und Anerkennung aussprechen. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Rettung von Menschenleben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für die Rettung Schiffbrüchiger oder in Seenot geratener Flüchtlinge gab es die effektive italienische Operation Mare Nostrum. Solch eine Mission muss durch die EU neu aufgelegt werden; der kleinere Einsatz Triton reicht nicht. (Christoph Strässer [SPD]: Richtig!) Gegen die Schleuser selbst vorzugehen, war bisher allerdings zu wenig im Fokus. Das ändern wir mit dem jetzt vorgesehenen Mandat. Flankierend müssen wir aber auch gegenüber Italien europäische Solidarität leisten. Dieses Land schultert einen Großteil der Flüchtlingswelle über das Mittelmeer. Unsere Partner Italien und Griechenland können das nicht alleine leisten. Es braucht mehr Union an dieser Stelle, und zwar Europäische Union. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In diesen Tagen wird von der Entwicklungspolitik verlangt, sie möge schnelle Lösungen der Flüchtlingsfrage präsentieren. Ich sage es ganz deutlich: Diese Erwartung kann sie nicht erfüllen. Fluchtursachen lassen sich nicht von heute auf morgen bekämpfen. Dazu braucht es einen langen Atem und einen großen Werkzeugkasten. Zu diesem Werkzeugkasten gehört zweifelsohne ein umfassendes Zuwanderungsgesetz, das Flüchtlingen legale Möglichkeiten für einen Neustart in Deutschland bietet. Liebe Kollegen von der Union, reichen Sie uns dazu die Hand. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir beschließen heute einen weiteren Einsatz im Mittelmeer und leisten bereits humanitäre Hilfe. Aber was ist weiter zu tun? Erstens muss eine langfristige Entwicklungspolitik betrieben werden. Soeben wurden von der UNO in New York 17 Entwicklungsziele verabschiedet, die alle Staaten binden, auch uns. Sie verpflichten uns, unsere Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik so zu ändern, dass sie Menschen in anderen Ländern nicht die Lebensgrundlage rauben. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die EU-Wirtschaftsabkommen müssen wir daraufhin kritisch überprüfen. Unsere Entwicklungspolitik muss so ausgerichtet sein, dass sie Armut wirklich und nachweisbar bekämpft, Einkommen und Arbeit für die lokale Bevölkerung schafft und insgesamt die lokale Teilhabe aller ermöglicht. Wir brauchen zweitens die Schaffung von Sicherheit in fragilen oder zerfallenden Staaten. Vor diesem Hintergrund müssen wir internationale Polizeimissionen viel stärker in den Blick nehmen. Diese haben die richtigen Werkzeuge, um organisierter Kriminalität oder Korruption etwas entgegenzusetzen. Dann ist es nicht hilfreich, dass im Haushalt genau dieser Mittelansatz gekürzt wird. Wir brauchen drittens Steuergerechtigkeit. Entwicklungsländer haben oft eine erschreckend niedrige Steuerquote. Korruption, gesetzliche Lücken und Steueroasen erlauben es den dortigen Eliten, sich ihrer Mitverantwortung für ein gesundes Staatswesen zu entziehen, übrigens genauso wie bei uns an der einen oder anderen Stelle. Entwicklungspolitik muss hier einen Schwerpunkt setzen. Staaten, die über stabile Einnahmequellen verfügen, besitzen mehr Möglichkeiten, ihrer Bevölkerung eine Zukunft im eigenen Land zu bieten. Wer denkt, ich würde mit dieser Auflistung von Themen abweichen, irrt. Wer glaubt, mit einfachen Lösungen dieser Krise Herr werden zu können, befindet sich auf dem Holzweg. Man muss das eine tun – Bekämpfung der Schleuser, humanitäre Soforthilfe und legale Einwanderungswege – und darf das andere – Staatsaufbau, Schaffung von Lebensperspektiven vor Ort und Gewährleistung individueller Sicherheit – nicht lassen. Lassen Sie uns für beides arbeiten. (Beifall bei der SPD) Aber die Durchsetzung dieses Anforderungskatalogs wird Geld kosten. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die deutsche ODA-Quote zügig und in klar messbaren Zwischenschritten in Richtung 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts steigen muss. Ich möchte gerade jetzt an Bundesfinanzminister Schäuble appellieren, nicht vom Ziel einer zeitnahen Einführung der Finanztransaktionsteuer Abstand zu nehmen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Davon, dass die Einführung verschoben werden sollte, war zu meiner Verwunderung unlängst zu lesen. Aber schließlich war diese Steuer die Gegenleistung für die Zustimmung meiner Fraktion zum Fiskalpakt. Wir brauchen die Finanztransaktionsteuer zügig, nicht irgendwann. Ich schließe damit und bitte Sie um Zustimmung zu dem vorliegenden Mandat. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Alexander Neu von der Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde, es ist vielsagend, wenn nur halbherzig über die Fluchtursachen gesprochen wird. Das eine Mal hört man, das „Schleusertum“ sei eine Fluchtursache. Das andere Mal hört man, die unzureichende Finanzierung der Flüchtlingslager sei ein Grund. Zu der Vielzahl der Gründe, die genannt werden, gehört auch die fragile Staatlichkeit. Aber die Gründe für die Fragilität der Staatlichkeit einiger Staaten werden nicht genannt. Es ist kein Zufall, dass die meisten Flüchtlinge, die derzeit nach Europa kommen, aus Syrien, Libyen, Afghanistan, dem Kosovo oder dem Irak kommen. Das hat etwas mit der westlichen Kriegsführung in diesen Ländern zu tun, die dazu dient, die eigenen Interessen durchzusetzen. Das schafft Fragilität. (Beifall bei der LINKEN) Wir hören auch von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen. Ich würde eher sagen: Es sind Armutsflüchtlinge. Die Ursache für deren Flucht liegt darin begründet, dass es Handelsabkommen gibt, die Handelsliberalisierungen vorsehen, die die Wirtschaft in deren Heimat – sei es die Landwirtschaft, sei es die Industrie – vollends kaputtmachen. Jüngst wurden EPA verabschiedet, sogenannte neue Handelsabkommen mit Afrika, die erneut einen Armutsschub auf dem afrikanischen Kontinent hervorrufen werden und weitere Flüchtlinge produzieren werden. Deutschland ist Exportvizeweltmeister. Damit exportiert Deutschland aber auch Armut. Die wirklichen Fluchtursachen zu benennen, sehr geehrte Damen und Herren, trauen Sie sich nicht; denn das würde bedeuten, dass wir die Außenpolitik, die Sicherheitspolitik und die Außenwirtschaftspolitik gründlich überdenken müssten. (Beifall bei der LINKEN) Die zur Beratung anstehende Mission EUNAVFORMED ist keine Ursachenbekämpfung, noch nicht einmal in Ansätzen. EUNAVFOR MED ist lediglich und ausschließlich Symptombekämpfung. Man hat den Eindruck, sehr geehrte Damen und Herren, dass es unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten günstiger ist, eine Symptombekämpfung vorzunehmen, als das westliche Wirtschaftssystem, den Neoliberalismus, zu einem solidarischen Wirtschaftssystem auf globaler Ebene umzubauen. (Beifall bei der LINKEN) Kommen wir ganz konkret zu EUNAVFOR MED. Laut dem Schreiben des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums vom 14. September an den Bundestag sind die Ziele: erstens Seenotrettung, zweitens Bekämpfung der Schleusernetzwerke. In dem uns nun vorliegenden Antrag der Bundesregierung steht nur noch Schleuserbekämpfung. (Gabi Weber [SPD]: Quatsch!) Die Seenotrettung wird gewissermaßen abgetan mit dem Hinweis: Das ist eine völkerrechtliche Verpflichtung; das muss man nicht als Ziel formulieren. – Ich frage: Warum denn nicht? Warum keine Aufwertung der Seenotrettung als Ziel in dem Antrag? Damit würden zumindest durch die Bundesregierung und dann durch den Bundestag das Rückgrat und die Position der Soldatinnen und Soldaten auf den deutschen Schiffen gestärkt. Aber genau das machen Sie nicht. Die Aussagen über Seenotrettung, die in den letzten Wochen in den Vordergrund geschoben wurden, erscheinen vor diesem Hintergrund eher als Propagandatrick. (Beifall bei der LINKEN – Gabi Weber [SPD]: So ein Quatsch!) Die Flüchtlingsrettung ist weder prioritäres Ziel noch überhaupt ein Ziel von EUNAVFOR MED. Dies belegen noch zwei weitere Punkte: Der Kollege Nouripour hat in der letzten Woche darauf hingewiesen, dass in dem Moment, als das nationale Kommando auf das EU-Kommando übergegangen ist, die Zahl der geretteten Flüchtlinge von 6 000 auf 2 500 gesunken ist. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es gab nicht weniger Flüchtlinge; es gab nur weniger Gerettete. Die Frage ist: Wo sind die Übrigen geblieben? Sind sie ertrunken? Der zweite Aspekt. Im Begründungsteil des Antrags der Bundesregierung wird auch nicht auf die Seenotrettung verwiesen, sondern es heißt – ich zitiere –: … Umleitung von Schleuserschiffen im südlichen und zentralen Mittelmeer, seewärts der Küstenmeere der betroffenen Küstenstaaten … Eine sehr verquaste Formulierung! Auch ich habe überlegt: Was könnte das heißen? Für mich heißt das letztendlich: Es geht darum, die Schiffe aufs offene Meer Richtung Süden abzudrängen, Richtung afrikanischer Kontinent. Sollte diese Interpretation zutreffen, dann wäre das nicht nur ein Skandal, sondern ein Verbrechen an den Menschen, die man auf diese Weise abschiebt. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich fasse zusammen: Erstens. EUNAVFOR MED ist Symptombekämpfung und kein Beitrag zur Ursachenbekämpfung. Die Flüchtlinge werden auf anderen Wegen nach Europa kommen, wenn die Ursachen nicht bekämpft werden. Zweitens. EUNAVFOR MED bedient sich einer humanitären Rhetorik, um öffentliche Zustimmung zu gewinnen. Das tatsächliche Ziel ist es, Flüchtlinge davon abzuhalten, nach Europa zu kommen; darin eingeschlossen ist auch die Umleitung der Schiffe zurück in Richtung Afrika. Drittens. Die Mission EUNAVFOR MED soll in „Sophia“ umbenannt werden. Sophia ist ein Mädchen, das am 24. August auf einer deutschen Fregatte im Mittelmeer geboren wurde. Angesichts dessen, was der wirkliche Zweck dieser Mission ist, finde ich es wirklich pietätlos, diese Mission in „Sophia“ umzubenennen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte keine Zweifel aufkommen lassen: Ich kritisiere nicht die Soldatinnen und Soldaten auf den deutschen Schiffen. Im Gegenteil: Ich bin überzeugt: Sie wollen helfen, und sie helfen. (Niels Annen [SPD]: Hört! Hört!) Aber ich habe ein Problem mit dem Zynismus der Politik der Bundesregierung und der Europäischen Union im Umgang mit Flüchtlingen. Daher lehnen wir den Antrag der Bundesregierung ab. Zu dem Entschließungsantrag der Grünen enthalten wir uns. Er zielt darauf ab, dass die Bundeswehr nicht als Teil von EUNAVFOR MED agiert, sondern nationale Flüchtlingsrettung betreibt. Das ist temporär in Ordnung, aber dabei wird vergessen, dass wir zivile Seenotrettungskapazitäten aufbauen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist das, was wir fordern, um auf diese Weise die Bundeswehr aus dem Mittelmeer abzuziehen. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im Parlament heute früh wie auch vorhin während der Menschenrechtsdebatte beeindruckend erlebt, wie sich unser Parlament die Frage der Flüchtlinge im Inland zu Herzen nimmt. In der jetzigen Debatte geht es darum, wie wir als Europäische Union mit der Flüchtlingslage an den europäischen Grenzen umgehen. 22 Mitgliedstaaten der Europäischen Union engagieren sich in der Mission EUNAVFOR MED, diese stellen neun Schiffe und zwölf Luftfahrzeuge zur Verfügung. Das ist ein Zeichen europäischer Solidarität, aber es ist eben auch nur ein Teil der notwendigen Strategie, die wir brauchen. Herr Dr. Neu, ich weise eindeutig zurück, was Sie hier angesprochen haben. Wenn Sie den Operationsplan genau lesen, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Habe ich gelesen!) dann werden Sie feststellen, dass eine Abweisung der Schiffe nicht vorgesehen ist. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr!) Es kann aber sein, dass Sie den nötigen Annex nicht lesen durften, weil Sie die notwendige Sicherheitsüberprüfung nicht haben. Aber das möchte ich nicht unterstellen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte das trotzdem sehr ernsthaft aufgreifen. Im Jahr 2003 hat die Europäische Union in ihrer Sicherheitsstrategie gefordert, dass wir in den nächsten Jahren – also ausgehend von 2003 – alles daransetzen müssen, dass in der südlichen Nachbarschaft der Europäischen Union ein Ring gut regierter Staaten entsteht, die stabil sind und mit denen wir vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist uns nicht gelungen. Wir müssen deshalb unsere außen- und entwicklungspolitischen Strategien deutlich besser aufeinander abstimmen. Ein Ansatz ist die Mission EUNAVFOR MED, bei der es in der ersten Phase um die Aufklärung der Schleppernetzwerke ging, und bei der es jetzt darum geht, die Schlepperboote und das Netzwerk der Beobachter der Schlepper auf dem Mittelmeer auszuheben. Das kann aber nur ein allererster Schritt sein. Wir müssen deshalb alles daransetzen, zusammen mit dem Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen León und auch mit seinem Nachfolger als EU-Sonderbeauftragter zu erreichen, dass in Libyen eine Einheitsregierung entsteht. Die Bundesrepublik Deutschland, aber auch Marokko haben wesentliche Verdienste daran, dass die beiden Parteien in Tripolis und in Bengasi bereits miteinander sprechen, und wir hoffen, dass das Ziel bis zum Jahresende erreicht ist. Das, was wir mit dem Festsetzen der Schlepperboote machen, ist ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen natürlich auch in den libyschen Hoheitsgewässern agieren können, und wir sollten das, was die Europäische Union im Jahr 2013 begonnen hat, fortsetzen, nämlich eine Grenzsicherungsmission nach dem Vorbild der Mission EUBAM, also eine zivil organisierte Grenzsicherungsunterstützungsmission, etablieren, die die Grenzen Libyens unterstützt. Warum ist das nötig? In Libyen sind etwa 1 Million Menschen in Flüchtlingslagern. Es hilft uns wenig, wenn wir immer nur die Flüchtlinge aufnehmen, die den harten Weg über das Mittelmeer wagen. Wir müssen neben der Fluchtursachenbekämpfung – ich komme nachher darauf zurück – im nördlichen Afrika Einrichtungen schaffen, in denen die Flüchtlinge sichere Aufenthaltsorte bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das bekommen wir eben nur hin, wenn wir das Mandat der libyschen Regierung erhalten, auch an Land aktiv zu werden. Ich denke, dass dies im Rahmen einer GASP-/GSVP-Polizeimission durchaus leistbar ist. Ich möchte dafür werben, dass wir alles daransetzen, auch unserer Öffentlichkeit zu erklären, dass wir die Ursachenbekämpfung angehen, aber auch die ärgste Not lindern müssen, indem wir die Flüchtlinge aus den Schlepperbooten befreien und auf den Boden der Europäischen Union bringen. Das steht auch eindeutig so im Operationsplan. Ein letzter Punkt, der mir am Herzen liegt, ist unser Umgang mit Afrika. Wir werden im November wieder einen gemeinsamen Gipfel der Europäischen Union mit der Afrikanischen Union auf Malta haben. Kernpunkt dieses Treffens werden folgende Fragen sein: Wie schaffen wir in der Subsahara gute, sichere Zonen? Wie bekämpfen wir dort Flüchtlingsursachen? Und – das sollte das Thema der Europäischen Union sein –: Wie befähigen wir die Afrikanische Union, auf ihrem Kontinent Verantwortung wahrzunehmen, gute Regierungsführung durchzusetzen und – mindestens genauso wichtig – für die Flüchtlinge gute Lebensbedingungen in den jeweiligen Flüchtlingseinrichtungen zu schaffen? Denn dort – das zu sagen, gehört zur Ehrlichkeit dazu – werden wir uns wesentlich deutlicher engagieren müssen. Es geht auch um die Unterbindung von Terrornetzwerken, denen in Libyen Tür und Tor geöffnet wurde. Es geht auch darum, dass wir die Ausbreitung von Waffen und von Proliferation, aber auch von ausgebildeten Terroristen eindämmen. Das bedeutet eben, dass wir neben entwicklungspolitischer Zusammenarbeit und außenpolitischen Strategien auch eine gewisse polizeiliche und militärische Begleitung brauchen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir nehmen aber auch sehr ernst, was die Nachbarstaaten sagen. Wir hatten gestern eine Delegation der tunesischen Regierungspartei Nida Tunis zu Besuch bei uns. Von deren Seite wurde die Sorge geäußert, dass sich der Einsatz von EUNAVFOR MED möglicherweise, auch unbeabsichtigt, gegen Fischerboote richten kann. Wir müssen also auch die Betroffenheit der Nachbarländer ernst nehmen. Wir wissen, dass in dem Operationsplan, der letztlich vom Einsatzhauptquartier auf dem italienischen Flaggschiff sowie vom Operationshauptquartier in Rom aus umgesetzt wird, sehr sensibel auf diese Bedingungen eingegangen wird und die teilnehmenden Soldaten auch in diese Richtung sensibilisiert werden. Lassen Sie mich abschließend sagen: Diese Mission ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist aber ein notwendiger Schritt, um das Schleppernetzwerk lahmzulegen. Viel wichtiger ist, dass wir eine gemeinsame Afrikastrategie entwickeln und auch als Parlament ein deutliches Zeichen der Unterstützung an die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten und an die Entwicklungshelfer im nördlichen Afrika senden. Wir wollen einen ganzheitlichen Einsatz. Alle müssen zusammenarbeiten. Wir als CDU/CSU-Fraktion unterstützen diese Mission deshalb. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Bevor Agnieszka Brugger vom Bündnis 90/Die Grünen als nächste Rednerin das Wort hat, habe ich eine Kurzintervention zugesagt. Herr Dr. Neu hat die Möglichkeit zu einer Kurzintervention. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Frau Dağdelen war es! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Warum das denn? Warum denn Frau Dağdelen?) – Okay, Frau Dağdelen. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe mich hier gemeldet, weil ich mich auch angesprochen fühle (Lachen bei Abgeordneten der SPD) von den Ausführungen in der Rede des Kollegen Kiesewetter zu den Möglichkeiten für Abgeordnete, überhaupt Einsicht und Einblick in den Operationsplan zu nehmen. (Niels Annen [SPD]: Das ist ein Unterschied: Einsicht und Einblick!) Es ist natürlich ein schlechter Witz, zu sagen, dass der Abgeordnetenkollege Herr Neu nicht die notwendige Sicherheitsüberprüfung bestanden hätte, um den Annex dieses Operationsplans zu lesen. Ich möchte hier zwei Punkte erwähnen, und ich glaube, ich spreche hier für viele Abgeordnete, die überhaupt keinen Einblick in diesen Operationsplan haben: (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Erstens. Nur die Abgeordneten, die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses sind, haben seit Freitag, faktisch aber erst seit diesem Montag, Zugang zu dem Operationsplan, über den hier heute der gesamte Bundestag entscheiden soll. (Zuruf von der LINKEN: Skandal!) Ich finde diesen Umgang unparlamentarisch. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde, die Bundesregierung tritt die parlamentarischen Rechte des Bundestages hier mit Füßen. Warum? Weil dieser Operationsplan für die Mitglieder des Deutschen Bundestages seit Montag für nur maximal eine halbe Stunde in der Geheimschutzstelle zum Lesen zur Verfügung gestellt wird. Dieser Operationsplan umfasst aber 677 Seiten in englischer Sprache, Frau Präsidentin. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, so etwas! In Englisch!) – Nicht jeder Abgeordnete, Herr Trittin, kann fließend Englisch sprechen und auch lesen. Das sollte man hier schon ernst nehmen. – Ich finde, dieser Umgang ist nicht akzeptabel, weil so die Mehrheit der Abgeordneten dieses Hauses keinen blassen Schimmer hat, über was er oder sie hier gleich abstimmt und was Grundlage für diesen Bundeswehreinsatz ist. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Tatsache ist auch, dass die Bundesregierung einen offenen Rechtsbruch begangen hat, weil sie den Beschluss des EURates zur Phase 2 dieser Militärmission dem Bundestag – auch laut Referat PE 3 des Deutschen Bundestages – nicht ordnungsgemäß zur Verfügung gestellt und zugeleitet hat. Ich finde, wer sich in diesem Hohen Haus als Abgeordneter ernst nimmt, kann diesem Mandat nicht zustimmen, weil er überhaupt keine Ahnung hat, was in diesem Operationsplan steht. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Dann darf man aber auch nicht mit Nein stimmen!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Herr Kiesewetter, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Dağdelen, nur einige kurze Anmerkungen. Erstens. Die Globalisierung darf auch vor der Fraktion Die Linke keinen Halt machen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Oh mein Gott!) Ein bisschen polyglott zu sein, hilft. Zweitens. Unparlamentarisch ist eher Ihr Antrag. Sie zeigen keinerlei Alternativen auf, wie Sie mit den Flüchtlingen und der Flüchtlingsnot umgehen wollen. (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Zur Sache!) Sie sagen immer nur, was nicht geht. Sie hören jetzt nicht einmal zu. Letzter Punkt. Wir hatten Gelegenheit, in den Operationsplan zu schauen. Operationspläne sind, wie Sie wissen, immer gleich aufgebaut. Sie finden immer an den gleichen Stellen die notwendigen Punkte. Ich empfehle Ihnen, sich künftig etwas mehr Zeit zu nehmen und eine Übersetzung zu Hilfe zu nehmen. (Zuruf von der LINKEN: Unverschämtheit!) Ich finde es bedauerlich, dass Ihr Antrag – und das ist ziemlich unparlamentarisch – keinerlei Alternativen aufzeigt im Gegensatz zu dem Antrag der Grünen oder dem Antrag der Bundesregierung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt Blauhelm-Brugger!) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Jetzt hat die Rednerin Agnieszka Brugger das Wort. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich würde meine Rede gerne mit einem Zitat beginnen: „Die Zerstörung von Booten ist nicht angemessen. Das ist kein guter Ansatz“. – Diese Aussage stammt nicht aus der letzten Bundestagsdebatte von uns Grünen oder den Linken. Wissen Sie, wer so die Pläne der Europäischen Union zur militärischen Bekämpfung von Schleppern kritisiert hat? Es war der Generalsekretär der Vereinten Nationen, es war Ban Ki-moon. Und er hat recht mit seiner Kritik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Mandat, das uns die Bundesregierung heute vorlegt, ist nicht nur gefährlich, sondern auch eine völlig falsche und zynische Antwort auf die Dramen im Mittelmeer. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Um es ganz klar vorab zu sagen – und kommen Sie ja nicht auf die Idee, uns etwas anderes zu unterstellen –: Wir sind den Soldatinnen und Soldaten der Deutschen Marine zutiefst dankbar für jeden der über 7 000 Menschen, die in den vergangenen Monaten im Mittelmeer gerettet wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ebenso muss man hier aber auch den wertvollen Dienst der zivilen Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder des Projektes Sea-Watch erwähnen, die dort eingesprungen sind, wo die europäischen Mitgliedstaaten versagt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, die Zahlen zur Seenotrettung muss man sich aber wirklich genau anschauen; denn dort gibt es einen Bruch. Als die Schiffe zunächst unter nationalem Kommando unterwegs waren, haben sie in kürzerer Zeit mehr als doppelt so viele Menschen gerettet als in einem längeren Zeitraum nach der Unterstellung unter die europäische Mission. Das ist auch einfach zu erklären: Hier wurden sie nämlich vor allem zu Aufklärungszwecken eingesetzt. Gleichzeitig gibt es unter den europäischen Mitgliedstaaten in Bezug auf die Mission die Diskussion, dass man Flüchtlinge abschrecken müsse und dass man nicht durch zu viel Rettung unerwünschte Pull-Effekte, also falsche Anreize – ich finde ohnehin, das ist ein schreckliches Wort in der Flüchtlingsdebatte –, erzeugen solle. Wenn der Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in ihren öffentlichen Statements für die Mission vor allem mit der Seenotrettung werben, kann ich nur entgegnen: Sie verschleiern die Realität und die Wahrheit; denn das ist nicht Priorität dieser Mission. Man muss auch sagen, Frau von der Leyen, Herr Steinmeier: Hören Sie mit dieser Augenwischerei auf, und sorgen Sie stattdessen dafür, dass die Seenotrettung wieder die alleroberste Priorität bekommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, dieser Militäreinsatz birgt aber auch Risiken für die Flüchtlinge und die Soldatinnen und Soldaten. Heute geht es um die zweite Phase dieser Mission, grob gesagt darum, dass man auch gegen Widerstand in internationalen Gewässern an Bord von Schiffen gehen kann, um Schlepper festzunehmen. Natürlich gibt es das Risiko der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen militärischen Kräften und Schleppern. Und das gefährdet die Flüchtlinge. Noch riskanter und gefährlicher ist aber die Phase 3, die die Bundesregierung als nächsten Schritt plant und mit Hochdruck vorantreibt. Sie wollen am libyschen Festland und in libyschen Küstengewässern gezielt gegen die Infrastruktur der Schlepper vorgehen. Das wollen sie in einem Land machen, in dem die Lage völlig unübersichtlich ist; klar ist da nur, dass die Schlepper keine Kleinkriminellen sind, sondern mit dschihadistischen Gruppen verbunden sind und gut ausgerüstete Netzwerke der organisierten Kriminalität darstellen. Wir können die Bundesregierung an dieser Stelle nur auffordern, dieses Spiel mit dem Feuer zu stoppen und die Phase 3 nicht in Kraft treten zu lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, mit diesem Mandat wird heute die Ermächtigung erteilt, dass die Mission Flüchtlingsboote – Herr Kollege Kiesewetter, hier müssen Sie gar nicht in den geheimen Operationsplan schauen, sondern in das Mandat der Bundesregierung – „seewärts der Küstenmeere der betroffenen Küstenstaaten“ umleiten kann und soll. Das heißt im Klartext: zurück an die afrikanische Küste. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Genau! Das ist der Punkt!) Wir haben den Operationsplan gelesen. Ich muss sagen: Entweder haben Sie ihn nicht gelesen, Herr Kollege Kiesewetter, oder Sie behaupten hier mit Absicht die Unwahrheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Im Operationsplan findet sich keine Antwort darauf – und die Bundesregierung hat auch keine –, mit welchen Mitteln und unter welchen Umständen diese Umleitung funktionieren kann, ohne dabei zentrale menschenrechtliche Standards zu verletzen; denn es ist verboten, Flüchtlinge auf hoher See zurückzudrängen. Meine Damen und Herren, dieses Abdrängen von Flüchtlingsbooten lehnen wir Grüne ganz klar ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Neben all diesen hochproblematischen Aspekten haben wir eine ganz fundamentale Kritik an Ihren Plänen zur militärischen Flüchtlingsabwehr; so muss man dieses Mandat ja bezeichnen. Ich möchte vorab betonen: Natürlich sind die Schlepper grausame Menschen, die ein schlimmes Geschäft mit dem Leid der Flüchtlinge betreiben. Dagegen müssen wir etwas tun. Aber statt eine Mission auf den Weg zu bringen, die einerseits riskant ist, aber andererseits ihre Ziele nicht erreichen wird, gibt es einen sicheren und effektiveren Weg, den Schleppern die Geschäftsgrundlage zu entziehen, nämlich endlich legale und sichere Einwanderungswege nach Europa zu schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Doch da tut die Bundesregierung nichts. Ich finde, auch das spricht Bände. Es ist doch eine Schande, dass die europäischen Mitgliedstaaten so viel Geld, so viel Personal und so viele technische Kapazitäten für einen solch falschen Einsatz auf den Weg bringen, aber dem Sterben im Mittelmeer viel zu lange tatenlos zugeschaut haben und die Seenotrettungsmission Mare Nostrum eingestellt werden musste, weil man nicht genug Geld dafür zur Verfügung gestellt hatte. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir Grüne werden dieses Mandat, das am Ende vor allem eine Grenze um Europa im Mittelmeer hochzieht, ablehnen. Wir Grüne wollen den Schutz der Flüchtlinge. Wir wollen legale und sichere Einwanderungswege und vor allem endlich eine engagierte und effektive Seenotrettung. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Julia Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Obermeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was macht den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiv? Unternehmer antworten mir darauf: Man kann sich in Deutschland darauf verlassen, dass von der Müllabfuhr bis zum Rechtsstaat alles funktioniert. Recht und Ordnung, meine Damen und Herren, sind der Rahmen, aus dem unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und unser Wohlstand entspringen. Entsprechend haben wir überall dort in Europa Probleme, wo Recht und Ordnung untergraben werden, zum Beispiel in Griechenland durch massenhafte Korruption und Steuerhinterziehung. Unsere größte Herausforderung in Europa sind aber nicht die Schulden, sondern der ungebremste Zustrom von Migranten und Flüchtlingen. Am Münchener Hauptbahnhof haben wir gesehen, wie ob der schieren Masse an Menschen Recht und Ordnung außer Kraft gesetzt wurden. (Zuruf des Abg. Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]) Wenn jeden Tag 10 000 in Bayern ankommen, dann ist das auf Dauer nicht mehr zu schaffen. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist AfD-Slang!) Hunderttausende Menschen, Migranten und Asylbewerber, tingeln quer durch Europa, (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so! Die „tingeln“ einfach herum!) ohne dass eine Registrierung oder gar eine Sicherheitsüberprüfung stattgefunden hat. Allein in Deutschland sind das 290 000 Personen. Meine Damen und Herren, das ist ein Sicherheitsrisiko, das wir nicht länger hinnehmen können. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Sie reden wie die NPD!) Neben der Wiedereinführung der Grenzkontrollen und dem umfassenden innenpolitischen Maßnahmenpaket, das wir heute Morgen hier beraten haben, gilt es nun, europäische Lösungen für dieses europäische Problem zu finden. Wie so oft sind wir uns in Europa nicht in allen Punkten einig. Das haben wir diese Woche bei der Sitzung des Europarates in Straßburg wieder deutlich gesehen. Worin wir uns in der Europäischen Union aber sehr einig sind, ist, dass wir in einer gemeinsamen Militärmission im Mittelmeer für Recht und Ordnung sorgen wollen. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Recht und Ordnung!) Heute entscheiden kriminelle Schleuser, wer zu uns nach Europa kommt. Das wollen, das müssen wir ändern. Seit Januar 2015 sind eine halbe Million Migranten und Flüchtlinge mithilfe von Schleuserbanden über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Pro Platz auf einem Boot verlangen die Schleuser 600 bis 5 000 Euro. Auf diesem Weg haben sie in den letzten 15 Jahren 16 Milliarden Euro eingenommen. Und sie betreiben ihr Geschäft ohne Rücksicht auf Verluste. Jene, die auf der Suche nach Frieden, Recht und Wohlstand den Weg nach Europa antreten, werden wie Vieh in teils seeuntaugliche Boote geprügelt. Familien werden dabei auseinandergerissen, und so manches Kind, das auf der Überfahrt zu laut weinte, wurde von den Schleusern einfach über Bord geworfen. Diese Schleuser sind also keine heldenhaften Fluchthelfer, sondern skrupellose Kriminelle. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dieses Jahr bezahlten bereits 3 000 Menschen ihre Reise nach Europa mit dem Tod. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die anderen „tingeln“ herum!) Deshalb ist seit Mai 2015 die Bundeswehr im Mittelmeer an der Seenotrettung beteiligt und hat dabei über 8 000 Menschen geholfen. Mein Dank gilt an dieser Stelle allen Einsatzkräften an Bord der Fregatte „Schleswig-Holstein“ und des Tenders „Werra“ sowie zuvor der Fregatte „Hessen“ und des Versorgers „Berlin“. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) 22 Mitgliedstaaten beteiligen sich an EUNAVFOR MED. Italien ist hier als Rahmennation tätig, Deutschland ist zweitgrößter Truppensteller. Bis zu 950 deutsche Soldatinnen und Soldaten werden dort im Einsatz sein. Sie werden nun aber nicht mehr nur Seenotrettung betreiben, sondern wir gehen in dieser Phase der Mission den nächsten Schritt: Wir werden den kriminellen Schleusern das Handwerk legen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dazu wollen wir die Netzwerke der Schleuser aufdecken, auch auf hoher See Boote beschlagnahmen, bevor sie zum Menschenhandel und Menschenschmuggel eingesetzt werden, und wir wollen die ertappten Schleuser auch strafrechtlich belangen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Mandat: Für Recht und Ordnung auf dem Mittelmeer. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt noch zwei Redner in dieser Debatte. Ich bin sicher, es wird Ihnen gelingen, Ihre Gespräche für die Redezeit dieser zwei Redner zu unterbrechen. Dann, wenn wir abstimmen, können Sie so laut miteinander reden, wie Sie wollen, und danach geht es dann bitte wieder leise weiter. Jetzt hat Herr Lars Klingbeil von der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Lars Klingbeil (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Debatten des heutigen Tages anschaut, dann sieht man, wie schwer wir uns an vielen Stellen tun, mit den Herausforderungen der Flüchtlingskrise umzugehen. Das ist zweifelsohne eine schwere Situation. Wenn die Kanzlerin sagt: „Wir schaffen das“, dann haben wir als Parlament gemeinsam die Verantwortung, den Menschen zu erklären, wie wir das schaffen und welche Maßnahmen wir unternehmen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Politik muss Antworten geben, und wir sehen allein an dieser Debatte, dass es nicht immer einfach ist, Antworten zu geben. Ich glaube auch, dass viele Antworten viel komplexer sind, als manche Debattenredner es hier darstellen. Ich will am Beginn meiner Rede auch den vielen Menschen danken, die sich in Deutschland hauptamtlich und ehrenamtlich um Flüchtlinge kümmern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich habe es selbst in meinem Wahlkreis erleben können, als innerhalb weniger Stunden eine Notunterkunft für 1 400 Flüchtlinge aufgebaut werden musste. Dort waren es DRK, DLRG, Johanniter, Feuerwehren, viele Ehrenamtliche, aber auch die Bundeswehr, die gemeinsam dafür gesorgt haben, dass Flüchtlinge in Niedersachsen ein Zuhause bekommen haben. Der Dank gilt ganz explizit der Bundeswehr, die jetzt schon im Mittelmeer auf der Fregatte „Schleswig-Holstein“ und dem Tender „Werra“ unterwegs ist und bei der Seenotrettung schon über 8 000 Menschenleben gerettet hat. Ich denke, den Soldatinnen und Soldaten gebührt ein großer Dank aus diesem Haus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, dass in der heutigen Debatte Widersprüche aufgemacht werden, die keine sind. Es geht nicht um die Frage, ob wir Seenotrettung oder Bekämpfung der Schlepperbanden wollen. (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau darum geht es!) Wir wollen beides. Ich sage auch ganz klar: Das Mandat beinhaltet beides. Es geht nicht darum, die Seenotrettung einzugrenzen, zu beschränken oder abzuschaffen. Nein, die Seenotrettung gehört zu diesem Mandat, und sie wird weiter stattfinden. Dafür sind unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz im Mittelmeer, und sie werden sich weiter darum kümmern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es wird hier behauptet, es soll zukünftig darum gehen, dass die Boote der Schlepper versenkt werden. Ich sage: Das steht nicht in dem Mandat, über das wir heute abstimmen. Es geht darum, dass die Netzwerke identifiziert werden sollen. Es geht darum, dass Schlepper identifiziert werden sollen, dass sie erkennungsdienstlich behandelt werden sollen, dass die Routen erkannt werden und dass Boote beschlagnahmt werden können. Aber es geht nicht darum, sie zu zerstören. Sie sollten schon deutlich sagen, worum es bei diesem Mandat geht. Es geht darum, ein Geschäftsmodell zu zerstören, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Weil es vorhin vom Kollegen Neu von der Linken angesprochen wurde: Niemand hat behauptet, dass mit diesem Mandat die Fluchtursachen bekämpft werden sollen. Darum geht es gar nicht. Wenn man sich anschaut, was wir als Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung sonst noch unternehmen, dann finde ich es töricht, wenn man behauptet, wir würden uns nicht um die Bekämpfung der Fluchtursachen kümmern. Ich will Ihnen das deutlich sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schauen Sie sich allein an, was Außenminister Steinmeier im Rahmen der G 7 erreicht hat: Die Mittel für das Welternährungsprogramm und den UNHCR werden um 1,6 Milliarden Euro erhöht. Das ist Fluchtursachenbekämpfung. Darum kümmert sich unser Außenminister. Ich finde, wir alle können ihm an dieser Stelle für das, was er erreicht hat, wirklich dankbar sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen uns darum kümmern, dass legale Wege nach Deutschland ermöglicht werden. Ich sage hier ganz klar: Meine Fraktion, die SPD, setzt sich dafür ein, dass wir in Deutschland ein Einwanderungsgesetz bekommen, das den Menschen zeigt, wie sie nach Deutschland kommen können. Ich würde mir wünschen, dass sich auch andere Fraktionen hier im Parlament bewegen, damit wir schnell ein solches wichtiges Einwanderungsgesetz bekommen. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich am Ende Folgendes sagen: Wenn ich hier in der Debatte vonseiten der Linkspartei höre, wie neoliberale Interessen unterstellt werden, wie skizziert wird, dass man anscheinend mit Freude militärisch vorgeht, dann kann ich nur sagen: Herr Kollege Dr. Neu, Sie zeichnen ein Bild von Deutschland, das nicht der Realität entspricht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ach so?) Gucken Sie sich doch einmal an, was die internationale Presse schreibt. Ich war vor wenigen Tagen in den USA und habe mich dort mit Vertretern der größten muslimischen Gemeinde unterhalten. Ich kann Ihnen sagen: Es ist Dankbarkeit zu spüren, dass wir den Menschen den Weg nach Deutschland ermöglichen, dass wir den Menschen Schutz geben in Deutschland. Wenn Sie das nicht weiter ignorieren würden, würde Ihr Deutschlandbild zurechtgerückt werden. Sie zeichnen hier im Parlament ein falsches Bild von Deutschland. Das hat nichts mit der Realität zu tun. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich fasse zusammen: Wir werden dem Mandat zustimmen. Ein Allheilmittel sehen wir darin nicht. Es wird viele andere Aufgaben geben, die wir als Parlament bewältigen müssen. Das Mandat, über das wir heute abstimmen, ist ein wichtiges Mosaiksteinchen bei der Bekämpfung der Flüchtlingskrise. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Vietz für CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Michael Vietz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Entgegen dem hier manchmal gezeichneten Bild: Es ist weder den Koalitionsfraktionen noch der Bundesregierung egal, ob ein Massensterben im Mittelmeer stattfindet. Ebenso ist es uns nicht egal, ob ein Risiko für Leib und Leben von Flüchtlingen besteht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das war einer der Auslöser für die Mission EUNAVFOR MED als gemeinsame Operation der Europäischen Union. Hier beobachten unsere Einsatzkräfte Tag für Tag, wie skrupellose Schlepper ihrem Geschäft nachgehen und aus der Not ihrer Opfer Profit schlagen. Ich danke an dieser Stelle allen beteiligten Kräften der EUNAVFOR MED – seien es deutsche, seien es europäische – für ihren Einsatz. Seit Beginn der Mission konnten wir bis vergangene Woche über 8 000 gerettete Seelen zählen. Am letzten Wochenende hat allein unser Tender „Werra“ weitere 140 Menschen aus Seenot gerettet. Nüchterne Zahlen sind das eine. Hinter jeder Zahl steht ein Schicksal. Ich erinnere – allerdings aus anderem Anlass als Kollege Neu – hier ganz besonders an den Stabsarzt und an den Heizer unserer Fregatte „Schleswig-Holstein“. Sie waren am 24. August im Einsatz und halfen der kleinen Sophia an Bord eines Kriegsschiffes, das Licht der Welt zu erblicken. Sophia steht in diesem Kontext für Hoffnung und Leben, und auch dafür steht EUNAVFOR MED. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oh Gott! – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist zynisch!) Ich begrüße daher ganz im Gegensatz zum Kollegen Neu den Vorschlag von Federica Mogherini, die Mission in „Sophia“ umzutaufen. Denn darum geht es auch: Wir retten Leben. Phase 1 von EUNAVFOR MED beschränkte sich zunächst auf die humanitäre Seenotrettung und die Aufklärung von Schleppernetzwerken im Mittelmeer. Der Übergang zu Phase 2 i) bedeutet nun, nach der Informationsgewinnung gezielt gegen die Schlepper vorzugehen. Schlepperboote können auf hoher See aufgebracht und beschlagnahmt werden. Sie können mitnichten nach Afrika, sondern werden nach Italien gebracht werden, wo aufgeklärt werden kann. Selbstverständlich ist das im Wesentlichen die Bekämpfung von Symptomen des seit Jahren fließenden Flüchtlingsstroms; es auch hat nie jemand etwas anderes behauptet. Aber auch diese Aufgabe muss erledigt werden. Danach können wir weitere Schritte planen und einen Übergang zu den weiteren Phasen in Betracht ziehen. Nur, darum geht es heute, hier und jetzt nicht. Ich hoffe ausdrücklich, dass die positiven Signale aus Libyen, dass eine Einheitsregierung gebildet werden könnte, sich bestätigen. Für die Stabilität des Landes und die Zukunft seiner Bürger ist dies wichtig. Es liegt auch im Interesse der Flüchtlinge und von uns allen, damit diese lebensgefährlichen Schlepperfahrten ihre Ausgangsbasis verlieren. Die Flüchtlingskrise stellt uns vor innen-, europa- und außenpolitische Herausforderungen. Zum einen geht es um die Bewältigung ihrer Auswirkungen hier bei uns, zum anderen um die Bekämpfung der Fluchtursachen. Daneben geht es aber auch – das sollten wir nicht vergessen – um die Situation in den Transitländern, und damit geht es darum, wie wir den Schleppern ihre menschenverachtende Arbeit unmöglich machen. Über die innenpolitischen Notwendigkeiten haben wir heute Vormittag debattiert. Über die außenpolitischen Notwendigkeiten, wie zum Beispiel unsere Unterstützung für UNHCR und das Welternährungsprogramm, sprechen wir in den Haushaltsberatungen. Die Erhöhung der Flüchtlingshilfe durch die G 7 und die Golfstaaten ist hier schon ein positives Signal. Wir müssen den Menschen vor Ort Hoffnung und Perspektiven bieten, damit sie sich nicht auf diesen lebensgefährlichen Weg machen. Es geht dabei um eine vernetzte Gesamtstrategie, die sowohl die Herkunfts- und Nachbarländer als auch die Schlepperorganisationen gezielt ins Visier nimmt. Wir wollen den Schleppern ihr Millionengeschäft schlichtweg ausdrücklich vermiesen, und dafür dient auch EUNAVFOR MED. Phase 1 der Mission hat wesentliche Erkenntnisse darüber erbracht, wie unterschiedlich die Schlepper agieren. Die gewonnenen Informationen bereiten nun den Weg für die Phase 2 i). Worüber wir also heute sprechen, ist: die gewonnenen Erkenntnisse gezielt nutzen, konsequent handeln. Es kann und darf nicht sein, dass zum Beispiel Schlepper vor den Augen unserer Einsatzkräfte ihre Boote wieder einsammeln, um sie erneut mit Flüchtlingen vollzustopfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei ist und bleibt die Seenotrettung selbstverständlich Dreh- und Angelpunkt der Mission. Unsere Männer und Frauen der Marine kommen bei diesen Einsätzen im Mittelmeer tagtäglich an ihre Belastungsgrenzen. Sie verdienen nicht nur unseren Dank und unsere Anerkennung; sie verdienen zudem, dass dieses Hohe Haus geschlossen hinter ihnen steht. Daher bitte ich um Zustimmung zu dem Antrag der Bundesregierung: Stimmen Sie für EUNAVFOR MED! Stimmen Sie für „Sophia“! Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, erst einmal Platz zu nehmen und auch den Geräuschpegel so weit herunterzufahren, dass wir eine gleich folgende Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung auch zur Kenntnis nehmen können. Mir liegen schriftliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung der Kollegin Dr. Nina Scheer, der Kollegin Sevim Dağdelen, der Kollegin Heike Hänsel und des Kollegen Alexander Neu vor. Entsprechend unseren Regeln nehmen wir diese zu Protokoll.1 Es liegt mir außerdem eine Meldung des Kollegen Rüdiger Veit zu einer Erklärung zur Abstimmung vor. Ich gebe ihm aber erst dann das Wort, wenn es im Plenum auch die notwendige Aufmerksamkeit gibt. – Ich bitte tatsächlich alle Kolleginnen und Kollegen, sich in den Reihen ihrer Fraktion oder in den Reihen einer anderen Fraktion, sollten sie dort Gastrecht genießen, einen Platz zu suchen. Ich bitte vor allen Dingen, die lauten Gespräche einzustellen. Sollte es sich noch nicht herumgesprochen haben: Wir kommen noch nicht zur Abstimmung. (Zuruf von der LINKEN: Mein Gott, setzt euch doch mal dahinten!) Vor allen Dingen bitte ich jetzt, den Geräuschpegel tatsächlich herunterzufahren. – Vielleicht können sowohl die Kollegen der SPD als auch der Union ihren Kollegen dort hinten einen Hinweis geben, die Gespräche einzustellen oder nach draußen zu verlagern. Zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat nun der Kollege Rüdiger Veit das Wort. Rüdiger Veit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie für das notwendige Maß an Aufmerksamkeit gesorgt haben. Es wird – da kann ich alle beruhigen – sehr kurz werden. Mir persönlich – ich erkläre das zugleich im Namen meines Kollegen Christoph Strässer – fehlt jede Zuversicht – ja, uns fehlt sogar der Glaube –, dass die hier in Rede stehende Maßnahme ein sinnvoller Beitrag zur Bekämpfung von Schleuserkriminalität sein kann. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber da wir der Auffassung sind, dass nichts, buchstäblich nichts unversucht gelassen werden sollte, um diesem menschenverachtenden, verbrecherischen Treiben Einhalt zu gebieten, stimmen wir zu, um diese Chance nicht zu verbauen. Das wollte ich hierzu erklärt haben. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6189, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/6013 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich darauf hinweisen, dass wir in circa 40 Minuten zwei weitere namentliche Abstimmungen durchführen werden. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am vorgesehenen Platz? – Ich eröffne die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgeben konnte? – Dann bitte ich, das jetzt zu vollziehen. Im Übrigen mache ich darauf aufmerksam, dass wir unter diesem Tagesordnungspunkt noch weitere Abstimmungen vornehmen. Es wäre sicherlich hilfreich für uns hier vorn, wenn diejenigen, die an den weiteren Verhandlungen teilnehmen, Platz nehmen, sodass wir die Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei feststellen und zur Kenntnis nehmen können. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Ich wiederhole meine Bitte, dass all diejenigen, die an den weiteren Verhandlungen und insbesondere an den Abstimmungen, die jetzt noch anstehen, teilhaben wollen, sich in die Reihen der Fraktionen begeben. Ich bitte die Mitglieder der Bundesregierung, gegebenenfalls ihren Platz auf der Regierungsbank einzunehmen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6207. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt worden. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6208. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt worden. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit und eine sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. ­Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt Drucksachen 18/1115, 18/3549, 18/1963, 18/6128 Zu der Beschlussempfehlung werden wir später zwei namentliche Abstimmungen durchführen. Ich bitte, den Kolleginnen und Kollegen, die rechts von mir noch im Gang stehen, zu übermitteln, dass diese Abstimmungen erst nach der Debatte durchgeführt werden. Sie müssen also nicht hier in Bereitschaft stehen bleiben. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, ich bin noch nicht lange dabei, aber ein Prinzip Ihrer Politik ist auch für mich schon offensichtlich geworden: Sie nehmen sich eine Gruppe heraus und betrachten ausschließlich deren einzelne Interessen. Ich gebe zu, Ihre Gruppen sind mir deutlich sympathischer als die, die sich die FDP immer herausgesucht hat. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auch ich widme mich deutlich lieber den Interessen von Langzeitarbeitslosen als denen von Hoteliers. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Aber das Ergebnis ist in beiden Fällen ein sehr enger Blick auf die Welt. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Kennen Sie die Stellungnahme vom DGB dazu?) – Ich kenne auch die Stellungnahme vom DGB. Dazu komme ich noch. Sie erzählen Geschichten von Betroffenen; das ist auch gut so. Viele dieser Geschichten müssen erzählt und auch gehört werden. Aber die Geschichten, die Sie erzählen, sind nicht die einzigen Geschichten, sie repräsentieren nie das Ganze. Es gibt Geschichten, in denen Menschen Unrecht widerfahren ist, und es gibt Erfolgsgeschichten, in denen dank der Unterstützung durch unsere Jobcenter und dem eigenen Engagement der Weg in gute Arbeit gelungen ist. Es gibt auch diejenigen, deren Leben nicht immer leicht ist, die Kinder versorgen oder sich um ihre Eltern kümmern und trotzdem Vollzeit arbeiten, ohne dabei viel zu verdienen, für die es aber selbstverständlich ist, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, und die es als gerecht empfinden, dass auch andere sich dafür anstrengen müssen, die es als gerecht empfinden, dass man eigenes Engagement einfordert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]) Es gibt auch diejenigen, die unter für uns inakzeptablen Bedingungen eine Ausbildung absolvieren und beenden, weil es für sie inakzeptabel und unvorstellbar ist, alles einfach hinzuschmeißen. Sie beißen sich durch und erwarten dies auch von anderen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es steht außer Frage, dass wir Eltern und Pflegende unterstützen; das tun wir. Ich erspare Ihnen, aufzuzählen, was wir alles Gutes tun, schon getan haben und noch tun werden. Es steht auch außer Frage, dass wir uns nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität von Ausbildung kümmern müssen. Dieses Thema steht oftmals bei der Frage von Ausbildungsfähigkeit und anderem hintenan. Was ich damit sagen möchte, ist: Es gibt nicht nur den einen Blickwinkel, aus dem Dinge als gerecht oder ungerecht empfunden werden, sondern es gibt auch die anderen. Es lohnt sich, auch diese Geschichten zu erzählen und zu hören. Wenn es um Sanktionen geht, dann wollen wir, dann will die SPD nicht, dass es so bleibt, wie es ist. (Beifall bei der SPD) Wir wollen einiges ändern. Wir wollen eine Angleichung der Sanktionsregeln für unter 25-Jährige und über 25-Jährige. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sehen keinen Grund dafür, junge Menschen härter zu bestrafen oder zu sanktionieren. Wir sehen keinen Beleg dafür, dass das dem Ziel der Ausbildungs- oder Arbeitsaufnahme zuträglich wäre. Im Gegenteil: Viel zu viele verabschieden sich dann ganz aus dem System. Wir wollen, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung nicht mehr von Sanktionen erfasst werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt der Gesetzentwurf?) Sanktionen sollen eine Erwartung an Mitwirkung zum Ausdruck bringen. Sie sollen und dürfen Menschen nicht in noch größere soziale Not oder Obdachlosigkeit treiben. Aber wir wollen eben nicht auf die Mitwirkungspflicht verzichten. Ich habe das schon in der letzten Debatte gesagt: Keine Erwartung an Menschen zu haben, ist kein Zeichen von Respekt. Ihnen Arbeit und die selbstständige Sicherung ihres Lebensunterhalts zuzutrauen und sie dabei zu unterstützen, das ist ein Zeichen von Respekt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Möglichkeiten und Probleme von Arbeitslosen sind unterschiedlich. Wenn wir mehr Gerechtigkeit wollen, müssen wir das stärker berücksichtigen als bisher. Deswegen müssen wir dort ansetzen, wo wir ihre Rechte stärken und das Fördern und Fordern in eine bessere Balance bringen. Wir brauchen individuelle Lösungen für individuelle Problemlagen. Zentrales Instrument hierfür ist aus unserer Sicht die Eingliederungsvereinbarung. Dabei sind uns drei Dinge wichtig. Erstens. Die Eingliederungsvereinbarung muss sich an den Kompetenzen, Interessen und Neigungen der oder des Arbeitslosen orientieren. Daran sind auch die Instrumente und Angebote auszurichten. Diese sind konkret in der Vereinbarung festzulegen. Zweitens. Die Information muss stimmen. Arbeitslose müssen besser über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden, und zwar in einfacher und verständlicher Sprache. Lange juristische Rechtsbelehrungen sind nicht der Sinn einer Eingliederungsvereinbarung. (Beifall bei der SPD) Drittens. Wir wollen in diesem Prozess die Rechte der Arbeitslosen stärken. Wir wollen das Recht, einmal die Betreuerin oder den Betreuer zu wechseln. Wir wollen eine Obperson, die bei unterschiedlichen Auffassungen über den Inhalt oder die Umsetzung der Eingliederungsvereinbarung als neutrale Instanz vermittelt. Wir wollen, dass am Ende eine einvernehmlich geschlossene Vereinbarung steht. Denn aus unserer Sicht ist das der beste Weg zum Erfolg. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt der Gesetzentwurf?) Wir sind aber auch der Ansicht, dass das, was von beiden Seiten dort festgehalten wird, bei Nichteinhaltung sanktioniert werden kann, aber nur das. Sanktionen müssen ihren Sinn erfüllen. Sie sind keine Strafe, und sie ersetzen auch nicht die pädagogische Betreuung im Eingliederungsprozess. Sanktionen müssen letztendlich einen Beitrag zum Erfolg des Eingliederungsprozesses leisten. Wir fühlen uns in unserer Position durch die Anhörung bestätigt: Wir wollen die Sanktionen nicht abschaffen, sie aber ändern, die Regelungen für unter 25-Jährige an die Regelungen für über 25-Jährige anpassen und die KdU ausnehmen. Außerdem wollen wir Beratung, Information und das Fördern verbessern und die Eingliederungsvereinbarung zu einem echten, beidseitig akzeptierten Vertrag machen. Wir wollen Menschen in Arbeit bringen, sie unabhängig von staatlichen Leistungen und stolz auf das von ihnen Geleistete machen. Oder um es mit Voltaires Wahlspruch zu sagen: Immer an die Arbeit! In diesem Sinn: Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 568. Mit Ja haben 450 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 116, und 2 Kolleginnen oder Kollegen haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 567; davon ja: 449 nein: 116 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Dr. Tim Ostermann Henning Otte Florian Oßner Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Dr. Lars Castellucci Petra Crone Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Thomas Oppermann Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Achim Post (Minden) Florian Post Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Hilde Mattheis Waltraud Wolff (Wolmirstedt) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dagdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Dr. Gregor Gysi Dr. Andre Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) Dr. Nina Scheer Wir kommen zurück zur Debatte zum Thema „Sanktionen bei Harz IV und Sozialhilfe“. Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Katja Kipping (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke beantragt heute die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Mal wieder!) Die Sanktionen besagen, dass der ohnehin niedrige Regelsatz gekürzt wird – erst um 10 Prozent, dann um 30 Prozent, dann um 60 Prozent – und am Ende sogar ganz gestrichen werden kann. Wir wollen mit dieser Regelung Schluss machen. Denn wir sind überzeugt: Beim soziokulturellen Existenzminimum handelt es sich um ein Grundrecht. (Beifall bei der LINKEN) Ich bitte Sie, nicht gleich die Schotten dichtzumachen, sondern sich einmal gegenüber der Idee der sozialen Grundrechte zu öffnen. Ein Grundrecht steht jedem hier lebenden Menschen zu, und das ganz unabhängig davon, ob er Erfolg auf dem Erwerbsarbeitsmarkt hat, unabhängig davon, wo er geboren wurde, und – ja – auch unabhängig davon, ob er sich in einer Behörde als braver Untertan erwiesen hat oder eben nicht. Grundrechte muss man sich nicht verdienen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das mag in Ihren Ohren ungewohnt klingen; aber so neu ist das gar nicht. Denken wir nur an die Freiheitsgrundrechte wie beispielsweise das Recht auf Demonstrationsfreiheit. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber Freiheit bedeutet auch Verantwortung!) Dieses gilt für alle, ohne dass man es sich vorher verdienen muss, ohne dass man vorher nachweisen muss, so und so viele Artikel zu einem Thema gelesen und sich eine fundierte Meinung gebildet zu haben. Ich meine, keine Instanz hat das Recht, zu entscheiden, ob jemand würdig ist, Grundrechte zu tragen, und das ist gut so. (Beifall bei der LINKEN) Die Praxis bei Hartz IV ist leider das komplette Gegenteil. So führen die Sanktionen in der Praxis zu existenzieller Not. Nun werden Sie sicherlich einwenden: Es ist ja nur ein kleiner Teil der Menschen, der wirklich sanktioniert wird. – Fakt ist aber, dass deutlich mehr davon bedroht sind. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle!) Allein die Tatsache, dass der Regelsatz gekürzt werden kann, hängt wie ein Damoklesschwert über den Betroffenen. (Tino Sorge [CDU/CSU]: Ja, zu Recht! – Gegenrufe von der LINKEN: Wie bitte? – Was soll das denn heißen?) – Ich finde, es muss unbedingt ins Protokoll aufgenommen werden, dass aus den Reihen der CDU/CSU gesagt wird: Zu Recht hängt über Erwerbslosen ein Damoklesschwert. – Das sagt sehr viel über Ihr Bild vom Menschen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese existenzielle Bedrohung mindert die Wehrhaftigkeit, im Übrigen auch bei Bewerbungsgesprächen. Versetzen Sie sich doch einmal in die Situation einer Hartz-IV-Betroffenen, dem in einem Bewerbungsgespräch ein niedriger Lohn und schlechte Arbeitszeiten angeboten werden. Wie sehr wird sie für familienfreundlichere Arbeitszeiten streiten können, wenn sie Angst haben muss, dass solche Forderungen in der Behördensprache fehlende Mitwirkung bedeuten und am Ende zu einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II führen können? Das ist keine Theorie, sondern in der Praxis leider vorgekommen. Frau Schmidt, hier irren Sie: Die Sanktionen betreffen eben nicht nur Langzeiterwerbslose. Sie betreffen gleichermaßen die Erwerbsarbeitswirklichkeit. Ja, Hartz-IV-Sanktionen sind auch ein Angriff auf gute Arbeit und gute Löhne. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu diesem Angriff sagen wir deutlich Nein! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unsere Kritik an den Hartz-IV-Sanktionen wird von zunehmend mehr Menschen und Gruppen geteilt. Denken wir nur an die vielen Menschen, die sich in großer Sorge um Ralph Boes an den Bundestag gewandt haben. Ralph Boes, der infolge einer 100-Prozent-Sanktion kein Essen mehr aufnimmt, verfolgt unsere Debatte heute von der Tribüne aus – wie übrigens auch Inge Hannemann. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit Blick auf die heutige Abstimmung haben sich auch noch einmal verschiedene Organisationen, wie die Diakonie und die Nationale Armutskonferenz, zu Wort gemeldet und sich klar gegen Sanktionen ausgesprochen. In der Stellungnahme der Diakonie heißt es – Zitat –: Das Grundrecht auf ein soziokulturelles Existenzminimum darf nicht beschnitten werden. Weiter schreibt die Diakonie: Arbeitslose Menschen brauchen Hilfen, die an ihrer persönlichen Not ansetzen. Wir sollten ihnen Brücken in die Arbeitswelt bauen und nicht zusätzlich Steine in den Weg legen. (Beifall bei der LINKEN) Nun behandeln wir heute auch einen Antrag der Grünen. Dazu möchte ich einiges sagen: Sie sprechen sich in diesem Antrag für ein Sanktionsmoratorium aus. Ich selber war Mitinitiatorin einer Initiative dafür und hätte das Sanktionsmoratorium als einen ersten wichtigen Schritt gerne unterstützt. Leider fordern Sie in Ihrem Antrag auch – Zitat –: ... bei Kürzungen über 10 Prozent des Regelsatzes sind antragslos entsprechende Sachleistungen zu erbringen... Das heißt also, Ihrem Antrag zufolge sollen auch weiterhin Sanktionen von über 10 Prozent möglich sein. Aus diesem Grund können wir uns bei Ihrem Antrag leider nur enthalten. Die Linke lehnt Sanktionen generell ab. Es gibt aber zwei besonders grausame Formen der Sanktionen – das haben Sie angesprochen, Frau Schmidt –: die Sanktionierung der Kosten der Unterkunft und die sofortige 100-Prozent-Sanktion bei jungen Menschen unter 25 Jahren. In der Vergangenheit hat sich Ihre Fraktion immer wieder kritisch dazu geäußert – Sie jetzt auch –, und es war schon einmal Konsens zwischen allen Bundesländern, dass man zumindest diese grausamen Formen abschafft. Nur Bayern war dagegen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Kipping, Sie haben die Chance, die Redezeit nicht zu überziehen, wenn Sie eine Frage oder eine Bemerkung zulassen. Katja Kipping (DIE LINKE): Ja, gerne. Tino Sorge (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich wollte keine Frage stellen, sondern lediglich etwas richtigstellen, weil die Kollegin Kipping bei einem Zwischenruf, den ich getätigt habe, meinte, ich bzw. meine Fraktion teile die Auffassung, dass die Drohung, die Regelsätze zu kürzen, zu Recht erfolge. (Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte nur darauf hinweisen, dass Sie den Zwischenruf offensichtlich nicht richtig verstanden oder bewusst missverstanden haben. Weil Sie darauf hinwiesen, dass es Rechte gibt, (Zuruf von der LINKEN: Steht im Protokoll!) habe ich lediglich gesagt, dass zu Rechten auch Pflichten gehören. Das wollte ich hier nur richtiggestellt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht der Zwischenruf! Das kann man im Protokoll nachlesen, wie der Zwischenruf war!) Vizepräsidentin Petra Pau: Es liegt jetzt in Ihrem Geschick – wenn der Kollege auch noch eine oder auch nur eine halbe Minute stehen bleibt –, die Antwort auf die Richtigstellung und das Ende Ihrer Rede in dieser Zeit unterzubringen. – Ich bitte also darum, auf die Zeit zu achten. Katja Kipping (DIE LINKE): Ich freue mich sehr über Ihre nachdrückliche Korrektur des Zwischenrufs und kann nur in Richtung SPD sagen: Es besteht also noch die Chance, dass es selbst in der CDU eine gewisse Lernfähigkeit gibt. – Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie: Lassen Sie sich von der CSU hier nicht am Ring durch die Manege ziehen. Setzen Sie auch gegenüber Herrn Seehofer durch, dass auf jeden Fall diese besonders grausamen Sanktionsformen abgeschafft werden. Vielleicht wollen Sie dann ja auch zustimmen. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Es gibt keine grausamen Sanktionsformen! Es gibt nur rechtliche!) Abschließend möchte ich sagen: Die Abschaffung der Sanktionen kostet uns nicht viel. Wenn wir aber weiter so fortfahren wie bisher, dann bezahlen die Betroffenen mit existenzieller Not. Deswegen sage ich: Bei dieser Abstimmung geht es nicht nur um Gesetze, sondern auch um menschliche Schicksale. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Um die geht es immer!) Also: Folgen Sie Ihrem Gewissen, und stimmen Sie unserem Antrag zu! Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn das Wort. (Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Ich würde auch noch gerne reden!) – Ich entschuldige mich. Bei mir hier vorne ist etwas durcheinandergeraten. – Bevor die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort hat, hat natürlich eine Rednerin der Koalitionsfraktionen das Wort, nämlich ganz konkret die Kollegin Jutta Eckenbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Da habe ich ja noch mal Glück gehabt, Frau Präsidentin, dass Sie jetzt in der richtigen Reihenfolge aufgerufen haben. Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die Arbeitsmarktreformen der letzten zehn Jahre wirken und sorgen mit dafür, dass noch niemals so viele Menschen in Deutschland Arbeit hatten wie heute. Die Zahlen sind ganz frisch: Wir haben 43 Millionen Erwerbstätige, davon 30 Millionen sozialversicherungspflichtig. Die Arbeitslosenzahlen sind weiter gesunken. Auch bei den Langzeitarbeitslosen sind Fortschritte erkennbar. Hier sind wir sicher auf dem richtigen Weg. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist weiter sehr stark. Das zeigt sich in den Unternehmensdienstleistungen, im Bereich Pflege, Soziales und im Handel. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Thema zu tun?) 600 000 freie Stellen weist der Arbeitsmarkt auf. Diese augenblickliche Situation kann uns den Rückhalt geben, die kommenden Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt mittelfristig zu meistern. Sehr geehrte Damen und Herren, heute sprechen wir nicht zum ersten Mal, sondern zum wiederholten Male über die Abschaffung von Sanktionen. Vielleicht haben die Antragsteller darauf spekuliert, wir wären genervt. Dazu kann ich Ihnen heute nur sagen: Den Zeitpunkt hätten Sie nicht besser wählen können, als heute darüber zu reden. Denn gerade jetzt, in Anbetracht von 10 000 oder 100 000 Menschen, die im kommenden Jahr als neue – zugewanderte – Leistungsempfänger ins SGB II kommen werden, ist es dringend geboten, über die Einhaltung von Regeln und somit auch über das Fördern und Fordern hier im Bundestag zu sprechen. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den Regelungen des Bundesverfassungsgerichts? Was ist denn mit dem Grundgesetz? Das ist die oberste Regel!) Wir haben das Prinzip des Förderns und Forderns vor Jahren eingeführt, um deutlich zu machen, dass Menschen geholfen wird und sie dabei eben auch mithelfen müssen. Die Gemeinschaft hilft und darf zu Recht die Mitwirkung und den Willen des Hilfesuchenden erwarten. Diese grundlegende Einstellung spiegelt auch soziales Denken wider. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau dieser Generalverdacht! Menschen, die noch nicht arbeitslos sind, sollen schon einbezogen werden!) Damit wird sofort klar: Es geht nicht um Bestrafung oder Sanktionen, sondern darum, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, die Notsituation auch schnell wieder verlassen zu können. (Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) Das Prinzip des Förderns und Forderns und somit die Sanktionsregeln haben sich bewährt. In unserer öffentlichen Anhörung wurde das auch eindrucksvoll, Frau Kipping, wiedergegeben und bestätigt. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stimmt überhaupt nicht! Wo waren Sie?) Die Sachverständigen haben überwiegend analysiert, dass sowohl der bis dato feststellbare Rückgang der Arbeitslosigkeit insgesamt als auch der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit neben der Konjunktur auch auf unsere Arbeitsmarktpolitik zurückzuführen ist. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was aber nicht an den Sanktionen liegt!) Die Dosis des Förderns und Forderns ist das Entscheidende, und zwar in jedem Einzelfall. Das wird noch nicht in allen Fällen erreicht; das will ich hier deutlich sagen, aber es ist und bleibt unser Ziel. Jedes Zusammenleben von Menschen fordert Regeln. Es gibt gemeinsame Werte und Überzeugungen in unserem Land, auf denen das gesellschaftliche Miteinander fußt. Organisiert wird es über Regeln, die man nicht immer gutheißen muss, die aber eben das Rückgrat bilden. Wer am gesellschaftlichen Miteinander teilhaben will, sollte die gemeinsamen Regeln beachten. Das gilt für alteingesessene und für neue Bürger gleichermaßen, und zwar umgehend und nicht erst, nachdem viele Regeln bereits verletzt wurden. Auch wenn die Regeln für alle gleichermaßen gelten, ist es wichtig, die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und zu akzeptieren. Nicht jeder Jobcenter-Kunde hat in seinem bisherigen Leben Zuverlässigkeit erlebt oder gelernt. Das muss man hierbei berücksichtigen. Ich bin davon überzeugt, dass die Mitarbeiter in den Jobcentern in der Regel mit Fingerspitzengefühl und Erfahrung angemessen und im richtigen Tempo reagieren. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben überhaupt keinen Spielraum!) Klar sagen muss man aber auch: Sanktionen sind keine willkürliche Strafe, sondern sie sind eine Rechtsfolge. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Dennoch gibt es hier Verbesserungspotenzial; das sehen wir auch. Wir wollen dahin kommen, dass wir mehr Kommunikation, mehr Transparenz und mehr Einfachheit, zum Beispiel in der Eingliederungsvereinbarung, erreichen und dies gemeinsam mit den Betroffenen besprochen wird. Dieses Ziel haben wir, und wir werden es mit den SGB-II-Rechtsvereinfachungsverfahren auch anpacken. Ich hoffe, der Koalitionspartner macht mit. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf warten wir schon seit zwei Jahren!) Und eines sage ich Ihnen heute auch: Wenn durch gesteuerte E-Mail-Aktionen die Leistungsempfänger aufgestachelt und gegeneinander ausgespielt werden, ist das durchschaubar und leider auch erschütternd. Es wird ein Bild von unserem Land gezeichnet, das falsch ist: Hungernde Menschen und gequälte Bürger sind weder Staatsziel, noch sind sie Alltag in Deutschland. 4,3 Millionen Menschen beziehen ALG II, also Arbeitslosengeld II. Davon sind 1,9 Millionen Menschen arbeitslos; die anderen arbeiten mindestens 15 Wochenstunden, betreuen Kinder oder sind noch in der Ausbildung. Von allen Leistungsempfängern verhalten sich 97 Prozent korrekt. Sie nehmen die Termine wahr und melden sich rechtzeitig. Lediglich 3 Prozent werden sanktioniert. Das sind immer noch 129 000 Menschen zu viel. Davon sind 75 Prozent auf Meldeversäumnisse zurückzuführen. Andersherum gesagt: 97 Prozent halten sich an die Regeln und werden nicht sanktioniert. Durchschnittlich bewirken die Sanktionen eine zeitweise Kürzung um etwa 108 Euro im Monat. Sie hingegen zeichnen ein Zerrbild. Sie ignorieren die Realität und schüren Verunsicherung bei 97 Prozent der Betroffenen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das heißt nicht, dass es keine Baustellen mehr gibt; das will ich auch gar nicht sagen. Wir müssen noch weiter hart daran arbeiten. Wir haben aber auch Instrumente, die wir einsetzen können, um den Menschen für ihren späteren Lebensweg eine Befähigung mitzugeben. Es geht um einfache Tätigkeiten mit Begleitung, die zu anspruchsvolleren Tätigkeiten mit wachsender Verantwortung ausgebaut werden. Unser Ziel ist eine wachsende, wiedererstarkte Kompetenz der Menschen für den Arbeitsmarkt. Zugleich müssen wir bei anderen Gruppen, die jetzt zu uns kommen, etwa bei Flüchtlingen mit Bleibeperspektive, ebenfalls eine Kompetenzstärkung in den Fokus nehmen. Ich bin daher froh, dass die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen einig sind, dass die Haushaltsmittel für die Arbeitsförderung angehoben werden. Damit können wir sowohl die bisherigen Leistungsempfänger als auch die Flüchtlinge gleichermaßen angemessen fördern und – das darf ich Ihnen heute nicht ersparen – auch fordern. In diesen Zeiten mit all den Herausforderungen für die Funktionsfähigkeit und Funktionsnotwendigkeit unserer Gesellschaft und der von ihr erbrachten Leistungen mittelfristig eine sanktionsfreie Mindestsicherung von über 1 000 Euro plus Mehrbedarfe zu fordern, ist kontraproduktiv und nahezu fahrlässig. Dann wäre es nur noch ein Schritt bis zum bedingungslosen Grundeinkommen. Auch diese Botschaft wäre derzeit fatal. Eine kurzfristige Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 500 Euro mindestens, wie Sie schreiben, widerspräche dem Aktivierungsanreiz und würde ebenfalls als falsches Signal gewertet. Meine Damen und Herren von den Grünen, wir plädieren für eine Anhebung der Regelbedarfe, sobald es die Neuberechnung des Existenzminiums erforderlich macht, aber nicht vorher und auch nicht willkürlich. (Beifall des Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU]) Eine Änderung der Sanktionsregeln für unter 25-Jährige hat durchaus prominente Fürsprecher, etwa die Caritas. Aber ich gebe zu bedenken, dass der überwiegende Teil der Leistungsempfänger selbst die Sanktionsregeln befürwortet, da sie den positiven Effekt auf ihre eigene Disziplin erkennen. Gerade die jungen Menschen stehen erst am Beginn ihres Berufslebens und profitieren von den Anreizsystemen. Eine gute Konjunktur und eine gute Auftragslage in den Betrieben sind die Voraussetzung und die beste Grundlage für die Schaffung neuer und beständiger Arbeitsplätze. Aus diesen Gründen – mit neuen Instrumenten, die wir angehen werden, und neuen Überlegungen, ohne Sanktionen abzuschaffen – werden wir heute die Anträge der Linken und der Grünen ablehnen, wie wir das schon im Ausschuss getan haben. Ich bedanke mich dafür, dass Sie mir zugehört haben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Kipping das Wort. (Zurufe von der CDU/CSU: Hat sie noch nicht genug geredet? – Einfach mal zuhören!) Katja Kipping (DIE LINKE): Ich habe Ihnen zugehört, Frau Eckenbach. Sie haben den Eindruck erweckt, dass in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses die jetzige Sanktionspraxis von fast allen Seiten bestätigt wurde. Dem möchte ich widersprechen. Zunächst einmal möchte ich noch einmal daran erinnern – das wissen vielleicht nicht alle Zuhörer –, dass die Zusammensetzung der Sachverständigen nach Fraktionsproporz erfolgt, also Grüne und Linke jeweils nur einen Sachverständigen benennen können. Der große Rest wird von den Regierungsfraktionen benannt. Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, dass sich viele Sachverständige, auch diejenigen, die nicht hundertprozentig dem Antrag der Linken folgen, sehr kritisch zur gegenwärtigen Sanktionspraxis geäußert haben und hier deutlichen Verbesserungsbedarf sehen, gerade wenn es um die Sanktionierung bei Kosten der Unterkunft und bei jungen Leuten geht. Wer das überprüfen möchte, dem kann ich nur empfehlen, das Protokoll der öffentlichen Anhörung zu lesen. Dort wird deutlich: Die Front der Kritiker der jetzigen Sanktionspraxis ist sehr breit, insbesondere bei denjenigen, die in der Praxis damit zu tun haben. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Eckenbach hat das Wort zur Erwiderung. Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Da ich ebenfalls bei der Anhörung anwesend war, ist mir aufgefallen, dass der überwiegende Teil der Sachverständigen keine Abschaffung der Sanktionen gefordert hat – es sei denn, wir hätten an verschiedenen Anhörungen teilgenommen, Frau Kollegin. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Nun hat der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mehrheit der Sachverständigen in der Anhörung hat sich für grundlegende Reformen der Sanktionen ausgesprochen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) und zwar vonseiten der Wissenschaft, vom IAB, vom ISG und insbesondere von den beiden christlichen Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Sie sollten wirklich einmal über das C in Ihrem Parteinamen nachdenken. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür brauchen wir Sie nicht!) Frau Schmidt, in der heutigen Debatte geht es auch nicht um eine kleine Teilgruppe, sondern um die grundsätzliche Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Da hat sich bei der Rede von Frau Eckenbach und noch deutlicher bei dem Zuruf vorhin gezeigt, dass sich unsere Vorstellung von Gesellschaft fundamental von Ihrer Vorstellung unterscheidet. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unsere Vorstellung von Gesellschaft ist: Niemand soll ausgegrenzt werden. Wir wollen selbstbestimmte Teilhabe für alle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Letztlich geht es um Freiheit, und zwar um Freiheit für alle. Voraussetzung für eine selbstbestimmte Teilhabe für alle ist eine Grundsicherung ohne Existenzängste und ohne soziale Ausgrenzung. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist Freiheit ohne Verantwortung!) Um es deutlich zu sagen: Hartz IV ist nicht die emanzipatorische Grundsicherung, wie wir sie uns vorstellen, und muss deswegen grundlegend geändert und die Bestrafungslogik der heutigen Sanktionen muss überwunden werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Hartz-IV-Sanktionen sind häufig demütigend, unnötig und kontraproduktiv. Deswegen fordern wir ein Sanktionsmoratorium, also die sofortige Aussetzung aller Sanktionen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit welchem Ziel denn?) Im Fall von Ralph Boes, der oben auf der Zuschauertribüne sitzt, kann das sogar Menschenleben retten. Auch das sollte Ihnen vielleicht nicht ganz egal sein. Nach einer Aussetzung der Sanktionen brauchen wir eine grundlegende, systematische Evaluation – eine solche gibt es bislang nicht –, aber auch eine ehrliche Debatte darüber, ob Sanktionen nötig sind und, wenn ja, wie Sanktionen ausgestaltet sein sollen. Zentral ist, wie gesagt, dass wir aus der Bestrafungslogik herauskommen und dass das Existenzminimum immer sichergestellt ist. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass es das Bundesverfassungsgericht war – so viel zum Thema Regeln, Frau Eckenbach –, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) das gesagt hat, dass aus dem Grundgesetz ein Grundrecht und Menschenrecht auf Existenzsicherung folgt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Eine Kürzung des Existenzminimums ist also eigentlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Deswegen begrüße ich es sehr, dass die Sozialgerichte Gotha und Dresden diese Frage an das Bundesverfassungsgericht weitergegeben haben. Ich bin gespannt, wie das Urteil ausgeht und ob das Bundesverfassungsgericht die Sanktionen ganz untersagt oder zumindest eine Grenze setzt. Meine persönliche Meinung ist ja: Das Grundrecht auf Existenzsicherung ist am einfachsten und besten dadurch sichergestellt, dass das Minimum einfach an alle als Grundeinkommen ausgezahlt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Auch an Millionäre?) – Auch an Millionäre. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Danke!) Innerhalb des Systems der Grundsicherung halte ich aber eine Abschaffung der Sanktionen für schwierig. Sanktionen sollten im jetzigen System aber auf Ausnahmefälle beschränkt sein. Wir Grüne fordern deshalb in unserem Antrag eine grundlegende Reform. Es muss ein Wunsch- und Wahlrecht für die Arbeitslosen geben. Sanktionen dürfen nicht verhängt werden, wenn Fähigkeiten, Wünschen und Vorschlägen der Einzelnen nicht Rechnung getragen wird. Es dürfen keine Sanktionen verhängt werden, wenn die Aufnahme von Arbeit verweigert wird, die unterhalb des tariflichen oder örtlichen Entgelts entlohnt wird. Die heutigen Sanktionsregeln sind zu starr. Wir finden: Es darf keinen Automatismus mehr geben, und Sanktionen müssen bei einer Verhaltensänderung zurückgenommen werden können. Wichtig ist: Wenn sanktioniert wird, dann dürfen höchstens 10 Prozent des Regelsatzes gekürzt werden, damit der Grundbedarf immer gesichert ist. Das Mindeste aber ist, dass erstens keine Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft mehr stattfinden. Zweitens. Die verschärften Sanktionen gegen unter 25-Jährige sind erwiesenermaßen – das haben alle Experten in der Ausschussanhörung gesagt – unsinnig und kontraproduktiv. Sie gehören abgeschafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Bei diesen beiden zuletzt genannten Punkten sind sich tatsächlich fast alle einig. Alle Experten, die SPD und fast alle Länder – bis auf eines – sind sich da einig. Nur die CSU blockiert hier – mal wieder. Ich frage mich manchmal: Nach Betreuungsgeld, Maut, Griechenland-Hilfe, Flüchtlingsabschreckung, Hofierung von Viktor Orban, Blockade bei der Reform von Hartz IV – wann schmeißen CDU und SPD endlich die CSU aus der Großen Koalition raus? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich finde, Seehofer hat lange genug genervt. Die CSU blockiert damit aber nicht nur eine Reform der Sanktionen. Seit zwei Jahren verspricht die Bundesregierung ein Gesetz zur Vereinfachung der passiven Leistungen, also der Geldleistungen bei Hartz IV. Auch wenn wir nicht alle der bisher bekanntgewordenen Vorschläge unterstützen und sinnvoll finden: Eine Vereinfachung ist dringend erforderlich. Die Jobcenter warten darauf. Wir wollen eine Vereinfachung der Grundsicherung, die dafür sorgt, dass sich die Jobcenter endlich auf das konzentrieren können, wofür sie eigentlich da sind, nämlich die Vermittlung in Arbeit, und wir wollen eine Grundsicherung, die das Existenzminimum für alle sichert. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Matthäus Strebl das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland galt Anfang dieses Jahrhunderts als der kranke Mann in Europa. Viele Reformen mussten gestemmt werden, damit die Wirtschaft in Deutschland Aufschwung nehmen konnte. Die Hartz-IV-Reformen haben das Sozialsystem gravierend verändert. Sie haben sich rückwirkend betrachtet als erfolgreich und notwendig erwiesen. Zu dem Konzept gehören sowohl die Unterstützung durch die Jobcenter als auch das selbstständige Handeln der Kunden. Deshalb halte ich es für dringend erforderlich, werte Kolleginnen und Kollegen, dass an dem Konzept „Fördern und Fordern“ festgehalten wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies beinhaltet auch das Festhalten an Konsequenzen aufgrund fehlender Mitwirkung, nämlich Sanktionen. Werte Kolleginnen und Kollegen, „Langzeitarbeitslosigkeit“, „Reformierung von Arbeitsmarktinstrumenten“ und „SGB-II-Rechtsvereinfachung“ sind wichtige Themen, die wir in unserem Ausschuss auch in Zukunft nicht vernachlässigen sollten. Hier sollten und müssen wir gute und zukunftssichere Lösungen finden. Die Bund-Länder-Gruppe arbeitet weiterhin an Verbesserungen sowohl für die Jobcenter als auch für die Leistungsberechtigten. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann ist die denn fertig?) Die Abschaffung von Sanktionen hingegen ist ausschließlich das Dauerthema der Fraktion Die Linke, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Und der Menschen, die davon betroffen sind!) und das, obwohl die große Masse der Leistungsbezieher nicht von Sanktionen betroffen ist. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Sie halten sich an die gesetzlichen Vorschriften und sind in der Regel bemüht, den Leistungsbezug zu beenden. Tatsächlich sind nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nur 5 Prozent aller Kunden davon betroffen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, natürlich können wir trotzdem alle bekannten Argumente und Einwände erneut austauschen, wie wir es so oft getan haben, auch in dieser Wahlperiode bereits mehrfach in den Ausschüssen, in der Anhörung und im Plenum. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das normale Verfahren bei Anträgen, dass man das in Ausschüssen und in Anhörungen behandelt!) Nach einer im September dieses Jahres veröffentlichten Statistik der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der verhängten Sanktionen in den letzten Jahren leicht rückläufig. Über 70 Prozent aller Sanktionen werden aufgrund von Meldeversäumnissen ausgesprochen. Das Nichteinhalten eines Termins (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann viele Ursachen haben!) ohne berechtigten Grund hat Folgen. Das ist sowohl im Arbeitsleben und im politischen Alltag als auch im privaten Umgang für jeden nachvollziehbar. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wird immer unter das Existenzminimum gekürzt?) Warum sollte das anders sein, wenn man Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch erhält? Die Fraktion Die Linke nennt in ihrem Antrag Beispiele, dass Betroffene Meldetermine nicht wahrnehmen, weil sie sich nicht trauen, die Briefe des Jobcenters zu öffnen. Dies mag zwar in Ausnahmefällen vorliegen, dennoch stehen sie nicht stellvertretend für alle sanktionierten Meldeversäumnisse. Natürlich bestreite ich nicht, dass jeder Mensch ein menschenwürdiges Existenzminimum zur Verfügung haben muss. Jeder, der ohne eigenes Verschulden in Not gerät, muss in einem Sozialstaat wie Deutschland unterstützt werden. Bezieher von Arbeitslosengeld II erhalten neben dem Regelbedarf Unterstützung, insbesondere bei den Kosten der Unterkunft, Hilfe bei der Suche nach einer neuen Tätigkeit und im Bedarfsfall Weiterbildungen oder Umschulungen. Eigentlich müsste es auch unbestritten sein, dass jeder Bürger seinen Beitrag, nämlich Eigeninitiative, leisten muss, um für den Lebensunterhalt für sich und seine Familie aufzukommen. Vergessen sollten wir auch nicht, dass das Bundesverfassungsgericht zu keinem Zeitpunkt Sanktionen für verfassungswidrig erklärt hat – zumindest bisher. Vom Sozialgericht Gotha – Sie haben es gesagt, Herr Kollege – wurde diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Ich bin gespannt, wie dieses dann entscheiden wird. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will ein qualifiziertes, individuelles und umfassendes Fallmanagement. Diese Unterstützung kann aber nur erfolgen, wenn Kunden die Termine im Jobcenter auch tatsächlich wahrnehmen. Bereits heute müssen die Arbeitsvermittler, insbesondere im Erstgespräch und nach jeder Weiterbildung, die Stärken, die Fähigkeiten, aber auch die Vermittlungshemmnisse ausführlich dokumentieren. Zweifelsfrei darf diese Dokumentation nach dem ersten Erstellen nicht vernachlässigt werden und muss regelmäßig aktualisiert werden. Nur so können die Kunden durch das Jobcenter erfolgreich vermittelt werden. Unsere Aufgabe ist es, Lösungen zu finden, um die Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit über mehrere Generationen in einer Familie zu vermeiden. Ganz aktuell, erst am vergangenen Montag, wurde eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung veröffentlicht, wonach Jugendliche mit einem arbeitslosen Vater mit einer hohen Wahrscheinlichkeit später auch selbst von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Hier müssen wir mit ausgewählten Programmen gegensteuern. Erste Fortschritte können wir bereits bundesweit mit den Jugendberufsagenturen verbuchen. Daran muss weiter gearbeitet werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir von der CDU/CSU-Fraktion halten an Sanktionen fest und werden deshalb Ihre Anträge ablehnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Bartke für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von Sanktionen waren bislang stets immer nur etwa 3 Prozent aller SGBIILeistungsbezieher betroffen – nur 3 Prozent. Ich möchte das ganz prominent an erster Stelle dieser Rede betonen. Ich betone das, weil in der Debatte über Sanktionen und Leistungsmissbrauch oft ein völlig falscher Eindruck erweckt wird, nämlich der Eindruck, HartzIVEmpfänger würden sich allein ihrer Unlust und Faulheit hingeben. Lassen Sie mich ganz klar sagen: Das ist nicht so. (Beifall bei der SPD) Die überwältigende Mehrheit der HartzIVEmpfänger will arbeiten und gibt ihr Bestes, dieses Ziel zu erreichen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Zahl zeigt noch etwas anderes: Jobcenter sind keine Sanktionsämter. Statistisch muss noch nicht einmal jeder 30. Jobcenter-Kunde mit Sanktionen rechnen. Die Idee des SGB II ist die des Förderns und Forderns; das ist hier schon ausgeführt worden. Das ist eigentlich ein sinnvolles Prinzip. Es ist aber zusehends in eine Schieflage geraten. Das gilt ganz besonders für die verschärften Sanktionsregeln bei Jugendlichen, die drastischer sind als bei Erwachsenen. Ich sage: Wir lehnen das ab. (Beifall bei der SPD) Das ist nicht Sozialpädagogik, das ist schwarze Pädagogik. Genauso halten wir es für unverantwortlich, bei den Kosten der Unterkunft zu kürzen. Ich komme aus Hamburg. Da gibt es einen großen Wohnungsmangel. Wenn Sie da die Kosten der Unterkunft kürzen und die ALG-II-Bezieher ihre Unterkunft verlieren, dann ist doch klar, was dabei herauskommt: Obdachlosigkeit. Das kann man doch nicht wirklich wollen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen sagen wir Sozialdemokraten ganz klar: Wir wollen keine Kürzung bei den Kosten der Unterkunft. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen!  – Zuruf von der LINKEN: Wer regiert hier eigentlich?) Die Linkspartei fordert, sämtliche Sanktionen abzuschaffen. Grundsätzlich gilt offenbar Folgendes: Wenn wir „Einführung einer Rente mit 63“ sagen, dann sagen Sie: Einführung mit 60. Wenn wir „8,50 Euro Mindestlohn“ sagen, dann sagen Sie: 10 Euro. Wenn wir „deutliche Überarbeitung des Sanktionsregimes und Abschaffung diskriminierender und gefährlicher Regeln“ sagen, dann sagen Sie: Abschaffung aller Sanktionen. (Beifall bei der SPD) Mit der Realität haben Ihre Forderungen nicht wirklich viel zu tun. Aber zugegeben: Als Opposition kann man so etwas natürlich fordern. Offenbar soll die Abschaffung aller Sanktionen ein erster Schritt in Richtung bedingungslose Grundsicherung sein, und die wollen wir ganz bestimmt nicht. (Beifall bei der SPD) Liebe Frau Kipping, lassen Sie mich etwas zu Ihrer Kampagne zum Hungerstreik von Herrn Boes sagen. Gelinde gesagt, finde ich es schwierig, was Sie da machen. Einerseits sagen Sie, dass Sie Herrn Boes von seinem Hungerstreik abraten, andererseits bringen Sie genau diesen Hungerstreik über alle medialen Kanäle in die Öffentlichkeit. Natürlich bestärken Sie ihn damit in seinem hochgefährlichen Tun. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Soll man das ignorieren?) Und dann sagen Sie auch noch öffentlich, dass Ministerin Andrea Nahles hier Verantwortung für ein Menschenleben habe. Ich sage Ihnen: Da sind die Grenzen des guten Geschmacks deutlich überschritten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das hat mit Geschmack nichts zu tun! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Ich sage Ihnen: Hungerstreik darf kein Mittel der Politik sein. Bündnis 90/Die Grünen haben einen Antrag vorgelegt, den ich deutlich gehaltvoller finde, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zustimmen!) gehaltvoller, aber auch zwiespältig. Einerseits halte ich viele Ihrer Forderungen durchaus für zustimmungsfähig, und sie sind auch klug hergeleitet. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nehmen Sie beim Wort!) Aber am Schluss fordern Sie dann, dass die Folgen der Sanktionen umfassend evaluiert und bis zum Ende dieser Evaluation alle Sanktionen außer Kraft gesetzt werden, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr sinnvoll!) also eine völlige Sanktionsabschaffung mindestens für die nächsten drei Jahre. Das verstehe, wer will. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Viele Sachverständige haben die Sanktionspraxis kritisiert; aber fast keiner wollte die Abschaffung, auch nicht der DGB. Meine Damen und Herren, die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II“ hat ihren Bericht bereits vor einem Jahr vorgelegt. Er hätte längst umgesetzt werden können, ja müssen. Jeder weiß, dass es die CSU ist, die das verhindert. Ministerpräsident ­Seehofer hat damals der Bild am Sonntag gesagt: Das Verwässern der Sanktionen bei Drückebergern wird die CSU verhindern. (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, mit Verlaub, das ist Stammtisch, das ist keine verantwortliche Politik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sind Sozialpolitiker und wissen sehr wohl: Es gibt Menschen, die ihr Leben nicht im Griff haben. Da hilft Sozialarbeit, aber keine pauschale Verurteilung. Meine Bitte ist daher: Überdenken Sie Ihre Position! Sie ist nicht gut. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wollen Ungerechtigkeiten bei den Sanktionsregeln abschaffen. Wir wollen sie nicht verwässern, wir wollen sie verbessern. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Kipping das Wort. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht schon wieder!) Katja Kipping (DIE LINKE): Es tut mir leid. Aber Sie haben mich direkt angesprochen und mir Geschmacklosigkeit im Umgang mit dem Sanktionshungern von Ralph Boes unterstellt. Ich weiß, der Umgang damit ist nicht einfach, gerade wenn man möchte, dass niemand sein Leben riskiert. Aber glauben Sie wirklich, dass der Demokratie und dem Ansehen des Deutschen Bundestages geholfen wäre, wenn die vielen Menschen, die das Schicksal von Ralph Boes berührt hat, den Eindruck haben, dass die gesamte Politik mit Ignoranz reagiert, obwohl da jemand sein Leben gefährdet? Können Sie sich vorstellen, wie dieses Signal bei den Menschen ankommt? (Max Straubinger [CDU/CSU]: Begreifen Sie nicht, dass das Erpressung ist?) Zu ignorieren, dass jemand sein Leben gefährdet, ist auch nicht gerade der Gipfel des guten Geschmacks. Deswegen finde ich es besser, darüber zu reden, als es zu ignorieren; denn das Leiden geht weiter, auch wenn wir die Augen davor verschließen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Zur Erwiderung hat der Kollege Dr. Matthias Bartke das Wort. Dr. Matthias Bartke (SPD): Frau Kipping, ich habe mich im Vorfeld über Herrn Boes schlau gemacht. Herr Boes ist im Jahr 2012 schon einmal in einen Hungerstreik getreten; er macht es jetzt wieder. Er isst öffentlich seine Essensgutscheine auf. Ich finde, das ist kein angemessener Umgang mit einer solch schwierigen Problematik. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Mir liegen drei Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Sie sind gezeichnet von den Kollegen Marco Bülow, Katharina Dröge und Lisa Paus. Entsprechend unseren Regeln nehmen wir sie zu unserer Aussprache zu Protokoll.3 Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 18/6128 und beginnen mit der einfachen Abstimmung. Anschließend führen wir zwei namentliche Abstimmungen durch. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3549 mit dem Titel „Gute Arbeit und eine sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6128 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1115 mit dem Titel „Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen“. Wir stimmen nun über Buchstabe a der Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Es sind alle Abstimmungsplätze besetzt. Ich eröffne die Abstimmung über Buchstabe a der Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches seine Stimme zur ersten namentlichen Abstimmung noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6128 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1963 mit dem Titel „Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt“. Wir stimmen nun über Buchstabe c der Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am vorgesehenen Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über Buchstabe c der Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme bisher nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Die Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben.4 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Bertram, Yvonne Magwas, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Burkhard Blienert, Marco Bülow, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zukunftsweisende Kulturpolitik im demografischen Wandel – Stärkung der Kultur im ländlichen Raum Drucksachen 18/5091, 18/6167 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Yvonne Magwas für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Yvonne Magwas (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der demografische Wandel verändert seit Jahr und Tag schleichend unsere Gesellschaft. Die Politik befasst sich damit ebenfalls seit Jahren, wie nicht zuletzt die Demografiegipfel der Bundesregierung zeigen. Bei dem heute zu debattierenden Antrag ging es uns Koalitionsfraktionen darum, die Demografiepolitik um die Facette der Kulturförderung zu erweitern; denn Kultur ist der Kitt, der gesellschaftliche Veränderungen positiv vorantreibt. (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) Was heißt es, wenn eine Stadt wie Dessau ein Theater mit 1 000 Sitzplätzen, aber nur noch 84 000 Einwohner hat? Wie wandelt sich das Kulturpublikum? Wie lässt sich bei schrumpfenden kommunalen Etats das kulturelle Angebot vor Ort noch finanzieren? Man gerät bei solchen Fragen leicht in die Versuchung, über Kulturpolitik als Ganzes zu debattieren. Allein die Vielfalt an existierenden Projekten, aber auch an Förderinstrumenten und Kulturpreisen ist eindrucksvoll; aber es droht auch die Gefahr, sich zu verzetteln. Daher kamen wir – in diesem Zusammenhang danke ich recht herzlich meinen Mitberichterstattern Ute Bertram, Michael Kretschmer und dem Kollegen Blienert – während der Erarbeitung unseres Antrages zu dem Schluss, uns auf das kulturelle Leben im ländlichen Raum zu konzentrieren. Ja, es stimmt: Der ländliche Raum ist nicht automatisch mit Bevölkerungsabwanderung und -alterung gleichzusetzen. In manchen Gegenden Süddeutschlands sind die Immobilienpreise so hoch, dass es manchem Städter die Tränen in die Augen treibt. Die Bodensee-Region oder auch das bayerische Voralpenland brauchen das kulturpolitische Engagement des Bundes eher weniger. Es wird hingegen dort benötigt, wo durch Bevölkerungsschwund und eine alternde Bevölkerung die vorhandene kulturelle Infrastruktur nicht mehr eins zu eins mit den dort lebenden Menschen harmoniert. Eines ist mir ganz besonders wichtig: Keiner Kommune ist mit der Mentalität geholfen, dass der Letzte das Licht ausmacht. Eine Verliererdiskussion, wie wir sie in den letzten Jahren gelegentlich geführt haben, ist nicht angemessen. Alle Kommunen sollten stärker ihre vielfältigen Erfolge herausstellen und würdigen. Voraussetzung dafür ist aber, den immateriellen Wert der Kultur anzuerkennen. In Kindergärten, Schulen, Kirchen oder der freiwilligen Feuerwehr wird exzellente Arbeit geleistet. Mehr Selbstbewusstsein, positives Denken und der Wille zum praktischen Handeln tun gut. – Dies war eines der vielen wichtigen Ergebnisse eines Fachgespräches zu lebendigen Kulturräumen im demografischen Wandel, das meine Fraktion mit Experten geführt hat. Als Folge des demografischen Wandels brauchen wir ein neues Denken auch im Kulturbereich. Teilweise sind neue Strukturen erforderlich, um die anstehenden Aufgaben viel zielgerichteter erfüllen zu können. Die Akteure aus dem Kulturbereich regen selbst an, Kooperationen generell auszuweiten und zu stärken. Wir brauchen nicht das eine große nationale Gesamtkonzept. Vielmehr hilft es, die vor Ort jeweils vorhandenen Akteure – die Kommunalverwaltung, die Vereine, die Ehrenämtler, aber auch die ansässigen Unternehmen – zusammenzubringen und die Kräfte dort zu bündeln. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir müssen das Rad nicht immer neu erfinden. Von gelingenden Lösungen in einer Region kann anderswo gelernt und profitiert werden. Modellhafte Projekte in Sachsen können zum Beispiel auch in Mecklenburg-Vorpommern oder Rheinland-Pfalz funktionieren. Deshalb setzen wir uns für die Schaffung einer Plattform für Praxisbeispiele ein. Auch streben wir eine Bündelung bereits vorhandener Förderdatenbanken und eine Vereinfachung der Antragsverfahren für Fördergelder an. Mir ist es wichtig, dass wir die jungen Leute ausbilden und begeistern, mit Ideen und auch mit Schaffenskraft für ihre Region Verantwortung zu übernehmen und ihre Heimat mitzugestalten. Mir ist wichtig, unsere ländlichen Regionen zu beleben und zu zeigen, dass man auch jenseits der urbanen Zentren mit hoher Lebensqualität leben kann. Bürgerschaftliches Engagement im Kulturbereich trägt in besonderem Maße zu einer gesteigerten Identifizierung mit der Heimat bei – bei denjenigen, die sich engagieren, genauso wie bei denjenigen, die als Zuhörer oder Zuschauer von einem kulturellen Angebot profitieren. Menschen, die sich mit ihrer Heimat identifizieren, können dies weitergeben und auch besser vermitteln. Daher liegt mir besonders die Breitenkultur am Herzen. Ich bin fest davon überzeugt: Kultur stiftet Identität, Breitenkultur stiftet Pluralität. Gerade in einer Zeit, die von Schnelligkeit geprägt ist, wächst bei vielen Menschen das Bedürfnis nach Bindung. Die Breitenkultur ist der fruchtbare Boden, wo die Menschen Wurzeln schlagen, persönliche Werte entfalten und soziale Beziehungen aufbauen können. Dieser Punkt beleuchtet aber noch ein anderes Spektrum: Kultur dient auch der Integration. Uns allen ist bewusst, dass wir vor neuen sozialen Herausforderungen stehen. Kultur kann gerade im ländlichen Raum zur Integration von Flüchtlingen genutzt werden. Musik, Tanz oder auch der Sportverein dienen als eine Brücke zur Kontaktaufnahme mit Flüchtlingen, ohne dass man gleich über die Sprachbarriere stolpert. Meine Damen und Herren, ein Kulturbegriff, der nur die Staatsoper oder die Nationalgalerie in den Blick nimmt, ist längst nicht mehr zeitgemäß, so wichtig diese Leuchttürme auch sind, und das aus zwei Gründen. Erstens erreicht die Breitenkultur viel mehr Menschen als die Hochkultur, und sie wird von den Menschen gelebt. Die Menschen konsumieren Kultur nicht, sie erschaffen sie selbst. Breitenkultur bedeutet Teilhabe der Bürger. Zweitens ist sie besonders für den ländlichen Raum unverzichtbar. Wir brauchen also beides: die kulturellen Spitzenleistungen, zum Beispiel von Gerhard Richter, und die Musikschulen und die Heimatvereine im ländlichen Raum. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Engagement des Bundes für die Kulturlandschaft in Deutschland ist schon jetzt stark und nimmt immer mehr zu, obwohl Kulturförderung, wie wir alle wissen, zunächst Aufgabe der Länder und Kommunen ist. Beleg dafür sind die abermals gestiegenen Mittel im BKM-Haushalt. Ich danke ausdrücklich Staatsministerin ­Monika Grütters für ihren besonderen Einsatz für das kulturelle Leben abseits der Metropolen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) In den Medien lesen wir viel über neue Museen oder Schlösser in Berlin. Aber die bisherige Amtszeit der Beauftragten für Kultur und Medien ist genauso durch dezentrales Engagement für die Kultur geprägt. Beispielhaft zu nennen sind hier der erfolgreich gestartete Deutsche Buchhandlungspreis und der geplante Theaterpreis für mittlere und kleinere Häuser. Sie wirken vor allem in den Mittelzentren und in der Fläche. Auch das in der letzten Legislaturperiode begonnene Förderprogramm von Bund und Ländern zur Kinodigitalisierung, das Invest-Ost-Programm und die Fortführung der Denkmalschutzsonderprogramme gehören in diese eindrucksvolle Reihe. Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag regen wir nun ein Pilotprojekt der BKM zu den Herausforderungen des demografischen Wandels für die kulturelle Bildung an. Die Bedeutung der kulturellen Bildung darf ja in keiner Sonntagsrede fehlen. Sie ist aber vom demografischen Wandel besonders betroffen. Das Publikum von Kultur verändert sich, und in einer schrumpfenden Bevölkerung muss es uns daran gelegen sein, alle Kinder und Jugendlichen mit Kultur in Berührung zu bringen. Kulturelle Bildung ist das entscheidende Fundament für die Kultur der Zukunft. Last but not least freue ich mich, dass es uns gelungen ist, den Deutschen Musikinstrumentenpreis weiter zu verstetigen. Mit dieser Auszeichnung führen wir der Welt die große Bandbreite deutscher Musikinstrumentenbaukunst vor Augen. Hier jedenfalls gilt die Marke „made in Germany“ noch etwas. In meiner Heimat liegt der vogtländische Musikwinkel, wo sich eine weltweit einmalige Konzentration des Musikinstrumentenbaus befindet. Diese 350 Jahre alte Tradition ist unter anderem für meine Heimat identitätsstiftend und somit ein weiteres Beispiel für die sinnstiftende Wirkung von Kultur. Ich komme zum Schluss. Der demografische Wandel wirkt sich regional jeweils verschieden aus. Zwar tragen wir mit dieser Debatte beileibe noch nicht zur kulturellen Vielfalt bei; aber wir beschreiben die reiche kulturelle Vielfalt, die wir in Deutschland haben und um die uns die ganze Welt beneidet. Das kann man gar nicht oft genug tun; denn die kulturelle Vielfalt gilt es überall, vor allem auch im ländlichen Raum, zu bewahren. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen bekannt: An der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag „Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen“ haben 559 Kolleginnen und Kollegen teilgenommen. Mit Ja haben 451 gestimmt, mit Nein 55, und 53 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 559; davon ja: 451 nein: 55 enthalten: 53 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr.Andre Berghegger Dr.Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr.Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr.Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr.Ralf Brauksiepe Dr.Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr.Bernd Fabritius Hermann Färber Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr.Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr.Astrid Freudenstein Dr.Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr.Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr.Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr.Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr.Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr.Stefan Heck Dr.Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr.Lars Castellucci Petra Crone Dr.Daniela De Ridder Dr.Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr.h.c.Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr.Johannes Fechner Dr.Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr.Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr.Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr.Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Anette Kramme Dr.Hans-Ulrich Krüger Birgit Kömpel Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr.Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr.Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr.Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Thomas Oppermann Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Achim Post (Minden) Joachim Poß Florian Post Dr.Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr.Sascha Raabe Dr.Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr.Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dr.Martin Rosemann Dr.Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr.Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr.Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr.Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr.Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr.Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein DIE LINKE Jan van Aken Dr.Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W.Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dagdelen Dr.Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Dr.Andre Hahn Heike Hänsel Dr.Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr.Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr.Alexander S.Neu Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Dr.Petra Sitte Kersten Steinke Dr.Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr.Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr.Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Katharina Dröge Lisa Paus Hans-Christian Ströbele Vizepräsidentin Petra Pau Enthalten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr.Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr.Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr.Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr.Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr.Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr.Gerhard Schick Dr.Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr.Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr.Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr.Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr.Valerie Wilms An der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag „Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt“ haben 556 Kolleginnen und Kollegen teilgenommen. Mit Ja stimmten 448 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein 57, und es gab 51 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 556; davon ja: 448 nein: 57 enthalten: 51 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr.Andre Berghegger Dr.Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr.Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr.Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr.Ralf Brauksiepe Dr.Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr.Bernd Fabritius Hermann Färber Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr.Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr.Astrid Freudenstein Dr.Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr.Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr.Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr.Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr.Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr.Stefan Heck Dr.Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Dr.Heribert Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann (Dortmund) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr.Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M.Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Xaver Jung Dr.Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr.Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr.Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr.Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr.Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr.Karl A.Lamers Andreas G.Lämmel Dr.Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr.Silke Launert Paul Lehrieder Dr.Katja Leikert Dr.Philipp Lengsfeld Dr.Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr.Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr.Claudia Lücking-Michel Dr.Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr.Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr.h.c.Hans Michelbach Dr.Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr.Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr.Philipp Murmann Michaela Noll Helmut Nowak Dr.Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Dr.Tim Ostermann Henning Otte Florian Oßner Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr.Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr.Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr.Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr.Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr.Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön (St.Wendel) Dr.Ole Schröder Dr.Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr.Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr.Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr.Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr.von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr.Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Dr.Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Dr.Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr.Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Dagmar G.Wöhrl Barbara Woltmann Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr.Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr.Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr.Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr.Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr.Lars Castellucci Petra Crone Dr.Daniela De Ridder Dr.Karamba Diaby Sabine Dittmar Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr.h.c.Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr.Johannes Fechner Dr.Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr.Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr.Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr.Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Dr.Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr.Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr.Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr.Rolf Mützenich Ulli Nissen Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoguz Thomas Oppermann Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post (Minden) Florian Post Dr.Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr.Sascha Raabe Dr.Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr.Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dr.Martin Rosemann Dr.Ernst Dieter Rossmann Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr.Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr.Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr.Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr.Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr.Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Marco Bülow BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr.Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr.Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr.Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr.Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr.Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr.Gerhard Schick Dr.Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr.Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr.Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr.Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr.Valerie Wilms Enthalten DIE LINKE Jan van Aken Dr.Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W.Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dagdelen Dr.Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Dr.Andre Hahn Heike Hänsel Dr.Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr.Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr.Alexander S.Neu Thomas Nord Petra Pau Richard Pitterle Martina Renner Dr.Petra Sitte Kersten Steinke Dr.Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr.Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr.Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Wir kommen zurück zur Debatte zum Thema „Stärkung der Kultur im ländlichen Raum“. Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sigrid Hupach (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel Ihres Antrags, „Zukunftsweisende Kulturpolitik im demografischen Wandel – Stärkung der Kultur im ländlichen Raum“, verspricht viel, hält aber wenig. Wir werden dem Antrag auch nach der Debatte im Ausschuss deshalb nicht zustimmen. Grund dafür ist keineswegs, dass wir nicht für eine bessere Kulturpolitik in den ländlichen Räumen sind. Im Gegenteil: Gerade weil wir überzeugt sind, dass hierfür ein ressortübergreifendes Handlungskonzept nötig ist, greift Ihr Antrag unseres Erachtens viel zu kurz. (Beifall bei der LINKEN) Eine zukunftsweisende Politik, wie Sie es formulieren, muss grundsätzlich anders ansetzen. Ihre ausführliche Beschreibung im Feststellungsteil liefert dafür sogar eine gute Begründung, auch für die Aufhebung des Kooperationsverbotes und die Definition einer Gemeinschaftsaufgabe „Kultur“. Umso mehr ist es zu bedauern, dass Sie dann nicht den Mut haben, eine nachhaltige kulturpolitische Strategie zu entwickeln, und bei Ihren Forderungen unkonkret und kleinteilig bleiben und alles unter Haushaltsvorbehalt stellen. Auf eine Ihrer Forderungen möchte ich hier eingehen. Sie erwarten im Rahmen der Demografiestrategie konkrete Handlungsempfehlungen. Wirft man dazu aber einen Blick in die grundlegenden Papiere der Bundesregierung, so findet man leider nichts, was unter kulturpolitischen Aspekten Mut macht. Der Innenminister hat im Januar 2015 das Papier „Grundsätze und Schritte zur Weiterentwicklung der Demografiepolitik der Bundesregierung“ vorgelegt. Darin kommt Kultur nur im Zusammenhang mit einer Willkommens- und Anerkennungskultur vor. Das ist wichtig, ja, das Thema erschöpft sich aber nicht in der Benutzung der Menschen als internationale Fachkräfte. Auch die Einteilung der Menschen, die in Not sind und gegenwärtig bei uns Schutz suchen, in solche, die für unseren Arbeitsmarkt qualifiziert sind, und solche, die es nicht sind, ist in keiner Weise zu akzeptieren. Wir Linke sehen die Kulturpolitik in einer aktiven und wichtigen Rolle bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels und der aktuellen Herausforderungen. Wenn Ihr Antrag in diesem Sinne zur Sensibilisierung im Kabinett führt, dann wäre das ein erster Schritt. Sie fordern in Ihrem Antrag die Prüfung von vielen Dingen. Warum handeln Sie nicht einfach? Eine Plattform der Förderprogramme und erfolgreichen Projekte einrichten und das Antragswesen vereinfachen – ja, das kann man machen, vielleicht sollte man das auch an manchen Stellen machen. Besser aber wäre es, man würde sich schon vor Auslobung des nächsten Programms und vor Start eines weiteren Pilotprojektes ressortübergreifend abstimmen und vor allem die Programme mit den Akteuren gemeinsam erarbeiten. (Beifall bei der LINKEN) Das gilt erst recht für so komplizierte Angelegenheiten wie die kulturelle Bildung. Genau bei diesem übergreifenden Thema fordern Sie Initiativen innerhalb der einzelnen Ressorts. Sie wissen, wir haben das Programm „Kultur macht stark“ am Anfang mit sehr großer Skepsis begleitet. Mittlerweile ist aber deutlich geworden, dass dieses Programm im Bereich der kulturellen Bildung viel bewegt hat. Das liegt maßgeblich auch an der Professionalisierung der Beteiligten und der Begleitung durch die Programmpartner; denn sie sind diejenigen, die wissen, was gebraucht wird, wo der Schuh drückt und was vielleicht auch nicht funktioniert, gerade weil sie eng mit den Akteuren vor Ort zusammenarbeiten und mit ihnen verbunden sind. Warum wollen Sie diese Expertise nicht nutzen, um ein bestehendes Programm weiterzuentwickeln, statt wieder ein neues zu testen? Sie wollen die Kultur- und Kreativwirtschaft in den ländlichen Räumen verstärken. Nein, Sie wollen erst einmal prüfen, ob das geht. Zeitgleich schaffen Sie ab dem kommenden Jahr die Regionalbüros des Kompetenzzentrums ab. Unter Punkt 10 nehmen Sie Bezug auf eine freie, zeitgenössische und darstellende Kunst und Kultur vor dem Hintergrund interkultureller Herausforderungen. Aber auch hier braucht es eine verlässliche und langfristig gesicherte Förderung struktureller Art. Ich hoffe sehr, dass Ihre Prüfung zu einer Veränderung des aktuellen Haushaltstitels bei den Einzelprojekten im Bereich Tanz und Theater führt. Hier stehen wir nämlich vor einer Kürzung der Mittel um zwei Drittel. Statt bestimmter Einzelprojekte brauchen die Menschen in den ländlichen Räumen ein übergreifendes, zwischen den politischen Ebenen abgestimmtes, verlässliches und ehrlich gemeintes Konzept. Dieses muss die Stärkung der kulturellen Infrastruktur ins Zentrum stellen. Nur dort kann dann die freie Szene andocken oder das von Ihnen zu Recht gelobte ehrenamtliche Engagement. Es ist aber ein Trugschluss, zu glauben, dass das Ehrenamt die Lücken der öffentlichen Kulturförderung schließen könnte. Die Hauptverantwortung für die kulturelle Infrastruktur tragen die Kommunen. Sie müssen also entsprechend finanziell ausgestattet werden, dass sie die Kultur auch schützen und fördern können, wie es sich für einen Bereich der Daseinsvorsorge eigentlich gehört. Das Verfassungsziel, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, sollte hierfür der Maßstab sein. (Beifall bei der LINKEN) Die Kommunen brauchen Anreize und Beratung bei der Entwicklung von Kulturkonzepten und Entwicklungsplänen. Dabei hilft – das ist ein wichtiger Punkt in Ihrem Antrag – ganz sicher auch eine verstärkte Kulturpolitikforschung. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, im Ziel sind wir uns einig und auch in Ihrer Analyse. Wir stimmen trotzdem Ihrem Antrag heute nicht zu, weil wir ihn für zu oberflächlich und nicht zielführend halten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Burkhard ­Blienert das Wort. (Beifall bei der SPD) Burkhard Blienert (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Kulturpolitik im ländlichen Raum unter demografischen Gesichtspunkten“ braucht eine Herleitung, eine Ableitung, sonst kann man den Kontext aus meiner Sicht nicht richtig einordnen. Wir wissen – das sind fast Banalitäten –: Gesellschaften müssen sich permanent verändern. Stillstand bedeutet letztendlich Rückschritt. Status quo bedeutet Innovationsträgheit. Gesellschaften verändern sich von alleine. Die zurzeit größten Kräfte gesellschaftlicher Veränderung sind die Auswirkungen des demografischen Wandels, der Digitalisierung und die Folgen einer immer stärker zusammenwachsenden Weltengemeinschaft im Zeichen der Globalisierung. All das erleben wir aktuell in all seinen Facetten. Politik muss diese Transformationsprozesse genau benennen und diskutieren, um gesellschaftliche Widersprüche und Zielkonflikte deutlich zu machen und nach Lösungen zu suchen. Einen großen Anteil daran haben eben Kunst, Kreativität und Kultur, haben die kulturellen Akteure und haben die Orte kulturellen Lebens, insbesondere im ländlichen Raum. In diesem Antrag konzentrieren wir uns auf den demografischen Aspekt und auf den ländlichen Raum. Der demografische Wandel ist, gesellschaftlich gesehen, eine Querschnittsaufgabe, bei der die verschiedensten Themenfelder zusammenkommen und womit auch nahezu alle Ausschüsse hier im Deutschen Bundestag befasst sind. Ich finde, es ist uns gut gelungen, diesen komplexen Entwicklungsprozess aus kulturpolitischer Sicht zu beleuchten. Der Antrag bietet daher eine gute Ausgangsbasis für die Debatte. Aus meiner Sicht werden die notwendigen Spannungsverhältnisse infolge des demografischen Wandels beschrieben, die sich auf das kulturelle Leben auswirken, Spannungsverhältnisse, die im Rahmen der Kulturpolitik austariert werden müssen. Dabei will ich nun noch einige Aspekte aus diesen Blickwinkeln hervorheben. Zum einen geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Ehrenamt und staatlichen Aufgaben. Ehrenamtliches Engagement spielt bei der Frage, wie wir den zukünftigen demografischen Herausforderungen im ländlichen Raum begegnen wollen, eine zentrale Rolle. Ehrenamt kann und soll staatliche Strukturen aber nicht ersetzen. Wenn ich unterwegs bin, werde ich vielfach von den kulturell engagierten Menschen angesprochen, die sich oftmals auch alleingelassen fühlen und denen häufig die notwendige Unterstützung fehlt, gerade wenn es darum geht, bürokratische Hürden zu überwinden. Für viele ist das Anlass, ihr Engagement zurückzufahren, und viele hält es davon ab, sich überhaupt einzusetzen. Damit bleibt ein großes Potenzial insbesondere auch im ländlichen Raum ungenutzt. So gilt es nun, die richtige Balance zwischen Ehrenamt und staatlichen Aufgaben zu finden und dabei Ungleichgewichte zu vermeiden. Wir dürfen nicht darin nachlassen, die Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement weiter zu verbessern. Neben der Vereinfachung des Antragsverfahrens müssen wir den Ehrenamtlichen auch Hauptamtliche an die Seite stellen, die sie mit Beratung und Professionalisierung unterstützen können. Das ist einer der zentralen Punkte in dem Antrag. Ein zweites Spannungsverhältnis, das im Antrag dargestellt wird, bezieht sich auf die unterschiedlichen räumlichen Schwerpunkte des demografischen Wandels. Nicht überall findet alles gleichzeitig statt. Dabei ist es uns wichtig, dass alle Regionen als attraktive Lebensräume gestärkt werden müssen. Ein lebendiges kulturelles Leben und kulturelle Teilhabe schaffen Lebensqualität und Bindung. Sie sind für die meisten Menschen wichtige Kriterien bei der Entscheidung über ihren Wohn- und Lebensmittelpunkt. „Kultur schafft Willkommensräume“, so hat die kulturpolitische Gesellschaft es bezeichnet. Das muss Ziel unserer Kulturpolitik sein, und das ist auch Ziel unseres Antrags. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schlüsselfaktor kultureller Integration ist die kulturelle Bildung. Sie öffnet den Zugang zu Kunst und Kultur und ermöglicht die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie bietet Gelegenheit für interkulturellen Austausch, der das eigene kulturelle Verständnis befruchten und bereichern kann. Deshalb steht fest: Wenn wir die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft als Chance nutzen wollen, müssen wir die kulturelle Bildung fördern, in Zukunft noch viel konsequenter und energischer als bisher. Noch ein drittes Spannungsverhältnis wird in unserem Antrag angesprochen. Das liegt in der Finanzierung der Kultur begründet. Der Bund fördert Kultur auf vielen Wegen. Diesen Förderaktivitäten des Bundes sind durch den Kulturföderalismus jedoch enge Grenzen gesetzt. Wir müssen dafür sorgen, dass Bund, Länder und Kommunen ihre Förderaktivitäten stärker miteinander abstimmen. Ein stärker kooperativ orientierter Kulturföderalismus könnte das kulturfördernde Engagement des Bundes in der Fläche verstärken und beim Erhalt der kulturellen Infrastruktur helfen. Die wesentlichen Träger bleiben jedoch die Kommunen. Dort wird in Zusammenarbeit mit den Ländern das meiste Geld für die Förderung der Kultur akquiriert und ausgegeben. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir und die Bundesregierung die Kommunen in diesem Jahr und auch schon in den vergangenen Jahren finanziell spürbar entlastet haben. Das ist der richtige Weg, der fortgesetzt werden muss, damit kommunale Kulturetats Luft zum Atmen haben. Der Antrag bietet Ideen und zeigt konkrete Maßnahmen auf, wie durch Konzentration auf die eigenen lokalen Stärken und durch Vernetzungen, Partnerschaften und Kooperationen Neues entstehen kann. Wissenstransfer und Vernetzung sind dabei ein wichtiger Erfolgsfaktor. Der Antrag zeigt aber auch Möglichkeiten auf, wie und wo der Bund bei der Kulturförderung mithelfen sollte, zum Beispiel bei der Entbürokratisierung von Förderinstrumenten oder bei der notwendigen Kulturpolitikforschung, die verstärkt werden muss. Hier sind wir bei einem ganz entscheidenden Punkt, nämlich bei der Frage, wie wir den demografischen Veränderungen begegnen wollen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder erleben wir es als Krise und Bedrohung, oder wir sehen die Chancen und Potenziale, gehen die Herausforderungen an und fangen an, den Wandel aktiv zu gestalten. Ich denke, wir sind uns einig, dass der zweite Weg auch vor dem Hintergrund der von mir beschriebenen Spannungsverhältnisse der richtige ist, sodass wir dem ländlichen Raum auch in Zeiten des demografischen Wandels eine Zukunft geben können. Ich würde mich über die Unterstützung unseres Antrags auch durch die Grünen und die Linken sehr freuen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Die Sicherung des kulturellen Angebots im ländlichen Raum ist ein wichtiges Thema. Die Problembeschreibung im Antrag der Koalition ist grundsätzlich richtig. Kulturinstitutionen sind als Orte der Begegnung unverzichtbar und tragen entscheidend zur sozialen Teilhabe und Identifikation mit dem direkten Lebensumfeld bei. Angesichts knapper Haushaltskassen wird aber oft bei den freiwilligen Leistungen gespart. Darunter sind leider viele kulturelle Angebote. Der Wegfall eines Bücherbusses, ein geschlossenes Programmkino oder ein weggekürztes soziokulturelles Zentrum bedeuten weniger Bildung, weniger Information und einen Verlust von gesellschaftlicher Teilhabe vor Ort. Um den Erhalt der kulturellen und sozialen Infrastruktur nicht nur im ländlichen Raum langfristig zu sichern, braucht es zunächst dauerhaft eine finanzielle Entlastung von strukturschwachen Kommunen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genau das fordern wir in unserem aktuellen Antrag „Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not“. Hier muss die Bundesregierung endlich tätig werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem sind eine abgestimmte demografische Gesamtstrategie und nachhaltige Konzepte für den Erhalt der kulturellen Infrastruktur gefragt. Denn viele ländliche Räume, beispielsweise im Nordosten Brandenburgs, im Norden Sachsen-Anhalts oder in weiten Teilen Mecklenburg-Vorpommerns, stehen vor existenziellen Herausforderungen beim Erhalt der sozialen und kulturellen Infrastruktur vor Ort. Hier brauchen wir dringend Lösungen unter Einbeziehung aller politischen Ebenen; denn um beispielsweise den Zugang zu Kulturangeboten im ländlichen Raum dauerhaft zu sichern, sind gute Mobilitätsansätze notwendig. Erst letzte Woche hat die Bundesregierung im Rahmen ihres Strategiekongresses Demografie allerdings erneut verpasst, dieses Problem endlich umfassend anzugehen. Was macht sie stattdessen? Uninspiriert und wenig engagiert verwaltet sie ihre sogenannte Demografiestrategie. Warum sonst wurde aus dem ursprünglich für den Sommer groß geplanten Demografiegipfel ein kleiner geschrumpfter Strategiekongress im Herbst? Ich sage Ihnen: Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Zuwanderung von geflüchteten Menschen, von denen viele bleiben werden, muss hier dringend viel mehr passieren, und zwar im positiven Sinne; denn es ist ja keinesfalls neu, dass Einwanderung neben Alterung und dem Rückgang der Bevölkerung eine entscheidende Komponente für demografische Entwicklung ist. Bisher beschäftigt sich aber lediglich eine von zehn Arbeitsgruppen des Strategiekongresses Demografie mit Einwanderung. Das reicht nicht. Das müsste auch Ihnen klar sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch das Potenzial von Kultur bei der Bewältigung aktueller und zukünftiger demografischer Herausforderungen spielt im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung bisher fast gar keine Rolle. Einerseits fordern Sie in Ihrem Antrag eine zukunftsweisende Kulturpolitik im demografischen Wandel, andererseits haben Sie es leider verpasst, hierzu konkrete Forderungen zu stellen. Außerdem fehlt mir ein nachhaltiges Konzept zur Stärkung der kulturellen Infrastruktur im ländlichen Raum. Eine Modellförderung hier oder ein Preis da, das sind erste wichtige Schritte. Aber langfristige Antworten sehen aus meiner Sicht anders aus. Da müssen Sie, finde ich, schon den Mut aufbringen, sich an die grundsätzlichen Fragen heranzuwagen und etwas zu ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zwei Aspekte möchte ich konkret ansprechen. Es wäre sinnvoll, zum einen wirklich ernsthaft über das Staatsziel Kultur zu sprechen und zum anderen die Kulturförderung des Bundes grundsätzlich zu überarbeiten und sie an die neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Hierzu finde ich in Ihrem Antrag nichts. Noch ein wichtiger Punkt – er wurde schon mehrfach genannt –: Die Forderung nach ehrenamtlichem Engagement ist ein sinnvolles Vorhaben; das unterstützen auch wir ganz grundsätzlich. Aber dies als wichtigsten Schritt zur Stärkung der Kultur im ländlichen Raum zu bezeichnen, wie es die Kollegin Freudenstein in ihrer Rede bei der ersten Lesung, die zu Protokoll gegeben wurde, getan hat, kann es wirklich nicht sein. Wenn Sie den Leuten, die im Ehrenamt tätig sind, sagen: „Macht ihr die Kulturpolitik im ländlichen Raum, wir als Politik ziehen uns daraus zurück; ihr macht die Arbeit, aber wir stellen keine Finanzierung zur Verfügung“, dann ist das das falsche Signal. (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Sie haben das Problem nicht verstanden!) Dann können Sie nicht ernsthaft sagen, das sei der wichtigste Schritt zur Stärkung der Kultur im ländlichen Raum. Da bin ich Burkhard Blienert dankbar, der sagt: Hier brauchen wir eine Balance, einen Ausgleich. Das darf nicht nur ein Signal an die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stattdessen möchte ich – darauf lege ich ganz besonders großen Wert – für die Stärkung der Soziokultur plädieren. Das ist ein Punkt, auf den Sie Ihren Blick nicht richten. Tatsächlich ist es so, dass viele geflüchtete Menschen auch im Kulturbereich nachhaltige Teilhabemöglichkeiten in soziokulturellen Zentren bekommen können. Sie ermöglichen umfassende Partizipation für Menschen jedes Alters, jeder Nationalität und jeder Herkunft. Sie alle sind in soziokulturellen Zentren richtig aufgehoben. Hier steht eine große Bandbreite an künstlerischen Angeboten und Aktivitäten zur Verfügung, gerade auch im ländlichen Raum. Notwendig ist deshalb eine nachhaltige Erhöhung und Sicherung der Mittel für die Soziokultur, für die Stärkung gesellschaftlicher Teilhabe durch Kulturangebote für alle. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Kollegin Dagmar Wöhrl hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschland, sagt man, ist das Land der Dichter und Denker. Da fallen uns sehr viele Vertreter ein, ob in der deutschen Literatur Johann Wolfgang von Goethe, Koryphäen der klassischen Musik wie Ludwig van Beethoven oder zeitgenössische Maler wie Gerhard Richter. Aber daneben gibt es viele Kulturschaffende, deren Namen uns nicht bekannt sind, die in den vielen kleinen Theatern, in den kleinen Kinos, auf den kleinen Bühnen ihre Arbeit machen, die gestalten und die Kultur mit weiterentwickeln. Unsere Kultur ist vielfältig; darauf sind wir stolz. Sie ist genauso vielfältig wie Deutschland und seine Regionen, ob Malerei, Musik, Film oder darstellende Künste. Sie ist beeindruckend. Das gilt nicht nur für die Kulturmetropolen wie Berlin mit den großen Staatstheatern und Opernhäusern, sondern auch für den ländlichen Raum. Es ist von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen worden: Wir haben einen demografischen Wandel, Geburtenrückgänge – dieses Jahr ist die Zahl der Geburten Gott sei Dank wieder ein bisschen höher – und eine Abwanderung aus ländlichen Gegenden zu verzeichnen, vor allem von jungen Menschen, die es immer mehr in die Stadt zieht. Das heißt, es gibt ein Problem. Die Flüchtlingsströme, die uns derzeit erreichen, sind natürlich unumstritten die größte Herausforderung, die wir in diesen Tagen, in diesen Wochen und auch in den nächsten Monaten zu bewältigen haben. Auch hier gibt es kulturpolitische Herausforderungen; denn kulturpolitische Teilhabe ist gesellschaftliche Teilhabe und somit auch ein ganz wichtiger Schlüssel zur Integration. (Beifall bei der CDU/CSU) Menschen mit Migrationshintergrund prägen unsere Gesellschaft und unser kulturelles Leben und – das dürfen wir nicht vergessen – bereichern es auch. Integration heißt auch, kulturelle Werte und Traditionen zu vermitteln, und zwar in beide Richtungen: von uns auf die Flüchtlinge und Migranten und von den Flüchtlingen und Migranten auf uns. Tanz, Theater, Film und Musik können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Kultur war schon immer ein verbindendes Element über Grenzen hinweg. Das haben wir schon sehr oft erwähnt und wissen wir alle. Sie ist aber auch ein verbindendes Element zwischen Land und Stadt und zwischen Jung und Alt. Sie ist eine gemeinsame Sprache und stiftet Identität, wie das vorhin auch schon zu Recht erwähnt worden ist. Wir leben in Zeiten der Veränderungen. In diesen bietet sie Halt und hilft sie uns, den gesellschaftlichen Wandel zu bewältigen. Was bedeutet das alles aber für den ländlichen Raum? Wie schon erwähnt, ist der ländliche Raum besonders stark vom demografischen Wandel betroffen. Sicher geht es auf dem Land vorrangig um Daseinsvorsorge, also darum, dass etwa der Tante-Emma-Laden erhalten bleibt und dass die ärztliche Versorgung weiterhin zur Verfügung steht. Es geht aber auch um die Aufrechterhaltung eines Kulturangebotes. Das ist eine Herausforderung, und zwar auch deswegen, weil die Kommunen, wie wir wissen, immer weniger Einnahmen und auf der anderen Seite aufgrund der Flüchtlingsströme natürlich mehr Ausgaben als früher haben. Und wo wird als Erstes gespart? Das geschieht im Kulturbereich – das wissen wir –, weil die Förderung der Kultur eine freiwillige Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung ist und man dort am schnellsten Geld einsparen kann. Mit der Veränderung der Bevölkerungsstruktur wandelt sich aber auch noch etwas anderes, nämlich das Kulturinteresse des Publikums und das Publikum selbst. Statt Opern und anderer Hochkultur sind zukünftig andere Kulturangebote und Formate gefragt. Das heißt, Kulturpolitik ist auch Standortpolitik. Wir müssen in den ländlichen Gebieten Angebote schaffen, mit denen wir Städter dazu bekommen, wieder aufs Land zu ziehen. Dafür brauchen wir ein spezielles Kulturmarketing in diesem Bereich und andere Formen des kulturellen Angebotes, wie zum Beispiel Festivals. Wir wissen, dass Regionen, die wirtschaftlich und kulturell aktiv sind, wachsen. Es wird immer unterschätzt, welche Auswirkungen ein kulturelles Angebot hat. Wenn man über den Fachkräftemangel spricht, sucht man immer Kriterien zur Mitarbeiterbindung. Hier ist auch die Kultur ein ganz wichtiger Punkt. Sie ist für viele ein Grund, mit ihrer Familie in eine bestimmte Gegend zu ziehen. Die Menschen identifizieren sich mit der Region, in der sie leben. Sie finden in dieser Region Halt und fühlen sich mit ihrer Heimat verbunden. Wenn sie wissen, dass dort unter anderem auch ein kulturelles Angebot gegeben ist, dann bleiben sie auch dort. Das heißt, die Kultur ist längst nicht mehr ein weicher Standortfaktor, wie das früher vielleicht einmal der Fall gewesen ist. Ich finde, in dem Antrag wird sehr gut herausgearbeitet, dass die Handlungsfelder natürlich neu beackert werden müssen. Es geht dabei auch darum, neue Finanzierungswege, neue Zielgruppen und neue Nutzer zu finden und die kulturelle Bildung in diesem Bereich stärker in den Fokus zu stellen. Dabei müssen alle Altersgruppen berücksichtigt werden. Durch die Jugendarbeit müssen die jungen Leute sehr viel mehr begeistert werden. Sie müssen von Anfang an in die kulturellen Planungen einbezogen werden. Das fängt schon im Kindergarten an und gilt auch für die Schulen. Eines darf man nämlich nie vergessen: Unsere Kinder sind das Kulturpublikum und die Kulturschaffenden von morgen. Deswegen muss man das Interesse und die Begeisterung früh wecken. Natürlich müssen wir hier auch die Senioren sehr stark in den Blick nehmen. Die Zahl der über 60-Jährigen in den ländlichen Räumen in Deutschland nimmt von 2009 bis 2030 um über 50 Prozent zu. Das bedeutet, dass zum Beispiel auch mobile Bücherbusse für immobile Nutzer wie Senioren unter anderem ein Baustein für ein anderes Kulturangebot in diesem Bereich sind. Es ist schon angesprochen worden, dass das bürgerschaftliche Engagement dabei eine ganz wichtige Stütze ist. Eines müssen wir natürlich auch sehen: Jede Krise hat natürlich auch eine Chance, nämlich die Chance, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen – so wie wir jetzt mit diesem Antrag –, um neue, kreative Konzepte zu entwickeln, um über neue kulturelle Angebote – mobile Kinos, Kreativzentren oder vieles andere mehr –, aber auch über neue Finanzierungsmöglichkeiten nachzudenken. Wir wissen, dass wir in diesem Zusammenhang immer wieder auf das Thema Finanzierung zurückkommen und es auch Kooperationen, Partnerschaften – Kirche, Schule, Unternehmen, die dort vor Ort sind – gibt sowie die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements; das ist vorhin auch erwähnt worden. Es sind gute Punkte angesprochen worden, wie die Kooperationsmodelle, wie die Kulturpolitikforschung, um Angebote zu schaffen, die die Kulturakteure auch wirklich nutzen. Es geht hier also darum, nicht am Menschen vorbei, sondern mit den Menschen aktiv zu werden, und um Förderprogramme, von denen sie profitieren. Die Vereinfachung des Antrags- und Vergabesystems für die Kulturförderung ist angesprochen worden. Wir haben gestern im Ausschuss auch die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung debattiert. Auch sie muss im ländlichen Raum stärker aktiv werden. Wir haben ein Ziel. Unser Ziel ist es, die Kulturschaffenden, die Initiativen vor Ort bestmöglich zu unterstützen, damit diejenigen, die im ländlichen Raum zu Hause sind, auch zukünftig sagen: Bei uns ist die Kultur zu Hause. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Hiltrud Lotze für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Hiltrud Lotze (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Gäste auf den Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ländliche Raum, auf den unser Antrag zur Stärkung der Kultur abzielt, das sind manchmal auch solche Regionen, in denen im schlechtesten Fall außer dem Schulbus seit Jahren kein Bus mehr fährt, aus denen viele junge Menschen längst in die nächste Stadt gezogen sind, in die kaum noch jemand zieht, weil das letzte Kino, die letzte Kneipe und der letzte Einkaufsladen zugemacht haben. Die Demografie tut ein Übriges, dass sich ganze Landstriche langsam entvölkern. Dass sich manche Landkreise und Regionen trotz dieser Aussicht nicht mit ihrem Schicksal abfinden, das zeigt beispielhaft der Landkreis Lüchow-Dannenberg in meinem Wahlkreis. Lüchow-Dannenberg war Zonenrandgebiet und an drei Seiten von der DDR eingegrenzt. Heute leben dort noch 40 Einwohner pro Quadratkilometer. Das Wendland und die Region dort haben zu Recht einen guten Ruf unter Naturliebhabern. Es gibt die wunderbare Flusslandschaft Elbe, die einzigartigen Rundlingsdörfer und andere schöne Dinge mehr. Aber fehlende Arbeitsplätze, schwache Wirtschaftskraft und schlechte Anbindung bewirken, dass die Menschen eher wegziehen als zuziehen, und die, die dableiben, werden immer älter. Dieser Trend ist dort zwar nicht gestoppt, aber die Menschen haben den Kampf um ihre Region nicht aufgegeben. Das Wendland punktet mit einer vielfältigen Kultur, die auf ehrenamtlicher Basis mit sehr viel Ehrgeiz und Kreativität umgesetzt wird. Es würde meine Redezeit deutlich überschreiten, wenn ich all die tollen Projekte aufzählen würde. Herausragend dort ist die „Kulturelle Landpartie“, das größte selbstorganisierte Kulturfestival in Norddeutschland. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Super!) – Genau, ich höre hier schon: Das ist super. Ich habe auch schon einige dort getroffen. Zehntausende Besucher kommen jährlich für zwölf Tage ins Wendland, um Kunst und Kultur, Theater, Musik, offene Werkstätten, traditionsreiches Handwerk zu erkunden. Entstanden ist die Kulturelle Landpartie übrigens aus dem Atomwiderstand, und dazu gibt es auch vielfältige Angebote. Die Betonung liegt hier auf „selbstorganisiert“, denn das kulturelle Angebot wird von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort bestritten. Natürlich – das ist hier mehrfach gesagt worden – darf bürgerschaftliches Engagement nicht die Verantwortung der öffentlichen Hand für Finanzierung und Ermöglichung von Kultur ersetzen. Genau dieses Spannungsfeld lotet unser Antrag hervorragend aus. Das Beispiel Wendland zeigt aber sehr deutlich, dass die Politik in vielen ländlichen Regionen an tolle Eigeninitiativen anknüpfen kann. Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um das Engagement vor Ort zu unterstützen und anzuerkennen. Wir müssen es den Menschen noch einfacher machen, ihre Ideen vor Ort umzusetzen. Der Antrag zielt genau darauf ab, indem er fordert, bürokratische Hürden abzubauen, Förderdatenbanken übersichtlich zu bündeln und umfassende Beratung zu gewährleisten, um die Kulturinitiativen vor Ort zu unterstützen. – Ich bin gleich fertig. – Das Beantragen von Fördergeldern muss vereinfacht werden. Denn oftmals scheitern Initiativen daran, dass die Antragstellung zu zeitaufwendig und kompliziert ist. Das alles muss verbessert werden; dann kann die Kultur einen Beitrag dazu leisten, dass in den ländlichen Regionen das Licht an bleibt und hell strahlt. Die Kulturelle Landpartie – damit komme ich zum Schluss – findet immer zwischen Himmelfahrt und Pfingsten statt. Ich darf alle einladen, einmal daran teilzunehmen. Sie werden begeistert sein. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Kollegin Lotze. Ehrlich gesagt, wenn alle so pünktlich wären, was die Redezeit angeht, dann hätten wir manche Probleme weniger. Das war wirklich vorbildlich. Frau Lotze war die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt. Damit beenden wir die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Zukunftsweisende Kulturpolitik im demografischen Wandel – Stärkung der Kultur im ländlichen Raum“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6167, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5091 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung Drucksache 18/5384 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem heutigen Vorschlag zur Reform des § 177 Strafgesetzbuch zeigen wir einen Weg auf, wie ein jahrzehntealtes Problem beim Straftatbestand der sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung aus dem Weg geräumt werden kann. Bis heute ist ein sexueller Übergriff nur dann strafbar, wenn der Täter das Opfer nötigt, und zwar mit Gewalt oder durch Drohung mit einer Gefahr für Leib und Leben. In vielen Fällen müssen daher die Verfahren nicht aus Beweisgründen eingestellt werden, sondern weil der Sachverhalt schlicht nicht strafbar ist. Ich will Ihnen einige Beispiele dafür aus der Praxis nennen. Das sind zunächst die Fälle, in denen der zeitliche Zusammenhang zwischen der Gewalt und der sexuellen Handlung unterbrochen ist. So konnte ein Täter nicht wegen Vergewaltigung verurteilt werden, der zuvor den Freund seiner Exfrau in deren Anwesenheit erschoss, diese mit vorgehaltener Pistole zwang, mit ihm zu kommen, und schließlich in einem Hotelzimmer den Sexualverkehr mit ihr durchführte, nachdem er seine Waffe weggelegt hatte. Nicht strafbar sind des Weiteren die sogenannten Überraschungsfälle, in denen der Täter keine Nötigungsmittel einsetzen muss, weil das Opfer gar nicht mit einem Übergriff rechnet, wie in dem Fall eines Aktmodels, das vom Täter gebeten wurde, sich mit dem Rücken zu ihm an die Wand zu stellen. Als dieser dann völlig unvermittelt in das Opfer eindrang, war dieses zu überrascht, um den Angriff abzuwehren. Da sind weiter Fälle, in denen das Opfer aus anderen Gründen keinen Widerstand leistet, weil es entweder aus Erfahrung weiß, dass der Täter gewalttätig wird, oder weil das Opfer nicht will, dass die Kinder oder die Nachbarn etwas von der Tat mitbekommen. Auch die Einführung der dritten Tatbestandsalternative im Jahr 1997, wonach die Nötigung durch Ausnutzung der schutzlosen Lage strafbar wurde, hat für die betreffenden Fälle keine Besserung gebracht. Im Zweifelsfall muss das Opfer nach wie vor erklären und beweisen, warum es nicht weggelaufen ist, warum es nicht geschrien hat, warum es sich nicht gewehrt hat. Die deutsche Rechtslage entspricht damit nicht der Istanbul-Konvention vom Mai 2011, wonach nicht einvernehmlich ausgeübte sexuelle Handlungen unter Strafe gestellt werden müssen, unabhängig von der Frage der Widerstandsleistung. Wir schlagen Ihnen daher einen neuen § 177 Absatz 2 vor, der keine zusätzliche Nötigungshandlung des Täters erfordert, wenn dieser die Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt oder der entgegenstehende Wille des Opfers erkennbar zum Ausdruck gebracht worden ist. Die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens ist selbstverständlich im Verfahren zu beweisen, wie dies bisher bei allen Tatbestandsmerkmalen der Fall war. Die Beweislage wird dadurch nicht besser oder schlechter. Sie ist bei Sexualdelikten häufig schwierig. Aber das ist kein Grund, die Tat als solche nicht unter Strafe zu stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es muss den Opfern künftig erspart werden, dass das Verfahren trotz erwiesenem und erkennbar entgegenstehendem Willen eingestellt werden muss und den Tätern damit noch nachträglich staatlicherseits attestiert wird, dass sie das Recht auf ihrer Seite hatten. Wer erkannt hat, dass der andere den Verkehr nicht will, macht sich nach unserem Vorschlag strafbar, wenn er diesen trotzdem durchführt. Unser Gesetzentwurf stellt damit klar: Nein heißt Nein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben deshalb auch die sexuelle Nötigung im geltenden § 240 Absatz 4 nicht nur aus systematischen Gründen in § 177 Absatz 1 integriert, sondern auch dort eine weitere Lücke geschlossen. Bei diesem Tatbestand geht es um die einfache Nötigung mit einem empfindlichen Übel, also nicht um die qualifizierte Nötigung mit einer Gefahr für Leib und Leben. Bislang macht sich danach nur strafbar, wer zu einer sexuellen Handlung nötigt, nicht aber zur Duldung einer solchen Handlung. So musste ein Handballtrainer freigesprochen werden, der einer Spielerin drohte, sie dürfe nicht bei dem entscheidenden Wettkampf mitspielen, wenn sie den Geschlechtsverkehr nicht dulde. Mit dem von uns vorgeschlagenen § 177 Absatz 1 ist die sexuelle Nötigung nun in beiden Varianten erfasst. Seit Juli wissen wir, dass auch das Bundesjustizministerium einen Vorschlag zur Behebung der dargelegten Probleme erarbeitet hat. Leider hatten Sie dabei nicht den Mut, § 177 selbst zu reformieren, sondern haben stattdessen lediglich an § 179, dem sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, Änderungen vorgenommen. Dieser Tatbestand ist allerdings schon in seiner bisherigen Form missglückt, da er unter anderem eine Sonderregel für Behinderte und damit eine Diskriminierung enthält. Dieser Sondertatbestand ist nicht reformierbar. Er gehört schlicht gestrichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach unserem Vorschlag sind alle Personen – aus welchen Gründen auch immer sie keinen Widerstand leisten – vom neuen § 179 Absatz 2 geschützt. Da braucht es keinen gesonderten Tatbestand mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem sieht Ihr Entwurf noch immer vor, dass das Opfer im Falle des Widerstands ein empfindliches Übel befürchten muss. Ein offensichtlich entgegenstehender Wille des Opfers ist nach Ihrem Entwurf kein strafbewehrtes Hindernis, den Verkehr trotzdem zu vollziehen. Das genügt weder uns noch den Anforderungen der Istanbul-Konvention. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Immerhin haben Sie den Handlungsbedarf anerkannt. Was uns wirklich irritiert hat, war der Bericht in der taz vom 9. September, wonach das Kanzleramt die Reform des Vergewaltigungstatbestandes vorerst gestoppt hat. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass Vertreter des Kanzleramtes in der Expertenanhörung am 13. Oktober 2014 anwesend waren. Dort wäre die Gelegenheit gewesen, sich von der Unzulänglichkeit des deutschen Strafrechts zu überzeugen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]) Bis auf Herrn Fischer – ihn lassen wir einmal außen vor – waren sich die Fachleute weitgehend einig und haben die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen überzeugen können. Der Kollege Wiese von der SPD wurde damit zitiert, dass ihn die Blockadehaltung des Kanzleramtes völlig unverständlich sei. Die Kollegin Winkelmeier-Becker hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Fraktionen den Entwurf schließlich auch ohne Zustimmung des Kanzleramtes in den Bundestag einbringen können. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Ende. – Das wäre sicherlich das Beste im Sinne der Opfer sexueller Misshandlung. Wir sind uns jedenfalls einig, was den Regelungsbedarf betrifft, auch wenn wir unterschiedliche Vorschläge gemacht haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Ich hoffe, dass ich Sie von den Vorzügen unseres Entwurfs überzeugen konnte, und freue mich auf eine konstruktive Auseinandersetzung über die beste Lösung – mit oder ohne Kanzleramt. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Alexander ­Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Ich gebe zu, dass es bisweilen für Sie als Besucher schwierig ist, rechtspolitischen Debatten hier zu folgen. Sie gelten bisweilen als langweilig. Aber wir haben heute ein Thema, das aus dem Leben gegriffen ist, glaube ich, im wahrsten Sinne des Wortes griffig, an mancher Stelle sicher schwere Kost. Ich will Sie ein bisschen durch das Thema führen. Um was geht es? In Deutschland sind sexuelle Handlungen nur gegen den Willen des Opfers per se nicht strafbar. Das Problem verorten wir in § 177 StGB. – Liebe Kollegin Keul, ich bin sehr dankbar, dass Sie unmissverständlich klargemacht haben, dass wir alle Handlungsbedarf dort sehen. – Das führt in der Praxis bisweilen zu komisch anmutenden Fällen; Sie hatten einige geschildert. Meine Damen, meine Herren, stellen Sie sich vor: Eine Frau ist mit einem Trinker verheiratet. Der kommt eines Abends sturzbetrunken aus der Kneipe nach Hause, will den Beischlaf mit ihr vollziehen. Sie will das nicht, weist mehrmals darauf hin. Es kommt am Schluss doch dazu, weil sie sich fügt, weinend und verkrampft, weil sie Angst hat, dass die Kinder im Nachbarzimmer etwas mitbekommen, dass die Nachbarn etwas mitbekommen oder dass er wieder übergriffig wird, wie das schon einmal der Fall gewesen ist. – Dieser Fall – das muss man sich einmal vorstellen – ist nicht strafbar, selbst wenn der Mann am nächsten Tag in die Kneipe geht und sich mit dieser Tat brüstet. Ein anderer Fall ist der von dem Model, den Sie vorhin angesprochen haben, wo das paralysierte Mädchen so überrumpelt ist, dass es zu keiner Gegenwehr kommt. Das Problem ist die Formulierung von § 177 StGB, der im Moment drei Alternativen vorsieht: Die sexuelle Handlung muss entweder mit Gewalt vorgenommen worden sein oder durch eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Dabei hat der Gesetzgeber 1997 diese dritte Alternative ins StGB aufgenommen, weil er gerade Fälle erfassen wollte, in denen das Opfer keine Schutz- und keine Verteidigungsmöglichkeiten hat. Die obergerichtliche Rechtsprechung hat diese Alternative aber immer in einem Kontext gesehen, nämlich dass es eine enge Verbindung zur Nötigung geben muss, und hat sehr hohe, restriktive Anforderungen gestellt, weil auch das Strafmaß verhältnismäßig hoch ist. Deswegen fordert der BGH wie bei § 240 StGB – Nötigung – nicht nur die bloße Willensmissachtung; es muss vor dem Nötigungserfolg noch eine Nötigungskomponente, und zwar eine objektive Nötigungskomponente, eine objektive Zwangslage vorliegen. § 177 Absatz 1 Nummer 3 ist also dahin gehend streng auszulegen, dass objektiv gesehen keine Schutz-, Flucht- oder Hilfsmöglichkeiten für das Opfer vorhanden sein dürfen. Bei dieser objektiven Betrachtung ist die Sicht des Opfers nicht entscheidend. Es genügt auch das bloße Alleinsein nicht, und ebenso reicht es nicht aus, wenn nur das Opfer das Gefühl hat: Ich befinde mich in einer hilflosen Lage. – Deswegen sind die geschilderten Fälle aktuell straflos. Hinzu kommt – Sie haben es gesagt –, dass wir auf europäischer Ebene dringenden Handlungsbedarf angezeigt bekommen haben. Deutschland hat die Istanbul-Konvention unterzeichnet. Das ist ein europäisches Regelwerk. Darin ist in Artikel 36 Absatz 1 vereinbart, dass die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass jedwede sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers in ihrem Hoheitsgebiet unter Strafe gestellt wird. Es gibt Frauenverbände, die uns auf den Handlungsbedarf hingewiesen haben; auch der Deutsche Juristinnenbund hat das getan. Ich bin sehr froh, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Frühsommer des letzten Jahres sehr früh ganz klar Position bezogen und Handlungsbedarf signalisiert hat. Wir waren damals schon der Meinung: Ein Nein ist ein Nein, und wenn der Täter dieses Nein positiv kennt oder es auch nur billigend in Kauf nimmt, ist es eine strafwürdige Handlung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Ministerium – ich denke, das darf man an dieser Stelle sagen – war zunächst etwas zögerlich. In einem Referentenentwurf vom 7. April des letzten Jahres wurde noch kein Handlungsbedarf gesehen. Es kam aber dann sehr schnell – auch durch die fruchtbare öffentliche Debatte – Bewegung rein. Zunächst wurde bekundet: Wir wollen das prüfen. – Am Schluss wurde nach einer Länderabfrage sehr deutlich gemacht: Wir müssen dort etwas verändern. – Das Ergebnis ist jetzt ein Entwurf, der noch nicht im offiziellen Verfahren ist. Er befindet sich in der Ressortabstimmung. Da sage ich: Meine Damen, meine Herren, das ist doch eine Entwicklung, mit der wir gerechnet haben. Wir haben doch gewusst, wir kommen irgendwann an einen Punkt, an dem es um einzelne Formulierungen geht, an dem es um Fragen geht wie: Wie werden wir einzelne Dinge nachweisen können? Wie praxistauglich ist eine Formulierung? Der Entwurf hat nämlich meines Erachtens die positive Seite: Er versucht sehr umfassend, Schutzlücken zu schließen. Aber er lotet damit natürlich auch Grenzen aus, weil er die Grenze ziehen muss zwischen dem, was strafbar ist, und dem, was vielleicht nur moralisch zu missbilligen ist. Ich will Ihnen dazu zwei Fälle nennen. Es muss zweifelsohne strafbar sein, wenn ein Chef oder eine Chefin sexuelle Handlungen einfordert und nur bei dieser Gegenleistung eine Beförderung anbietet. Aber es ist vielleicht nur moralisch zu missbilligen, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter mit dem oder der Vorgesetzten eine sexuelle Beziehung aufbaut in der Hoffnung, dass sich das vielleicht später einmal positiv auf die Karriere auswirkt. Der Unterschied ist, dass im zweiten Fall kalkuliert und frei ein Wille gebildet werden konnte. Deswegen ist es, denke ich, ganz wichtig, dass jetzt gerade in der Ressortabstimmung noch einmal ganz trennscharf geschaut wird: Wie ist das im Einzelfall zu diskutieren und zu formulieren? Denn wir alle sind uns doch darüber im Klaren: Strafrecht ist Ultima Ratio. Es ist niemandem gedient, wenn am Schluss ein Entwurf auf dem Tisch liegt, der unter Umständen sozial adäquates Verhalten unter Strafe stellt. Es ist ein Ringen um Formulierungen. Das braucht Zeit. Da gebe ich zu, dass Ihr Formulierungsvorschlag in diesem Prozess durchaus einen sinnvollen Beitrag leistet. Sie haben eine Formulierung aufgegriffen, die auch schon in der Anhörung zur Sprache kam, nämlich eine Strafbarkeit dann zu etablieren, wenn der Täter das Opfer durch eine Drohung mit einem empfindlichen Übel zu sexuellen Handlungen nötigt, wenn der Täter die Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt, wodurch auch die Fälle des schlafenden Opfers erfasst wären, oder wenn der entgegenstehende Wille des Opfers eindeutig zum Ausdruck kommt. Aber der Teufel liegt natürlich im Detail. Auch dieser Entwurf begegnet am Ende denselben Schwierigkeiten wie im Moment der Referentenentwurf. Denn die Kunst wird natürlich dann in der Praxis sein, diesen entgegenstehenden Willen auch tatsächlich nachweisen zu können. Ich persönlich würde ohnehin empfehlen, nicht § 177 zu ändern, sondern eher § 179 zu reformieren, weil § 177 historisch immer an der Nötigung orientiert war und wir natürlich auch dem Umstand vorbeugen müssen, dass uns später wieder eine obergerichtliche Rechtsprechung einholt. Ein weiterer Aspekt, der mir in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist, dass ich schon glaube, dass es einen Unterschied machen muss, ob der Täter eine vorgefundene Situation ausnutzt oder ob er mit eigenen Maßnahmen eine Situation erzeugt, um den entgegenstehenden Willen zu beugen. Das ist ein Unterschied im Unrechtsgehalt, und das muss sich am Schluss auch in unterschiedlichem Strafrahmen auswirken. Ein letzter Punkt, der mir noch wichtig ist: Wenn wir darangehen und sagen: „Wir wollen umfassend Lücken schließen“, dann sollten wir uns auch Artikel 46 der Istanbul-Konvention vornehmen. Dieser sieht nämlich vor, dass sich die Mitgliedstaaten Gedanken darüber machen müssen, ob es sich nicht sogar strafschärfend auswirken muss, wenn die Tat an einer Person begangen wird, die aus besonderen Gründen schutzbedürftig geworden ist. Da denke ich vor allem an Menschen mit Behinderung. Im Moment haben wir die Situation, dass in § 179 die Mindeststrafe sogar niedriger ist, wir also eher über eine Diskriminierung nachdenken müssen. Wir sollten das zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, ob sich die sexuelle Misshandlung oder die Vergewaltigung von einem Menschen mit Behinderung nicht sogar strafschärfend auswirken muss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich freue mich auf die weitere Beratung. Wir werden noch viel über dieses Thema diskutieren, aber ich denke, sehr sachorientiert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen weist zu Recht darauf hin – das haben schon alle gesagt –, dass die derzeitige Regelung zum Schutz vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung nicht ausreichend ist. Ich gebe persönlich zu: Ich habe das in der letzten Legislaturperiode noch nicht so gesehen. Mich hat die Anhörung zur Istanbul-Konvention davon überzeugt, dass eine neue gesetzliche Regelung notwendig ist. Manchmal bringen Anhörungen tatsächlich etwas. Die Schutzlücke liegt meines Erachtens darin, dass der bisherige § 177 StGB, auch wenn er anders gedacht war, insbesondere mit der Formulierung in Absatz 1 Nummer 3 „Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist“ immer noch eine Nötigung voraussetzt. Eine Nötigung liegt vor, wenn einer natürlichen Person ein bestimmtes Verhalten aufgezwungen werden soll und das Nötigungsmittel auf Willensbeugung oder Ausschaltung des Willens gerichtet ist, und das durch Anwendung unwiderstehlichen Zwangs, namentlich durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel. Das ist das Grundproblem in diesem Paragrafen. Das verhindert, dass der Grundsatz „Ein Nein ist ein Nein“, den alle verankern wollen, auch tatsächlich umgesetzt werden kann. Der Gesetzgeber sollte sehr deutlich formulieren, dass ein Nein ein Nein und zu akzeptieren ist. Punkt. Aus. Ende der Debatte. – Ein Nein ist ein Nein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bündnis 90/Die Grünen haben nun einen Versuch unternommen, eine Neuregelung vorzuschlagen. Ich finde das ausgesprochen verdienstvoll. Ich finde vor allen Dingen verdienstvoll, dass mit dem Absatz 2 der Versuch unternommen wird, von der „Nötigung“ Abstand zu nehmen. Trotzdem überzeugt mich das nicht ganz, weil in dem Gesetzentwurf insbesondere das Verhältnis von Absatz 4 zu Absatz 5 für mich nicht ganz eindeutig ist. In Absatz 4 wird auf Gewalt oder Drohung abgestellt; da ist die Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Das ist okay. Der Absatz 5 wiederum lässt aufgrund seiner Formulierung und der Begründung offen, ob für einen besonders schweren Fall Gewalt oder Drohung mit einem Übel erforderlich sind oder nicht. Das können wir vielleicht noch klären. Mein Grundeinwand bezieht sich auf den mir noch nicht offiziell bekannten Änderungsvorschlag zum § 179. Aus meiner Sicht können wir es weder mit einer isolierten Lösung in § 177 noch mit einer in § 179 hinbekommen, den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung umfassend zu gewährleisten. Um das umfassend zu regeln, müssen wir das gesamte Sexualstrafrecht reformieren, und zwar unter zwei Prämissen: Erstens. Eine Strafbewehrung nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen verlangt eine klare Willensbekundung, mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden zu sein. Wie diese klare Willensbekundung aussehen kann, sage ich gleich. Zweitens. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ – das müssen wir in dieser Debatte auch immer wieder sagen – ist unverhandelbar. Erst in einem Strafverfahren kann geklärt werden, ob jemand ein Straftäter ist oder nicht. Da müssen entlastende und belastende Beweise gesammelt werden. Wir müssen deutlich machen – ich glaube, das gehört zur Ehrlichkeit dazu –: Ja, wir wollen die gesetzliche Klarstellung „ein Nein ist ein Nein“. Aber wir müssen auch vor der Illusion warnen, dass es zu mehr Verurteilungen kommt und dass es einfacher wird. Das hat zwar in dieser Debatte keiner gesagt; das sage ich sehr deutlich. Aber manche Reden werden später noch einmal nachgelesen. Deswegen will ich auf diesen Fakt hinweisen. Aus meiner Sicht – dieser Punkt ist bei uns aber noch umstritten; da müssen wir uns mit den Rechtspolitikern aus den Ländern noch unterhalten – wäre es denkbar, einen Grundtatbestand zu formulieren, der beinhaltet, dass ein Nein ein Nein bedeutet und dass gegen den erklärten Willen einer anderen Person keine sexuellen Handlungen vorgenommen werden dürfen. Der erklärte Wille kann sowohl ein ausgesprochenes Nein als auch eine Abwehrhandlung sein. In der Folge müsste aus unserer Sicht das Sexualstrafrecht umgestellt werden; ich habe das schon angedeutet. Wenn man einen solchen Grundtatbestand formuliert, dann kann man sich überlegen, ob der Qualifikationstatbestand entweder vorangestellt oder hintangestellt wird. Man muss dann überlegen, wo man Missbrauchstatbestände einsortiert, bei denen aus verschiedenen Gründen, wie zum Beispiel Abhängigkeitsverhältnis, davon ausgegangen werden kann, dass kein freier Wille gebildet werden kann. Ich finde, die berechtigte Kritik zum § 179 StGB, die genannt worden ist, spricht dafür, dass man sich noch einmal umfassender anschauen sollte, ob es nicht sinnvoll ist, einen Grundtatbestand des Verbots des sexuellen Missbrauchs zu formulieren, ob man die Missbrauchstatbestände nicht an anderer Stelle behandelt und über Qualifikationstatbestände nachdenkt. Deswegen würden wir gerne das Ergebnis der Expertenkommission, die beim Bundesministerium für Verbraucherschutz eingerichtet ist, zur Reformierung des Sexualstrafrechtes abwarten und dann handeln. Dass gehandelt werden soll, ist, glaube ich, unstreitig. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Dirk Wiese das Wort. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dirk Wiese (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung ist eines der wichtigsten Reformvorhaben im Rechtsbereich, die noch vor uns liegen. Es gilt, Regelungslücken im Strafrecht zu schließen und durch eine klare Normsetzung die Anzahl der Fehlurteile zu senken. Deshalb muss hier sauber und ganz genau gearbeitet werden. Ich erinnere mich hier an die 33. Strafrechtsreform im Jahr 1997, bei der das leider nicht so gewesen ist; denn sie hat zu einigen Regelungslücken geführt, die wir heute zu beheben versuchen. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich im Folgenden auf den Gesetzentwurf der Grünen eingehen. Im Detail ist er aus meiner Sicht an der einen oder anderen Stelle handwerklich nicht gelungen. Sie schaffen es aus meiner Sicht in Ihrem Gesetzentwurf, nicht nur Regelungslücken nicht zu schließen, sondern durch unbestimmte Rechtsbegriffe neue Regelungslücken zu etablieren. So ist in § 177 Absatz 2 Ihres Gesetzentwurfes eine Tatbegehungsvariante, dass der Täter die Arg  oder Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt. Ihr erklärtes Ziel ist es, die überraschende Tatbegehung zu bestrafen, wie es von Frau Keul geschildert wurde und wie es in der Gesetzesbegründung als Beispielfall steht, in dem das Opfer sich mit gespreizten Beinen mit dem Rücken zum Täter stellt, um sich zeichnen zu lassen, der Täter sich anschleicht und überraschend den Geschlechtsverkehr ausführt. Hier soll sich nach Ihrem Gesetzentwurf der Täter strafbar machen, weil er die Arglosigkeit des Opfers ausnutzt. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wenn Sie aber die Rechtsprechung zur Arg oder Wehrlosigkeit vergleichen, möchte ich bezweifeln, ob diese Fallkonstellation von Ihrem Gesetzentwurf abgedeckt ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben mit der Rechtsprechung geredet, Herr Wiese!) Zumindest bietet sie aber den Raum für breite Auslegungsdebatten. Das ist das, was Sie angeblich mit Ihrem Gesetzentwurf nicht wollen. Ferner finde ich es höchst fraglich, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf den Schutz für widerstandsunfähige Personen auflockern, indem sie den § 179 StGB streichen und mögliche Opfergruppen unter dem Tatbestandsmerkmal „wehrlos“ subsumieren. Gerade Menschen mit geistiger Erkrankung oder Behinderung sind oftmals nicht körperlich wehrlos und fallen deshalb nach Ihrer Definition möglicherweise aus dem Raster. Hier müssen wir sehr genau hinschauen. Der Kollege Hoffmann hat schon darauf hingewiesen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben mit der Rechtsprechung geredet! Das ist nicht erfunden!) Es gibt noch weitere Kritikpunkte, auf die ich aus Zeitgründen leider nicht komplett eingehen kann. Nur so viel: Gerade bei schwerwiegenden Taten, die Opfer mitunter für ein ganzes Leben traumatisieren, muss der Gesetzgeber den höchstmöglichen Schutz gewähren und darf keinen breiten Raum für Rechtsinterpretationen lassen, wie es in Ihrem Gesetzentwurf an der einen oder anderen Stelle noch der Fall ist. Es bedarf aus meiner Sicht einer Reform mit Augenmaß. Es bedarf eines Entwurfs, wie ihn Bundesjustizminister Heiko Maas vorgelegt hat, der in solider Vorarbeit und auch ordentlich bis ins Detail gut vorbereitet wurde. So hat Bundesminister Maas die Länder im September 2014 aufgefordert, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist ja kassiert!) dem Ministerium mitzuteilen, ob Fallkonstellationen aus der Praxis bei Anwendung von § 177 StGB bekannt seien, die Rechtslücken nahelegen, um verlässliche Fallzahlen zu bekommen. Die Rückmeldung aus der Praxis offenbarte vor allem vier problematische Konstellationen. Erstens – das habe ich bereits beschrieben – den Umstand, dass Fälle, in denen der Täter den Überraschungsmoment ausnutzt, wegen des Erfordernisses der Nötigung überhaupt nicht nach § 177 StGB strafrechtlich erfasst sind. Zweitens das Erfordernis des § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB an einer schutzlosen Lage. Hier reicht nach aktueller Rechtsprechung nicht das Ausnutzen einer lediglich subjektiven schutzlosen Lage durch den Täter. Das Opfer muss sich objektiv in einer schutzlosen Lage befinden. In der Praxis führte dies in vielen Fällen zu einem Tatbestandausschluss, in dem das Opfer sich nur subjektiv in schutzloser Lage wähnte. Drittens die Furcht vor Beeinträchtigung, die keine Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte darstellen, also in Fällen, in denen der Täter zwar weiß oder zumindest billigend in Kauf nimmt, dass das Opfer lediglich wegen des Vorliegens besonderer Umstände keine Gegenwehr leistet, etwa wenn der Sporttrainer droht, eine Spielerin beim Endspiel nicht aufzustellen. Viertens die mangelnde Finalität zwischen Gewalt oder Drohung und der sexuellen Handlung. Als Beispiel sei hier der Fall genannt, in dem der Täter Gewalt ausübt, indem er das Opfer in einem umschlossenen Raum einschließt, das Abschließen jedoch nicht der Ermöglichung der sexuellen Handlung, sondern nur dem Zwecke dient, ungestört zu sein. Dieser und anderer Fallkonstellationen hat sich das BMJV angenommen, und es hat aus meiner Sicht einen guten und fundierten Gesetzentwurf vorgelegt, der bestehende Regelungslücken in Kürze schließen wird. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er denn? Sie geben hier an wie ein Sack Flöhe, aber wo ist er denn? Der Minister ist nicht da, der Gesetzentwurf ist nicht da!) – Frau Künast, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Der Tonfall geht mir echt auf den Senkel!) Sie müssen uns nachsehen, dass wir an der Stelle versuchen, einen vernünftigen Gesetzentwurf vorzulegen. Unser Ziel ist es nicht, vor Beginn einer Sitzungswoche am Samstag in den Spiegel zu kommen und zitiert zu werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie mir mal die Pressearbeit Ihres Ministers erklären, der jedes Wochenende abwechselnd die zwei gleichen Themen verkauft, und zwar seit zwei Jahren! Und er hat trotzdem nichts durchgesetzt!) – Wir freuen uns, dass Sie verspätet zur Debatte gekommen sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die SPD schreibt aus meiner Sicht Opferschutz groß. Um es mit den Worten von Bundesjustizminister Heiko Maas zu sagen: Vorfahrt für Opferschutz: Keine Vergewaltigung darf straflos bleiben. Zuletzt möchte ich aber doch noch ein paar Worte an unseren Koalitionspartner richten. Ich freue mich sehr, dass die CDU/CSU-Fraktion – das ist gerade deutlich geworden – den Gesetzentwurf unterstützt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welchen denn? Der liegt doch gar nicht vor! Der ist doch einkassiert vom Kanzleramt!) Ich hoffe allerdings auch – Frau Winkelmeier-Becker, ich nehme Sie da beim Wort –, dass Sie zügig dafür sorgen werden, dass das Bundeskanzleramt die Blockade aufgibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Kollege Hoffmann hat gerade gesagt, dass er an der einen oder anderen Stelle im Detail ein paar Bedenken hat. Ich hoffe, das können Sie beide aber intern klären. Denn Sie haben gesagt, dass der Entwurf schon beratungsfähig ist. Insofern hoffe ich, dass wir ihn schnellstmöglich auf den Weg bringen, dass das Bundeskanzleramt die Blockade aufgibt und wir dann hier über einen guten und gelungenen Gesetzentwurf des BMJV diskutieren können. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie sich aber gerade widersprochen!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt darauf an, den Gesetzentwurf auch durchzukriegen und nicht nur in der Zeitung zu sein!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Frau Kollegin Künast, können wir uns jetzt darauf einigen, dass jetzt vor allen Dingen die Kollegin Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Fraktion das Wort hat? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sowieso! Das entscheiden ja Sie!) Bitte schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sylvia Pantel (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre für mich als Nichtjuristin jetzt etwas schwierig, auf diese fachlichen Dispute einzugehen. Ich werde es gar nicht erst versuchen. Die Regeln des Strafgesetzbuches sind nicht bloße Strafandrohungen, sondern sie versprechen Schutz: das Gefühl für jeden von uns, dass uns schon niemand das, was verboten ist, antun wird, Schutz vor Gewalt, Schutz vor Übergriffen, Schutz, den uns der Staat dadurch gewährt, dass er diejenigen bestraft, die unsere Rechte verletzen. Die Strafandrohung des Gesetzes dient also der Abschreckung. Der 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches, um den es hier heute im Wesentlichen geht, trägt die Überschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“. Ich glaube, hier ist niemand im Raum, der nicht auch die Meinung vertritt, dass ein Nein ein Nein ist; da sind wir alle uns völlig einig. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 2014 wurden laut Polizeilicher Kriminalstatistik in Deutschland 12 537 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Gewaltanwendung oder Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses erfasst. Das Sexualstrafrecht wurde in den vergangenen Jahrzehnten erfreulicherweise immer mehr in Richtung Selbstbestimmung der Frau geändert. „Mein Körper gehört mir!“ – schon vor fast zwanzig Jahren engagierte ich mich in Düsseldorf für ein gleichnamiges Projekt an Schulen, für die Frauenhäuser und für Angebote, die Frauen vor Gewalt schützen. Daher kenne ich zu viele Schilderungen von Gewalterfahrungen aus direkter Erzählung. Die Normen zur Bestrafung von sexueller Nötigung und Vergewaltigung setzen bei ebenjener Selbstbestimmung über den eigenen Körper an. Der Grundgedanke hinter § 177 ff. StGB, auf die sich dieser Antrag hier heute bezieht, war Schutz – Schutz davor, gegen den eigenen Willen mit einem anderen Menschen Sex haben zu müssen oder sexuell genötigt zu werden. In der Wirklichkeit ist das aber oft schwer nachzuweisen. Damit ein Vergewaltiger auch als solcher bestraft wird, muss sich das Opfer deutlich sichtbar und körperlich gegen die Vergewaltigung gewehrt haben. Lässt das Opfer die Tat über sich ergehen, weil Schlimmeres befürchtet wird, kann es durchaus sein, dass keine Vergewaltigung im tatbestandlichen Sinne vorliegt. Das Gesetz sorgt also auf den ersten Blick dafür, dass nicht all das bestraft wird, was wir unter Strafe stellen wollen. Dabei ist eben genau das die Aufgabe des Rechts. Das Recht muss jedem von uns genau und eindeutig aufzeigen, wo die Grenze zwischen legal und illegal verläuft. Ein Gesetz muss eindeutig sein, sagen, was erlaubt und was verboten ist. Mit Artikel 36 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, genannt Istanbul-Konvention, haben wir uns als Vertragsstaat dazu verpflichtet, jede Form des nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs unter Strafe zu stellen. Aber was genau ist denn nun einvernehmlicher Geschlechtsverkehr? Das klingt zunächst einfach und offensichtlich. Wir alle haben auf die eine oder andere Weise ein Bild von zwei aufgeklärten Menschen im Kopf, die sich einig sind, dass sie miteinander schlafen wollen. Wir gehen also bisher grundsätzlich davon aus, dass zwei Menschen, die miteinander Sex haben, dies einvernehmlich tun. Die bisherige Regelung nahm an, dass einer der beiden deutlich und eindeutig gezeigt haben musste, keinen Sex haben zu wollen, damit es strafrechtlich betrachtet eine Vergewaltigung war. In der extremsten Ausprägung der Veränderung könnte dieses Prinzip nun umgedreht werden: Geschlechtsverkehr wäre so lange ein Verbrechen, wie nicht beide Seiten offensichtlich und eindeutig bekundet haben, dass sie Sex haben wollen. Wie also sollte diese Bekundung aussehen? An amerikanischen Universitäten betreibt das „Affirmative Consent Project“ eine Kampagne, bei der Studenten neben einem Kondom und wichtigen Aufklärungshinweisen auch einen Vertragsvordruck bekommen, auf dem sie beide schriftlich bestätigen, im Anschluss an die Unterschrift miteinander Geschlechtsverkehr haben zu wollen. Was aber würden wir machen, wenn einer Frau nach der Unterschrift unter die Einwilligung Gewalt angetan würde? Das heißt: Wenn man unterschrieben hat, könnte danach gemacht werden, was man wollte, auch wenn die Frau Nein sagt? – Hätten wir da nicht ein noch größeres Beweisproblem? Die Beweislage ist extrem schwierig. Deshalb lassen wir uns mit dem Gesetz noch ein bisschen Zeit, bevor wir irgendetwas machen, was hinterher nicht klar und eindeutig ist. Es wird für die Juristen eine große Herausforderung sein, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die die sexuelle Selbstbestimmung der Menschen schützen und gleichzeitig auch noch lebensnah sind. Immer einen schriftlichen Sexvertrag auszufüllen, mit dieser Idee würden wir nicht einmal bei meinem Berichterstatterthema, dem Prostituiertenschutzgesetz, ernst genommen werden. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon redet ja auch keiner! Quatsch!) In der Praxis ist an solche Maßnahmen kaum zu denken. Als Gesetzgeber wollen wir ja auch vermeiden, dass die Anzeige wegen sexueller Nötigung leichtfertig und unbegründet als Mittel genommen wird, um eventuell einem ehemaligen Partner zu schaden. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen anderen Punkt anbringen. Das Strafbedürfnis des Staates und die Genugtuung des Opfers, wenn der Täter hinter Gittern landet, sind nur die eine Seite der Medaille. Es muss auch mehr für die Opfer selbst getan werden. Häusliche Gewalt ist oft ein erster Schritt auf dem Weg zur Vergewaltigung in den eigenen vier Wänden. Wenn wir als Gesellschaft besser hinhören und hinschauen, wenn wir aufpassen, wo Gewalt gegen Frauen passiert, und einschreiten, dann können wir eventuell Vergewaltigungen verhindern. Das Hilfetelefon bietet von Gewalt betroffenen Frauen eine niederschwellige Anlaufstelle. Frauenhäuser, Beratungsstellen und psychologische Betreuung sind neben Polizei und Staatsanwaltschaft wichtige Aspekte beim Opferschutz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit einer gesetzlichen Neuregelung des Sexualstrafrechts müssen wir zeigen, dass Vergewaltiger hart bestraft werden. Umgekehrt darf das Gesetz keine Anreize für Missbrauch und falsche Verdächtigungen setzen. Die Koalitionsfraktionen legen daher Wert darauf, eine gute, ausgewogene und lebensnahe Reform der Strafverfolgung von sexueller Nötigung vorzulegen. Im Ziel sind wir uns alle einig: Bei dieser Reform muss Lebensnähe vor Wortklauberei stehen, es muss Qualität vor Geschwindigkeit stehen. Wir sind der Ansicht, der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist noch nicht ausgereift genug. Ich hoffe, dass wir alle miteinander am Ende der Beratungen einen wirklich guten Gesetzentwurf verabschieden können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Schutz von Frauen muss ganz vorne stehen!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herzlichen Dank. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt spricht jetzt Christina Jantz, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christina Jantz (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Besuchertribünen! Die fleißigen Krimizuschauer unter uns werden sich vielleicht erinnern: Kopfgeld, das war der zweite Til-Schweiger-Tatort im Frühjahr dieses Jahres, und er hat genau diese Problematik angesprochen. Im Kern ging es um eine angesehene Staatsanwältin, die vergewaltigt wird und sich anschließend nicht traut, Anzeige zu erstatten. Ihr Grund, verkürzt dargestellt: Das Opfer, also sie selber, könnte im späteren Verfahren der Lüge bezichtigt werden. Nach der Ausstrahlung wandte sich die stellvertretende Frauenbeauftragte von der Humboldt-Universität Berlin natürlich auch an die Tatort-Redaktion und hinterfragte die Motive; denn schließlich erzeuge auch ein solches Szenario den Eindruck, dass Frauen keine Chance hätten, gegen ihren Vergewaltiger vorzugehen. Zu Recht wurde dadurch eine medial intensiv begleitete Debatte über eine anzustrebende Reform des Strafgesetzbuches ausgelöst. Das Thema wurde noch einmal öffentlich gemacht – und das ist auch gut so, auch vor dem Hintergrund, dass die Zahl der bei der Polizei angezeigten Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung im Jahre 2014 gestiegen ist. Als Gesetzgeber haben wir bereits einige Änderungen im Bereich der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung vorgenommen, um Opfer besser zu schützen, aber auch, um die Täter adäquat verurteilen zu können. Seit Januar 2002 werden auch Fälle der sexuellen Nötigung innerhalb der Ehe erfasst. Bereits vor fast 20 Jahren wollte dieses Haus die Strafbarkeitslücken schließen. In der Praxis hatten sich nämlich Fälle gezeigt, in denen das Opfer dem körperlich überlegenen Täter ausgeliefert war und angesichts seiner hilflosen Lage eine Verteidigung für sinnlos hielt. In der Rechtsprechung hat sich also die Ausgestaltung der gesamten Vorschrift, insbesondere des reformierten § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB, als zu eng erwiesen. Neben der zuvor genannten Lücke werden aus meiner Sicht auch weitere als strafwürdig angesehene Handlungen von den Straftatbeständen zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung nicht oder nur unzureichend erfasst, so etwa, wenn das Opfer aufgrund der überraschenden Handlung des Täters keinen Widerstand leisten kann – die Beispiele sind schon genannt worden – oder wenn das Opfer nur aus Furcht keinen Widerstand leistet. Wir als SPD-Bundestagsfraktion treten daher schon seit langer Zeit für eine Stärkung des Opferschutzes ein und diskutieren dies nicht erst seit der bereits angesprochenen Istanbul-Konvention. (Beifall bei der SPD) Beispielsweise leisten auch Terre des Femmes oder One Billion Rising auf diesem Gebiet eine wertvolle Arbeit. Der nun von Ihnen eingebrachte Gesetzentwurf, liebe Grünen, greift ein wichtiges Thema auf; da sind wir uns alle einig. Bei den erforderlichen Änderungen kommt es aus meiner Sicht allerdings darauf an, rechtlich sauber zu arbeiten. Eine Streichung des § 179 StGB erachte ich hier als nicht zielführend; vielmehr sollte dieser eher noch breiter ausgestaltet und um weitere Straftatbestände erweitert werden. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) So hatte es auch der Sachverständige Professor Dr. Jörg Eisele in der Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses im Januar 2015 aufgezeigt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es freut mich daher sehr, dass unser Bundesjustizminister Heiko Maas einen eigenen Entwurf vorgelegt hat, der die aus meiner Sicht bestehenden Lücken auch tatsächlich schließt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dieser Gesetzentwurf ist maßvoll und vernünftig. Ich gehe davon aus, dass der Entwurf nunmehr auch zeitnah weitergeleitet wird, liebes Bundeskanzleramt. Darüber hinausgehende, immer wieder geforderte Änderungen, insbesondere die Forderung, dass die Strafbarkeit allein an das Fehlen eines Einverständnisses zur sexuellen Handlung anzuknüpfen ist, müssten sehr gut abgewogen werden. Ich teile hier die bislang geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken, weil zum Beispiel Formulierungen, die neben der sexuellen Handlung nur die Worte „ohne Einverständnis“ enthielten, eine Abweichung von der Unschuldsvermutung erwirken könnten. Dies könnte zu einer Angreifbarkeit der Regelung führen, was sicherlich nicht in unser aller Interesse wäre. Zusammenfassend möchte ich betonen, dass ich den Gedanken des Gesetzentwurfs zwar lobenswert finde, jedoch der Meinung bin, dass einige Punkte rechtlich anders geregelt werden sollten. Ich freue mich daher auf die weitere Diskussion hier im Hause. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/5384 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe keine. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie Drucksachen 18/5010, 18/5272, 18/5458 Nr. 1 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) Drucksache 18/6220 Hierzu liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich sehe auch hiergegen keine Einwände. Dann ist auch dies beschlossen. Ich bitte, jetzt zügig die Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Mathias Middelberg, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Petry [SPD]) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreichen wir wesentliche Verbesserungen der Situation am Kapitalmarkt. Wir verbessern insbesondere die Situation für die Anleger, auch für die Kleinanleger am Kapitalmarkt. Zwei zentrale Teile dieses Gesetzgebungsverfahrens möchte ich besonders ansprechen: Das eine sind die Transparenzvorschriften. Viele von uns können sich noch an folgende Übernahmekonstellationen erinnern: Schaeffler und Conti sowie VW und Porsche. Damals war es so, dass die Unternehmen, die übernehmen wollten, nur wenige Aktien erworben haben. Sie blieben damit unterhalb der Schwelle, ab der an die BaFin, also die Aufsichtsbehörde, zu melden war. Sie hatten sich aber sehr viele Aktien, teilweise über 20 und 30 Prozent, durch verschiedene Optionsgeschäfte, die damals nicht meldepflichtig waren, gesichert. Das hat zu gravierenden Kursausschlägen geführt. Die VW-Aktie hat, wie sich vielleicht einige erinnern, damals an einigen Tagen über 1 000 Euro gekostet. Das war ungefähr das Zehnfache des damals üblichen Wertes. Das hat natürlich zu einer erheblichen Schädigung des Vertrauens der normalen Anleger, der Kleinanleger, in den Kapitalmarkt geführt. 2011 haben wir die Situation bereinigt, indem wir die Meldevorschriften in dem Bereich deutlich verschärft haben; aber wir haben das noch nicht mit einem richtigen Sanktionssystem hinterlegt. Damals war es so und bis jetzt ist es noch so, dass man, wenn man gegen diese Meldevorschriften verstößt, mit einer Geldbuße von maximal 1 Million Euro zu rechnen hat. Das ist natürlich nicht ganz ausreichend. Wenn ich ein Milliardengeschäft im Blick habe, dann lasse ich mich nicht von einer Geldbuße von 1 Million Euro abschrecken. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir jetzt den Schritt gehen, die Geldbußen umsatzabhängig zu gestalten und überdies die Möglichkeit des Stimmrechtsverlusts vorzusehen. Das heißt, derjenige, der Papiere akquiriert, die meldepflichtig sind, aber nicht meldet, muss im Zweifel damit rechnen, dass er das Stimmrecht für die entsprechenden Aktien nicht ausüben kann. Das ist das wirksamste Mittel, um im Kapitalverkehr für Klarheit und Transparenz zu sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die zweite Maßnahme, die ich hervorheben möchte, ist die Neuregelung des Delisting. Der Bundesgerichtshof hat durch seine Rechtsprechung die bisherigen Regelungen zur Makulatur gemacht. Es war eine Situation entstanden, in der die Anleger, wenn sich ein Unternehmen von der Börse zurückzog, praktisch ohne Rechtsschutz dastanden. Auch wenn in einigen Fällen die Kurse – zumindest kann man das vermuten – vielleicht zielgerichtet beeinflusst und heruntergetrieben wurden, bestand für die Anleger im Grunde keine Entschädigungsmöglichkeit. Es war eine Schutzlücke im Anlegerrecht entstanden. Deswegen sind wir als Unionsfraktion tätig geworden und haben eine Initiative gestartet. (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das war schon unsere Initiative!) Ich freue mich sehr, dass sich der Koalitionspartner daran in sehr konstruktiver Form beteiligt hat und gute und brauchbare Vorschläge eingebracht hat, die wir gemeinsam, glaube ich, zu einem sehr brauchbaren, guten Gesetzentwurf geformt haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt haben einige Kritiker gesagt: Ihr müsst aber eigentlich die alte Rechtssituation wiederherstellen, Entschädigung zum Ertragswert, Spruchverfahren usw. – Wir meinen, dass das nicht der Fall sein sollte. Denn beim Delisting verliert man nicht den Anteilswert an sich, sondern man verliert nur die Handelbarkeit dieses Anteilswertes an der Börse. Das ist etwas anderes als beim Squeeze-out, wenn man aus dem Unternehmen hinausgedrückt wird. Dann muss man eine Entschädigung zum Ertragswert erhalten, also zum eigentlichen Wert des Anteils. Beim Delisting verliere ich nur den Wert der Handelbarkeit der Aktie. Das ist etwas anderes. Deshalb ist es angemessen, hierbei auf den Börsenkurs abzustellen. Das tun wir, und wir haben einen, finde ich, sehr brauchbaren Zeitraum von sechs Monaten dafür gewählt. Wir brauchen auch keinen Hauptversammlungsbeschluss für diese Maßnahme; denn es handelt sich beim Rückzug von der Börse nicht um eine Strukturveränderung in der Gesellschaft. Auch beim Börsengang gibt es keinen Hauptversammlungsbeschluss. Es geht um die Handelbarkeit eines Anteils und nicht um eine strukturelle Veränderung in der Gesellschaftsstruktur. Das muss man sauber auseinanderhalten. Was den Rechtsschutz angeht, haben wir uns nicht für das Spruchverfahren, sondern für das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ausgesprochen. Ich halte auch das für die richtige Entscheidung, weil es darum geht, effizienten Rechtsschutz zu erreichen. Das ist nicht gegeben, wenn wir Verfahren mit einer Dauer von mehr als zehn Jahren haben, wie das im Moment beim Spruchverfahren der Fall ist. Wir haben allerdings eine Ausnahmeregelung getroffen, nämlich für den Fall, dass der Börsenkurs – ich sage das einmal so – beeinflusst wird. Wenn wir Hinweise darauf haben und es festgestellt worden ist, dass beispielsweise fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen gemacht wurden, wenn Tatsachen unterdrückt wurden, der Kapitalmarkt nicht zutreffend informiert wurde, oder wenn wir sogar Fälle von Kursmanipulation haben, dann ist es richtig, in dieser manipulierten Situation, wenn der Börsenkurs eben keine Aussagekraft hat, auf den Ertragswert zu rekurrieren. Diese Sondertatbestände haben wir eingebracht und damit, glaube ich, sachgerecht gehandelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Insgesamt war es – es ist mir ein Anliegen, dies am Ende festzustellen – wichtig, wirksame Regelungen für einen wirksamen Anlegerschutz zu schaffen. Wir müssen aber auf der anderen Seite bei diesen kapitalmarktrechtlichen Maßnahmen immer auch daran denken, dass die Börse als Finanzierungsinstrument für unsere Unternehmen zur Verfügung stehen muss. Die Börse muss ein attraktives Ziel sein. Ein junges, innovatives Unternehmen muss sich, sage ich einmal, freudig der Börse zuwenden wollen. Es muss sehen, dass ein Börsengang mit vertretbaren Mitteln und berechenbar zu realisieren ist. Genauso muss das aber gelten, wenn es zu dem Szenario kommt, dass ein Unternehmen, aus welchen Gründen auch immer, die Börse verlassen will; auch das muss möglich und berechenbar sein. (Beifall des Abg. Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]) Das erreichen wir, glaube ich, mit diesem Gesetzentwurf: vernünftigen, wirksamen Anlegerschutz und gleichzeitig eine berechenbare, klare Situation an der Börse. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Dr. Axel Troost. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie unterschiedlich man Gesetzentwürfe doch interpretieren kann. Ich habe meiner Kollegin eben gesagt, hier gehe es auch um Entwicklungsländer und Entwicklungspolitik. Sie hat mich ganz komisch angeschaut, weil das alles gar nicht vorkam. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie setzen wir europäische Vorgaben um. Es geht um die Meldepflicht von börsennotierten Unternehmen. Dabei ist aus meiner Sicht besonders zu würdigen, dass nun Rohstoff- und Holzindustrie in ihren Bilanzen stärker offenlegen müssen, was sie in einzelnen Ländern betreiben. Das ist wichtig, weil diese Unternehmen in Entwicklungsländern oft nicht zum Nutzen der Menschen agieren. Gerade in Ländern mit großen Rohstoffaufkommen wird die Bevölkerung häufig vom vorhandenen Reichtum ausgeschlossen, während eine kleine Minderheit sich bereichert. Oft wird die Bevölkerung sogar noch durch Konflikte, mafiöse Seilschaften und Umweltzerstörung ins Elend gestürzt. Da sind natürlich auch westliche Konzerne in erheblichem Umfang mit betroffen. Die neue Berichtspflicht sorgt nun dafür, dass Zahlungen an Regierungen projekt- und länderbezogen offengelegt werden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das bietet eine gute Grundlage, um Korruption und Misswirtschaft zu bekämpfen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die neue Regelung ist nicht vom Himmel gefallen, sondern geht auf jahrelange Arbeit und das Wirken von Nichtregierungsorganisationen zurück. Insbesondere in den USA ist man hier aktiv geworden. Jetzt hat man in Europa nachgezogen. Insofern geht mein Lob nicht so sehr an die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Aber schon auch!) sondern an die Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich in diesem Punkt haben durchsetzen können. Das ist ein gutes Signal. (Beifall bei der LINKEN) Aber das sollte nur der Anfang sein. Wir fordern zusammen mit den Grünen, dass auch weitere Taten folgen. Durch die erweiterte Berichtspflicht für Banken, die wir vor zwei Jahren beschlossen haben, zeigen sich erste sehr positive Ergebnisse. Die länderbezogene Berichtspflicht sollte also dringend auch auf weitere Branchen ausgeweitet werden. Ich nenne hier nur einmal exemplarisch die Telekommunikation und die Bauwirtschaft; das sind zwei Branchen, in denen besonders offene Flanken für Missbrauch und für Korruption bestehen. Die länderbezogene Rechnungslegung spielt natürlich auch im Bereich der Steuer eine große Rolle, um Gewinnverlagerungen und Gewinnkürzungen zu bekämpfen. Deswegen sollten wir aus unserer Sicht nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern das in der Tat ausweiten. Insofern sollten Sie unserem Antrag zustimmen und diese Ausweitung entsprechend vornehmen. (Beifall bei der LINKEN) Die Transparenzrichtlinie enthält aber natürlich mehr. Jetzt komme ich noch einmal auf die vorher angesprochenen Punkte. In der Tat sind in den letzten Jahren häufig durch ganz kurzfristige Ankündigungen Kursrutsche an der Börse ausgelöst worden, und Kleinanleger konnten Aktien dann entweder gar nicht mehr oder nur zu Spottpreisen verkaufen. Hier bestand sicherlich Handlungsbedarf, und hier hat die Bundesregierung jetzt entsprechende Maßnahmen vorgenommen. Die Frage ist aus unserer Sicht, ob es richtig ist, dass die Abfindung auf den Börsenkurs abstellt. Denn zum Teil systematisch unterbewertete Aktien sind damit für Kleinanleger, aber auch für Rentenkassen, Versicherungen und Minderheitsaktionäre möglicherweise dennoch nicht zu vernünftigen Werten zu verkaufen. Es bleibt dabei – es ist eben auch angesprochen worden –: Für uns ist nicht wirklich nachvollziehbar, warum der Rückzug von der Börse nicht in der Hauptversammlung beschlossen werden muss, sondern vom Vorstand allein beschlossen werden kann. Die Tatsache, dass das bei der Aktienausgabe so ist, muss keineswegs bedeuten, dass das auch beim Rückzug von der Börse – davon sind ja Leute betroffen – die richtige Maßnahme ist. Ich will einen letzten Punkt ansprechen. 2013 sind sogenannte Schiffserlöspools vorübergehend steuerbefreit worden, um die deutsche Seeschifffahrt aus der Krise zu holen. Jetzt wird mit diesem Gesetzentwurf diese zeitweilige Begünstigung permanent festgeschrieben. Das lehnen wir eindeutig ab. Seit der Gründung des Maritimen Bündnisses haben die Reedereien schon eine halbe Milliarde Euro an Subventionen bekommen, obwohl sie keine ihrer Zusagen im Rahmen dieses Bündnisses eingehalten haben. Von daher sollte auch für die Reedereien gelten: Keine Leistung ohne Gegenleistung. Wir werden uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf enthalten. Wir halten Nachholbedarf an manchen Stellen für zwingend erforderlich. Wir fordern Sie noch einmal auf, unserem Entschließungsantrag, in dem eine Ausweitung der Richtlinie vorgesehen ist, zuzustimmen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Christian Petry, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christian Petry (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute ein besonderer Tag hier im Parlament. Über was wir heute schon alles diskutiert haben: über die Flüchtlingsproblematik, über Krieg, über Welthandel, über Menschenhandel. Und nun beraten wir den Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie, an das drei weitere Gesetze angedockt sind. Aber, meine Damen und Herren, auch das sollte man in einem größeren Kontext sehen: Das, was wir heute hier beraten und vorbereitet haben, trägt auch ein Stück dazu bei, dass wir Europa transparenter machen, Europa zu mehr Akzeptanz verhelfen und den Verbraucherschutz stärken, sodass damit auch auf diesem Gebiet ein Beitrag dazu geleistet wird, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Europa zu stärken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Dieses Vertrauen brauchen wir. Wenn wir all die Politikfelder beherrschen wollen, die die Debatte und den Alltag aktuell überlagern, weil die anderen Probleme wesentlich bedeutender und dringender zu lösen sind, müssen wir im Hinblick auf den Finanzmarkt die Wege gehen, die wir seit der Finanzkrise gegangen sind. Es geht um eine Stärkung des Finanzmarktes und die Schaffung von mehr Transparenz. Dies bringt das Vertrauen zurück. Wir müssen die Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie in nationales Recht umsetzen. Drei weitere Gesetzesvorhaben sind daran angedockt worden. Die deutsche Seeschifffahrt ist genannt worden. Sie wird davon profitieren, dass durch Änderungen im Versicherungsteuergesetz Erlöspools auch zukünftig von der Versicherungsteuer befreit bleiben. Das stärkt die Konkurrenzfähigkeit. Bei uns hat der Kollege Andreas Schwarz dieses Thema bearbeitet. Ich glaube, die Einigung war am Ende einvernehmlich. Hier hat sich die Schifffahrt letztlich durchgesetzt – zwar nicht ganz diskussionsfrei, aber ich glaube, diese Regelung ist von Vorteil. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Außerdem haben wir mit dem Begleitgesetz zur Verordnung über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge die Transaktionskosten bei Zahlungen mit Debit- und Kreditkarten gedeckelt; dazu wird mein Kollege Jens Zimmermann reden. Auch hier geht es um große Volumina. Das hört sich nach so wenig an, aber wenn man es aufsummiert, stellt man fest, dass es um mehrere Milliarden Euro geht. Durch die getroffenen Regelungen soll letzten Endes der Verbraucher gestärkt werden. Wir werden sehen, ob es so kommt. Jens ­Zimmermann wird dazu Ausführungen machen. Außerdem ist die gesetzliche Regelung zur Anlegerentschädigung im Falle des Börsenrückzugs einer Aktiengesellschaft, das sogenannte Delisting, zu nennen. Die Initiative hierzu kam – das ist mein persönlicher Eindruck, Herr Dr. Middelberg – nicht von der CDU, sondern von der SPD; (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Genau! Das ist auch mein Eindruck! – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Na, na, na!) aber hier geht es nicht um das Urheberrecht. Herr Professor Hirte hat dazu einige Vorschläge eingebracht, zum Beispiel zu den Ad-hoc-Regelungen, die vom Kollegen Johannes Fechner dargelegt werden. Herr Fechner hat darüber hinaus die Missbrauchsmöglichkeiten angesprochen. Wir haben uns zusammengefunden; das war nicht einfach. Ich danke Herrn Dr. Middelberg für die konstruktive Zusammenarbeit. Ich glaube, er hat in seiner eigenen Fraktion einen schwierigeren Part gehabt als ich in der SPD-Fraktion. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Insofern, finde ich, hat er das gut gemacht. Wir sind, wie gesagt, zusammengekommen, und wir haben einen guten Vorschlag vorgelegt. Jens Fechner wird ihn noch erläutern. Ich denke, dass das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie – sie ist der Kern – den Anleger- und Verbraucherschutz am Wertpapiermarkt nachhaltig stärken wird. Denn eine umfassende Transparenz ist grundlegend für ein effizientes Marktgeschehen; wir wissen das. Hier geht es nun um die Umsetzung einer EU-Richtlinie. Durch die frühzeitige Bekanntgabe von Informationen können beispielsweise Aktienhalter eine fundiertere Beurteilung von Geschäftsergebnissen vornehmen. Der Verkauf und Erwerb von Aktien muss im Sinne der Markttransparenz dokumentiert werden. Mit der Überarbeitung der Transparenzrichtlinie stellen wir klar, dass der Schutz der Anlegerinnen und Anleger bei uns im Vordergrund steht. Die Überarbeitung der Richtlinie führt zu einer deutlichen Erhöhung des Sanktionsrahmens bei Verstößen. Das war nicht ganz unumstritten, und daran wurde vonseiten der Kreditwirtschaft Kritik geübt. Aber wir halten das für notwendig; denn die bisherigen Regelungen sahen keine effektive Strafe vor. Da ging es eher um die Portokasse: 1 Million Euro. Das konnte man einfach so machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun wird es umsatzabhängige Geldbußen geben. Ich glaube, das ist ein Schritt nach vorne. Verstöße gegen Meldepflichten eines Stimmberechtigten führen in Zukunft automatisch zum Stimmrechtsverlust und zur Möglichkeit des Verlusts von Vermögensrechten. Auch dies ist natürlich eine sehr harte Strafe. Ich glaube, sie wird greifen. Die nationale Aufsichtsbehörde wird die BaFin sein. Ich denke, durch die Veröffentlichung der Sanktionen auf ihrer Internetseite wird die Transparenz gestärkt. Die Auflistung von Zahlungen an Unternehmen im Rohstoffsektor ist eben schon von Herrn Kollegen Troost genannt worden. Dies ist eine Regelung, die nachhaltig wirken soll, die man stärken sollte und die man auf andere Bereiche ausweiten kann. Aber jetzt machen wir das erst einmal für diesen Bereich. Ich glaube, das ist ein guter Schritt nach vorne. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das war jetzt auch ein gutes Ende, Herr Kollege Petry. Christian Petry (SPD): Das Ende kommt jetzt mit dem Dank, wenn es noch erlaubt ist, Frau Präsidentin. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ja. Christian Petry (SPD): Ich möchte all denjenigen, die mitgearbeitet haben, besonders Herrn Dr. Middelberg und den Kollegen des Finanzministeriums und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz danken; denn dies ist ein gutes und richtiges Signal im Jahr der Stärkung des Verbraucherschutzes. Glück auf! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Gerhard Schick. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch die Koalition wurde jetzt ein bisschen Transparenz über das Zustandekommen der einzelnen Abschnitte des Gesetzentwurfs hergestellt, aber darum geht es bei der Transparenzrichtlinie nicht, sondern es geht um Transparenz im unternehmerischen Bereich. Dieser Gesetzentwurf enthält viele Regelungen. Ich will mich auf drei Punkte konzentrieren: Der erste ist das Thema Bußgelder, das schon angesprochen worden ist. Wir halten es für richtig, dass hier die Bußgelder erhöht werden und vor allem, dass sie sich am Umsatz orientieren, weil dadurch eine richtige Relation hergestellt wird. Eine Regelung, die als Abschreckung einen festen Betrag vorsieht, während gleichzeitig Umsatz und Gewinn des Unternehmens möglicherweise sehr hoch sind, ist ja nur wenig sinnvoll. Trotzdem muss man sagen, dass dies ein fragmentarischer Ansatz bleibt. Sie gehen nur an Einzelpunkte heran. Insgesamt müssen wir sagen, dass die Sanktionsmechanismen bei einem Fehlverhalten von Unternehmen in Deutschland auch nach der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs deutlich zu geringe Folgen haben werden. Das werden wir auch im Zusammenhang mit VW noch einmal diskutieren müssen. Es wird für die Unternehmen auch nach der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs einfach immer noch zu günstig sein, sich nicht an die Gesetze in Deutschland zu halten. Hier wollen wir weiter gehen als Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der zweite Punkt ist das Thema Delisting. Es geht um folgende Frage, die schon angesprochen worden ist: Was passiert, wenn ein Unternehmen von der Börse genommen wird? – Sie haben jetzt ja den Anschein erweckt, es gebe nun ein großartiges Verfahren. Man muss aber sagen: Schon 2013 hat der Bundesgerichtshof in der sogenannten Frosta-Entscheidung klargemacht, dass der Gesetzgeber entscheiden muss. Dass Sie das jetzt kurzfristig noch in diesen Gesetzentwurf aufnehmen mussten, ist nicht gerade ein Ausdruck großer Vorausschau eines gesetzgebenden Organs, sondern das wurde schnell „dazugefrickelt“. Nun aber auch zur Kritik in der Sache: Wir meinen, dass Ihr Vorgehen nicht richtig ist, sondern es wäre richtig gewesen, sich an der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu orientieren und sie mit einigen Modifikationen in den Gesetzentwurf zu übernehmen. Die Angemessenheit des verpflichtenden Kaufangebots sollte daran gemessen werden, ob eine qualifizierte Mehrheit der Aktionäre das Angebot annimmt. Daneben muss natürlich auch eine gerichtliche Überprüfung der Angebotshöhe ermöglicht werden. Wir meinen, dass das ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen der kleinen Aktionäre und den Interessen der Unternehmensleitung gewesen wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau das machen wir!) Der dritte Punkt ist das Country-by-Country-Reporting. Es ist schon gesagt worden: Das ist in zwei Branchen ein Fortschritt. Dadurch kommt dort mehr Transparenz hinein. Die Frage ist aber, warum das eigentlich nur in zwei Branchen geschieht. In einer dritten Branche gibt es bereits ein entsprechendes Vorbild. Dort ist dies vom Europäischen Parlament schon durchgesetzt worden. Wir Grünen haben uns damals sehr dafür eingesetzt. Ich spreche von den Banken. Mit der Bankenrichtlinie haben wir das hinbekommen, und seit dem 1. Juli 2015 kann man sehen, was das bringt. Ich glaube, es ist wichtig, sich das in diesem Kontext einmal klarzumachen. Die Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament hat dazu eine Studie erstellt, um eine erste Abschätzung vornehmen zu können. Was können wir aus den Daten lernen, wenn die Banken offenlegen müssen, wo sie wie viel Steuern zahlen und wie dies im Verhältnis zum Umsatz steht? Man kann zum Beispiel sehen, dass jeder einzelne Mitarbeiter der Deutschen Bank im Steuerparadies Malta 20,8 Millionen Euro zum Konzernergebnis beiträgt, während es bei einem Mitarbeiter in Deutschland nur 45 000 Euro sind. Hier besteht also eine riesige Diskrepanz, die sich nicht damit erklären lässt, dass in Malta nur die Supermitarbeiter und in Deutschland nur die nicht leistungsfähigen Mitarbeiter tätig sind, sondern nur damit, dass ein relevanter Teil der Erträge offensichtlich eher im Steuerparadies versteuert wird als bei uns. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Die Zahlen kommen durch BEPS!) Genau diese Offenheit brauchen wir, und hier hilft der Verweis von Lothar Binding per Zwischenruf, dass die Zahlen durch BEPS kommen, natürlich nicht. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Die Zahlen kommen genau daher!) – Ja, Moment. Genau das ist ja das Problem: Es ist von der Bundesregierung vorgesehen, dass nur die Steuerverwaltungen diese Zahlen haben. Das geschieht also gerade hinter verschlossenen Türen und ist nicht transparent. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Wenn man also Transparenz will, dann muss man dem gemeinsamen Entschließungsantrag der Linksfraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmen und sagen: Wir wollen diese Transparenz in Zukunft für alle Branchen, (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Es geht nicht um den Pranger, sondern um Transparenz!) damit wir Fehlverhalten im Steuerbereich und im Bereich der Geldwäsche leichter aufdecken und damit einen wichtigen Beitrag zu einer besseren Unternehmensführung leisten können. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Philipp Murmann, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Norddeutschem sei es mir gegönnt, noch etwas genauer auf das Thema Schiffserlöspools einzugehen. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Hört! Hört!) Die gute Nachricht gleich vorweg: Die Schiffserlöspools bleiben von der Versicherungsteuer befreit. Das ist ein wichtiges und gutes Signal an die Schifffahrt, das wir hier eindeutig senden wollen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Lieber Herr Troost, normalerweise beschäftigen Sie sich immer intensiv mit einer Sache, bevor Sie entsprechende Schlussfolgerungen ziehen, aber in dem Fall, muss ich sagen, haben Sie sich vielleicht nicht ausreichend damit beschäftigt. Immerhin hat es 88 Jahre gedauert, bis ein Bundesfinanzbeamter auf die Idee gekommen ist, einen Schiffserlöspool mit Versicherungsteuer zu belegen. Das Versicherungsteuergesetz ist von 1922. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Da gab es die Pools noch nicht!) – Nun mag es solche Konstruktionen nicht von Anfang an gegeben haben – das kann sein –, aber es gibt sie schon relativ lange. 1 500 Schiffe sind in solchen Poolkonstruktionen zusammengeschlossen. Meistens umfassen die Pools 20 bis 40 Schiffe. Warum macht man das? Weil viele Reeder in Deutschland relativ klein sind: Immerhin ein Drittel – 36 Prozent aller Reeder – hat nur ein Schiff. Weitere 36 Prozent der Reeder haben weniger als zehn Schiffe. Auf einem globalen Markt ist es natürlich relativ schwer, mit einem, zwei oder drei Schiffen tätig zu werden und am Spotmarkt Transportaufträge zu bekommen. Deswegen hat man sich schon vor relativ langer Zeit entschlossen, solche Pools zu bilden, um entsprechende Aufträge übernehmen zu können. Die Eigner geben die Erlöse sozusagen in einen Topf und verteilen sie dann nach einem bestimmten Schlüssel. Wenn man das nicht täte, würden die kleinen Reeder, die nur ein Schiff oder wenige Schiffe haben, komplett aus diesem Markt verdrängt. Deswegen ist es nicht angemessen, wenn Sie hier sagen, wir würden das irgendwie subventionieren. Eine Versicherungsteuer auf solche Schiffserlöspools hat es nie gegeben. Warum sollten wir jetzt, in dieser Situation eine solche Maßnahme einführen? Ich finde, das macht keinen Sinn. Deswegen ist es richtig, dass wir dafür gesorgt haben, dass das jetzt auch entfristet wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Petry [SPD]) Um ein Beispiel zu bringen: Wenn ein solcher Pool 14 Schiffe umfasst und der Erlös sich auf etwa 6 Millionen Euro im Jahr beläuft, würde die Steuer – 19 Prozent – immerhin etwa 1,2 Millionen Euro betragen, pro Schiff 90 000 Euro. Das ist eine Größenordnung, die für viele Reeder in der momentanen Situation kaum zu stemmen ist. Wir wollen sie jedoch nicht verlieren. Deswegen – noch einmal – haben wir uns dazu entschlossen, diese Versicherungsteuer nicht zu erheben. Dem Fiskus hätte das wohl etwa 200 Millionen Euro gebracht. In solchen Fällen reiben sich Vertreter des Bundesfinanzministeriums und auch andere natürlich die Hände und sagen: Da könnten wir noch 200 Millionen Euro einnehmen. Aber einerseits entstehen auch Kosten, und andererseits, denke ich, ist es unsere Aufgabe, immer dafür zu sorgen, dass wir am Ende einen Ausgleich zwischen dem, was volkswirtschaftlich sinnvoll, und dem, was fiskalisch sinnvoll ist, finden. Deswegen bin ich der Meinung: An dieser Stelle haben wir das so richtig gemacht. Ich danke auch dem Kollegen Schwarz ganz besonders, der gerade abgetaucht ist oder zum Abendessen musste, (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist auf hoher See! – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Auf Kreuzfahrt!) der – wie auch die Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums – intensiv daran mitgearbeitet hat. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Der ist nicht zum Essen, sondern kümmert sich um Schiffe, weil klar ist, dass von 4 000 Schiffen nur 200 unter deutscher Flagge fahren! Die ganzen Vergünstigungen haben noch nicht dazu geführt, dass es mehr geworden wären!) – Nein, wir stehen da in einem extremen Wettbewerb, in einem Subventionswettbewerb mit verschiedenen Ländern. Deswegen ist vielleicht auch noch einmal wichtig – weil Sie das sagen, Herr Binding –, zu betonen: Dass wir dieses Gesetz heute verabschieden, ist ein besonderes Signal. Die Schifffahrtsbranche – wir sind eine Schifffahrtsnation, eine Handelsnation – trifft sich alle zwei Jahre zur Nationalen Maritimen Konferenz, die netterweise von der Bundesregierung ausgerichtet wird, um da alle Themen, die relevant sind, zu diskutieren. Zum Glück haben wir dieses Mal das Thema „Versicherungsteuer auf Erlöspools“ nicht auf der Tagesordnung; wir können uns stattdessen konstruktiv um andere Themen kümmern. In Deutschland arbeiten immerhin noch 400 000 Mitarbeiter in dieser Industrie, und es werden dort 30 Milliarden Euro umgesetzt, die auch in Deutschland versteuert werden. Insofern ist das auch für uns eine relevante Größe, und ich bin dankbar, dass wir das Gesetz nun gemeinsam auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich komme zum Schluss. Herr Gambke, Sie hatten im Ausschuss gesagt, dass Sie das ordnungspolitisch für schwierig halten. Ein Blick ins Versicherungsteuergesetz zeigt, dass es dort jede Menge Ausnahmen gibt. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!) Ich denke, das ist eine Ausnahme im Versicherungsteuergesetz, an die erstens die Gründerväter damals wohl noch gar nicht gedacht hatten – sie haben sicherlich nicht geglaubt, dass so etwas jemals auftreten würde – und die zweitens sinnvoll ist. Wir sind eine Schifffahrtsnation, und wir wollen auch eine Schifffahrtsnation bleiben. Dafür wollen wir uns auch weiterhin einsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Ahoi!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Dr. Johannes Fechner das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, enthält eine wichtige Regelung zum Delisting. Es geht dabei um die Frage, welche Regelungen für Kleinaktionäre gelten sollten, insbesondere wenn sich große Unternehmen von der Börse zurückziehen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir hier zu einer Regelung gekommen sind, die große Vorteile für die Kleinaktionäre bringen wird. Künftig wird es ein verbindliches Abfindungsangebot an die Aktionäre geben, wenn sich ein Unternehmen von der Börse zurückzieht. Denn bei einem solchen Rückzug werden die Aktien praktisch nicht mehr handelbar. Deswegen hat in der Regel schon die Ankündigung eines Delistings oft massive Kursrückgänge mit den entsprechenden Nachteilen zur Folge. Die SPD will, dass es ein angemessenes und faires Abfindungsangebot an die Aktionäre gibt. Es muss an der Börse gerecht und transparent zugehen. Deswegen ist das eine ganz wichtige Maßnahme. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist kein Geheimnis: Wir in der SPD-Fraktion hätten uns auch vorstellen können, dass wir uns an den Regelungen orientieren, die gelten, wenn ein börsennotiertes Unternehmen mit einem anderen, nicht börsennotierten Unternehmen verschmolzen wird. Nach diesen Regelungen müssen die Aktionäre dann zum Ertragswert und damit zum vollen Wert des Aktieneigentums abgefunden werden, und sie haben die Möglichkeit, die Höhe der Abfindung im Spruchverfahren überprüfen zu lassen. Das hätten wir gerne gehabt, und auch der Deutsche Anwaltverein hat sich dahin gehend geäußert. Wir haben in der Union leider außer Herrn Hirte, glaube ich, wenig Befürworter für eine solche Regelung gefunden. Dennoch meine ich, dass wir einen vernünftigen Kompromiss gefunden haben. Generell gilt der Börsenwert der letzten sechs Monate. Wenn es Manipulationen gibt, wird allerdings auf das Ertragswertverfahren zurückgegriffen werden, das dann auch gerichtlich überprüft werden kann, sodass es einen Rechtsschutz gibt. Die zweite Möglichkeit, wann auf diese Art und Weise überprüft werden kann, ob ein angemessenes Abfindungsangebot vorliegt, geht auf den Vorschlag von Herrn Hirte zurück. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es Ihr Vorschlag war, dass dann, wenn eine fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilung erfolgt oder es gar keine Ad-hoc-Mitteilung gibt, diese Regelung greift. Wir meinen: In den Fällen, dass Kurse manipuliert werden, soll der Börsenkurs nicht Maßstab sein, weil er eben gedrückt worden ist. Wichtig war uns auch, dass der Ausgleich, dass eine solche Abfindung in Geld statt in Aktien erfolgt. Nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen haben wir den Vorschlag, dass bei einem Übernahmeangebot, das von den Aktionären nicht angenommen wird, ein Abfindungsangebot nicht erteilt werden muss. Sonst käme es zu einer regelrechten Erpressung, dass ein Aktionär auch ein noch so schlechtes Übernahmeangebot annehmen muss, um nicht in die Situation des Delistings zu kommen, mit der Folge, dass er noch weniger für seine Aktien bekommt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie sehen also: Wir haben sehr viele wichtige Regelungen getroffen. Dabei möchte ich noch einen Punkt hervorheben: Ich glaube nicht, dass jemand sich Sorgen machen muss, dass dadurch Börsengänge weniger attraktiv werden. Denn das Delisting ist getrennt von der Frage, ob es einen Aufschlag für den Aktienwert gibt. Der Rückzug von der Börse kann nicht wegen eines Streits, etwa eines längeren Rechtsstreits, darüber, in welchem Umfang abgefunden werden muss, aufgehalten werden. Sie sehen: Wir machen insbesondere für die Kleinanleger ein wichtiges Gesetz. Deswegen kann man dem Gesetzentwurf eigentlich nur zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist jetzt Professor ­Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Wir haben gehört, welches der Hintergrund des Änderungsantrags ist, den wir als Koalitionsfraktionen zum Gesetzespaket noch eingebracht haben; der Kollege Middelberg hat das ausführlich geschildert. Bei uns in der Fraktion bestand schon sehr früh Konsens darüber, dass hier – bei der Wiedereinführung einer Abfindung der Aktionäre im Falle eines Delistings – die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns besteht. Wenn die SPD das nicht mitbekommen hat, ist das natürlich traurig. Aber sie war bei unseren internen Gesprächen auch nicht dabei. Sagen wir es einfach so: Der Erfolg hat viele Väter, und das ist gut so. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Konsens bestand dabei auch darüber, dass ein Hauptversammlungsbeschluss zu dieser Entscheidung nicht mehr vorgesehen werden sollte, weil einerseits die Mehrheiten klar sind – Herr Kollege Schick schaut deshalb jetzt vielleicht weg – und weil andererseits die mit dem Hauptversammlungsbeschluss zu vermittelnden Informationen auf andere Weise, vielleicht sogar besser, nämlich nun nach der Wertpapierübernahmegesetz-Angebotsverordnung, mit behördlicher Kontrolle und auch billiger, bereitgestellt werden können. Der entscheidende Punkt für uns ist aber gewesen: Wie berechnet sich die Höhe der Abfindung? Hier haben wir uns im Interesse der Verfahrensvereinfachung dafür entschieden, zunächst einmal an den Börsenkurs in den letzten sechs Monaten vor einem Delisting oder ein davor erfolgtes Erwerbsangebot anzuknüpfen; denn insbesondere der Börsenkurs ist leicht zu ermitteln und gibt damit auch den Unternehmen die Freiheit, sich irgendwann von der Börse zurückzuziehen. Natürlich haben wir auch intensiv darüber diskutiert, ob man die Maßnahme nicht ähnlich einer Umwandlung behandeln und die Abfindung nach dem Spruchverfahrensgesetz anhand einer Ertragswertberechnung ermitteln könnte. Ich selbst hatte – Herr Kollege Fechner hatte darauf hingewiesen – einmal einen solchen Vorschlag gemacht. Der große mit einem Spruchverfahren verbundene Aufwand hat uns aber davon abgehalten, und die überfällige Reform des Spruchverfahrensrechts konnten wir nicht sozusagen im Vorbeigehen erledigen. Deshalb haben wir uns die Frage gestellt, warum Börsenkurs und Unternehmenswert nach Ertragswertberechnung häufig auseinanderfallen, obwohl sie theoretisch genau zum selben Ergebnis führen müssten. Es handelt sich schließlich nicht um zwei unterschiedliche Werte, sondern um zwei Methoden, um zum richtigen Unternehmenswert zu kommen. Wir haben als entscheidenden Grund ausgemacht, dass die nicht vollständige oder fehlerhafte Information des Kapitalmarkts der Punkt ist, auf den die Differenz zurückzuführen ist. Das haben wir dann – das ist schon mehrfach angeklungen – in einem völlig neuen Rechtsbehelf adressiert und vorgesehen, dass im Falle von fehlenden oder fehlerhaften Ad-hoc-Meldungen oder in Fällen der Marktmanipulation doch auf die Ertragswertmethode, also wie im Bereich des Spruchverfahrens, zurückzugreifen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Die Emittenten haben damit die Wahl. Ein Rückzug von der Börse kann auf der Grundlage einer am Börsenkurs orientierten Abfindung erfolgen, dann, aber auch nur dann, wenn dieser Börsenkurs korrekt zustande gekommen ist. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Anlegerschutz. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Fehler in der Informationspolitik haben dabei auch dann noch Auswirkungen auf den Börsenkurs in den relevanten sechs Monaten vor einem Delisting, wenn der ursprüngliche Fehler länger zurückliegt; denn die Veröffentlichungs- bzw. Korrekturpflicht wirkt fort und erstreckt sich in diesen Sechs-Monats-Zeitraum hinein. Im Übrigen sei – nur der Vollständigkeit halber – darauf verwiesen, dass allein schon durch den Verweis auf die Berechnungsmethode anhand des Börsenkurses mancherlei Manipulationen ausgeschlossen werden; denn dadurch werden auch sogenannte Parallelerwerbe erfasst. Wer jetzt sagt, der Börsenkurs sei ungeeignet, übersieht diesen sehr wichtigen Punkt. Für die Durchsetzung des Abfindungsanspruchs haben wir noch weitere anlegerfreundliche Weichenstellungen vorgenommen. So haben wir vor allem das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz hier für anwendbar erklärt, das auch unter Kostengesichtspunkten die Durchsetzung von Abfindungsansprüchen gegenüber dem allgemeinen Verfahrensrecht deutlich erleichtert. Es gibt also sehr wohl eine gerichtliche Kontrolle, Kollege Schick. Im Übrigen gehen wir davon aus, dass die Zivilgerichte das Verfahren insbesondere hinsichtlich der Beweislastverteilung und der Kostentragung gemäß dem Parteivortrag den Möglichkeiten und Grenzen der aus der Gesellschaft ausscheidenden Anleger anpassen. Da wir nicht sicher wissen, ob wir in allen Punkten recht haben, haben wir schließlich – darauf sei hingewiesen – eine Evaluationsklausel eingeführt. Wir schauen uns das alles in zwei Jahren noch einmal an. Aber auch aus meiner Sicht: Vielen Dank an die Kollegen Petry und Fechner für die produktive Zusammenarbeit! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Jens ­Zimmermann, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer hätte nach dieser Debatte gedacht, dass es in diesem Gesetz auch noch um etwas ganz anderes geht? Es geht nämlich um etwas, das die meisten draußen verstehen. Es geht um EC-Karten, es geht um Kreditkarten, und es geht um die Frage: Was kostet das eigentlich, und wer bezahlt es am Ende? Wir haben an das Gesetz das Begleitgesetz zur EU-Verordnung über Interbankenentgelte angehängt. Wenn man so etwas anhängt, ist es manchmal eine Herausforderung, zu erreichen, dass es nicht komplett untergeht. Was dort vonseiten der EU-Kommission gemacht wurde, ist ein Beitrag zum Verbraucherschutz. Die Frage „Wie hoch sind die Gebühren, die eine Händlerbank an die Bank zahlen muss, die die Karte ausgibt?“ ist gar nicht so ohne. Es ist vorhin vom Kollegen Petry angesprochen worden: Die Schätzungen über die Auswirkungen dieser EU-Verordnung gehen dahin, dass 6 Milliarden Euro vonseiten der Kreditkartenunternehmen an den Handel fließen werden. Wir gehen natürlich davon aus, dass das am Ende an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben wird, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist ein Teil eines größeren Paketes. Wir werden uns noch weiter über die zweite Zahlungsdiensterichtlinie unterhalten. Aber alles in allem haben wir hier bei der Umsetzung im Deutschen Bundestag eine gute und konstruktive Diskussion gehabt. Es gab die Möglichkeit, verschiedene Optionen für den Übergang in Betracht zu ziehen. Aber wir sind am Ende relativ schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass das keine Möglichkeiten sind, die die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land wirklich weiterbringen. Ein Punkt ist mir an dieser Stelle sehr wichtig. Wir müssen natürlich schauen: Wir haben das berühmte EC-Karten-System – so sagt man ja – oder Girocard-System in Deutschland, mit dem ganz viele ganz selbstverständlich zahlen, weil das historisch gewachsen ist. Das gibt es in dieser Form, glaube ich, in keinem anderen EU-Mitgliedstaat. Deswegen finde ich es richtig, dass wir uns als Koalitionsfraktionen darauf geeinigt haben, genau zu schauen, welche Auswirkungen das auf unser deutsches System am Ende haben wird. Eines kann natürlich nicht sein: dass es am Ende den gegenteiligen Effekt hat, den man eigentlich nicht erreichen will, dass am Ende die Verbraucherinnen und Verbraucher mehr zahlen müssen. Das darf auf keinen Fall passieren, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Alles in allem kann man zum Schluss der Debatte sagen: Das ist ein richtiges Gesetz, an dem alle hart gearbeitet haben. Hier ging es um die Sache. Hier ging es um viele Details. Es ist eine ganz wichtige Sache, dass wir genau aufpassen, dass wir keine Lücken lassen, die wir nicht lassen wollen. Aber, ich glaube, das haben wir gut geschafft. Deswegen möchte ich mich bei allen bedanken, die mitgeholfen haben. Ich glaube, wir haben im Finanzausschuss – das kann man auch einmal sagen – in den letzten Wochen ordentlich was geschafft für unser Geld, und das ist auch gut so. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Wie der Kollege Zimmermann schon richtigerweise erwähnt hat, sind wir am Schluss der Aussprache angekommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6220, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5010 und 18/5272 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Keiner. Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6221. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Armuts- und Reichtumsbericht qualifizieren und Armut bekämpfen Drucksachen 18/5109, 18/6218 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass wir nicht nur der Ansicht sind, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Kompetenz und die Expertise dazu hat, den Armuts- und Reichtumsbericht zu verfassen, nein, aus unserer Sicht hat es auch die Pflicht dazu. Dafür haben wir uns lange eingesetzt, und wir sind froh, dass wir jetzt eine regelmäßige Armuts- und Reichtumsberichterstattung haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Funktioniert nur nicht richtig!) Der Armuts- und Reichtumsbericht wird ja nicht im wissenschaftlich luftleeren Raum erstellt, und er ist auch nicht das Einzige, was zu Fragen der Armuts- und Reichtumsforschung vorliegt. Es gibt den Bericht „Die zerklüftete Republik“ des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes genauso wie Einzeluntersuchungen zu wichtigen anderen Fragen. Wir haben zum Glück eine freie Wissenschaft und qualifizierte Institutionen wie die Hans-Böckler-Stiftung, wie Caritas, FES, Diakonie, IAB, DGB usw., die mit der Armutsforschung beschäftigt sind. Es ist gerade wichtig, einen Bericht zu haben, der in der Verantwortung der Bundesregierung liegt, weil er dann eben auch von der Bundesregierung zu verantworten und zu verteidigen ist und weil er die konkrete Grundlage für eine Politik der Armutsbekämpfung und der Armutsprävention darstellt. Das Ministerium beschreibt das auf seiner Internetseite selbst wie folgt – ich zitiere –: Ziel des Berichts ist in letzter Konsequenz die Entwicklung von … Handlungsoptionen zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut und Ungleichheit. Auch dient der Bericht mittelbar der Überprüfung früher politischer Maßnahmen. Der Bericht ist also ein Politikum, und genau das soll er auch sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es wird nie die eine mögliche objektive Interpretation von Zahlen geben. Auch Sie geben Gutachten an den einen und nicht an den anderen. Was wir von einem Armuts- und Reichtumsbericht der Regierung erwarten können, ist Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Ich glaube, das ist durch die Internetseite vorbildlich gewährleistet. Was wir noch erwarten können, ist eine ausgiebige Diskussion. Diesmal wird gut und eng mit dem Beraterkreis zusammengearbeitet. Auch von Armut direkt betroffene Menschen selbst werden gehört. Ich finde, auch das ist ein wichtiger Punkt. Was wir noch erwarten können, ist, dass sich nicht immer die Gleichen das Gleiche erzählen, nur mit aktualisierten Zahlen. Das ist dadurch gewährleistet, dass es Schwerpunkte gibt, und dadurch, dass dem wissenschaftlichen Gutachtergremium sechs Nachwuchsschaftlerinnen und -wissenschaftler angehören, die ihrerseits einen kritischen Blick auf die Erstellung des Berichts werfen sollen. Das alles gewährleistet eine qualitativ hochwertige Analyse und einen breit akzeptierten Bericht. Beim letzten Armuts- und Reichtumsbericht war das anders. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Allerdings!) Die Zusammenarbeit mit dem Beraterkreis wurde auf ein Minimum reduziert, von Transparenz keine Spur. Auf Drängen der FDP wurden zahlreiche Passagen gestrichen, (Zuruf von der SPD: Stimmt!) so der Hinweis auf die sehr ungleiche Verteilung der Privatvermögen oder auf die 4 Millionen Menschen, die weniger als 7 Euro brutto pro Stunde verdienen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt! – Waltraud Wolff (Wolmirstedt) [SPD]: Können wir uns noch gut dran erinnern!) Letzteres haben wir zum Glück ja ändern können. (Beifall bei der SPD) Das war politisch aussagekräftiger als alles, was die FDP ansonsten in der Debatte vorbringen konnte. Was war das politische Ergebnis? Wo ist die FDP heute? (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn ihr davor Angst habt und deswegen einen guten Bericht vorlegt, soll es mir recht sein!) Was ich damit sagen will: Es ist gut, wenn die Regierung ihren Bericht verantworten und verteidigen muss. Auch wenn es Deutschland insgesamt gut geht: Jedes fünfte Kind lebt in Armut. Alleinerziehend und weiblich zu sein, ist immer noch das größte Armutsrisiko. Die oberen 10 Prozent besitzen 60 Prozent der Vermögen, die unteren 50 Prozent gerade einmal 0,1 Prozent. Darüber und über die vielen interessanten Fragen, die im Bericht angelegt sind, muss geredet werden: über Armut und Reichtum, über sozialen Zusammenhalt und über die Verpflichtung des Eigentums in Deutschland. Um es mit den Worten Wilhelm Buschs zu sagen: Zu nehmen, zu behalten Und gut für sich zu leben, Fällt jedem selber ein. Die Börse zu entfalten, Den andern was zu geben, Das will ermuntert sein. Auch zu dieser Ermunterung sollte die Debatte beitragen. Glück auf! (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Nächster Redner ist Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der Arme sagte bleich: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ Ich sage, Frau Schmidt: Recht hat er, der Bertolt Brecht. (Beifall bei der LINKEN) Skandalös ist: In unserer Gesellschaft wird Armut immer noch vererbt. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat vorgestern festgestellt – ich zitiere –: Für jedes Jahr Arbeitslosigkeit des Vaters erhöht sich die Dauer der Arbeitslosigkeit des Sohnes im Schnitt um zwei Wochen. Fakt ist: Unser Sozialstaat schützt heute nicht mehr vor Armut. Er schützt insbesondere Kinder nicht vor Armut, er schützt Erwerbslose nicht vor Armut, er schützt Alleinerziehende nicht vor Armut, und er schützt Ältere nicht vor Armut. Genau deshalb brauchen wir einen schonungslosen, einen ehrlichen und einen unabhängigen Armuts- und Reichtumsbericht. (Beifall bei der LINKEN) Denn, Frau Schmidt, die Bundesregierung ist verantwortlich für die soziale Ungleichheit im Lande. Es heißt, den Bock zum Gärtner zu machen, wenn die Bundesregierung weiterhin den Armuts- und Reichtumsbericht schreibt. Schönfärberei ist da vorprogrammiert. Sie haben es ja vorgetragen. Ich erinnere nur an die Schönfärberei des damaligen FDPChefs Philipp Rösler beim Vierten Armuts- und Reichtumsbericht. (Waltraud Wolff (Wolmirstedt) [SPD]: Das ist aber nicht üblich! Das war einmalig!) Das wollen wir nicht mehr, und darum fordert die Linke eine unabhängige Kommission. (Beifall bei der LINKEN) Regierungsunabhängige Kommissionen sind eine gängige und bewährte Praxis. Der Gleichstellungsbericht beispielsweise wird ebenfalls von einer unabhängigen Kommission erarbeitet. Meine Damen und Herren, Ministerin Andrea Nahles und die Union versuchen immer wieder, den in ganz Europa gültigen Maßstab für Armut anzuzweifeln. Trotz alledem: Es hat sich durchgesetzt, dass ein Mensch dann als armutsgefährdet gilt, wenn sein laufendes monatliches Nettoeinkommen unterhalb von 60 Prozent des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens liegt. Nach dieser EUweit etablierten Armutsdefinition ist man als Alleinlebender in Deutschland aktuell bei einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 979 Euro von Armut bedroht. Das Ergebnis: 16 Prozent der Bevölkerung müssen von weniger als 979 Euro im Monat leben. 16,6 Prozent der älteren Frauen, 38,8 Prozent der Alleinerziehenden und sage und schreibe 69,3 Prozent der Erwerbslosen müssen von weniger als 979 Euro im Monat leben. Das ist die traurige Realität in unserem Land. Wenn wir das ändern wollen und eine Kellnerin oder ein Postbote durch Arbeit aus der Armutsfalle rauskommen soll, dann müsste sie oder er einen Bruttostundenlohn von 11,39 Euro erhalten. Auf Seite 1 des Armuts- und Reichtumsberichts müsste dann stehen: 8,50 Euro Mindestlohn sind zu niedrig, um vor Armut zu schützen. (Beifall bei der LINKEN) Und auf Seite 2 des Armuts- und Reichtumsbericht würde dann stehen, dass Beschäftigte 45 Jahre lang einen Stundenlohn von 14,57 Euro erhalten müssten, wenn sie im Alter eine Rente in Höhe von 979 Euro netto erhalten wollten. 14,57 Euro und nicht 8,50 Euro, Frau Schmidt! Diese bitteren Wahrheiten sollen im nächsten Armuts- und Reichtumsbericht stehen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie soll der dann noch von einer unabhängigen Kommission erstellt werden?) Es sollten auch die zwingenden Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Darum fordern wir Linken in unserem Antrag eine regierungsunabhängige Kommission und als Konsequenz aus dem Bericht ein Programm gegen Armut und soziale Ausgrenzung. (Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie den Armuts und Reichtumsbericht selber schreiben?) Und wir wollen, dass auch qualitative Aspekte, die die soziale Ausgrenzung jenseits des Geldes deutlich machen, eingezogen werden. Wir wissen nämlich, dass sich jeder fünfte Haushalt in Deutschland keine Woche Urlaub im Jahr leisten kann. Wir wissen, dass jeder dritte Haushalt bei unerwarteten einmaligen Ausgaben in Höhe von 952 Euro überfordert ist. Wir wissen, dass 8,4 Prozent der Haushalte es nicht schaffen, jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit auf den Tisch zu bringen. Und wir wissen auch, dass in Deutschland 20 Prozent der Bevölkerung von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind – mehr als 16 Millionen Menschen! Armut in einem reichen Land gehört abgeschafft. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Matthias Zimmer. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin Schmidt hat Busch zitiert. Dann kam auch noch Bertolt Brecht. (Zuruf von der SPD: Wilhelm!) – Wilhelm Brecht. (Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt haben Sie mich aber durcheinandergebracht. Mir ist beim Zuhören, vor allen Dingen bei der Rede des Kollegen Birkwald, ein Gedicht von Eugen Roth in den Sinn gekommen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auch schön!) Es lautet wie folgt: Ein Mensch bemerkt mit bitterm Zorn, daß keine Rose ohne Dorn. Doch muß ihn noch viel mehr erbosen, daß sehr viel Dornen ohne Rosen. Meine Damen und Herren, Armut bekämpfen wir nachhaltig am besten, indem wir Menschen befähigen, indem wir ihnen Möglichkeiten eröffnen und Chancen bieten, sich selbst zu helfen. Armut ist ein Mangel an fundamentalen Verwirklichungschancen. Und hier wird es dann auch grundsätzlich: Ein Mangel an Verwirklichungschancen ist ein Mangel an Freiheit. Deswegen sind wir auch davon überzeugt: Nur dort, wo der Mensch und seine Fähigkeiten ertüchtigt werden, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, hat das Soziale eine Chance. Deswegen spricht der Nobelpreisträger Amartya Sen auch von der Freiheit als einem sozialen Gebot. Wir sind davon überzeugt, dass die Freiheit als soziales Gebot in der sozialen Marktwirtschaft einen geeigneten Ordnungsrahmen gefunden hat. Innerhalb dieses Ordnungsrahmens nehmen wir ein gewisses Maß an Ungleichheit hin. Ich glaube nicht, dass die These stimmt, Glück sei eine Funktion von gesellschaftlicher Gleichheit; vielmehr bin ich der Überzeugung: Gleichheit führt eher zu gesellschaftlichem Stillstand, zu einer Erstickung von Innovation und Kreativität, zu einem Abwürgen aller Entwicklung. Es muss gerecht zugehen in der Gesellschaft, was die Verteilung angeht, die Leistung, die Chancen. Menschen haben die gleiche Würde, aber eben sehr unterschiedliche Fähigkeiten und Begabungen. Wenn wir Freiheit als soziales Gebot ernst nehmen, müssen wir die Menschen ertüchtigen, ihre Fähigkeiten und Begabungen zu entwickeln. Das führt notwendig zu einem gewissen Maß an gesellschaftlicher Ungleichheit. Nun ist auch richtig: Ein zu hohes Maß an Ungleichheit schränkt die Freiheit ein. Deswegen ist die Innenschau des Armuts- und Reichtumsberichtes wichtig. Es lohnt sich, einen Blick auf die langfristigen Trends zu lenken. So hat Thomas Piketty herausgearbeitet, dass die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang der 80erJahre des 20. Jahrhunderts deutlich abgenommen hat, um sich seither moderat zu erhöhen. Der Befund der letzten 20 Jahre ist ebenfalls eindeutig, zumindest laut dem letzten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung: eine leichte Zunahme der Vermögensungleichheit und bei der Einkommensungleichheit eine Zunahme der Ungleichheit in den Jahren 2000 bis 2005, dann eine Stagnation. Das hat sicherlich mit den Hartz-Gesetzen und mit der Einführung des Niedriglohnsektors zu tun. Ich bin deswegen gespannt, wie sich die Einführung des Mindestlohns auf die Einkommensungleichheit auswirkt. Und, weil das Thema in den letzten Tagen aufgekommen ist: Wer glaubt, er könne beim Mindestlohn Migranten gegen andere Arbeitnehmer ausspielen, ist ein sozialer Brandstifter. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich will noch einen Gedanken anfügen, auch mit Blick auf das Thema Migration. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode eine Enquete-Kommission, die sich mit der Frage Wohlstand und Lebensqualität beschäftigte und einen Wohlstandsindikator erarbeitet hat. Dabei ging es auch um Armut und Reichtum, aber in einem sehr viel breiteren Kontext, der auch ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit zum Thema hatte. Wenn ich einen Wunsch an die Bundesregierung habe, dann den: von dem da erarbeiteten Wohlstandsindikator auch Gebrauch zu machen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das ist bisher im Papierkorb verschwunden!) Augenblicklich ist die Landschaft in eine Vielzahl von Berichten zersplittert: der Armuts- und Reichtumsbericht, die Jahreswirtschaftsberichte, die Berichte zum Umweltschutz, zur Nachhaltigkeit und vieles mehr. Allerdings sind die einzelnen Politikbereiche ja miteinander verschränkt. Es nutzt eben nicht, nur die Einkommens- und Vermögensverteilung in den Blick zu nehmen, wenn dadurch die ökologische Nachhaltigkeit aus dem Blick gerät. Freiheit als soziales Gebot hat eine ökologische Dimension, nicht nur auf Wohlstand und Lebensqualität bei uns bezogen, sondern als Imperativ der Vorsorge. Unsere Lebensweise hat Auswirkungen auf andere Länder. Um es überspitzt zu formulieren: Unseren wirtschaftlichen Reichtum, unseren Wohlstand, dürfen wir nicht dadurch erkaufen, dass wir die Lebenschancen von Menschen in anderen Regionen der Welt schmälern. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das geschieht aber durch den Klimawandel. Wenn wir diesen nicht begrenzen, könnte dieses Jahrhundert im Zeichen ökologisch motivierter Fluchtbewegungen stehen. Im Zuge der Globalisierung sind auch die Schadensbeziehungen global geworden. Die Flüchtlingswelle zeigt uns im Moment, wie schnell uns eine dadurch ausgelöste Wanderungswelle in die Verantwortung zwingt. Meine Damen und Herren, für den nächsten Armuts- und Reichtumsbericht ist es sicherlich noch zu früh; aber es würde mich freuen, wenn sich die Bundesregierung entschließen könnte, beim übernächsten Armuts- und Reichtumsbericht den klugen Indikatorensatz des Deutschen Bundestages zu Wohlstand und Lebensqualität nachhaltig zu nutzen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann nehmen wir unseren! Beim übernächsten regieren wir!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aber nur, wenn er mit einem Gedicht anfängt!) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Matthias Zimmer, man muss wahrscheinlich nicht bis zum nächsten Armuts- und Reichtumsbericht warten, weil wir von der grünen Fraktion da schon aktiv geworden sind. Es ist ja bekannt: Wir haben damals in der Enquete-Kommission ein anderes Indikatorenset vorgeschlagen. Nächstes Jahr, wenn der Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt wird, werden wir einen alternativen grünen Jahreswohlstandsbericht vorlegen, in dem die vielfältigen Dimensionen von Wohlstand – ökologisch, ökonomisch usw. – berücksichtigt werden. Dann bekommst du das, was du gerade von der Bundesregierung eingefordert hast, schon mal von uns Grünen vorgelegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Der wird dann so unabhängig sein, wie Matthias Birkwald sich das wünscht!) – Das ist schon an ein unabhängiges Institut vergeben worden, an zwei Wissenschaftler, die auch an die Enquete-Kommission angedockt waren. Das ist jetzt zwar nicht das Hauptthema; aber wenn es schon mal so grundsätzlich geworden ist und wir über Wohlstand und Armut reden, will ich hier ein Zitat von John Rawls einbringen; er hat sinngemäß gesagt, dass sich der Wohlstand einer Gesellschaft daran bemisst, was die schwächsten ihrer Glieder haben. Er hat für das Minimax-Prinzip plädiert, nach dem diejenigen, die am wenigsten haben, am meisten bekommen sollen. Er hat zugegeben, dass dies nicht unbedingt Gleichheit bedeutet, hat aber dafür plädiert, weil durch ungleiche Verteilung der Wohlstand aller angehoben werden könne – ganz in dem Sinne, wie es eben beschrieben worden ist. Das ist also ein wichtiger Punkt. Und für uns Grüne bedeutet das, dass wir vor allen Dingen die Freiheit derjenigen, die am wenigsten frei sind, steigern wollen. Das heißt für uns, dass wir zum Beispiel eine andere Grundsicherung erreichen wollen, nämlich eine solche, die die Menschen tatsächlich zur Freiheit befähigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun vielleicht doch noch zu dem Antrag. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ah! Danke schön!) Wir haben jetzt über vieles geredet. Viele Zahlen zum Beispiel konnten wir nur deswegen hier so gut als objektive Gegebenheiten diskutieren, weil es die Armuts- und Reichtumsberichterstattung gibt. Sie ist wirklich eine Errungenschaft der damaligen rot-grünen Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) In der Tat ist es wichtig, dass die Bundesregierung sagt, wie der Stand der Armut in Deutschland ist, weil sie politisch verantwortlich ist. Auch die Bundesregierung muss Vorschläge machen, wie man Armut bekämpfen kann, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, macht sie aber nicht! Macht sie überhaupt nicht! Passiert ja nichts!) nicht nur eine unabhängige Kommission. Es ist zu einfach, zu sagen: Wir geben das in eine Kommission, da sitzen Wissenschaftler, und die geben uns dann eine objektive Lösung, die wir dann umsetzen können. – So funktionieren weder Wissenschaft noch Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Muss man denen einmal erklären!) Ich beobachte das Ganze ja schon länger: Bei den ersten drei Armutsberichten war ich noch im Gutachtergremium, bei den letzten beiden Armuts- und Reichtumsberichten habe ich es hier im Parlament verfolgt. Ich muss sagen: Das Verfahren hat sich bewährt. Es gab zwar bei den letzten beiden Armuts- und Reichtumsberichten den Versuch der Bundesregierung – beim vorletzten Bericht war es Olaf Scholz, beim letzten Philipp Rösler –, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In welcher Partei ist Olaf Scholz?) Einfluss auf den Text zu nehmen; aber es gab dann darüber eine offene politische Debatte hier im Parlament; und das war gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen ist der Vorschlag, den die Linken machen, abzulehnen. Ich will noch auf zwei Punkte eingehen, die ich mir für den nächsten Armuts- und Reichtumsbericht wünschen würde. Das eine ist: Die Vorgehensweise hat sich sehr bewährt – das ist bei diesem Mal tatsächlich besser gelaufen als beim letzten Mal –, aber wer nicht eingebunden war, das sind wir, das Parlament. Ich finde, das ist noch ein Manko. Wir sollten zusehen, dass wir am Anfang der Legislaturperiode – nicht jetzt, da wir schon in der Mitte sind – eine Debatte darüber führen, was der Armuts- und Reichtumsbericht leisten soll, und der Bundesregierung einen entsprechenden Auftrag erteilen. Das wäre meines Erachtens eine wünschenswerte Weiterentwicklung des Konzepts, wie wir es derzeit haben. Einen zweiten Punkt möchte ich noch ansprechen. Letzte Woche gab es einen Gipfel zu den SDGs, Sustainable Development Goals. Der Unterschied zu den MDGs ist, dass auch wir diese Ziele erfüllen müssen. Ein Unterziel bei dem Oberziel der Armutsbekämpfung ist, dass die Armut bis 2030 in den Ländern halbiert werden soll, und zwar nach nationalen Definitionen. Ich würde mir dazu ein Konzept oder wenigstens Vorschläge der Bundesregierung wünschen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dazu muss die Union erst einmal sagen, was Armut ist! Die wissen das ja noch nicht einmal!) damit es tatsächlich gelingt, die Armut bei uns zu halbieren. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ein Gedicht!) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn es heißt, der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung müsse „qualifiziert“ werden, dann meinen die Antragsteller, die Fraktion Die Linke, natürlich Qualifizierung ausschließlich in ihrem Sinn. In dem Antrag ist gleich zu Beginn im Hinblick auf die Bundesregierung die Rede davon – ich zitiere  –: Damit liegt die Zuständigkeit für die Beschreibung und die Bewertung von Armut und Reichtum in den Händen der Instanz, die die politische Verantwortung für die soziale Spaltung trägt. Werte Kolleginnen und Kollegen, bei einer solchen Formulierung sind Zweifel angebracht, ob wirklich eine sachliche Auseinandersetzung gewünscht wird. Ein weiteres Beispiel soll genügen, um diese Zweifel zu stärken: Der Bundesregierung werden „Verschleierungsabsichten“ unterstellt, und die bisherigen Berichte stellen demnach „dem jeweiligen Regierungshandeln ein Armutszeugnis aus“. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben wir eben noch zweimal gehört!) Wer den Antrag liest, muss sich fragen: In welchem Land leben die Linken eigentlich? Sie behaupten, der flächendeckende Mindestlohn sei gescheitert und „ein Desaster für das Niedriglohnland Deutschland“. An keiner Stelle des Antrags wird die Situation in Deutschland auch nur annährend so beschrieben, wie sie sich tatsächlich darstellt. Dass ein solcher Antrag kurz vor dem 25. Jahrestag der Wiedervereinigung im Bundestag behandelt werden muss, entbehrt im Übrigen nicht einer gewissen Ironie. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wieso?) Es wird behauptet, die Große Koalition unternehme nichts gegen Armut. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, eine gute Arbeitsmarktpolitik ist doch wohl das beste Mittel gegen Armut. Das behaupte ich jedenfalls. Von 2013 bis zum September 2015 ist die Arbeitslosenquote von 6,9 Prozent auf 6,2 Prozent zurückgegangen. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im September 2,7 Millionen Menschen arbeitslos gegenüber 2,8 Millionen im Vergleichsmonat des Vorjahres. Insgesamt haben wir 43 Millionen Erwerbstätige und 31 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, so viele wie noch nie. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Davon haben die Armen nichts, da sie arm sind!) Der schon genannte Mindestlohn wird ebenfalls dazu beitragen, die Wohlstandsschere ein wenig zu schließen. Er wird ja von einer Mindestlohnkommission entsprechend fortgeschrieben werden. Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu einem anderen Aspekt des Antrags kommen. Es wird suggeriert, dass der größte Teil der Menschen in Deutschland in bitterer Armut lebt. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Wo steht denn das? Das ist doch Unsinn!) – Es ist so herauszulesen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Wer lesen kann, ist klar im Vorteil, Herr Kollege!) Die Antragsteller werfen der Bundesarbeitsministerin vor, sie wolle mit ihrer Definition des Armutsbegriffs Armut in Deutschland wegdefinieren. So der Vorwurf gegenüber der Bundesarbeitsministerin. Hier muss die Frage erlaubt sein, was unter Armut bzw. unter Reichtum überhaupt zu verstehen ist. Der Hamburger Zukunftsforscher Opaschowski hat beispielsweise erst kürzlich in der Rheinischen Post gesagt – ich zitiere –: Die Frage nach dem Reichtum wird immer wieder reduziert auf eine Geldfrage. Man macht es sich in der Tat zu einfach, wenn man nur das Einkommen betrachtet und den Menschen sagt: „So, Ihr seid arm“ oder: „Ihr seid reich“. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auch das Vermögen!) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, 2014 lag die vom Statistischen Bundesamt errechnete Armutsgefährdungsschwelle für Alleinstehende in Deutschland bei 917 Euro. Für Familien mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren betrug sie 1 926 Euro. Dabei gibt es regionale Unterschiede, wie wir wissen. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel gilt die genannte Familie mit 1 615 Euro im Monat als armutsgefährdet, dagegen in Baden-Württemberg schon bei 2 119 Euro im Monat. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch! Das stimmt gar nicht!) Der Antrag der Linken weist die bisherigen Armuts- und Reichtumsberichte als „schönfärberisch“ zurück. Allerdings ist jetzt, werte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, durch die Einbeziehung vieler gesellschaftlicher Gruppen sichergestellt, dass der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht frei von sprachlichen Tricks sein wird, die die Situation beschönigen könnten. Es wird ein ehrliches Bild der Lage in Deutschland geben. Die von Ihnen verlangte unabhängige Kommission ist daher völlig überflüssig. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass Sie von der Fraktion Die Linke deren Ergebnisse auch nicht anerkennen würden, wenn sie Ihren vorgefassten Meinungen nicht entsprächen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist echt unter Ihrem Niveau!) Vielleicht werden Sie Ihren Antrag wieder und wieder einbringen, wie wir es von Ihnen gewohnt sind. Zustimmungsfähig würde er dadurch auch nicht werden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält jetzt der Kollege Markus Paschke, SPDFraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte einen qualifizierten Armuts- und Reichtumsbericht genau wie Sie für wichtig. Er ist ein geeignetes Instrument, um die soziale Wirklichkeit in Deutschland zu analysieren. Und zur Analyse der sozialen Wirklichkeit gehört die Erkenntnis, dass die Schere zwischen Arm und Reich in unserem Land weit auseinanderklafft. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist das! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Was?) Hier haben wir nach wie vor viel Arbeit vor uns, Arbeit, die eben auch auf einem qualifizierten Bericht beruhen muss. Allerdings unterscheidet sich mein Verständnis von „qualifiziert“ von Ihrem: Aus meiner Sicht ist es richtig, dass die Verantwortung für den Bericht beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales liegt und nicht bei einer externen Kommission. Beim Ministerium liegen die Kompetenz und die Fachkenntnis, (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der gesamten Bundesregierung liegt die Verantwortung!) und dort werden auch entsprechende Folgerungen gezogen, zum Beispiel aufstockende Leistungen im SGB II oder beim Thema Altersarmut. Insbesondere beim letzten Bericht wurde deutlich, dass die Beschreibung des Zustandes in Deutschland sehr politisch gefärbt ist. Die Änderungen am Vierten Armuts- und Reichtumsbericht und der offensichtliche Versuch, die Wirklichkeit so in einem sanfteren Licht erscheinen zu lassen, haben die politische Diskussion in der Öffentlichkeit befördert und bei vielen das Problembewusstsein erst geschärft. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Beim Kollegen Strebl war davon eben nichts zu merken!) Umso wichtiger ist es, die Entstehung des Berichtes von Anfang an transparent zu machen, und genau das tut unsere Ministerin Andrea Nahles. (Beifall bei der SPD) Fragen wie: „Was wird untersucht?“, „Welche Daten fließen in den Bericht ein?“, „Wer arbeitet an dem Bericht?“, werden für jedermann auf dem Internetportal www.armuts-und-reichtumsbericht.de umfänglich beantwortet. Mehr Transparenz geht nicht. Hinzu kommt, dass der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht gezielt um wichtige Schwerpunktthemen erweitert wird. Vizepräsident Peter Hintze: Herr Kollege, Sie haben die Chance auf mehr Redezeit, wenn Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen ­Zimmer zulassen. Markus Paschke (SPD): Aber gerne. Vizepräsident Peter Hintze: Ich hatte es vermutet. (Heiterkeit) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Danke schön. – Herr Kollege Paschke, können Sie ausschließen, dass der Armuts- und Reichtumsbericht, nachdem er von dem Ministerium mit der unterstellten und mit Sicherheit auch vorhandenen Sorgfalt erstellt wurde, auf dem Wege zur Kabinettsbefassung geändert wird? (Dagmar Schmidt (Wetzlar) [SPD]: Wir sowieso nicht!) Markus Paschke (SPD): Nein. Aber das ist doch genau das, was wir politisch zu bewerten haben. Wir haben darüber zu diskutieren, ob und wann welche Änderungen vorgenommen werden sollen. Das Recht muss das Parlament haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nicht das Parlament! Darum ging es ihm nicht! Es ging ihm um die Regierung! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Parlament kontrolliert die Regierung, theoretisch zumindest!) – Das Parlament muss das Recht haben, darüber zu diskutieren, ob Änderungen, die vorgenommen werden, korrekt und akzeptabel sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht wird gezielt um Schwerpunktthemen erweitert, die schon genannt wurden. Zum ersten Mal werden auch die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausführlich dargestellt. Im Vergleich zu den vorangegangenen Berichten herrscht jetzt also ein Klima von Offenheit und Transparenz. Ich finde, schon der letzte Bericht war ein wichtiger Anstoß für politische Initiativen und Veränderungen, zum Beispiel für die Einführung des Mindestlohns und die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente. (Beifall bei der SPD) Ich erwarte, dass auch der fünfte Bericht als Grundlage dienen wird, um unsere Gesellschaft in Deutschland gerechter zu gestalten. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Armuts- und Reichtumsbericht qualifizieren und Armut bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6218, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5109 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten Drucksache 18/5271 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/6161 b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika als erster Partei, der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als zweiter Partei, Island als dritter Partei und dem Königreich Norwegen als vierter Partei und zu dem Zusatzabkommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten als erster Partei, Island als zweiter Partei und dem Königreich Norwegen als dritter Partei, betreffend die Anwendung des Luftverkehrsabkommens vom 16. und 21. Juni 2011 Drucksache 18/5580 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) Drucksache 18/6072 (neu) Zu dem Gesetzentwurf zu dem Protokoll zur Änderung des Luftverkehrsabkommens liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Peter Wichtel, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Peter Wichtel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im März 2008, also vor sieben Jahren, hat mit der Verabschiedung des sogenannten Open-­Skies-Abkommens zwischen der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den USA eine neue Ära der transatlantischen Luftfahrt begonnen. Mit dem wegweisenden Luftverkehrsabkommen haben zwei der größten Luftverkehrsmärkte der Welt vereinbart, enger zusammenzuarbeiten. Sie haben alle bisherigen Einschränkungen hinsichtlich Strecken, Tarif oder der Anzahl von Flügen aufgehoben. Das bedeutete eine Stärkung des Wettbewerbs am Himmel, mehr Passagiere, Kostenersparnisse für die Airlines und insbesondere niedrige Ticketpreise für uns Verbraucher. Heute befassen wir uns mit der Erweiterung des Luftverkehrsabkommens zwischen der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den USA, mit der sogenannten zweiten Stufe. Die Vereinbarung darüber wurde im Jahr 2010 unterzeichnet und wird seitdem vorläufig angewendet. Die Erweiterung bringt spürbare Verbesserungen mit sich. So hat man sich neben einer weiteren Stärkung des Wettbewerbs auf eine verbesserte Zusammenarbeit in Fragen des Umweltschutzes, des Lärmschutzes, der Flugsicherheit, der Gefahrenabwehr, des Klimawandels und des Verbraucherschutzes sowie in sozialen Fragen geeinigt. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf dem Papier!) Es gibt beispielsweise eine Arbeitsvereinbarung über gegenseitige Flughafenbewertungen. Zudem wurde mit dem Umweltschutzprojekt AIRE ein Vorhaben zur Verminderung der umweltschädlichen Auswirkungen von Transatlantikflügen gestartet. Das ursprüngliche Abkommen aus dem Jahr 2008, das die weitreichendsten Vereinbarungen enthielt, die jemals im Luftverkehr ausgehandelt wurden, kann mit der uns nun vorliegenden zweiten Stufe aus dem Jahr 2010 in vielen Bereichen noch einmal verbessert werden. Fester Bestandteil des Abkommens wird auch weiterhin der sogenannte Gemeinsame Ausschuss sein. In diesem Gremium kommen mindestens einmal pro Jahr Vertreter aller Vertragsparteien, also der Europäischen Union, der europäischen Mitgliedstaaten und der USA, zusammen, um Konsultationen zum Abkommen durchzuführen und dessen Anwendung zu prüfen. Deutschland wird dabei durch das Bundesverkehrsministerium vertreten. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Fehlt!) Wichtig anzumerken ist, dass der Gemeinsame Ausschuss keine Gesetzgebungsgewalt hat und ein reines Beratungsgremium ist. Zudem werden die Entscheidungen einvernehmlich getroffen. Teilweise aufkommende Kritik am Ausschuss, dieser würde es einzelnen Mitgliedstaaten oder der Europäischen Union oder den Amerikanern ermöglichen, eigenmächtige Entscheidungen zu treffen, ist somit falsch und vollkommen unbegründet. Ähnlich verhält es sich mit der Kritik an den vermeintlich niedrigen Umweltstandards. So gibt es Stimmen, die behaupten, dass mit dem Inkrafttreten des erweiterten Abkommens die Umweltstandards alle nicht mehr eingehalten werden müssen, sondern nur noch das Regelwerk der internationalen Zivilluftfahrt, also der ICAO. Auch dieser Vorwurf ist falsch und haltlos. Es ist vielmehr so, dass die Standards erhalten bleiben, (Christian Kühn (Tübingen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind ja auch viel zu niedrig!) dass die Gesetzgebungsverfahren nach wie vor von den Nationalstaaten gemacht werden. Im Rahmen der Kompetenz und im Einklang mit höherem Recht kann dies auch weiterhin getan werden. Die Umweltregeln, die wir haben, bleiben erhalten. Abschließend betrachtet bieten das Luftverkehrsabkommen und die uns vorliegenden Erweiterungen unschätzbare Vorteile für die Luftverkehrsunternehmen und insbesondere für uns Passagiere. Die seitens der EU-Kommission veröffentlichten Werte bestätigen dies übrigens eindrucksvoll. So rechnet man langfristig damit, dass 26 Millionen Passagiere zwischen Europa und den USA mehr fliegen werden. Der wirtschaftliche und volkswirtschaftliche Nutzen wird bei 12 Milliarden Euro liegen. Außerdem schätzt man, dass bis zu 80 000 Arbeitsplätze entstehen können. Kurzum: Das ursprüngliche Abkommen aus dem Jahr 2008 und die europäische Erweiterung des Luftverkehrsabkommens werden nun mit dem Protokoll und der zweiten Stufe nochmals verbessert. Deswegen werden wir ihm zustimmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Herbert Behrens, Fraktion Die Linke. Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der internationale Luftverkehr braucht einheitliche Regeln. Darin sind wir, glaube ich, einer Meinung. Doch was hier unter dem sehr unverfänglichen Titel „Änderung zum Luftverkehrsabkommen“ daherkommt, ist weit mehr. Es geht hierin um knallharte Profitinteressen, die geregelt werden sollen. Erstens. Die wirtschaftlichen Belange der Fluggesellschaften sollen über die Interessen der Bürgerinnen und Bürger gestellt werden, (Gustav Herzog [SPD]: Wo steht das denn? Zitieren Sie!) die auf saubere Luft und Schutz vor Fluglärm angewiesen sind. Zweitens. Die Fluggesellschaften sollen über einen Gemeinsamen Ausschuss Einfluss bekommen, um beispielsweise über Nachtflugverbote und andere einschränkende Maßnahmen zu entscheiden. Drittens. Schiedsgerichte sollen im Konfliktfall darüber richten, ob und zu welchem Preis ein Nachtflugverbot bestehen kann oder auch nicht. (Kirsten Lühmann [SPD]: Wo steht das denn?) Das ist so etwas wie das Freihandelsabkommen TTIP des Luftverkehrs (Lachen bei der CDU/CSU) einschließlich Investorenschutz und privater Schiedsgerichte. Das ist für die Linke unannehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Nun konkret, Sie haben danach gefragt. Umweltschutz gibt es nicht mehr. Es heißt jetzt nur noch „Umwelt“. Der Schutz wurde vorsorglich gestrichen. Allerdings könnte man auch von Investorenschutz sprechen. Dann trifft es noch zu. Nun sollen Auswirkungen der internationalen Luftfahrt auf die Umwelt lediglich „in wirtschaftlich angemessener Art und Weise“, so heißt es, begrenzt oder verringert werden. Konsequenter Schutz der Menschen in der Nähe von Flughäfen sieht anders aus. (Kirsten Lühmann [SPD]: Darum haben wir es im nationalen Recht!) Darüber hinaus wird den Luftverkehrsgesellschaften ein direkter Zugang zu allen Entscheidungsprozessen der Luftverkehrsbehörden verschafft, die zulasten der Kapazitäten eines Flughafens gehen können. Die Luftverkehrsgesellschaften können dadurch direkt auf diesen Prozess einwirken. Das ist weit mehr, als zum Beispiel Umweltverbänden oder auch Lärmbetroffenen zusteht. Selbst die – wenn auch aus unserer Sicht untauglichen – Lärmpausen am Frankfurter Flughafen fallen unter diese Regelung des Luftverkehrsabkommens (Peter Wichtel [CDU/CSU]: Falsches wird durch Wiederholen nicht besser, Herr Kollege! Den Unsinn haben Sie im Ausschuss schon erzählt!) wie übrigens auch lärmmindernde Flugrouten und Anflugverfahren, bei deren Festlegung weder Bürger noch Verbände beteiligt werden. Diesen Demokratieabbau müssen wir stoppen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn sich dann noch eine Luftverkehrsgesellschaft – nicht nur US-amerikanische – in ihren Rechten beschnitten fühlt, dann geht es in den Gemeinsamen Ausschuss. Dieser Ausschuss soll kontinuierlich prüfen, an welchen Stellen „widersprüchliche Regulierungsanforderungen“, so heißt es, vorliegen und wie sie abgebaut werden können. Der Gemeinsame Ausschuss erhält einen kontinuierlichen Prüfauftrag für Betriebsbeschränkungen wie zum Beispiel Nachtflugverbote. Konkret heißt das: Schränkt ein Nachtflugverbot, das vor Ort beschlossen worden ist, die wirtschaftliche Freiheit der Fluggesellschaften ein, kann es mit einem einstimmigen Beschluss des Gemeinsamen Ausschusses aufgehoben werden. Diesen Beschluss müsste die Bundesregierung umsetzen. Wie das geht, haben wir am Flughafen Köln/Bonn gesehen, wo das Bundesverkehrsministerium im Februar dieses Jahres eine Entscheidung des Landtags Nordrhein-Westfalen gekippt hat. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!) Natürlich wird im Gemeinsamen Ausschuss nicht immer Einmütigkeit herrschen. Aber für diesen Fall ist vorgesorgt. Im Konfliktfall, Schritt drei, wird nämlich ein Schiedsgericht angerufen. Worum es dabei geht, wissen wir. Es geht dabei um Entschädigung für entgangenen Profit. Kurzum: Auf der Basis dieses Protokolls zum Luftverkehrsabkommen werden Nachtflugverbote, die den Luftverkehrsgesellschaften nicht passen, entweder ausgesetzt oder richtig teuer. Wir sagen Nein zu diesem vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Luftverkehrswirtschaft. Wir sagen Nein zu diesem garantierten Profit für Luftverkehrsunternehmen. (Beifall bei der LINKEN) Wer sich in diesem Hause nicht selbst entmündigen und Umweltschutz dem Wachstum im Luftverkehr opfern will, muss diesen Gesetzentwurf ablehnen und unserem Entschließungsantrag zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Arno Klare, SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Arno Klare (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Behrens, ich fange mit dem Umweltschutz an, weil Sie gesagt haben, das Wort „Umweltschutz“ käme in dem Vertragswerk gar nicht vor. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Die Überschrift ist geändert worden!) Die Überschrift heißt „Umwelt“. Dann geht es weiter: „Die Vertragsparteien erkennen die Bedeutung des Umweltschutzes ...“ usw. In dem ersten Absatz kommt das Wort „Umweltschutz“ sogar zweimal vor. Aber wir müssen jetzt nicht darüber reden; es ist einfach so, wie ich es sage. (Zuruf von der CDU/CSU: So weit ist der gar nicht gekommen! Er hat nur die Überschrift gelesen!) Man muss, glaube ich, ein wenig tiefer in dieses Vertragswerk auch im juristischen Sinne einsteigen, um es einordnen zu können. (Zuruf von der CDU/CSU: Zumindest einmal lesen!) Welchen Hintergrund hat das? Das Ganze findet im Rahmen des Vertrages, der 1944 geschlossen worden ist und die Internationale Luftfahrtorganisation begründete, statt; die Bundesrepublik Deutschland konnte natürlich erst 1956 beitreten. Dieser ICAO-Vertrag enthält drei Grundsätze, die sehr wichtig sind: einmal das Grundprinzip der Souveränität aller Staaten ausgedrückt in dem Begriff der Lufthoheit – hier ist ausdrücklich nicht die über Stammtische gemeint –, zweitens die Chancengleichheit, damit alle, die den Luftraum nutzen, die gleichen Regeln haben, und drittens – das ist daraus abgeleitet – die sogenannte Diskriminierungsfreiheit. Das heißt, wenn ich in einem Luftraum die Souveränität habe wie die Bundesrepublik Deutschland im Luftraum über dieser Republik, dann müssen alle Fluggesellschaften, die Flughäfen in unserem Lande anfliegen, die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben. Darum geht es im Kern. Es gibt in dem Vertrag, von dem Herr Wichtel gerade geredet hat und der schon seit 2007 existiert, eine Formulierung, die man sich genau anschauen muss. Bitte genau hinhören! In der vorherigen Debatte sind Dichter zitiert worden; das ist jetzt allerdings juristische Prosa. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) In Artikel 7 unter der Überschrift „Anwendung von Rechtsvorschriften“ – so einen Satz können nur Juristen hinbekommen; ich hoffe, ich trage ihn jetzt korrekt vor – heißt es: Die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften einer Vertragspartei – das sind wir – betreffend den Einflug in ihr oder den Ausflug aus ihrem Gebiet der im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeuge oder betreffend den Betrieb und den Verkehr dieser Luftfahrzeuge innerhalb ihres Gebietes gelten für die Luftfahrzeuge, die von den Luftfahrtunternehmen der anderen Vertragspartei verwendet werden, und sind von diesen Luftfahrzeugen beim Ein- oder Ausflug und innerhalb des Gebietes der ersten Vertragspartei zu befolgen. Ich weiß, dass man diesen Satz mit 0,5 Promille nicht mehr vortragen kann. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Der Kern des Satzes lautet: Die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften einer Vertragspartei ... – also von uns – sind zu befolgen. Das heißt, es gibt einen Bereich, in dem wir souverän sind und in dem wir Gesetze erlassen können, die eindeutig zu befolgen sind. Sie stellen das gerade in Abrede und erwecken den Eindruck, als könne das ausgehebelt werden. Damit würde der Basisvertrag, nämlich der ICAO-Vertrag, null und nichtig. Er ist aber der Rahmen, der vorgegeben wird, (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ja, der Rahmen!) und jedes Luftverkehrsabkommen, das abgeschlossen wird, hat in seiner Eingangsformel eine Bezugnahme auf diesen Vertrag. Jedes! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Insofern stimmt das, was Sie sagen, nicht. Es gilt weiterhin die Lufthoheit, die Souveränität unseres Landes, und bei Umweltschutzmaßnahmen der sogenannte ausgewogene Ansatz, der „balanced approach“. Das bedeutet, es gibt ein Kriterienviereck, nach dem man sich zu richten hat. Alle Kriterien sind gleichermaßen wichtig. Es ist manchmal schwer, sich das vorzustellen; aber es ist so. Es geht um Flugsicherheit, um ökologische Ziele, um ökonomische Ziele und um flugbetriebliche Ziele. Sie sind gleichermaßen bedeutend und haben bei der Abwägung das gleiche Gewicht. Außerdem gibt es eine Kaskade, wie zum Beispiel ökologische Ziele wie Lärmminderung einzuhalten sind: Am Anfang steht die Lärmreduktion an der Quelle. Jeder Fluglärmaktivist, aber auch jeder Aktivist auf der Gegenseite sagt genau das: Es muss an der Quelle beginnen. Dann gibt es lokale Maßnahmen wie die in einem Flächennutzungsplan im Bereich der Raumordnung, aber auch beim passiven Lärmschutz. Lärmreduktion am Boden bedeutet, man muss andere Flugverfahren und bei Flughäfen andere Anflugsysteme haben. Auch das ist lärmreduzierend. Als letzter Schritt, als Ultima Ratio sozusagen, wenn man das Ziel mithilfe der ersten drei Kriterien nicht erreichen kann, kommen Betriebsbeschränkungen ins Spiel. Das ist der „balanced approach“. Er ist völkerrechtlich verbindlich und muss angewendet werden. Aber die Maßnahmen, mit denen man das Ziel erreicht, unterliegen dem nationalen Recht, das durch keinen anderen Vertrag ausgehebelt wird, auch nicht durch den, der hier in Rede steht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zusammengefasst muss man sagen: Es gelten der „balanced approach“ und die Lufthoheit. Genau dies ermöglicht uns, diese Regelungen zu treffen. Ihre Interpretation ist juristisch schlicht falsch. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber politisch richtig! – Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt ein Nichtjurist!) Ich möchte noch auf eines hinweisen – es wäre vielleicht nicht ganz unwichtig gewesen, wenn Sie das erwähnt hätten; das hätte ich eigentlich erwartet –: Zum ersten Mal überhaupt ist in einem Luftverkehrsabkommen eine soziale Dimensionierung vorgenommen worden; das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Es wird nämlich ein Artikel 17 a eingefügt, in dem auf die soziale Dimension des Abkommens abgehoben wird. Eine ganz wichtige Formulierung ist, dass offene Märkte, um die es hier geht, und hohe arbeitsrechtliche Normen zusammengehören. Das steht in dem Vertrag, über den wir heute zu entscheiden haben, drin. Von den Gewerkschaften, die im Luftverkehrsbereich aktiv sind, weiß ich, dass sie das begrüßen und sagen: Endlich ist die soziale Dimension wirklich einmal in einem Vertrag formuliert worden. – Das gab es bisher in keinem einzigen Luftverkehrsabkommen. Das gibt es erst jetzt, nämlich in diesem Luftverkehrsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insofern kann ich Ihnen nur empfehlen, diesem Vertrag zuzustimmen. Ich hatte zwei Aufgaben: Erstens. Ich wollte Sie überzeugen, Herr Behrens. Ich weiß, dass ich Sie nicht überzeugt habe. Sie werden nicht zustimmen; das weiß ich. Aber vielleicht kann ich Sie ja dazu bringen, dass Sie sich enthalten. Meine zweite ganz schwere Aufgabe betrifft Herrn Rimkus. Es gibt eine Art Running Gag zwischen uns. Ich habe mit Herrn Rimkus vereinbart, dass wir uns in unseren Reden immer gegenseitig erwähnen. Das ist mir jetzt gelungen. Ich danke, dass Sie mir zugehört haben. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Zum Glück haben Sie das noch innerhalb Ihrer Redezeit geschafft. Sonst wäre ich dazwischengegangen. Als nächster Redner hat der Abgeordnete Stephan Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Bitte. Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns im Deutschen Bundestag bereits mit zahlreichen Luftverkehrsabkommen befasst. Das Luftverkehrsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten hat eine besondere wirtschaftliche Bedeutung und weist relevante Besonderheiten auf. Im uns vorliegenden Gesetzentwurf zum Protokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des bereits 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens sind detaillierte Bestimmungen zu Betriebsbeschränkungen enthalten. Sie machen aus unserer Sicht das Erlassen von Betriebsbeschränkungen, wie beispielsweise Nachtflugverboten, zum Schutz der Bevölkerung vor gesundheitsgefährdendem Lärm an deutschen Flughäfen in Zukunft mindestens schwerer. Die hier verfassten Regeln zum Lärmschutz sind insbesondere deswegen relevant, weil – das wurde schon erwähnt – im Luftverkehrsabkommen für Streitfälle die Anrufung einer Schiedsgerichtsbarkeit vorgesehen ist. In Artikel 19 des Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 25. und 30. April 2007 steht Folgendes – ich zitiere –: Einigen sich die Vertragsparteien nicht ..., so wird die Streitigkeit auf Ersuchen einer der Vertragsparteien in Übereinstimmung mit den nachstehend aufgeführten Verfahren Gegenstand eines Schiedsverfahrens. Die Fragen des Lärmschutzes an Flughäfen sollen also nicht mehr vor regulären deutschen Gerichten verhandelt, sondern von Schiedsgerichten entschieden werden. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So geht es nicht, genau!) Wie für TTIP gilt auch hier: Wir wollen nicht, dass Unternehmen jenseits der bestehenden Rechtssysteme in intransparenten Verfahren Sonderrechte erstreiten können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Davon, dass Fluggesellschaften klagen würden, ist auszugehen. Amerikanische Airlines haben in der Vergangenheit wiederholt gegen die deutsche und die europäische Umweltgesetzgebung geklagt. So hat eine US-Fluggesellschaft vor dem Finanzgericht in Hessen gegen die Luftverkehrsteuer geklagt, wenn auch erfolglos. Die Richter haben festgestellt, dass die Luftverkehrsteuer sehr wohl völkerrechts- und verfassungskonform ist. (Arno Klare [SPD]: Genau!) In einem anderen, aber ähnlichen Fall haben einige amerikanische und kanadische Luftverkehrsunternehmen gegen die Einbeziehung des Luftverkehrs in den EU-Emissionshandel geklagt. Eine der Begründungen dieser Klage war, dass der Emissionshandel gegen das sogenannte Open-Skies-Agreement verstößt. Der Text, über den wir hier beraten, ist eine Ergänzung zum Open-Skies-Agreement. Das will ich an dieser Stelle auch erwähnen. Die Airlines haben wieder verloren. Die Einbeziehung internationaler Flüge in das Emissionshandelssystem war rechtens. Diese Klage wurde vor dem Europäischen Gerichtshof und nicht vor einem Schiedsgericht verhandelt, und dort gehören diese Verfahren auch hin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Positiv kann man zu dem Vertragstext erwähnen, dass darin tatsächlich eine Anti-Dumping-Klausel verankert ist. Herr Klare hat es erwähnt. (Zuruf von der SPD: So ist es!) Hier wird endlich anerkannt, dass offene Märkte auch ordentliche arbeits- und sozialrechtliche Normen brauchen. Das amerikanische Verkehrsministerium hat der Billigfluggesellschaft Norwegian Air International mit Sitz in Irland auf Basis von Artikel 17 a des vorliegenden Protokolls die Verkehrsrechte verweigert. Hintergrund war, dass Norwegian Air International für Langstreckenflüge Leiharbeiterinnen aus Singapur und Thailand zu den dortigen schlechten Arbeitsrechtsstandards beschäftigt hatte. Dieser Aspekt wiegt die eingangs beschriebenen Nachteile des Abkommens aber nicht auf. Deshalb werden wir heute gegen den Gesetzentwurf stimmen und uns dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke anschließen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Thomas Jarzombek, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass dieses Luftverkehrsabkommen zu einem solchen politischen Diskurs taugt, hätte man eigentlich nicht für möglich gehalten. Ich glaube, dass nicht nur der freie Handel etwas Gutes ist, sondern dass auch freie Flugbeziehungen etwas Gutes sind. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dagegen hat niemand was! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen nur nicht die Schiedsgerichte haben!) Wir haben in den letzten Tagen viel über die Zukunft des Automobils geredet. Das Automobil hat für viele junge Menschen zu großer Freiheit geführt. Heute bringen günstige und einfache Flugverbindungen die Menschen nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt zusammen. Unsere jungen Leute heute wissen, wie es in anderen Ländern aussieht. Das baut Ressentiments ab, bringt Menschen zusammen und macht Europa erst komplett. Das Luftverkehrsabkommen zwischen Europa und den USA ist ein großer Erfolg in dieser Hinsicht, weil man jetzt schlicht und ergreifend von allen Orten des einen Kontinents zu allen Orten des anderen Kontinents fliegen kann. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist aber keine. Es zeigt auch, wie die Perspektiven von Freihandel sind. Wenn man zurückschaut, stellt man fest: Es ist noch nicht viele Jahre her, und genau durch diese Luftverkehrsabkommen werden Wettbewerbsbeschränkungen innerhalb Europas, nämlich in Großbritannien, aufgehoben. Am Airport Heathrow hatten allein British Airways und American Airways einen Marktanteil von 75 Prozent. Nur vier Fluggesellschaften durften in London landen. Das waren neben den beiden benannten noch Virgin und United. Der Markt war fein sortiert. Genau durch diese Abkommen hier hat man den Markt öffnen können, und jetzt dürfen auch unsere deutschen Airlines – die Lufthansa, Air Berlin – nach London fliegen. Das Ganze bringt in der Tat einen sehr spürbaren Effekt. Wenn man allein Air Berlin betrachtet, so sieht man, dass sich die Anzahl der Flüge in die USA in dem Zeitraum von 2008 bis heute verdoppelt hat – sogar um 105 Prozent gestiegen ist – und sich auch die Anzahl der verkauften Sitze verdoppelt hat. Das zeigt, dass hier in der Tat Wachstum zu verzeichnen ist und auch unsere Anbieter in diesen Markt gekommen sind, die es an dieser Stelle im Übrigen auch dringend nötig haben. Ich glaube, dass Wettbewerb und Effizienz auch zum Umweltschutz beitragen; denn im besten Falle ist das Flugzeug voll und nicht halbleer. Erst dann, wenn die Anbieter gezwungen werden, so zusammenzuarbeiten, dass sie die Sitze füllen, ist auch der Umwelt gedient. Ich bin schon überrascht, dass das Ganze jetzt offensichtlich auch noch zu einer Debatte über Schiedsgerichte, TTIP und Umweltstandards geworden ist. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Lesen!) Nun kann man in dieser Woche auch sagen, dass die Antwort auf die Frage, wo denn die höchsten Umweltstandards gelten, nicht zwangsläufig „in Europa“ lauten muss. Volkswagen hat gerade bitter zu spüren bekommen, dass in Amerika verdammt hohe Verbraucherschutz- und Umweltstandards gelten. Ich glaube, dass es etwas Gutes ist, wenn sich die beiden Kontinente mit den strengsten Standards zusammentun und hier auch Freihandel ermöglichen. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Volkswagen lässt grüßen!) Vielleicht auch ein Wort zu den Schiedsgerichten, die ja unentwegt von Ihnen diskreditiert werden: Die Schiedsgerichte sind ja keine Erfindung der USA oder von irgendwelchen merkwürdigen Wirtschaftsinteressen geleitet gewesen. (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trifft das auch für Toll Collect zu?) Die Schiedsgerichte sind etwas, was wir selber gern haben wollten, weil es eine Reihe von Ländern auf dieser Welt gibt, die lieber vor einem Schiedsgericht verhandeln – ich will gar kein Land exemplarisch nennen – als vor den entsprechenden Gerichten in Staaten unserer sehr willkommenen Handelspartner. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zählen die USA mit dazu? Zählen wir dazu?) Deshalb ist das etwas, was uns hilft, und nichts, was uns schadet, meine Damen und Herren. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut, ja!) Und ganz ehrlich: Auch das Schiedsgericht von Toll Collect wäre viel schneller zu einem Ergebnis gekommen, wenn die rot-grüne Regierung damals nicht, – ich glaube, – 18 000 Seiten Vertragswerk fabriziert hätte, (Stephan Kühn (Dresden) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange regieren Sie jetzt?) wobei ich, ehrlich gesagt, fassungslos bin, wie man einen so komplexen Vertrag aufsetzen kann. Man darf sich dann nicht wundern, dass es schwierig ist, daraus am Ende eine Rechtsmeinung zu bilden. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Stolpe war der Verkehrsminister!) Nicht zuletzt – Herr Kollege Kühn, da haben Sie eine tolle Vorlage geliefert –: Ich glaube, es wäre vielleicht ein eleganter Weg gewesen, wenn man über ein Gerichtsverfahren aus der Luftverkehrsteuer herausgekommen wäre. Denn ich glaube, da sind wir Verkehrspolitiker uns alle einig: Das wäre ein guter Maßstab – auch für die Wettbewerbsfähigkeit – gewesen. Das ist das, was wir im Luftverkehr brauchen. Wenn wir sehen, was da in der arabischen Welt entsteht, was in der Türkei entsteht, erkennen wir, dass wir verdammt hart darum kämpfen müssen, dass unsere Airlines hier konkurrenzfähig bleiben. Das ist eine wichtige Aufgabenstellung für uns. Deshalb, glaube ich, ist dieses Abkommen, über das wir hier heute beschließen, ein gutes. Ich würde mir ganz klar wünschen, dass sich auch die arabischen Airlines in dieses Abkommen einbringen; denn das hätte zur Folge, dass hier – ohne Subventionen und Dumping – ein Wettbewerb auf Augenhöhe stattfinden könnte. Das ist das, was unsere Airlines brauchen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 14 a. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Protokoll zur Änderung des Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6161, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5271 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion und der SPDFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6194. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 14 b. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Luftverkehrsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen Union, ihren Mitgliedstaaten und Island und Norwegen und zu dem Zusatzabkommen betreffend die Anwendung des Luftverkehrsabkommens. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6072 (neu), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5580 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion und der SPDFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitslosenversicherung gerechter gestalten und Zugänge verbessern Drucksache 18/5386 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, die diesen Punkt nicht mehr mitberaten wollen, uns friedlich und zügig zu verlassen, und die anderen, sich entspannt hinzusetzen. Ich gebe das Wort als erster Rednerin der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können es alle beobachten: Die Arbeitswelt ändert sich. Teilzeitbeschäftigung, Befristungen, Projektarbeit und Selbstständigkeit nehmen zu und sind schon für viele Menschen in dieser Gesellschaft Wirklichkeit. Das ist also kein Zukunftsszenario, das wir unter dem Label „Arbeit 4.0“ diskutieren sollten, sondern das ist Realität. Was sich aber nicht verändert hat, sind die Regelungen in der Arbeitslosenversicherung. Diese Versicherung orientiert sich immer noch an dem alten Leitbild des Normalarbeitsverhältnisses. Das führt dazu, dass insbesondere flexibel Beschäftigte, Projektarbeiterinnen und Projektarbeiter, diejenigen, die prekär beschäftigt sind, zwar in diese Versicherung einzahlen, aber im Falle der Arbeitslosigkeit keinen Cent herausbekommen. Inzwischen landet etwa ein Viertel derjenigen, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, bei Arbeitslosigkeit unmittelbar in Hartz IV. Das ist eine große Gerechtigkeitslücke, die sehr schnell geschlossen werden muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber, meine Damen und Herren, wenn sich das so weiterentwickelt, dann delegitimiert sich damit die Arbeitslosenversicherung selbst. An diesem Delegitimierungsprozess hat die Sonderregelung, die die Große Koalition beschlossen hat, nichts, aber auch gar nichts geändert. Mit dieser Sonderregelung erreichen Sie 0,6 Prozent der Gruppe, die Sie selber definiert haben. Ursprünglich sollten das Künstlerinnen und Künstler und Kulturschaffende sein. Ich übertreibe also überhaupt nicht – das ist auch nicht meine Art –, wenn ich sage, dass diese bürokratische Regelung wirkungslos ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zunehmend wirkungslos ist übrigens auch die freiwillige Weiterversicherung der Selbstständigen. Wir haben unter Rot-Grün diese Möglichkeit eröffnet. Sie hat sich zu der Zeit einer großen Beliebtheit erfreut. Inzwischen jedoch gehen die Versichertenzahlen immer weiter zurück; denn diese Versicherung ist so teuer geworden, dass sich kleinere Selbstständige und insbesondere Soloselbstständige sie nicht leisten können. Die Arbeitsministerin hat den Dialogprozess „Arbeit 4.0“ in Gang gesetzt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin fern davon, das zu diskreditieren; darum geht es hier gar nicht. Aber ich wünsche mir, dass sie nicht nur Fragen stellt, sondern zumindest dort, wo die Veränderung der Arbeit nicht nur sichtbar, sondern auch in Problemen manifest ist, Antworten gibt; denn daran wird sie am Ende gemessen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der GroKo, ich mache Ihnen jetzt ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können. Ich stelle Ihnen unsere Vorschläge vor, und Sie können sie dann in Ihren eigenen Gesetzentwurf übernehmen, ohne dass ich Ihnen Plagiatsvorwürfe mache; da können Sie ganz sicher sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Also, lassen Sie uns Folgendes machen: Erstens. Wir schaffen ein klares und unbürokratisches System, das kurzfristig Beschäftigte wirklich absichert. Wer in der bekannten Rahmenfrist vier Monate arbeitet, bekommt, wenn er arbeitslos wird, zwei Monate Arbeitslosengeld. Bei sechs Monaten sind es drei Monate. Das Verhältnis zwei zu eins bleibt bestehen. Zweitens. Wir machen die Arbeitslosenversicherung für Selbstständige wieder erschwinglich und öffnen sie auch für diejenigen, die sich zum Beispiel nach einem Studium selbstständig machen wollen. Drittens. Wir beseitigen die bestehenden Ungerechtigkeiten. Sie werden es mir nicht glauben, aber wer 20 Jahre Vollzeit gearbeitet hat, entsprechend eingezahlt hat, dann arbeitslos wird und sich nur noch halbtags beschäftigen lassen möchte, weil sich seine Familienverhältnisse verändern, weil ein Kind kommt, bekommt Arbeitslosengeld nur noch mit Blick auf die zukünftige Halbtagsbeschäftigung. Umgekehrt gilt das nicht. Das erklären Sie einmal Ihren Wählerinnen und Wählern! Diese Regelung muss weg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. Vizepräsident Peter Hintze: Dazu hätten Sie leider schon vor längerer Zeit kommen müssen. Wir hatten gedacht, dass Sie nur kurz die Punkte sagen. (Waltraud Wolff (Wolmirstedt) [SPD]: Das haben wir auch gedacht!) Die Zeit war schon abgelaufen. Aber dann sind Sie so lebendig in Fahrt geraten. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident, dann können Sie mich doch nicht ernsthaft unterbrechen. (Heiterkeit) Ich habe nur noch einen Punkt. Viertens. Wir öffnen die Arbeitslosenversicherung auch für Menschen in berufsbegleitender Qualifizierung. Wenn wir alle vier Punkte durchsetzen, dann können wir der Veränderung der Arbeitswelt etwas beruhigter entgegensehen. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Nächster Redner ist der Abgeordnete Albert Weiler, CDU/CSUFraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Albert Weiler (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Pothmer, es wird nicht besser, wenn man so schreit. Es ist dann sehr anstrengend, zuzuhören. Ich versuche einmal, ein bisschen leiser zu reden. Mir geht das Wort „Plagiat“ nicht mehr aus dem Kopf. Sie haben ein Plagiat von sich selbst gemacht; das muss man erst einmal schaffen. Ich kenne Ihre Rede aus dem Jahr 2010 zum gleichen Tagesordnungspunkt bzw. zum gleichen Antrag. Diese haben Sie eins zu eins aufgegriffen. Aber Ihre Rede enthielt ein paar Fehler. Das möchte ich jetzt aufarbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Grünen, es ist grundsätzlich lobenswert – ich muss auch einmal loben –, (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Übertreib es aber nicht!) dass Sie sich für Deutschlands Selbstständige starkmachen wollen. Sie machen es einem aber sehr schwer, sich Ihrem sicherlich gut gemeinten Antrag zu nähern, da dort schon im dritten Satz behauptet wird, dass die Zahl der Teilzeitbeschäftigungsformen sowie der befristeten und unsicheren Beschäftigungsformen zunimmt. Das ist schlichtweg falsch. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt! Wo leben Sie denn! Also, das kann doch nicht wahr sein!) Fehlern kann ich nicht bewusst meine Zustimmung geben. Richtig ist: Es gibt immer mehr normale Arbeitsverhältnisse. (Inge Höger [DIE LINKE]: Es gibt immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse!) Seit 2010 gab es eine Zunahme um 1,5 Millionen reguläre Arbeitsverhältnisse. Dagegen sind die Zahlen für befristete und geringfügige Beschäftigung sowie Zeitarbeit gesunken, und das wird von unserem Statistischen Bundesamt bestätigt. Sie haben den Antrag von 2010, der die aktuellen Verhältnisse nicht widerspiegelt, wohl blind kopiert. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Es hat sich nichts geändert!) Auf unserem Arbeitsmarkt hat sich dank der CDUgeführten Bundesregierung aber einiges getan. Es würde Sie ehren, wenn Sie das ganz einfach eingestehen würden. Deshalb müssen Sie ja nicht gleich in die CDU eintreten, obwohl ich das sehr begrüßen würde. (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Nein, lass mal!) Sie wollen die Arbeitslosenversicherung gerechter gestalten, und das halte ich prinzipiell für lobenswert. Aber Gerechtigkeit muss für alle Versicherten gelten. Mit Blick auf Ihre Ideen in Bezug auf die Besserstellung von Selbstständigen bei der Arbeitslosenversicherung sei Folgendes gesagt: Die Arbeitslosenversicherung in Deutschland ist Teil der Sozialversicherung und hauptsächlich als umfassende Pflichtversicherung für alle abhängig Beschäftigten organisiert. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir vielleicht noch ändern!) Sie wird anteilig finanziert durch die Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber. Nun wurde Selbstständigen die Möglichkeit gegeben, sich freiwillig zu versichern. Das meine ich mit „gut gemeint“. Allerdings trägt hier kein Arbeitgeber einen Teil mit, weil es für Selbstständige keinen Arbeitgeber gibt. Selbstständige sind, wie das Wort sagt, für sich selbst verantwortlich. Deshalb ist der Beitrag für den Einzelnen natürlich auch höher. Richtig ist, dass sich die Zahl der Selbstständigen in der freiwilligen Arbeitslosenversicherung reduziert hat. Sie meinen, dass das an den gestiegenen Beiträgen zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung liegt. Aber damit, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, machen Sie es sich ein bisschen zu einfach. Erstens. Die eingangs beschriebenen sehr guten Arbeitsmarktzahlen seit 2010 hatten eine geringere Anzahl von Gründungen aus der Arbeitslosigkeit zur Folge, wie der DIHKGründerreport 2014 verdeutlich hat. Zweitens. Ebenso sind die vielen osteuropäischen Arbeitskräfte inzwischen nicht mehr in einer Ein-Mann-Firma, sondern haben die Freizügigkeit erhalten und eine abhängige Beschäftigung aufgenommen. Unterschwellig suggeriert der Antrag, man wolle die Gründungskultur in unserem Land voranbringen. Sie schreiben in der Begründung Ihres Antrags, dass wir eine Kultur brauchen, „die Gründungen befördert und Lust auf Selbstständigkeit nicht im Keim erstickt“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da waren wir doch diesmal gut!) Sehr gut! An dieser Stelle noch mal mein Angebot: Wenn Sie es wünschen, treten Sie der CDU bei! Ich werde ein gutes Wort für Sie einlegen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das reicht aber nicht! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie wirklich, dass ich bei Ihnen eintrete?) Wir haben eine solche Kultur in unserem Land geschaffen. Führende amerikanische Investoren sehen die deutsche Förderpolitik für Gründer als eine der besten unseres Kontinents. Allein das Existenzgründungsportal des Bundeswirtschaftsministeriums zeigt zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten auf, zeigt, wie Gründer massiv unterstützt werden. Dazu ein paar Beispiele: Gründungscoachings, Beratungen und Weiterbildungen, Gründungszuschüsse, günstige Gründungskredite, Bürgschaften und Garantien und, und, und. Uns geht es sowohl um den Malermeister als auch um den EDVSpezialisten als Firmengründer. Wenn man mal alles zusammenzählt, sprechen wir von über 2 000 Förderprogrammen für Gründer und Selbstständige. Wir denken Gründungen nicht vom Ende, sondern vom Anfang her. Nichtsdestotrotz finden sich brauchbare Ansätze in Ihrem Antrag. Dennoch begründen Sie diesen mit teils falschen Annahmen, und somit können wir heute leider nicht zustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der Arbeitslosenversicherung ist zwingend notwendig; das sagen wir auch als Linke. (Beifall bei der LINKEN) Danke an die Grünen, dass sie diesen Punkt auf die Tagesordnung gebracht haben. Über den Vorschlag der Regierung hätten wir gar nicht reden dürfen. (Albert Weiler [CDU/CSU]: Ist es den Linken verboten, über unsere Anträge zu diskutieren? Schade!) Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren komplett geändert, in vielen Punkten, aber die Regierung und Herr Weiler tun so, als sei nichts passiert. Die jetzige Arbeitslosenversicherung trägt den Risiken der heutigen Arbeitswelt kaum Rechnung. Allerdings, liebe Grüne, hätte ich mir gewünscht, dass Sie auch ein Wort dazu verlieren, dass weder prekäre Beschäftigungsverhältnisse noch die Lücke in der Arbeitslosenversicherung einfach so vom Himmel gefallen sind. Sie sind das Ergebnis falscher Politik und falscher politischer Entscheidungen – und das leider mit Ihrem Zutun. Wir müssen ehrlich sagen: Es sind maßgebliche Folgen der Hartz-Gesetze, die einerseits die Beschäftigung unsicherer gemacht und andererseits viele Löcher in die Arbeitslosenversicherung gerissen haben. Deshalb sind für uns Linke zwei Dinge absolut wichtig: Zum einen muss die Arbeitslosenversicherung reformiert und der Zugang zu ihr verbessert werden. Zum anderen muss die Arbeit selbst wieder sicherer gemacht werden. (Beifall bei der LINKEN) Da dies noch nicht passiert ist, ist die heutige Forderung der Grünen, kurzzeitig Beschäftigten und Selbstständigen den Zugang zur Arbeitslosenversicherung zu erleichtern, doppelt wichtig. Oft sind genau diese Beschäftigungsgruppen nicht durch Arbeitslosengeld I abgesichert. Sie rutschen bei Arbeitslosigkeit direkt in Hartz IV. Bei den Selbstständigen sind wir allerdings der Meinung, dass sich die zu zahlenden Beiträge zur Arbeitslosenversicherung an den erzielten Einkommen orientieren sollten. Was für alle anderen Beschäftigungsgruppen gilt, sollte auch für Selbstständige gelten. Das heißt: Wer wenig verdient, zahlt wenig, und wer viel verdient, zahlt auch viel. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was soll das denn?) Ein weiterer Punkt ist die Weiterbildung. Die Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitslosen- und Weiterbildungsversicherung umzubauen, finden wir einfach zu pauschal. Ich frage mich, warum die Grünen nicht zunächst im bestehenden System einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung fordern, damit endlich an dieser Stelle auch etwas passiert. Wir als Linke finden diesen Punkt absolut wichtig. Es wäre doch ein naheliegender Schritt, bevor größere Vorhaben auf den Weg gebracht werden. Aus unserer Sicht muss die Zeit der Qualifizierung dringend finanziell besser abgesichert werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viele Erwerbslose können es sich schlichtweg nicht leisten, über längere Zeit eine Weiterbildung zu absolvieren. Das Arbeitslosengeld ist zu niedrig, um gleichzeitig auch noch die Familie zu ernähren. Viele sind gezwungen, zusätzlich Arbeiten für Niedrigqualifizierte anzunehmen. Oft hängen sie so im Niedriglohnbereich fest und kehren schnell in die Arbeitslosigkeit zurück. Früher gab es bei der Teilnahme an Bildungsmaßnahmen Unterhaltsgeld in Höhe von 73 Prozent des ehemaligen Nettoeinkommens. Die Weiterbildungsmaßnahme galt als Anwartschaftszeit für Arbeitslosengeld, und Auszubildende wurden nach der Ausbildung als Fachkräfte eingestuft. Das war doch damals alles richtig so gewesen. (Beifall bei der LINKEN) Eine gute Qualifizierung bringt zwar nicht automatisch einen guten Job, sie erhöht aber deutlich die Chancen auf einen besseren Job. Ich fasse zusammen: Liebe Grüne, Ihr Antrag geht aus unserer Sicht in die absolut richtige Richtung. Von daher wünsche ich mir, dass es uns gelingt, gemeinsam hart daran zu arbeiten, dass sich endlich die Bedingungen für die Menschen in der Arbeitslosigkeit verbessern. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Nächster Redner ist der Abgeordnete Markus ­Paschke, SPDFraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Markus Paschke (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne! (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und am Fernsehen!) – Und am Fernsehen. – Es gibt in unserem Land vielfältige prekäre und/oder flexible Beschäftigungsformen: Leiharbeit, Befristung, Soloselbstständigkeit, um nur einige zu nennen. Diese Vielfalt spiegelt sich jedoch nicht in den entsprechenden Zugängen zur Arbeitslosenversicherung wider. (Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD]) Dabei sind es gerade diese Menschen, die diese Absicherung brauchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Haltung an dieser Stelle ist ganz klar: Ja, wir müssen die Zugänge erleichtern und den heutigen flexiblen Verhältnissen anpassen. Dringenden Handlungsbedarf sehe ich insbesondere beim Thema Rahmenfristen. Hier ist eine Verlängerung auf drei Jahre dringend notwendig. Aber auch über die Frage, wann erstmals Ansprüche erworben werden, müssen wir reden. Ich finde, es ist doch frustrierend, wenn man elf Monate gearbeitet hat, häufig in wechselnden Arbeitsverhältnissen, und dann wieder im SGB II landet. Mir fehlt an dieser Stelle, muss ich gestehen, auch das Verständnis für das Zögern unseres Koalitionspartners. Statt Trippelschritte brauchen wir jetzt endlich den großen Sprung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dafür werbe ich heute noch mal aktiv, natürlich insbesondere bei unserem Lebensabschnittsbegleiter, dem politischen. (Heiterkeit – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ihr stellt doch die Ministerin! – Gegenruf der Abg. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) [SPD]: Ja, Matthias, da lachst du nicht mehr, was?) Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige sagen. Der Schritt in die Selbstständigkeit ist ein mutiger Schritt, mutig deshalb, weil auch das Risiko des Scheiterns besteht. Ich sage: Wer das Risiko auf sich nimmt, sollte die Sicherheit haben können, dass ein Scheitern nicht zur Gefährdung seiner gesamten Existenz führt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn ein Selbstständiger freiwillig in die Arbeitslosenversicherung einzahlt, dann sollte sich die Höhe des Arbeitslosengeldes zukünftig an der Höhe der gezahlten Beiträge bemessen und nicht wie bisher an den Qualifikationsstufen ausgerichtet werden. Der Vorschlag ist nicht ganz neu, übrigens ebenso wie die Zielsetzung, die Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung umzubauen, in der Qualifizierung und Weiterbildung bis zum Ende des Arbeitslebens inklusiv sind. (Beifall der Abg. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) [SPD]) Die SPD hat diesen Vorschlag schon in der letzten Legislaturperiode gemacht. Ich halte ihn nach wie vor für richtig und gerecht. (Beifall bei der SPD) Auch die Idee, Existenzgründern länger Zeit zu geben, um einen Antrag auf freiwillige Arbeitslosenversicherung zu stellen, halte ich durchaus für sinnvoll. Etwas anders sieht es bei dem Vorschlag aus, allen Selbstständigen die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Tarifen zu lassen. Wenn wir die Höhe des Anspruchs an der Höhe der gezahlten Beiträge ausrichten, dann kann jeder selbst entscheiden, wie viel er für diese Absicherung leisten will. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Ziel, die Arbeitslosenversicherung gerechter zu gestalten und die Zugänge zu verbessern, herrscht – das habe ich heute so gespürt – große Einigkeit. Über Detailfragen müssen wir noch diskutieren. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2017!) Wenn ich einen Wunsch frei hätte – Brigitte, er richtet sich diesmal nicht an dich –, würde ich mir wünschen, dass der Knoten in der Koalition endlich platzt (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Dann blutet es aber, wenn der Knoten platzt!) und wir da endlich eine gerechtere Lösung hinbekommen. (Beifall bei der SPD) Wir werden auf jeden Fall für eine moderne und gerechte Arbeitsversicherung streiten. Danke schön. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Peter Hintze: Dieser Wunsch war zwar außerhalb der Redezeit. Aber er wird trotzdem im Protokoll erfasst; das ist ja klar. Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Dr. Astrid Freudenstein, CDU/CSUFraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie wollen die Arbeitslosenversicherung gerechter machen, schreiben Sie. Ich nehme Ihnen dieses Ziel auch ab. Das Problem ist aber, dass Sie mit Ihren Vorschlägen die Beitragszahler, also die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, belasten. Und das wollen wir nicht, und das wollen wir gerade jetzt nicht, wo wir am Arbeitsmarkt doch vor großen Herausforderungen stehen. Sie selbst wissen doch gut – Sie waren ja auch einmal in Regierungsverantwortung –, dass bei Sozialversicherungen nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden des Einzelnen zählt, sondern die Stabilität des Systems insgesamt mindestens genauso wichtig ist. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!) Nicht umsonst haben Sie selbst damals die Rahmenfrist auf zwei Jahre gesenkt und die Anwartschaftszeit bei zwölf Monaten belassen. Das hat Früchte getragen. Seit mittlerweile fast fünf Jahren ist der Beitragssatz stabil niedrig. So können Millionen deutscher Arbeitnehmer trotz niedriger Beiträge auf die Arbeitslosenversicherung setzen, falls sie ihre Arbeitsstelle verlieren. Sie haben gesagt, dass Übertreibung nicht Ihre Art ist, aber ein bisschen dick aufgetragen haben Sie schon. Es ist ja nicht so, dass sich der Arbeitsmarkt in den vergangenen zehn Jahren so radikal verändert hätte, wie Sie es dargestellt haben. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Doch! Die prekäre Beschäftigung hat gravierend zugenommen! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Massenweise sachgrundlose Befristungen!) Und von einer Delegitimierung der Arbeitslosenversicherung kann nicht die Rede sein. Das beweisen im Übrigen auch die Zahlen. Der Anteil der Empfänger von Arbeitslosengeld I an der Gesamtzahl der Arbeitslosen ist seit 2011 sogar gestiegen. Die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, die es zweifelsohne gibt, verhindert nicht, dass man innerhalb von 24 Monaten 12 Monate Anwartschaft erwerben kann. Das ist auch möglich, wenn man in Teilzeit arbeitet oder wenn man befristet beschäftigt ist. Es gibt also schlichtweg keinen zwingenden Grund, die Anwartschaftszeit auf vier Monate zu senken. Es gibt im Gegenteil einige gute Gründe, die dagegen sprechen. Zwei will ich Ihnen nennen. Erstens. Ihre Pläne würden allein für das Arbeitslosengeld pro Jahr mehr als 1 Milliarde Euro verschlingen. Das würde vor allem die Beitragszahler belasten. Arbeitnehmer hätten weniger Netto vom Brutto. Die Lohnnebenkosten würden steigen und damit würde vermutlich die Nachfrage nach Arbeitskräften abnehmen. Das wäre ein fataler Effekt. Zweitens. Die Senkung der Anwartschaftszeit auf vier Monate würde die Möglichkeit eines ständigen Wechsels von Kurzzeitbeschäftigung und ALGIBezug eröffnen. Es ist natürlich verlockend, wenn der Durchschnittsverdiener nach vier Monaten Arbeit und insgesamt rund 300 Euro Beitrag in den folgenden zwei Monaten zusammen mehr als 3 500 Euro ALG I bekommt. So, meine Damen und Herren, kann eine Sozialversicherung sicher nicht funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Schauen Sie doch nach Frankreich! Dort gibt es die niedrige Anwartschaftszeit von vier Monaten, und zwar nur dort in der EU. Die Arbeitslosenversicherung häuft dort Jahr für Jahr Milliardendefizite an und hat einen doppelt so hohen Beitragssatz wie bei uns. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Sie haben alle möglichen Leute in Hartz IV gedrängt!) Da wundert es uns nicht, dass die französischen Politiker die deutschen Reformen durchaus als Vorbild für ihre Arbeitslosenversicherung sehen. Warum sollten wir also einen Schritt zurückgehen? Die momentane Regelung liefert Anreize, um dauerhafte Beschäftigung zu erhöhen und den Missbrauch auf Kosten der Beitragszahler so niedrig wie möglich zu halten. Die bestehenden Sonderreglungen, die Sie nur ganz kurz erwähnen, machen durchaus dort Ausnahmen, wo wir sie brauchen, etwa im Kulturbereich. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 0,6 Prozent der Fälle, die Sie selbst definieren!) Eine Sonderregelung für überwiegend kurzzeitig Beschäftigte soll dort speziellen Erwerbsbiografien Rechnung tragen, etwa bei Schauspielern, die immer wieder nur kurze Engagements haben. Sie haben einen Anspruch auf ALG I nach sechs statt der üblichen zwölf Monate Anwartschaftszeit. Wir bleiben also dabei: Wir wollen Ausnahmen dort, wo es strukturelle Nachteile auszugleichen gilt, wollen aber nicht die arbeitsmarktpolitischen Reformen, an denen Sie selbst mitgewirkt haben, generell zurückdrehen. Unser Arbeitsmarkt und unsere Sozialversicherungen stehen derzeit gut da. Das wollen wir nicht aufs Spiel setzen. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Ralf Kapschack, SPDFraktion. (Beifall bei der SPD) Ralf Kapschack (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich möchte am Ende der Debatte noch einen Punkt einbringen, der angetippt, aber noch nicht richtig beleuchtet worden ist. Die allermeisten, die im Tatort, bei Rosamunde Pilcher oder der aktuellen Fortsetzung der Serie Weißensee (Dr. Astrid Freudenstein [CDU/CSU]: Was schauen Sie denn?) vor oder hinter der Kamera agieren, haben eines gemeinsam: Sie sind kurzfristig beschäftigt. Sie haben Probleme beim Zugang zu Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Zusammen mit meinem Kollegen Burkhard Blienert habe ich vor ein paar Wochen mit Vertretern der Film- und Fernsehbranche gesprochen. Es waren Schauspielerinnen und Schauspieler, Kameraleute, Regisseure und Maskenbildnerinnen dabei. Die allermeisten von ihnen werden für ein konkretes Projekt engagiert: für einen Film. Wenn der Film abgedreht ist, sind sie beschäftigungslos, oft über viele Monate. Die meisten haben Beiträge in die Arbeitslosenversicherung gezahlt. Trotzdem rutschen sie direkt auf Hartz IV. Das finden viele von ihnen ungerecht, und ich kann das gut verstehen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und immer wieder zahlen sie ein, und immer wieder landen sie in Hartz IV!) Die Engagements dauern zwischen fünf Tagen und dreieinhalb Monaten. Ganz oft wird in dieser Zeit nonstop gearbeitet. Viele Beschäftigte erreichen in der zweijährigen Rahmenfrist eine Anwartschaft von fünf bis acht Monaten – zu viel für die geltende Regelung, zu wenig für den normalen Zugang zum Arbeitslosengeld. Mit ihrem Jahresverdienst müssen sie die Durststrecke zwischen den Engagements überbrücken. Nicht nur für diese Beschäftigten, aber vor allem für sie, ist die Sonderregelung für den Zugang zum Arbeitslosengeld I eingeführt worden als soziale Absicherung kurzfristiger Beschäftigung. Die geltende Regelung erreicht allerdings viel zu wenige, und deshalb müssen wir etwas tun. Da sind wir uns einig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Allein die Ausweitung der Rahmenfrist auf drei Jahre wird das Problem aber nicht lösen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist absolut richtig!) Das ist jedenfalls die Einschätzung der Betroffenen, und ich finde sie auch plausibel. Ich finde, wir müssen auch über die Frage reden, ob die Beschäftigungszeiten und die Höhe des Arbeitsentgelts in der bisherigen Form Ausschlusskriterien sein können. Man kann die Position vertreten, dass entsprechende Sonderregelungen nicht vertretbar sind, weil sie bestimmte Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern begünstigen, die damit verbundenen Kosten am Ende aber von allen Versicherten getragen werden müssen. Ich finde, solche Sonderregelungen sind vertretbar und notwendig, bis wir eine grundsätzlich andere Regelung, zum Beispiel im Rahmen einer Arbeitsversicherung, haben. Es tut mir leid – bei aller Sympathie für Ihre Vorschläge –: Das wird noch ein bisschen dauern. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das liegt aber nicht an uns!) Ja, solche Sonderregelungen sind vertretbar; denn es liegt in der Natur und in der Produktionsweise zum Beispiel der Film-, Fernseh- und Medienbranche, dass die Beschäftigungsverhältnisse dort so sind, wie sie sind. Die Beschäftigten haben darauf wenig Einfluss. Wenn ich das richtig sehe, soll die geltende Regelung für kurzfristig Beschäftigte noch einmal verlängert werden. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch einmal? Das glaube ich nicht!) Ich hätte mir gewünscht, wir wären in der Koalition weiter. Aber bis zum Beweis des Gegenteils gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode eine Regelung hinbekommen, (Beifall der Abg. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) [SPD]) die den kurzfristig Beschäftigten nicht nur, aber auch im Kultur- und Medienbereich hilft. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Umgang mit Kultur misst sich auch daran, wie wir mit den Kulturschaffenden umgehen, (Beifall bei der SPD) wie wir sie sozial absichern, und zwar nicht nur in Sonntagsreden, sondern ganz praktisch. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/5386 an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank Drucksache 18/6163 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen. – Liebe Kollegen von den Grünen, wir würden gern fortfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meister. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im März in der Bundesregierung entschieden, der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank beizutreten. Ich glaube, das ist eine richtige Entscheidung. Wir bitten Sie jetzt, dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen zur Gründung dieser Bank zuzustimmen. Die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank wird von insgesamt 57 Ländern getragen, 17 davon aus Europa. Wir werden unter den nichtasiatischen Ländern der größte Anteilseigner sein. Ich glaube, es ist richtig, die Chancen, die mit diesem Projekt verbunden sind, zu nutzen und Risiken, die sich ergeben können, abzuwenden. Was sind die Chancen? Wir haben die Chance, an einer neuen regionalen, aber auf Weltniveau agierenden Bank beteiligt zu sein. Diese Bank wird Bedeutung für die Entwicklung von Infrastrukturprojekten in Asien insgesamt haben. Sie wird zwar in großem Maße von der Volksrepublik China geführt; aber sie ist für die gesamte Region von entscheidender Bedeutung. Man muss sich einmal klarmachen, welches Investitionsvolumen dort in den nächsten fünf Jahren zu heben ist. Wir sprechen dabei von bis zu 8 Billionen US-Dollar. Es geht an dieser Stelle aber nicht um Geld und Banking, sondern um die Frage, ob wir die entsprechende infrastrukturellen Grundlagen schaffen, um die Armut in asiatischen Staaten zu bekämpfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich denke hier an Kambodscha und an Myanmar. Wir wollen einen Beitrag leisten, um Armut zu bekämpfen, allerdings nicht, indem wir Geld geben, sondern indem wir die entsprechende Infrastruktur schaffen. Bei den Risiken geht es um die Frage, welche Umwelt- und Sozialstandards wir einbinden. Wenn wir uns heraushalten, werden die Standards von anderen definiert. Wir werben dafür, dass diese Bank bei ihren Projekten, aber auch innerhalb der Regularien der Bank höchste Umwelt- und Sozialstandards pflegt. Dafür sind wir in den Vorverhandlungen eingetreten; das konnten wir durchsetzen. Deshalb glauben wir, dass wir den richtigen Weg gehen. Wir wollen höchste Umwelt- und Sozialstandards, um die Ärmsten dieser Welt zu fördern. Dafür werben wir um Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich habe vergangenen Montag erleben können, dass die siebte Verhandlungsrunde zur Gründung dieser Bank in Frankfurt stattgefunden hat. Ich glaube, es ist Ausweis der Hochachtung, die man uns entgegenbringt, dass diese Verhandlungsrunde nicht in Asien, sondern hier bei uns in Deutschland stattgefunden hat. Ich muss sagen: Ich war beeindruckt, in welch hoher Geschwindigkeit ein so hochkomplexes Projekt fundiert und organisatorisch sauber vorangebracht wird. Ich war auch beeindruckt von der Anerkennung, die uns als Bundesrepublik Deutschland in diesem Prozess von den anderen Teilnehmerstaaten zuteilwird. Deshalb werbe ich dafür, dass wir uns nicht nur an der Bank beteiligen, sondern auch innerhalb der Bank Verantwortung übernehmen. Die Bank soll zum 1. Januar 2016 gegründet werden. Wenn man sich engagieren will, wenn man dabei sein will, dann wäre es ein gutes Zeichen, wenn wir die Ratifikation vor dem 1. Januar 2016 durchgeführt hätten; denn als Nachläufer wird man nicht ernst genommen. Deshalb werbe ich um Zustimmung vor dem 1. Januar 2016 und bitte Sie um die entsprechende Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir werden 4,5 Prozent der Anteile der Bank zeichnen. Das sind bei einem Gesamtkapital von 100 Milliarden US-Dollar, das in Aussicht gestellt worden ist, 4,5 Milliarden US-Dollar. Wir werden 900 Millionen US-Dollar davon als Bareinlage in die Bank einzahlen und 3,6 Milliarden US-Dollar als Gewährleistung zur Verfügung stellen. Wir schaffen ab dem Haushalt 2016 die haushalterischen Voraussetzungen, um diese Einlage tätigen zu können. Sie sind also an zwei Stellen gefordert: zum einen, das Gesetz zu dem Übereinkommen, das wir heute auf der Tagesordnung haben, zu beschließen und zum anderen, im Rahmen der Haushaltsberatungen die entsprechenden Mittel bereitzustellen. Wir senden das deutliche Signal aus, dass wir unsere Verantwortung für die Menschen in der Welt wahrnehmen. So können wir vielleicht die Grundlage dafür schaffen, dass sich die Menschen für ein Leben in ihrem Heimatland entscheiden und sich nicht zu einem anderen Ort aufmachen und uns damit neue Probleme schaffen. Wenn wir dort, wo die Menschen ihre Heimat haben, einen Beitrag zur Lösung der Probleme liefern, dann tun wir etwas für uns und für andere. In diesem Sinne werbe ich um Zustimmung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Dr. Axel Troost hat für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der frühere Chefökonom der Weltbank Joseph Stiglitz schrieb vor einigen Monaten: Unsere Welt krankt an einem – ich zitiere – „Finanzsystem, in dem Marktmanipulation, Spekulation und Insider-Handel zum Alltag gehören, das aber bei seiner Hauptaufgabe versagt: der Verteilung von Ersparnissen und Investitionen auf globaler Ebene“. – Dem ist zuzustimmen. Derzeit mangelt es weder an Ersparnissen noch an Investitionsmöglichkeiten. Insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern gibt es einen enormen Bedarf an Infrastruktur. Doch weder die Finanzmärkte noch die bestehenden Abkommen und Institutionen sind willens oder in der Lage, die dazugehörige Finanzierung zu stemmen. In diese Lücke soll nun die 100 Milliarden Dollar schwere Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank springen. Zugleich ist die Gründung dieser Bank eine Antwort auf das Versagen, internationale Organisationen wie Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank oder auch IWF entsprechend zu reformieren. Aber das ist insgesamt eine positive Entwicklung. Bei den jetzt zu fördernden Infrastrukturprojekten wird es um Straßenbau gehen, um Energieversorgung, Hafenbau und den Bau von Städten für Millionen von Menschen und durchaus auch um den Aufbau einer grünen Wirtschaft. Wie wir gehört haben, geht zwar alles sehr schnell; aber es gibt noch viele offene Fragen. Ungeklärt ist etwa, mit welchen Sozial- und Umweltrichtlinien die AIIB dafür sorgen wird, dass die geplanten großen Infrastrukturprojekte keine Massenumsiedlungen und massiven ökologischen Schäden anrichten. Wir werden die Praktiken und Standards der AIIB noch im Detail diskutieren müssen. Im Augenblick ist anders als bei anderen Entwicklungsbanken bisher nicht festgelegt, dass zum Beispiel die Finanzierung von Atomkraftwerken und die Finanzierung von Kohleprojekten ausgeschlossen sind; das muss noch angegangen werden. Selbst Vorhaben in Naturschutzgebieten scheinen nicht ausgeschlossen zu sein. Insofern hat der Staatssekretär völlig recht: Schnelligkeit ist auf der einen Seite gut; aber auf der anderen Seite müssen eben auch Standards eingehalten werden. Ich will hier kein plumpes China-Bashing betreiben; aber es ist natürlich völlig klar, dass sich bei einer Bank, bei der China mit weitem Abstand der größte Kapitalgeber ist, die chinesische Kultur in der Arbeitsweise niederschlagen wird. Der Umgang der chinesischen Regierung mit Minderheiten und kritischen Stimmen ist nicht so, dass man davon ausgehen kann, dass es Bürgerbeteiligung und ausreichende Umweltprüfungen geben wird. Insofern glaube ich, dass man bei allen Chancen – und es ist sicherlich sinnvoll, in dieser Region eine solche Bank zu gründen – eben auch schauen muss, dass die Sozial- und Umweltstandards in die Bedingungen der Bank aufgenommen werden; sonst werden wir hier jeweils die einzelnen Skandalprojekte diskutieren müssen. Von den sozialen Bewegungen werden wir dann hören, was alles nicht vernünftig läuft. Insofern sind wir ein bisschen überrascht – wir haben von der Eile gehört –, dass wir heute die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs haben und ihn bereits in der übernächsten Sitzungswoche – ursprünglich war schon die nächste Sitzungswoche geplant; wir haben das um eine Sitzungswoche verschoben – abschließend beraten sollen. Wir sind gespannt, welche Maßnahmen ergriffen werden, um diesen Terminplan halten zu können. Uns geht es nicht nur um Schnelligkeit. Vielmehr müssen wir sicherstellen, dass in die Satzung dieser Bank aufgenommen wird, was wir an Standards weltweit festgelegt haben. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Da Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank, AIIB, beschäftigen, macht es einen gewissen Sinn, einmal zurückzuschauen auf die Geschichte und die Funktion supranationaler Förder- und Investitionsbanken und auf globale Zusammenhänge. Schon während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten die Alliierten an einer Neuorganisation der institutionellen Strukturen für die Zeit nach dem Krieg. Sie beschlossen die Gründung der Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Weltbank, und des IWF – das sind die Bretton-Woods-Institutionen – bereits 1944. Die Weltbank hat dann 1946 die Arbeit aufgenommen, ursprünglich mit dem Schwerpunkt auf der finanziellen Förderung des Wiederaufbaus westeuropäischer Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Immerhin war Frankreich 1947 das erste Land, das einen Kredit bekam. Der IWF hingegen hatte eine andere Aufgabe. Er sollte das internationale Währungssystem sichern und die Stabilität gewährleisten. Im Laufe der Zeit und mit der Besserung der Lage in Westeuropa hat sich der Fokus der Weltbank verschoben hin in Richtung Entwicklungsförderung und Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern. Aktivitäten einer internationalen Investitionsbank verfolgen immer zwei Ziele: wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum in einer Region und damit einhergehend Befriedung und Stabilisierung. Heute ist die Weltbank die wichtigste Organisation multilateraler Entwicklungshilfe. Ich will mich an dem Weltbank-Bashing nicht beteiligen. Ich glaube, sie trägt in großem Maße zur Lösung globaler Probleme bei. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Schaut man sich die Struktur der Weltbank an, stellt man fest: Es gibt den Gouverneursrat, das Exekutivkomitee und den Präsidenten der Weltbank, und in der Tat haben die USA und die Industrieländer einen beherrschenden Einfluss in dieser Organisation. Neben der Weltbank existieren noch einige regionale Entwicklungsbanken. Ich will hier nur die Asiatische Entwicklungsbank nennen, die Asian Development Bank, gegründet 1966. In dieser Bank haben Japan und die USA einen sehr großen Einfluss. Nun wird diese Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank gegründet. Das hat sehr viel damit zu tun, dass die von mir angesprochenen Stimmenverhältnisse bei den bestehenden Institutionen China nicht unbedingt gefallen und die Amerikaner – das muss man auch sagen – eigentlich nicht willens oder politisch nicht fähig sind, die Reformen, die sowohl im IWF als auch in der Weltbank notwendig wären, durchzuführen. Deshalb ist es, glaube ich, nachvollziehbar, dass China nun unabhängig vom Einfluss der USA werden will. China ist immerhin auf dem Weg, eine der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt zu werden. Ich denke, unter geopolitischen Gesichtspunkten kann man ein gewisses Verständnis für diesen strategischen Ansatz haben. Ich glaube, es ist richtig, dass sich Deutschland an dieser neuen internationalen Investitionsbank beteiligen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Herr Staatssekretär hat bereits deutlich gemacht, welche Vorteile es hat, wenn wir uns beteiligen. Wir haben viel Know-how wirtschaftlicher Art, und wir sind ein starker Player, gerade auch im Bereich von Infrastrukturprojekten. Den BER lasse ich einmal außen vor; das ist nicht unbedingt ein Vorzeigeprojekt. (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Das wird noch! – Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Das hätten wir vielleicht auch mit einer Entwicklungsbank machen sollen!) – Ja, das wäre vielleicht noch eine Variante. Das müssen wir einmal sehen. – Wir werden dann in der Lage sein, entsprechend Einfluss zu nehmen und dafür zu sorgen, dass die AIIB in der Tat das Ziel verfolgt, eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung über die Finanzierung von Infrastruktur in Asien zu fördern. Dabei müssen wir Wert darauf legen, dass es eine ganz enge Zusammenarbeit mit den bestehenden bilateralen und multilateralen Entwicklungs- und Finanzinstitutionen gibt. Der Schwerpunkt sollte auf der Förderung entwicklungsorientierter öffentlicher und privater Infrastrukturinvestitionen insbesondere in Ländern liegen, die noch entwickelt werden müssen, in Ländern mit hoher Armut. Wenn dieses Ziel erreicht wird, steht die deutsche Beteiligung in der Kontinuität eines erfolgreichen Engagements in internationalen Entwicklungs- und Finanzinstitutionen. Auf der anderen Seite macht es, denke ich, viel Sinn, China in die Architektur der internationalen Finanzmärkte einzubinden; denn China ist ein Global Player. Das Gesamtkapital der AIIB – wir haben es gehört – wird 100 Milliarden US-Dollar betragen. Deutschland wird einen Kapitalanteil von 4,5 Milliarden US-Dollar übernehmen und einen Stimmenanteil von 4,1 Prozent. Da die AIIB ihre Geschäftstätigkeit im Januar 2016 aufnehmen will, macht es Sinn, Kollege Troost, hier im Bundestag zügig eine Entscheidung zu treffen, damit Deutschland von Anfang an dabei ist. Warum ist das wichtig? Wir haben eben gehört, dass es eine Diskussion über Umwelt- und Sozialstandards gibt, darüber, ob sie bei der Umsetzung von Projekten tatsächlich eingehalten werden. Da gibt es noch Zweifel; das muss man sehr deutlich sagen. Es bleibt eine Reihe von offenen Fragen. Es bleibt offen, ob ein Verbot von Kinderarbeit oder der Handel mit radioaktivem Material unter die Geschäftsgrundsätze fallen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Genau!) Wir sollten dafür sorgen, dass das der Fall ist. Deutschland sollte sich nachdrücklich für die Verankerung umfassender sozialer und ökologischer Standards bei Infrastrukturprojekten einsetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Darüber hinaus ist es wichtig, den Kampf gegen die Korruption im Auge zu behalten und für transparentes Geschäftsgebaren zu sorgen. Das sind wichtige Aktionsfelder. Wir werden uns jetzt intensiv mit dem Gesetzentwurf beschäftigen. Ich glaube, die Beteiligung Deutschlands ist gut und richtig, wenn es uns gelingt, unseren Einfluss zu nutzen, um die Weichen für eine nachhaltige soziale und ökologische Entwicklung der Zielregionen zu stellen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Uwe Kekeritz hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt einen schönen geschichtlichen Rückblick bekommen. Recht herzlichen Dank, Herr Zöllmer! Aber Sie hätten vielleicht auch etwas zur Entstehungsgeschichte dieser asiatischen Bank beitragen können. Es ist doch nicht zu leugnen, dass die Ursache für ihre Entstehung eigentlich in der maßlosen Arroganz der USA liegt, die sich jahrelang geweigert haben, den Ländern des Südens eine faire Beteiligung an den Mitbestimmungsrechten der Weltbank und des IWF einzuräumen. Folge sind die Gründungen der BRICS-Bank und natürlich auch der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank. Nicht, dass wir da dringend Kapital brauchen, von wegen. Nein, das ist eine Reaktion und auch eine Kampfansage. Nun stellt sich die Frage, ob wir Mitglied werden oder nicht. Ein Argument lautet: Wir müssen Mitglied werden, um positiven Einfluss auszuüben. – Das Argument ist per se sehr gut. Wir müssen aber genau prüfen, ob Deutschland eine solche Rolle tatsächlich wahrnehmen kann bei einer Beteiligung von 4,5 Prozent gegenüber einer Beteiligung Chinas von mehr als 30 Prozent. Zudem ist die Frage zu stellen, ob die Deutschen eigentlich immer die Guten sind; aber das lassen wir einmal beiseite. Auch über das Argument, Konkurrenz fördere das Geschäft, müssen wir einmal nachdenken. Es gibt 19 multilaterale internationale Finanzinstitute. Deshalb kann ich nicht sehen, dass es dafür großen Bedarf gibt. Es sind Fragen zu klären. Erstens: Welche Standards werden bei der Vergabe von Krediten angewendet? Wir haben gerade vom Staatssekretär gehört, dass es die höchsten Standards sind. Wie kommen Sie eigentlich zu dieser Feststellung? Von diesen Standards möchte ich schon einmal in Schriftform lesen. Was ich weiß, ist, dass die Chinesen im Wesentlichen die Standards der Weltbank abgeschrieben haben. In einem Bereich sind sie besser, nämlich was die Behandlung der Regenwälder angeht. In anderen Bereichen sind sie definitiv schlechter – das wurde bereits genannt –, zum Beispiel bei der Förderung von Kohlekraftwerken und Atomkraftwerken. Zweitens: Wie werden die Standards aktualisiert, verändert, weiterentwickelt? Drittens: Welche Evaluationsmechanismen werden eingesetzt? Viertens: Gibt es Beschwerdeverfahren? Fünftens. Wir wissen ganz genau, dass es Transparenz ohne die Einbindung der Zivilgesellschaft nicht gibt. Wie schaut es mit der Transparenz aus? Wie schaut es mit der Einbindung der Zivilgesellschaft aus? Ich kann Ihnen sagen: Das schaut ganz miserabel aus. Die Einbindung der Zivilgesellschaft ist aber notwendig, damit aus dieser Bank eine demokratische Einrichtung werden kann, die die Standards ökologischer und sozialer Art erfüllen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie ist die Bank strukturell organisiert? Wie laufen Entscheidungsprozesse ab? Das ist alles völlig unklar. Wir müssen uns doch darüber im Klaren sein: Wir haften nicht nur für 4,5 Milliarden Dollar, sondern wir tragen gerade in Zeiten von SDGs und Klimakonferenz eine große politische Verantwortung. Wie wird sichergestellt, dass die asiatische Bank nach diesen Prinzipien ausgerichtet wird? Herr Zöllmer, Sie haben die schlechten Erfahrungen hinsichtlich der Weltbankprojekte angesprochen – das kann ich nur bestätigen –: Zwangsumsiedlungen bei Staudammprojekten, Missachtung der Rechte indigener Völker, Transportkorridore in den Regenwäldern usw. Das ist nur eine kleine Auswahl üblicher Verfehlungen der Weltbank. Stutzig macht mich auch, dass das Finanzministerium die Federführung für diesen Bereich erhält. Will sich das Finanzministerium tatsächlich um die Strukturen in Malawi kümmern? Warum nicht das BMZ? Damit kommen wir weiter, aber zielgenau weg von der Kohärenz, die wir alle immer als sehr wichtig ansehen. Wir brauchen mehr und nicht weniger Kohärenz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Es droht, dass Deutschland demnächst wieder den Bau von Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken mitfinanziert. Damit steht natürlich auch unsere Glaubwürdigkeit auf dem Prüfstand. Das kann nicht sein. Das muss – wie auch die anderen Fragen, die ich aufgezählt habe – vor dem Beitritt geregelt werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin sofort fertig. – Eines, Herr Staatssekretär, geht gar nicht, würde die Kanzlerin sagen, nämlich dass sich das Parlament vom Finanzministerium unter Zeitdruck setzen lässt. Nein, wir sollten wirklich einmal die offenen Fragen, die ich hier skizzenhaft dargestellt habe, klären. Die Mitgliedschaft in einer solchen Bank kann kein Selbstzweck sein. Wir müssen globale Ziele verfolgen, und es ist bei weitem noch nicht geklärt, wie. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. ­Philipp Murmann das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir als CDU/CSU-Fraktion unterstützen die Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank, auch wenn einige von uns am Anfang sicherlich gefragt haben: Brauchen wir noch eine Entwicklungsbank? Aber es wurde ja schon von verschiedenen Seiten dargelegt, dass es viele Vorteile hat. Ich denke, im Wesentlichen sprechen drei Gründe dafür, hier mitzumachen. Erstens. Die Ausrichtung einmal in Richtung Infrastruktur, aber auch in Richtung Investitionen ist für eine Bank sehr interessant. Zweitens spielen Entwicklungsbanken eine positive Rolle in all den Ländern, in denen sie tätig sind. Ich hatte selber einmal das Glück, drei Jahre in Asien zu leben. Die Asian Development Bank hat sicherlich viele Projekte angeschoben, die es in vielen Ländern heute sonst nicht gäbe. Insofern, denke ich, kann auch diese Bank eine Bereicherung darstellen. Der dritte Grund aus meiner Sicht ist, dass Wettbewerb natürlich das Geschäft belebt. Das heißt, wenn sich mehrere Banken um Projekte kümmern und überlegen, wie sie innovativ vorangehen können, ist das sicherlich gut. Es wurde schon gesagt: Es ist wichtig, effiziente Strukturen und natürlich wenig Bürokratie bei diesen Projekten zu haben, aber gleichzeitig zielgenau und mit einer hohen Dynamik zu arbeiten. Herr Kekeritz, jeder Standard, den wir noch verbessern können, der vielleicht niedriger wäre, wenn wir nicht dabei wären, ist natürlich ein Gewinn und Erfolg. Auch deswegen, denke ich, lohnt es sich, dabei zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Als Gründungsmitglied haben wir ganz besondere Chancen. Sicherlich besteht jetzt etwas Zeitdruck. Aber ich denke, es ist nicht zu schwierig, sich in einigen Stunden und mithilfe einiger Gespräche in das Thema einzuarbeiten. Als Gründungsmitglied haben wir die Möglichkeit, besser Einfluss zu nehmen. Die Bank hat ja eine interessante Struktur. Es wurde schon gesagt, dass China das größte Mitglied und der Treiber dieser Bank ist. Aber zu immerhin 20 Prozent sind auch Europäer dabei. Wir sind mit 4,5 Prozent das größte europäische Mitglied. Aber auch Italien, Frankreich und Großbritannien sind mit relativ großen Portionen dabei. Die anderen Spieler, Russland und Indien, sind natürlich geopolitisch für uns interessant. Die USA sind bisher nicht dabei. Ich habe aber in den Gesprächen gehört, dass die Amerikaner darüber nachdenken, mit einzusteigen. Es ist für sie sicherlich ungewohnt, eine kleinere Rolle zu haben; aber auch da lohnen sich weitere Gespräche. Die Gesamtstruktur ist sowohl politisch als auch ökonomisch für uns interessant. Politisch ist sie interessant, um, wie schon gesagt, Standards durchzusetzen. Ich denke, dass Sozialstandards eine ganz besondere Rolle spielen. Ökonomisch ist sie interessant, weil sich für die KfW Möglichkeiten bieten, eine Kofinanzierung anzubieten. Deutsche Kreditinstitute haben dadurch die Möglichkeit, dort Projekte zu finanzieren. Natürlich haben auch deutsche Unternehmen die Möglichkeit, Technologie mit voranzutreiben, Know-how mit einzubringen und viele Dinge mehr. Auch dafür, denke ich, lohnt es sich, da mitzumachen. Herr Zöllmer hat zu Recht die Weltbank erwähnt. Auch ich habe mir das, was 1944 geschah, noch einmal angeschaut. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, er hat auf Wikipedia gelesen! – Gegenruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Gutes Lexikon!) – Nein, nicht nur Wikipedia; es gibt auch noch andere Quellen. Aber da kann man sicherlich auch nachsehen. – Auch unsere Region würde heute sicherlich anders aussehen, wenn es diese Institution damals nicht gegeben hätte. Man muss sagen: Infrastruktur ist eben die Basis für die weitere Entwicklung gerade der Schwellenländer. Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Verkehrsinfrastruktur, aber auch ITInfrastruktur und Energie, das alles sind wichtige Elemente, die man in diesen Ländern voranbringen muss, um den Menschen dort ein besseres Leben zu ermöglichen. Dafür lohnt es sich auf jeden Fall, da mitzumachen. Ich denke, auch für die Asian Development Bank, die – so jedenfalls war meine Erfahrung in den Jahren – eher als ein bisschen langsam und bürokratisch galt, ist das vielleicht ein kleiner Schub, ohne den Damen und Herren dort zu nahe zu treten. Insofern denke ich nach wie vor, es ist gut, dass wir in der Region eine weitere Bank haben. Ich denke, die AIIB – die Abkürzung ist vielleicht noch nicht ganz so elegant; daran muss man noch arbeiten – (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Müssen wir noch ein bisschen üben, ja!) ist eine große Chance. Ich würde mich freuen, wenn möglichst viele von Ihnen dem Gesetzentwurf zustimmen und wir dann gemeinsam mit den anderen Ländern diese Region voranbringen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6163 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Inge Höger, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Den deutschen Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahr 2016 für Frieden und Abrüstung nutzen Drucksache 18/5108 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den deutschen OSZEVorsitz 2016 zur Stärkung der OSZE nutzen Drucksache 18/6199 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sind durch die Ereignisse der letzten Jahre in der Ukraine bedroht. Die Sicherheit ist bedroht durch Manöver, durch den Konflikt in Donbass, auf der Krim, durch weitere Aufrüstung sowohl auf russischer Seite als auch in den NATOStaaten. Auch die Ankündigung, die Atomwaffen in Deutschland, in Büchel, neu aufzurüsten, ist ein Teil dieser Bedrohung der Sicherheit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zusammenarbeit ist durch Sanktionen und Gegensanktionen zum Nachteil aller Beteiligten bedroht. Was wir beabsichtigen, auch mit dieser Debatte und dem Antrag, den wir eingebracht haben, ist, einen Ausweg aus dieser Politik zu finden. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist der wichtigste institutionelle Rahmen, in dem aus unserer Sicht ein Ausweg gefunden werden kann, in dem eine Entspannung eingeleitet werden kann. Deutschland hat, auch als Folge des KSZEProzesses, der vor 40 Jahren in Helsinki begonnen wurde, durch die Wiedervereinigung und auch in der Zeit danach am meisten profitiert. Nächstes Jahr wird Deutschland den Vorsitz der OSZE übernehmen. Ich glaube, der Bundestag sollte sich damit befassen, welche Vorschläge möglich sind, um die OSZE wieder zu stärken und in Richtung Deeskalation und Frieden wirken zu lassen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Linke hat einen Antrag mit sehr umfangreichen Vorschlägen eingebracht. Es werden vielleicht nicht alle umsetzbar sein; aber ich glaube, es ist wichtig, dass wir diese Vorschläge machen. Ich will nur drei davon herausgreifen. Als Erstes sollten die Verhandlungen über eine konventionelle Abrüstung wieder aufgenommen werden. Es geht hier um den KSEIIProzess. Ein zweiter Vorschlag ist die Absenkung der Schwellenwerte für die Beobachtung von ungewöhnlichen militärischen Aktivitäten und Quotenerhöhungen für Gebietsinspektionen und Überprüfungsmöglichkeiten von militärischen Standorten zur Langzeitbeobachtung. Das sind technische Dinge, die möglich sind, wenn der politische Wille dafür vorhanden ist. Unser dritter Vorschlag ist, das OSZEKonfliktverhü­tungszentrum zu erweitern. Dazu gehören das Recht auf ungehinderte Informationsbeschaffung und ein Initiativ- und Durchführungsrecht für Dringlichkeitsmaßnahmen zum Einsatz von zivilen Krisenpräventionsmitteln. Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, dass Deutschland den Vorsitz im nächsten Jahr nutzt, um Initiativen zu starten, damit die OSZE aus der Defensive herauskommt; denn wir müssen uns natürlich daran erinnern, dass die aktuelle Konfliktsituation in der Ukraine auch eine Folge der Schwäche der OSZE in der Vergangenheit ist und dass die Hoffnungen, die es 1990 gab, auch mit dem Pariser Prozess nicht erfüllt wurden. Dieser Prozess – das muss man auch erwähnen – wurde vor allen Dingen von den USA blockiert. Ich will mit einem Zitat des ehemaligen EUKommissars Günter Verheugen schließen, der am Montag im Spiegel gesagt hat – ich zitiere –: Die Lehre aus der Entspannungspolitik und dem KSZEProzess – also dem Vorläufer der OSZE – der Siebzigerjahre ist, dass Frieden nur möglich ist, wenn keiner den anderen dominieren will und keiner imperiale Ansprüche erhebt. Das gilt für Russland, das gilt für die USA. Und auch die EU sollte größtmöglichen Abstand zu solchen Gelüsten wahren. Frieden in Europa ist nur mit Russland möglich, und die OSZE ist der institutionelle Rahmen, in dem er organisiert werden kann, wenn der politische Wille dafür da ist. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jürgen Klimke. (Beifall bei der CDU/CSU) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! 40 Jahre ist es mittlerweile her, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa durch die Schlussakte von Helsinki 1975 zunächst als Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE, entstand. Nach dem Ende des Kalten Krieges 1995 konstituierte sich dann die OSZE, die heute aus 57 Teilnehmerstaaten besteht. Obwohl nach dem Kalten Krieg die Frage im Raum stand, ob wir die OSZE noch brauchen, wurde sie nicht abgeschafft, gewann sogar neue Funktionen hinzu, wie zum Beispiel die Wahlbeobachtungen und den Schutz der Menschenrechte. Heute sind wir froh, dass wir die OSZE haben und dass es einen regionalen multilateralen Rahmen gibt, in dem die Sicherheitslage unter Einbeziehung aller Beteiligten diskutiert werden kann. Wir sind auch froh, dass wir zum Beispiel Beobachter in Konfliktgebiete entsenden und die Legitimität von Wahlen vor Ort überprüfen können. Die Stärke der OSZE ist ihre Akzeptanz in den Mitgliedstaaten. Deshalb halte ich zum Beispiel gar nichts davon, Russland aus Institutionen der OSZE auszuschließen. Das hieße, diese Organisation falsch zu verstehen. Der Ansatz der OSZE ist kooperativ und multilateral. Das bedeutet aber auch, dass sich die Mitglieder der Kritik stellen müssen, und es ist ja nicht so, dass diese Kritik nicht geäußert wird und sich nicht in den Beschlüssen, zum Beispiel denen der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, wiederfindet. Das Problem ist ein anderes. Es liegt plötzlich ein ungeheurer Erwartungsdruck auf der OSZE. Sie soll den Konflikt in der Ukraine und andere Sicherheitsfragen quasi im Alleingang lösen, soll Vertrauen schaffen, Frieden wiederherstellen und den Waffenstillstand überwachen. Meine Damen und Herren, wir dürfen die OSZE nicht mit überzogenen Erwartungen überfrachten, auch nicht, wenn wir 2016 den Vorsitz haben. Die OSZE ist stark als Vertrauensbildner, als Moderator, als Überwacher von Fortschritten. Sie ist jedoch gegen Unwillige nicht zur Einigung zu zwingen. Auch Deutschland wird den OSZEVorsitz nicht dafür nutzen können. Gleichwohl erhoffen wir Impulse vom deutschen OSZEVorsitz, auch in der Frage der Ukraine-Krise. Deutschland hat hier die Möglichkeit, sein politisches Kapital einzubringen: das Vertrauen, das wir auf beiden Seiten genießen. Ich habe persönlich noch andere Erwartungen an den OSZEVorsitz. Ziel muss es sein, die Organisation noch fitter für die Zukunft zu machen; denn wir stehen – ich sagte es eben – vor großen Herausforderungen. Schließlich wurde die OSZE im Kalten Krieg gegründet, als man es ausschließlich mit staatlichen Akteuren zu tun hatte. Die heutigen Konflikte sind unübersichtlicher. Wir haben Separatisten, Freischärler prägen die Situation. Das Handeln in Konflikten lässt sich nur noch schwer einzelnen Akteuren zuordnen. Die neuen Aufgaben der OSZE in Bezug auf Beobachtungsmissionen, aber auch auf die Stärkung der Menschenrechte und die Wahlbeobachtungen machen Reformen notwendig. Zudem müssen wir die Ziele präzisieren, will man die neuerliche Spaltung Europas überwinden oder primär die demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung fördern. Fakt ist, dass die OSZE für die gestiegenen Anforderungen eine bessere finanzielle Ausstattung benötigt, dass die Strukturen an die unübersichtliche Lage angepasst werden müssen. Als stellvertretender Leiter der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE wünsche ich mir im Übrigen auch, dass dieser Arm der Parlamentarischen Versammlung gestärkt wird. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Steht auch im Antrag drin!) Die Beschlüsse der Parlamentarischen Versammlung müssen für das Handeln der OSZEMitglieder eine noch größere Bedeutung bekommen. Meine Damen und Herren, ich finde es richtig, dass sich die Oppositionsparteien mit Initiativen für den deutschen Vorsitz beschäftigen. Das hat bei allen inhaltlichen Differenzen auch einen positiven Grund, der anzumerken ist: dass alle Fraktionen hier der OSZE eine wichtige Bedeutung für die Zukunft zumessen. Das eint uns auch als Bundestag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist kein Geheimnis, dass zum deutschen OSZEVor­sitz auch ein Antrag der Koalitionsfraktionen kommen wird, den wir hier in Kürze beraten werden. Lassen Sie uns deswegen gemeinsam daran arbeiten, gemeinsam daran wirken, dass die OSZE ihre vielfältigen Aufgaben nachhaltig erfüllen kann! Stärken wir die OSZE durch den deutschen Vorsitz! Stärken wir der OSZE auch durch den Deutschen Bundestag den Rücken; denn wir brauchen diese Organisation dringender denn je! Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger für BÜNDNIS 90/Die Grünen. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist eine großartige und einzigartige Institution. Sie hat in der Vergangenheit Unglaubliches geleistet und auch Unmögliches möglich gemacht. Seit ihrer Geburtsstunde mit der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 ist es nicht nur gelungen, die Beziehungen zwischen Ost und West zu verbessern, die Kriegsgefahr zu vermindern und die Abrüstungsschritte der nächsten Jahre überhaupt erst möglich zu machen, sondern sie hat auch mit ihren zahlreichen Instrumenten in den darauffolgenden Jahrzehnten in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte, zivile Krisenprävention, Wahlbeobachtung Unverzichtbares auf den Weg gebracht. Die OSZE war ihrer Zeit weit voraus und dachte Sicherheit nicht nur als Sicherheit von Staaten, sondern als Sicherheit von Menschen, was für uns heute selbstverständlich ist. Dieser multinationale Sicherheitsbegriff, der die politisch-militärische Dimension, wirtschaftliche und ökologische Perspektiven vereint und mit den Menschenrechten verbindet, ist heute angesichts vieler Krisen aktueller denn je. Umso verwunderlicher ist es, dass in der Debatte um die neue deutsche Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik so viel über die NATO und die EU und schon viel zu wenig über die Vereinten Nationen gesprochen wird, aber über die OSZE geschwiegen wird. Die OSZE gehört in den Mittelpunkt dieser Debatte. Der deutsche Vorsitz nächstes Jahr bietet die Gelegenheit, das in die Tat umzusetzen. Gleichzeitig liegen große Herausforderungen vor der OSZE, aber auch für Deutschland als vorsitzenden Staat. Nun gilt es, diese Herausforderungen tatkräftig mit neuen Ideen anzugehen. Meine Damen und Herren, die OSZE ist in der Krise, weil eine Organisation immer nur so gut und so stark ist, wie ihre Mitgliedstaaten das wollen und wie gut und stark sie sich selber einbringen. Es gibt leider viel zu viele Mitgliedstaaten, die nicht genug tun, und es gibt einige, die die OSZE boykottieren oder auch torpedieren. Ich möchte jetzt gar nicht über Russland und die Ukraine-Krise sprechen, sondern ein anderes Beispiel herausgreifen. Aserbaidschan will die OSZE im Bereich Menschenrechte und Wahlbeobachtung zur Marionette der dortigen Regierung machen. Ich finde es gut und richtig, dass die OSZE zu so etwas klar Nein sagt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Für den deutschen Vorsitz gibt es aus meiner Sicht zwei zentrale Handlungsfelder. Das erste liegt im Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle. Die OSZE hat die unheimlich wichtige Aufgabe, angesichts der verschlechterten Sicherheitslage in Europa, dem gegenseitigen Aufrüsten auf beiden Seiten und dem verbalen Machtgehabe, in dem auf einmal schlimmerweise Nuklearwaffen wieder eine Rolle spielen, Vertrauen und Transparenz zu schaffen. Dazu gehören die Modernisierung des Wiener Dokuments und die Stärkung der gemeinen Überwachungsflüge unter dem Open-Skies-Vertrag. Dazu gehört aber vor allem auch mehr ehrlicher Austausch über Manöver und Übungen. Denn die wahre Gefahr aktuell ist doch nicht, wie es manchmal diskutiert wird, dass Russland einen NATO-Mitgliedstaat angreift, sondern viel wahrscheinlicher ist, dass bei den zahlreichen Übungen und Manövern vielleicht einmal etwas unbeabsichtigt passieren könnte. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind keine Schönwetterthemen. Sie sind gerade in solchen schwierigen Zeiten wichtiger und relevanter denn je. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die zweite Herausforderung sehen wir in der Ukraine. Die OSZE hat die unheimlich wichtige und extrem schwierige Aufgabe, die Umsetzung des Minsker Abkommens und den Waffenstillstand zu überwachen. Sie kann diese Aufgabe mit ihren zwei Missionen nicht erfüllen. Das liegt daran, dass den Beobachterinnen und Beobachtern immer wieder der Zutritt zu den entscheidenden Gebieten in der Ostukraine versagt wird. Das ist untragbar. Gleichzeitig setzen sich die Beobachterinnen und Beobachter dieser Mission einem großen Risiko aus. Es ist auch schon zu einigen Entführungen gekommen. Der Generalsekretär der OSZE, aber auch eine Expertengruppe haben hierzu Vorschläge vorgelegt, wie man die Handlungsfähigkeit solcher Missionen stärken und den Schutz der Menschen verbessern kann, die diese Aufgabe übernehmen. Diese gilt es jetzt unideologisch zu diskutieren, aber auch sehr sorgsam zu prüfen, wenn es beispielsweise um die Frage von robusteren Schutzkomponenten geht. Aber wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, die Menschen, die diesen Auftrag übernehmen, so zu befähigen, dass sie ihn erfüllen können, und sie gut zu schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, die Aufgaben sind nicht einfach, aber es lohnt sich, sie anzupacken. Herr Kollege Klimke, ich freue mich und sehe es ganz genauso wie Sie. Ich glaube, wir haben eine große Einigkeit von der einen bis zur anderen Seite des Hauses. Vielleicht können wir diese Debatte als Auftakt nutzen und aus den drei Anträgen, die dann auf dem Tisch liegen, einen gemeinsamen Antrag machen, um so der Bundesregierung den Rücken zu stärken, damit sie mit dem deutschen Vorsitz die OSZE stärken kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Kollegin Doris Barnett spricht jetzt für die SPD. (Beifall bei der SPD) Doris Barnett (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon gesagt: Als sich vor 40 Jahren nach zweijähriger Verhandlungsphase in Helsinki die Staatschefs von damals 35 Ländern zur feierlichen Verabschiedung der KSZE-Schlussakte trafen, taten sie das in dem Willen, im Interesse ihrer Völker die Beziehungen zu ihren Nachbarstaaten zu verbessern und in dem damals noch geteilten Europa nicht mehr die Muskeln spielen zu lassen, sondern zum Frieden, zur Sicherheit und Gerechtigkeit, zur Zusammenarbeit und damit zur Annäherung zwischen ihnen und zu den anderen Staaten der Welt beizutragen. In der Geschichte unseres Kontinents gab es immer wieder Zeitfenster, die sich öffneten für zum Teil radikale Änderungen in der Politik. 1973 bis 1975 war so eines. 1989/1990 war wieder so eines. Es ist zu hoffen und zu wünschen, dass sich 2015/2016 wieder ein solches Zeitfenster öffnet, was man allerdings erst im Nachhinein wissen kann. Die Abkommen Minsk I und II sind möglicherweise Ausgangspunkte eines politischen Veränderungsprozesses. Die OSZE wird als wichtiges politisches Instrument dann wahrgenommen, wenn Krisen ausgebrochen sind, es also eigentlich schon zu spät ist, wenn eben die ganzen Mechanismen, die sowohl in der KSZE-Schlussakte als auch in der Charta von Paris verabredet wurden, nicht gegriffen haben. So auch jetzt wieder, als bis zum Ausbruch der Ukraine-Krise die OSZE kaum in Erscheinung trat. Dass ich nicht falsch verstanden werde: Natürlich arbeitet die OSZE ständig, um ihre Ziele durchzusetzen. Zu den wichtigsten gehören vor allem die Konfliktverhütung und damit die Schaffung von Sicherheit, aber auch, wenn es zum Konflikt gekommen ist, so einzugreifen, dass der Konflikt beigelegt und befriedet wird. Dabei stehen dann der Schutz der Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit ganz vorne an, weil ebendiese den Kern unseres gemeinsamen Wertesystems ausmachen: Freiheit in Sicherheit. Das ist ein Bohren dicker Bretter. Dafür hat die Organisation drei unabhängige Organisationen, die die Verpflichtungen der KSZE-Vereinbarungen überwachen. Da ist das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte – vielen auch unter der Abkürzung ODIHR bekannt –, das unter anderem durch seine Wahlbeobachtungsmissionen für Aufmerksamkeit sorgt, so auch jetzt wieder im Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen in Aserbaidschan. ODIHR wird die Wahlen nicht beobachten können, weil es nicht nach seinen allgemeinen Standards, die es zum Beispiel selbst in Belarus problemlos anwendet, in Aserbaidschan arbeiten kann. Es ist schade, dass sich hier die Abgeordneten der Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der OSZE auseinanderdividieren lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Während die PV des Europarates zu den Wahlen geht, wird sich die OSZE PV – ebenso wie ODIHR – nicht an einer durch die Vorgaben von Aserbaidschan massiv beschränkten Wahlbeobachtung beteiligen. Neben ODIHR gibt es die Hohe Kommissarin für nationale Minderheiten, die eigentlich immer in Konflikten – siehe Ukraine – für die Fragen der Minderheiten eingebunden werden sollte. 1990/1991, als die Sowjetunion zerfiel, fanden sich praktisch über Nacht Millionen von Russen in neuen Staaten wieder, deren Bürger sie werden konnten – oder auch nicht. Zwar gibt es in den ganzen Dokumenten Verpflichtungen zum Umgang mit den Minderheiten, aber deren Einhaltung kann auch die Hohe Kommissarin nicht gewährleisten. Genau hier liegen dann die Wurzeln neuer Konflikte. Ein menschenwürdiger Umgang mit ihren Minderheiten würde auch heute helfen, dass viele Bürger europäischer Staaten in ihrer Heimat blieben, statt als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge zu versuchen, sich anderenorts ein neues Leben aufzubauen. Als dritte Institution arbeitet die OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit daran, dass nicht nur staatstragende Medien zu Wort kommen, sondern auch Kritik geäußert werden darf. Aber leider ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik, wie wir sie hier als selbstverständlich empfinden, in vielen der 57 OSZE-Staaten Grund genug, Menschen oft jahrelang hinter Gitter zu bringen, und das mit sehr fadenscheiniger Begründung. Im 40. Jahr seit der Unterzeichnung der Schlussakte kann man deshalb auch schon einmal kritisch fragen, ob die Organisation das gebracht hat, was man sich bei ihrer Gründung erhoffte. Wenn Deutschland im kommenden Jahr den Vorsitz der OSZE übernimmt, dann liegt nicht nur jede Menge ungelöster Probleme auf dem Tisch. Mit dem deutschen Vorsitz verbinden sich auch viele Hoffnungen. Aber die Bundesregierung ist gut vorbereitet und hat bereits in diesem Jahr sehr eng mit dem serbischen OSZE-Vorsitz zusammengearbeitet. Schließlich hat Deutschland mit der Anwendung des Normandie-Formats innerhalb der OSZE bewiesen, dass Konfliktmanagement möglich ist. Morgen werden die vier Staats- und Regierungschefs erneut zusammenkommen, um die Umsetzung des Minsker Abkommens voranzutreiben. Aber es gibt die Macht des Faktischen. Sie überschreibt jedes Mal die Vertragstexte. Hieran etwas zu ändern, wird eine große Herausforderung an den deutschen Vorsitz sein. Da erwarte ich eigentlich, dass auch wir Abgeordnete, die wir Delegierte der OSZE PV sind, unseren Teil dazu beitragen; denn in der Zwischenzeit konnten wir – auch durch meinen Einsatz – in Sachen parlamentarische Diplomatie achtbare Fortschritte und Erfolge erreichen. Die Erwartungen und auch die Forderungen der Opposition an den deutschen OSZE-Vorsitz sind erheblich. Natürlich geht es in allererster Linie ums Geld. Aber da sind wir uns einig: Der Haushalt der OSZE – ohne PV – ist mit rund 141 Millionen Euro unterfinanziert. Das erkennt man auch, wenn man sich die Aufgabenstellung, die Anforderungen für die etwas über 300 Mitarbeiter anschaut. Allein die Special Monitoring Missions verschlingen die Hälfte des Geldes. Von diesen erwarten manche OSZE-Mitglieder, dass sie angesichts mancher autoritären Regierungen in den Reihen der OSZE auf Regime Change drängen, also auf die Ablösung dieser Regierungen, weil diese für sie der „Feind“ sind. Dabei soll die OSZE Konflikte doch ausdrücklich durch Vertrauensbildung, durch Verhandlungen entschärfen. Auch das wird für uns eine große Herausforderung werden. Dass die Opposition zur Finanzierung der OSZE einfach die NATO-Gelder umlenken will, zeigt mir nur einmal mehr das Unverständnis und auch den Unwillen der Linken in Bezug auf das Atlantische Bündnis. Dass wir die OSZE stärken wollen, insbesondere bei der Durchsetzung der vereinbarten grundlegenden Prinzipien, ist auch richtig und bleibt ein Daueranliegen für jeden Vorsitz. Denn bei 57 Mitgliedstaaten unterschiedlicher politischer Herkunft und Prägung wird es sowohl darauf ankommen, die Latte nach oben zu verschieben, als auch darauf, gleichzeitig alle an Bord zu halten. Wir erleben doch gerade, wie OSZE-Feldmissionen geschlossen werden müssen, weil man im Land keine Kritik duldet, oder dass auch Beziehungen zum Europaparlament gekappt werden, weil die Ansichten zu Menschenrechten, Meinungs- und Pressefreiheit zu weit auseinandergehen. Dadurch, dass alle OSZE-Staaten einen gleichberechtigten Status haben, dass Entscheidungen im Konsens gefällt werden und politischer Natur sind, allerdings rechtlich nicht bindend, hat man gegenüber den Staaten, die die eingegangenen Prinzipien nicht einhalten, nur ein moralisches Schwert in der Hand. Die Kunst wird sein – da hat sich der Außenminister ja schon als klug Handelnder erwiesen –, dennoch mit Verhandlungen, neuen Formaten und auch mithilfe von uns Abgeordneten Konflikte zu überwinden. Ich gebe zu: All diese Schritte werden nicht mit Siebenmeilenstiefeln gegangen; aber wenn sie Gewalt verhindern, wenn Menschenleben verschont werden, ist mir die Schuhgröße egal. Vizepräsident Johannes Singhammer: Frau Kollegin Barnett, denken Sie an die vereinbarte Redezeit. Doris Barnett (SPD): Das ist mein letzter Satz. Dass sich die höchste politische Ebene für die Stärkung der OSZE einsetzt, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Die Prinzipien und Werte der OSZE zu achten, ist für jedermann das Gebot der Stunde. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und auch abschließender Redner an diesem Debattentag ist der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist bereit, sich außenpolitisch stärker zu engagieren. An diesem Anspruch muss sich die deutsche Außenpolitik gerade in Zeiten von Krisen und Ausnahmesituationen immer wieder messen lassen. Die Übernahme des OSZE-Vorsitzes im nächsten Jahr führt mit dazu, dass diesem Satz auch Taten folgen können. In Zeiten außenpolitischer Anspannung und andauernder militärischer Auseinandersetzungen kommt der OSZE – da sind wir uns alle einig – eine ganz besondere Rolle zu. Als politische Organisation vereint sie alle europäischen Staaten, alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion und auch die USA und Kanada. Gleichzeitig fußt ihr Konzept auf einem Sicherheitsbegriff, der sehr breit angelegt ist. Zu den politisch-militärischen Aspekten kommen die wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Korb 3: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie. Das macht die OSZE zu einem ganz wertvollen Dialogforum. Vor allem bietet sie eines der wenigen institutionellen Formate, die wir dringend brauchen, in denen wir strukturierte Gespräche mit Moskau, mit Russland führen können. Doch gerade die Russische Föderation – das kam in der Rede der Linken etwas zu kurz – mit ihren ambivalenten Interessen ist in der Vergangenheit gezielt immer wieder als Störer aufgetreten. Einerseits wird von Ihrer Seite offiziell eine Aufwertung der OSZE befürwortet, andererseits sind nicht alle Dimensionen des OSZESicher­heitsbegriffes attraktiv für die gegenwärtige russische Führung. Gerade in Sachen der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie hat Russland in letzter Zeit ja nun wirklich keine großen Fortschritte gemacht – um es etwas vorsichtig auszudrücken. Der Vorsitz bietet Deutschland nun eine Chance, die Reformierung der OSZE voranzutreiben. Vorhandene Instrumente sind an die neue geopolitische Lage in Europa anzupassen. Die Europäische Union steht für Freiheit und Demokratie. Gerade deswegen sind wir aufgerufen, diesen „Dritten Korb“, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit, im Dialog aufzuwerten. Instrumente, die europäische Grenzen sichern und auch robuste Maßnahmen einschließen, sind zu entwickeln. Problematisch dabei ist, dass dies alles immer nur einstimmig erfolgen kann, also auch mit der Stimme Russlands erfolgen muss. Im Hinblick auf die aktuelle Lage in der Ukraine gilt es, die beiden OSZEBeobachtermissionen nicht aus dem Auge zu verlieren. Die Umsetzung der MinskII­Vereinbarungen muss wirkungsvoll überwacht werden. Hier geht es darum, dafür zu sorgen, dass diese Beobachtermissionen nicht an einem russischen Veto scheitern. Einerseits unterstützt Russland diese Missionen, andererseits tut es alles, um technische Aufklärungsmittel für diese Missionen zu verhindern, sodass keine wirklichen Erkenntnisse gewonnen werden können. Das ist die Strategie, die durchaus erkennbar ist – die hätten Sie vielleicht auch einmal erwähnen können –, nämlich einerseits Zusammenarbeit zu suggerieren, andererseits aber die Kooperation zu verweigern. Ich hoffe, dass das Treffen der Präsidenten Russlands und der Vereinigten Staaten zu einer Annäherung führen kann und dass wir im Lichte dieser Annäherung auch im kommenden Jahr zu Erfolgen kommen können. Die unnötigen Spitzen im Antrag der Linken gegen die USA und vor allem gegen den notorischen Feind der Linken, die NATO, werden es nicht möglich machen, einen gemeinsamen Antrag mit den Linken zu diesem Thema zu formulieren. Im Gegenteil: Ich bin vollkommen einverstanden, auch mit der Kollegin Barnett, dass es nur mit einer starken NATO gelingt, in der OSZE Erfolge zu erzielen. Das eine gehört zum anderen, und beides ist untrennbar miteinander verbunden. Aus einer Position der Schwäche werden wir in Moskau nichts erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Antrag der Grünen spricht zu Recht von einer Zeit wachsender Unsicherheit in Europa. Das ist sicher richtig. Ich hoffe aber, dass sich bis zum Beginn des deutschen OSZEVorsitzes die Zustände noch etwas verbessert haben. Ich wünsche mir jedenfalls – wir Deutsche wollen dazu beitragen –, im kommenden Jahr sagen zu können: Deutschland hat das Glück, in einer Zeit neuen Vertrauens neue Verantwortung übernehmen zu können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank ebenso. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5108 und 18/6199 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich gehe davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind und sich kein Widerspruch erhebt. – Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen noch einen erholsamen Abend, damit Sie morgen wieder ausgeruht hier im Plenum sein können. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 2. Oktober 2015, 9.00 Uhr, ein. Die Sitzung ist damit geschlossen. (Schluss: 21.04 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlagen 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.10.2015 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.10.2015 Becker, Dirk SPD 01.10.2015 Beckmeyer, Uwe SPD 01.10.2015 Daldrup, Bernhard SPD 01.10.2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 01.10.2015 Gabriel, Sigmar SPD 01.10.2015 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 01.10.2015 Groth, Annette DIE LINKE 01.10.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 01.10.2015 Hendricks, Dr. Barbara SPD 01.10.2015 Kiziltepe, Cansel SPD 01.10.2015 Kolbe, Daniela SPD 01.10.2015 Lange (Backnang), Christian SPD 01.10.2015 Lay, Caren DIE LINKE 01.10.2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 01.10.2015 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 01.10.2015 Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU 01.10.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.10.2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 01.10.2015 Nick, Dr. Andreas CDU/CSU 01.10.2015 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 01.10.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 01.10.2015 Rawert, Mechthild SPD 01.10.2015 Röspel, René SPD 01.10.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 01.10.2015 Steinmeier, Dr. Frank-Walter SPD 01.10.2015 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 01.10.2015 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 01.10.2015 Vries, Kees de CDU/CSU 01.10.2015 Wicklein, Andrea SPD 01.10.2015 Wiese, Dirk SPD 01.10.2015 Zech, Tobias CDU/CSU 01.10.2015 Zimmermann, Pia DIE LINKE 01.10.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel und Dr. Alexander S. Neu (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EUOperation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 6) Nein zum Bundeswehreinsatz EUOperation ­EUNAVFOR MED: Fluchtursachen nicht Flüchtlinge bekämpfen: Wir stimmen gegen den Bundeswehreinsatz EUOperation EUNAVFOR MEO. weil er statt Fluchtursachen lediglich Flüchtlinge bekämpft. Die Bundesregierung versucht zudem, die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, im Mandat der Mission gebe es eine Festlegung auf eine Seenotrettung von Flüchtlingen. Wir lehnen diese Mission zudem ab, weil die Bundes­regierung dem Bundestag den Beschluss für die Einleitung der zweiten Phase der Militärmission ­EUNAVFOR MED zur Bekämpfung von Flüchtlingen im Mittelmeer nicht ordnungsgemäß zugeleitet hat. Dazu wäre sie gesetzlich verpflichtet gewesen. Ja, man muss hier von einem offenen Rechtsbruch der Bundesregierung gegen die Mitwirkungsrechte des Bundestages sprechen. Die Bundesregierung tritt die parlamentarischen Rechte des Bundestages mit Füßen. Den Operationsplan der EUMilitärmission hat die Bundesregierung lediglich einem Teil der Abgeordneten in der Geheimschutzstelle zur Verfügung gestellt. Die große Mehrheit der heute hier anwesenden Abgeordneten weiß deshalb nicht, worüber sie genau abstimmen werden. Sicher: Abgeordnete des Auswärtigen Ausschusses konnten den Operationsplan lesen. Allerdings hatten sie dazu jeweils in der Geheimschutzstelle nur jeweils eine halbe Stunde Zeit. Und dazu kommt, dass der Operationsplan der Mission 600 Seiten in englischer Sprache umfasst. Wie Sie hier mit den Abgeordnetenrechten und der parlamentarischen Demokratie umgehen, ist wirklich ein starkes Stück. Sie führen die Öffentlichkeit hinters Licht. Warum aber? Niemand soll erfahren, dass im Mandat der Mission, anders als Sie es wahrheitswidrig immer wieder behaupten, keine ausdrückliche Verpflichtung zur Seenotrettung enthalten ist. Im Gegenteil: Unter dem Deckmantel der Schleuserbekämpfung geht es Ihnen um einen Kampf gegen die Flüchtlinge. Deshalb soll auch kein Abgeordneter und schon gar nicht die Öffentlichkeit erfahren, dass im geheimen Operationsplan steht, dass die Flüchtlinge, die die Mission aufgreift, zum nächsten Hafen gebracht werden sollen. lm Ausschuss hatten Sie zwar immer wieder betont, dass damit europäische Hafen gemeint sind. Allein, im geheimen Operationsplan steht davon nichts. Statt Fluchtursachsen zu bekämpfen, bekämpfen Sie Flüchtlinge. Und um dies zu verschleiern, versuchen Sie die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, und machen sich noch geradezu über die Abgeordneten und den Bundestag lustig mit Ihren 600 Seiten des Operationsplans der Militärmission die in einer halben Stunde zu lesen seien. Wer heute hier in diesem Haus sich ernst nimmt als Abgeordneter der kann nur, ja der muss mit Nein zur EUNAVFOR MEO Mission stimmen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschluss­empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EUOperation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 6) Die Vereinten Nationen, die Europäische Union, aber auch jeder Staat der Europäischen Union für sich genommen tragen Verantwortung, Maßnahmen gegen die Ausnutzung von Menschen, die auf der Flucht vor Terror und Vertreibung sind, zu ergreifen. Dies erfordert von der Völkergemeinschaft insbesondere die Bekämpfung von Fluchtursachen, die häufig in Kriegs-bzw. Bürgerkriegszuständen liegen. Die Völkergemeinschaft trägt damit auch die Verantwortung, Maßnahmen zu unterlassen, die Bürgerkriegszustände fördern. Sowohl der vergangene Irakkrieg als auch militärische Einsätze in Libyen zum Sturz des damaligen Machthabers Muammar alGaddafi förderten offensichtlich die für die heutigen Fluchtursachen maßgeblichen Bürgerkriegszustände. Die Völkergemeinschaft ist zudem aufgerufen, auf mehr Teilhabe und Gerechtigkeit auch im Rahmen der weltweiten Handelsbeziehungen hinzuwirken und diese nach den Zielen Nachhaltiger Entwicklung auszugestalten. Aber auch für Flüchtlinge, die heute in ihrer akuten Not Hilfe bei Schlepperbanden suchen, brauchen wir Antworten – solange Fluchtursachen nicht wirksam beseitigt wurden. Insbesondere müssen legale Fluchtwege geschaffen werden. Ein Kampf gegen Schlepperbanden muss gleichziehen mit dem Einsatz zur Schaffung legaler Fluchtwege. Andernfalls wird an anderen Orten als unseren Grenzen unser Asylrecht ausgehöhlt. Schlepperbanden unterscheiden sich von Fluchthelfern, indem sie den Tod von Hilfe suchenden Menschen ausnutzen, Leib und Leben dieser Menschen riskieren oder gar ihren Tod einkalkulieren. Die Ausnutzung der Notlage von Menschen wird dabei zum Geschäftsmodell des Menschenhandels. Schlepperbanden auch mit militärischen Mitteln zu begegnen, halte ich mit Blick auf unsere humanitäre Schutzpflicht gegenüber den flüchtenden Menschen somit prinzipiell für opportun und notwendig. auch unter Beteiligung der deutschen Bundeswehr. Ich begrüße es somit, wenn die Europäische Union Maßnahmen gegen Schlepperkriminalität ergreift und Menschenhandel sanktioniert. Ich begrüße es auch, wenn Schiffe. die für Menschenhandel eingesetzt werden, beschlagnahmt werden. Es ist aber auch unsere humanitäre Pflicht, mit den ergriffenen Maßnahmen zugleich den Menschen in Not Schutz zu gewähren. Der vorliegende Antrag sieht auch vor, im Rahmen der EUOperation EUNAVFOR MED eine „Umleitung auf hoher See“ der betreffenden Boote zu ermöglichen. Solche Maßnahmen halte ich für nicht verantwortbar. Insofern enthalte ich meiner Stimme zur Abstimmung über den oben genannten Antrag. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit und eine sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt (Tagesordnungspunkt 7) Die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist ein Grundrecht. Die Bekämpfung von Armut wird damit zu einer wichtigen Aufgabe des Staates. Die Regelung und Verhängung von Sanktionen bei Hartz IV muss die Rechte und Pflichten der Leistungsberechtigten auf der einen Seite und die Rechte und Pflichten des Staates auf der anderen Seite in ein angemessenes und faires Verhältnis setzen. Dies ist aber derzeit nicht der Fall. Vor allem die Sanktionsregeln bei Hartz IV halte ich für zu hart. Sanktionen sind für die Leistungsberechtigten oft demütigend, unnötig und kontraproduktiv. Bei Hartz IV hat das Fordern die Oberhand über das Fördern gewonnen. So war das aber nicht konzipiert. Wir brauchen eine grundlegende Reform und müssen vor allem die Sanktionen entschärfen, insbesondere für Arbeitslose unter 25 Jahren. Gerade bei Jugendlichen könnten harte Sanktionen dazu führen, dass sie sich vollständig zurückziehen und in die Kriminalität abtauchen, um sich das Lebensnotwendigste zu besorgen. Nach einer aktuellen Studie sind rund 20 000 junge Menschen komplett aus der Betreuung von Jobcenter oder Jugendamt herausgefallen. Deshalb muss das geltende verschärfte Sanktionsinstrumentarium für Menschen unter 25 Jahren abgeschafft werden. Aus meiner Sicht müssen weitere Punkte diskutiert und ggf. geändert werden: – Die Gelder für die Unterkunft sollten im Sanktionsfall nicht gekürzt werden, damit die HartzIV-Empfänger nicht auch noch Ihre Wohnung verlieren und in die Obdachlosigkeit abrutschen. Das sehe ich genauso wie die Sozialverbände, Kommunen und die Bundesagentur. – Der Grundbedarf sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung sollten von Sanktionen ausgenommen werden. – Sanktionen sollten auch nicht mehr verhängt werden, wenn Fähigkeiten, Wünschen und Vorschlägen der Einzelnen nicht Rechnung getragen wird und keine Wahl zwischen angemessenen Förderangeboten besteht. – Sanktionen sollten auch nicht mehr verhängt werden, wenn die Aufnahme von Arbeit verweigert wird, weil die unterhalb des maßgeblichen tariflichen oder – wenn keine tarifliche Regelung vorhanden ist – des ortsüblichen Entgelts entlohnt wird. – Fallmanager und Leistungsberechtigte sind Partner bei der Eingliederung und sollten kooperativ miteinander zusammenarbeiten. Nicht Sanktionen, bürokratische Zumutungen und Gängelung, sondern faire Spielregeln, Motivation und Bestärkung der Arbeitsuchenden müssen die Integrationsarbeit in den Jobcentern bestimmen. Von den Leistungsbeziehenden können und sollen weiterhin Pflichten zur Mitwirkung, vor allem bei der Eingliederung in Erwerbsarbeit, erwartet werden. Es kann jedoch nicht sein, dass das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums in der Form durch Sanktionen infrage gestellt wird. Ich fordere vor allem die CSU und den Wirtschaftsflügel der Union auf, Ihren Kurs zu verändern und Hartz IV grundlegend zu reformieren. Deshalb stimme ich für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katharina Dröge und Lisa Paus (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt (Tagesordnungspunkt 7) Grüne stehen dafür, dass jeder Mensch unteilbare soziale Grundrechte hat. Zur Teilhabe an der Gesellschaft gehört auch eine armutsfeste Grundsicherung. Sanktionen bei Hartz IV höhlen dieses Grundrecht aus. Sie gefährden ein menschenwürdiges Existenzminimum und den kooperativen Charakter des Fallmanagements von Arbeitslosen. Außerdem ist die Wirksamkeit von Sanktionsandrohungen nicht belegt. Die Verhinderung von Langzeitarbeitslosigkeit durch schärfere Sanktionen ist nicht nachgewiesen. Soziale Teilhabe ist ein Grundrecht, das man sich nicht erst verdienen muss. Deswegen sind wir gegen jede Art von Sanktionen bei Hartz IV. Die Grüne Fraktion fordert in ihrem Antrag ,,Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt“ ein Sanktionsmoratorium und langfristig eine stringentere Handhabung von Sanktionen. Das ist ein Anfang, doch das geht aus unserer Sicht nicht weit genug. Daher stimmen wir nicht nur dem Antrag unserer Fraktion zu, sondern auch dem der Linken, der eine komplette Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV fordert, und sagen bei beiden Anträgen Nein zur Beschlussempfehlung der Regierungsfraktionen. 1)  Anlagen 2 und 3 2)  Ergebnis Seite 12346 3)  Anlagen 4 und 5 4)  Ergebnisse Seite 12359 und Seite 12362 --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 127. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 1. Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 127. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 1. Oktober 2015 III Plenarprotokoll 18/127