Was sind Bürgerräte?
Bürgerräte sind Versammlungen von 30 bis 200 per Los zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, die bei mehreren Terminen gemeinsam und in Kleingruppen ein vorgegebenes Thema diskutieren und der Politik ihre Handlungsempfehlungen als Bürgergutachten übergeben. Sie erhalten Hintergrundinformationen von Expertinnen und Experten, die das gesamte wissenschaftliche und politische Spektrum umfassen. Ein neutrales Moderationsteam unterstützt die Teilnehmenden und ermöglicht eine Diskussion aller auf Augenhöhe: die sogenannte Deliberation.
Bürgerräte bilden die Vielfalt der Bevölkerung („Deutschland im Kleinen“) anhand vorab festgelegter Kriterien ab. Mit der Zufallsauswahl lassen sich auch Menschen erreichen, die nicht an Wahlen teilnehmen oder sich nicht regelmäßig einbringen, etwa weil sie nicht an Politik interessiert sind oder ihnen die Zeit für intensives Engagement fehlt. So werden Stimmen hörbar, die sonst nicht in den Debatten präsent sind. Ein weiterer Vorteil: Menschen, die sonst nie miteinander gesprochen hätten, tauschen sich aus und suchen nach Ansätzen, die ihre unterschiedlichen Interessen berücksichtigen.
Bürgerräte sind vor rund 50 Jahren als Instrument der „dialogischen Bürgerbeteiligung“ entstanden. Sie sollten gesetzlich vorgeschriebene Bürgerbeteiligung im kommunalen Bereich effektiver machen. In den letzten Jahren wurden sie in verschiedenen Ländern auch auf nationaler Ebene erprobt, beispielsweise in Irland. Dabei hat sich gezeigt, welchen Mehrwert sie bieten:
- Sie machen ein Stimmungsbild der Bevölkerung sichtbar, das weitaus genauer ist als Meinungsumfragen, und zeigen auf, wo genau in einer Debatte die „Knackpunkte“ liegen.
- Sie binden Alltagserfahrungen der Menschen ein und produzieren praxisnahe Empfehlungen.
- Sie lassen Kompromisslinien und mehrheitsfähige Vorschläge erkennen.
- Sie führen unterschiedliche Positionen zusammen statt zu polarisieren und können so helfen, gesellschaftliche Konflikte zu befrieden.
Bürgerräte dienen der Beratung der politischen Entscheidungsträger und stellen Informationen bereit, die auf anderem Wege bisher nicht ausreichend gewonnen werden können. Sie treffen aber keine Entscheidungen. Diese verbleiben bei den gewählten Abgeordneten, die dafür die Verantwortung tragen und Rechenschaft ablegen müssen. Bürgerräte ergänzen und stärken auf diese Weise die repräsentative parlamentarische Demokratie.
Bürgerräte brauchen geeignete Themen und konkrete Fragestellungen. Gute Beratungsgegenstände sind insbesondere ethische Konflikte und Wertentscheidungen jenseits der parteipolitischen Positionierungen, politische Dilemmata und Richtungsentscheidungen („Sollen wir dies machen oder jenes?“) sowie strittige Priorisierungs- und Verteilungsfragen („Was ist wichtiger?“ und „Wer zahlt das?“). Je fokussierter das Thema ist, desto präziser können die Empfehlungen ausfallen.
Bürgerräte müssen ergebnisoffen sein. Sie haben nicht die Aufgabe, eine bereits feststehende politische Entscheidung nur noch zu bestätigen. Die Bürgerinnen und Bürger bestimmen, wie genau sie ein Thema beraten und welche Aspekte ihnen am wichtigsten sind.
Bürgerräte vertrauen darauf, dass ihre Empfehlungen von der Politik ernsthaft und öffentlichkeitswirksam beraten werden. Wichtig ist dabei nicht, dass alles umgesetzt wird, sondern dass die Politik begründet, warum sie einzelne Empfehlungen aufnimmt und andere zunächst zurückstellt oder ganz ablehnt.
Bürgerräte sollten von einer öffentlichen Diskussion des Themas begleitet werden.
Was macht einen parlamentarischen Bürgerrat aus?
Bürgerräte eines Parlamentes haben einige Besonderheiten gegenüber denen, die von der Regierung eingesetzt oder aus der Zivilgesellschaft initiiert werden:
- Die Abgeordneten beauftragen den Bürgerrat und haben ein konkretes eigenes Interesse am Thema und an den Ergebnissen des Bürgerrates.
- Das Thema muss von nationaler Bedeutung sein und zugleich einen konkreten Bezug zum Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger haben, damit diese ihre Erfahrungen einbringen können.
- Das Thema muss in der Zuständigkeit des Parlamentes liegen. Wenn die EU, die Bundesländer oder die Kommunen verantwortlich sind, kann der Deutsche Bundestag die Empfehlungen nicht umsetzen.
- Das Thema befindet sich in der Regel in einem frühen Stadium des politischen Prozesses, damit wirklich ergebnisoffen beraten werden kann und die Empfehlungen zum Ausgangspunkt parlamentarischer Initiativen werden können.
- Die Abgeordneten geben bereits im Beratungsprozess Rückmeldungen, damit Handlungsempfehlungen im Bürgergutachten formuliert werden können, die eine praktische Umsetzung möglich machen.
Insgesamt steht der Nutzen für den parlamentarischen Prozess im Vordergrund, wenn die Abgeordneten die Auftraggeber des Bürgerrates sind.
Bürgerräte des Parlamentes bieten die Chance einer zusätzlichen Rückkopplung des parlamentarischen Prozesses mit der Bevölkerung. Sie ermöglichen es, Stimmen aus dem Alltag jenseits von oft technokratischer Expertise und von Interessengruppen einzubinden. Sie helfen dadurch, die Akzeptanz einzelner politischer Entscheidungen und des parlamentarischen Systems insgesamt zu erhöhen.